TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 W196 2006836-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch

W196 2006834-4/4E

W196 2006838-4/5E

W196 2006835-4/4E

W196 2006837-4/4E

W196 2006836-4/4E

W196 2207587-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX 6.) XXXX , geb. XXXX alle StA. ungeklärt 1.) gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2019 ad 1.) Zl. 1000103004-14011401, ad 2.) Zl. 1000103102-14011975, ad 3.) Zl. 1000103505-14012025, ad 4.) Zl. 1000103309-14011991, ad 5) Zl. 1000103407-14012017, 6) Zl. 1051377200-150139931 zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

2. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX , 6.) XXXX wird jeweils gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer (nachfolgend BF und gemäß der im Spruch genannten Reihenfolge als BF1 bis BF6 bezeichnet), stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 08.01.2014 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Für den in Österreich nachgeborenen BF6 wurde nach dessen Geburt am 02.02.2015 ein Antrag auf internationaler Schutz gestellt.

Im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.01.2014 brachte der Erstbeschwerdeführer vor, am XXXX in Lacin, Armenien, geboren und verheiratet zu sein. Er sei staatenlos und gehöre er der armenischen Volksgruppe an. Der BF1 und dessen Familie, BF2 bis BF5, wären am 06.01.2014 ausgehend von Russland über ihnen unbekannte Länder bis nach Österreich gereist. Als Grund seiner Ausreise gab er an, im Jahr 1992, wegen des Krieges in Lacin, mit seiner jetzigen Schwiegermutter nach Russland geflohen zu sein. In Russland wäre es in den letzten Jahren für den BF1 und dessen Familie unerträglich geworden. Die Russen hätten sie zu vertreiben versucht, weshalb dem BF1 von dessen Arbeitgeber geraten worden sei, das Land zu verlassen. Sie könnten weder nach Lacin noch nach Russland zurück, hätten keine Dokumente und würden nicht wollen, dass ihre Kinder ohne Dokumente und ohne Ausbildung leben müssen.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte am selben Tag im Zuge ihrer Erstbefragung vor, am XXXX in Lacin, Armenien, geboren, verheiratet und staatenlos zu sein und der armenischen Volksgruppe anzugehören. Als Grund für ihre Ausreise führte die BF2 lediglich wirtschaftliche Gründe ins Treffen und gab an, dass sie in der Russischen Föderation kein Aufenthaltsrecht genossen hätten.

Am 19.03.2014 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Russisch niederschriftlich einvernommen.

Die Anträge der BF1 bis BF5 auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Ziffer 13 AsylG 2005 idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Ziffer 13 AsylG wurde ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 und 55 AsylG wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF1 bis BF5 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs 1 Ziffer 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

In Erledigung der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerden wurden die angefochtenen Bescheide mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 18.06.2014 behoben und die Angelegenheiten gemäß gem. § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neue Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Am XXXX wurde der Sechstbeschwerdeführer (in der Folge BF6) im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte BF2, als seine gesetzliche Vertreterin, für den BF6 am 02.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 AsylG. Dabei wurde die Kopie eines Meldezettels und einer Geburtsurkunde in Vorlage gebracht.

In der Folge wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin am 26.04.2018 und am 22.05.2018 erneut einvernommen und eine Sprachanalyse der Beschwerdeführer angeordnet.

Den Sprachanalyse-Berichten vom 12.06.2018 und 18.06.2018 zufolge liege der sprachliche Hintergrund der BF1 und BF2 mit hohem Sicherheitsgrad außerhalb Russlands, mit geringer Wahrscheinlichkeit in Russland und Aserbaidschan, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Armenien und mit mittlerer Wahrscheinlichkeit in Armenien und Aserbaidschan sowie mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit in Aserbaidschan.

Im Rahmend er Einvernahm am 28.06.2018 wurden die BF1 und BF2 über das Ergebnis der Sprachanalyse in Kenntnis gesetzt und die Möglichkeit eingeräumt dazu Stellung zu nehmen.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.08.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gem. § 53 Abs.1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen die Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidungen wurde gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 1,3,4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Das BFA hielt zum Vorbringen der Beschwerdeführer in den angefochtenen Bescheiden fest, dass sich daraus nicht ableiten ließe, dass diese in ihrem Herkunftsstaat Armenien jemals behördliche Verfolgung oder asylrelevante Probleme zu gewärtigen gehabt hätten.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, und wurden die angefochtenen Bescheide mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.10.2018 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall das Verfahren sowie die Verfahren der Familienangehörigen als Familienverfahren zu führen gewesen wären, ein Bescheid jedoch lediglich gegenüber einer Person erlassen worden sei. Um dem Grundsatz der Wahrung der Familieneinheit gerecht zu werden, sei daher die Entscheidung zu beheben gewesen.

Am 05.11.2018 fand abermals eine niederschriftliche Einvernahme der BF1 und BF2 vor dem Bundesamt statt. Dabei gab der BF1 im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er an Diabetes leide, aber einvernahmefähig sei. Er sei damit einverstanden, dass die Einvernahme in Russisch durchgeführt werde. Seit der Entscheidung des Bundesamtes vom 27.08.2018 bis zur gegenständlichen Einvernahme hätten sich keine wesentlichen Änderungen zum Ausreisegrund aus dem Heimatland ergeben. Der BF1 wolle Österreich nicht verlassen; sei Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr, habe die Deutschprüfung auf dem Niveau B2 bestanden und sei er derzeit nicht berufstätig. Er lebe von der Grundversorgung. Die BF2 gab im Rahmen ihrer Einvernahme am selben Tag wie BF1 im Wesentlichen an, dass sie gesund und damit einverstanden sei, die Einvernahme in Russisch zu führen. Seit der Entscheidung des Bundesamtes vom 27.08.2018 bis zur gegenständlichen Einvernahme hätten sich keine wesentlichen Änderungen zum Ausreisegrund aus dem Heimatland ergeben. In Österreich habe sie die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Derzeit sei sie nicht berufstätig und lebe von der Grundversorgung. Zudem gaben BF1 und BF2 an, mit den österreichischen Gesetzen keine Probleme gehabt zu haben und verzichteten sie auf eine Stellungnahmefrist zum Ländervorhalt.

Mit Bescheiden vom 09.11.2018 wurde die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen die Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1, 3, 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Folglich wurden in Erledigung der Beschwerde die angefochtenen Bescheiden mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes 14.01.2019 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheides an das BFA zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Behörde im fortgesetzten Verfahren nochmals mit der Staatsangehörigkeit auseinanderzusetzen habe und sollte diese nicht feststellbar sein, werde das BFA gem. § 8 Abs. 6 AsylG vorzugehen habe. Zudem müsse sich das BFA mit den Fluchtgründen im Rahmen einer detaillierten Einvernahme und einer Glaubwürdigkeitsprüfung auseinandersetzen.

Gegenständliches Verfahren:

Am 14.05.2019 wurden BF1 und BF2 von einer Organwalterin des Bundesamtes im Beisein eines Dolmetschers der Sprache Russisch und einer Vertrauensperson einvernommen.

Dabei brachte BF1 zusammengefasst vor, dass er Tabletten gegen Hepatitis B und wegen seiner Zuckerkrankheit einnehme. Sie hätten deren Reise ausgehend von Russland angetreten. Des Weiteren gab er an, dass sie im Jahr 2012 von jenen Menschen, die gesagt hätten, Russland für Russen, angegriffen worden. Dies wäre ständig so gewesen. Einmal hätten sie das Häuschen, in dem sie gewohnt hätten, mit Steinchen beworfen. Sein Sohn XXXX habe zu diesem Zeitpunkt unter dem Fenster geschlafen und wäre sein Sohn am Oberarm verletzt worden, da das Fenster zu Bruch gegangen sei, als der Stein herein geflogen sei. Daraufhin sei ihm von seinem Arbeitgeber, der ihm auch zugleich das Haus zum Wohnen überlassen habe, geraten worden, dass sie weggehen sollten, da er nicht mehr in der Lage sei, diese Leute zu stoppen. Irgendetwas werde ihnen immer passieren. Er habe ihnen seine Hilfe angeboten, natürlich nicht umsonst, sondern gegen Geld und Gold. Es sei um die Reise nach Europa gegangen. Hier hätten sie mehr Chancen mehr leben zu können, weil hier die Menschenrechte mehr eingehalten würden. Zudem gab der BF1 an, dass im Sommer 2013 ein Angriff gegen ihn stattgefunden habe. So sei er auf dem Markt angegriffen worden und sein dabei Verkaufstisch umgeschmissen worden. Dadurch sei XXXX klar geworden, dass er sie nicht mehr beschützen könne und habe er auch aufgrund solcher Vorfälle Verluste gehabt. Ferner führte die BF2 im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt im Wesentlichen aus, dass ihr Sohn im Zuge eines Steinwurfes verletzt worden sei. Ferner gab sie an, dass die Übergriffe bzw. der Angriff ihren Mann und nicht sie betroffen habe.

Im Zuge der Einvernahmen legten die Beschwerdeführer ein Konvolut an Unterlagen vor.

Mit Bescheiden vom 12.10.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer vom 08.01.2014 Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine unmittelbar sowie konkrete Gefährdung, Bedrohung oder Verfolgung der BF nicht habe festgestellt werden können. Die Beschwerdeführer vermochten anhand ihres Vorbringens eine aktuelle und landesweite Verfolgungsgefahr nicht mit der gebotenen Intensität darzulegen. Konkret wäre der vorgetragene Sachverhalt nicht geeignet, darin eine Verfolgung aus Gründen der Religion, Rasse, Nationalität, politischen Gesinnung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ins Treffen zu führen, da eben diese Gründe, welche gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zur Gewährung von Asyl führen würden, von den Beschwerdeführern nicht vorgebracht bzw. zu verneinen sei, weshalb deren Anträge auf Antrag internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abermals abzuweisen wären. Im Zuge des Verfahrens wären auch keine Umstände hervorgetreten, dass den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr Gefahr drohen würde. Im Lichte ihres Vorbringens erscheine es der Behörde daher auch keinesfalls plausibel, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne der GFK oder einem realen Risiko einer gegen Art 2, 3 EMRK sowie der Zusatzprotokolle zur EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wären. Eine solche Rückkehrgefährdung habe insbesondere im Hinblick auf die im Akt einliegenden und den Beschwerdeführern nachweislich zur Kenntnis gebrachten aktuellen Länderinformationsblätter für (Armenien, Aserbaidschan) Russischen Föderation nicht festgestellt werden können. Dazu werde ergänzend angemerkt, dass eine Abschiebung ohne vorherige Feststellung der tatsächlichen Staatsangehörigkeit nicht möglich sei.

Gegen diese Bescheide brachten die Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Wesentlichen wurde auf das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers hingewiesen, der angegriffen worden sei. Bei den Angreifern habe es sich um Menschen, die sich mit "Russland für Russen" geäußert hätten, gehandelt. Es habe mehrere Angriffe gegeben, wobei einmal das Haus, welches die Beschwerdeführer bewohnt hätten, mit Steinen beworfen worden sei. Ein weiteres Mal sei das Fenster des Wohnhauses mit einem Stein zertrümmert worden, wodurch der Drittbeschwerdeführer durch Glassplitter im Bereich des rechten Oberarms verletzt worden sei. Zudem hätten weitere Übergriffe gegen den Erstbeschwerdeführer stattgefunden; er sei einmal auf dem Markt angegriffen worden, wobei dessen Verkaufstisch umgeschmissen worden sei. Darüber hinaus sei der Erstantragsteller auf dem Nachhauseweg von einer Gruppe von vier Personen, vermutlich Skinheads, angegriffen und zusammengeschlagen worden. Dabei wurde moniert, dass die Behörde den Erstbeschwerdeführer hinsichtlich des Übergriffs im Jahr 2013 erst gar nicht befragt habe, welche Verletzungen er durch den Angriff der Skinheads erlitten habe bzw. wie diese Verletzungen behandelt worden seien. Die Behörde hätte jedenfalls aufgrund der Schilderung der Verfolgungshandlungen seitens des Erstbeschwerdeführers davon ausgehen müssen, dass relevante Fluchtgründe vorliegen würden, sodass richtigerweise auch Asyl zu gewähren gewesen wäre. Ferner habe die Behörde bei der Prüfung der Rückkehr nach Armenien außer Acht gelassen, dass die Beschwerdeführer noch nie in diesem Land gelebt hätten und auch über keinerlei Anknüpfungspunkte verfügen würden. Hätte die Behörde die Prüfung der Situation in der Russischen Föderation vorgenommen, wäre dies zum Schluss gekommen, dass die Beschwerdeführer mangels familiärer Unterstützung und hinsichtlich fehlender Identitätspapier und Staatsbürgerschaft sowie mangelnder Registrierung keine Lebensgrundlage für ein menschenwürdiges Leben, mit Zugang zu Schulbildung für die Kinder, hätten. Dazu kämen die vorgebrachten Angriffe und die in der ganzen Russischen Föderation weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit, gegen die ihnen auch kein staatlicher Schutz gewährt werde.

Im Zuge des bisherigen Verfahren wurden vorgelegt:

* Schreiben der Pfarre XXXX vom 31.05.2016;

* Unterstützungsschreiben (undatiert);

* Honorarnote des XXXX vom 23.10.2015;

* Unterstützungsschreiben vom25.04.2018;

* Stellungnahme von XXXX vom 25.04.2018 und von XXXX vom 07.05.2018;

* Unterschriftenliste, vorgelegt in der Einvernahme am 14.05.2019.

* Unterstützungsschreiben vom 09.05.2019, vorgelegt am 14.05.2019.

* Referenzschreiben von Fr. XXXX vom 08.05.2019, vorgelegt am 14.05.2019.

Referenzschreiben von Hr. XXXX vom 09.05.2019, vorgelegt am 14.05.2019.

Referenzschreiben von Fr. XXXX vom 30.04.2019, vorgelegt am 14.05.2019.

Referenzschreiben von Fr. XXXX vom 12.05.2019, vorgelegt am 14.05.2019.

Referenzschreiben von Fr. XXXX vom 12.05.2019, vorgelegt am 14.05.2019.

Referenzschreiben von Familie XXXX vom 19.10.2019

Betreffend den Erstbeschwerdeführer:

* Diplom vom 22.12.2014, Deutsch Niveau A2 Grundstufe Deutsch;

* Antrag vom 23.05.2015 um Zertifizierung als Stahlschweißer;

* Zertifikat für die Qualifizierung als Schweißer vom 23.06.2015 - gültig bis 23.06.2018 (samt Begleitschreiben);

* Teilnahmebestätigung für Elektroschweißen II vom 23.06.2015;

* Prüfungszeugnis Deutsch vom 20.08.2016; Deutschtest für Österreich;

* Diplom vom 11.04.2017, Deutsch Niveau B2;

* Aufenthaltsbestätigung des XXXX -Klinikum vom 13.11.2017;

* Volontariatsbestätigung vom 20.01.2018;

* Schreiben des LH Thomas Stelzer zur Tätigkeit bei der FF XXXX am 08.03.2018;

* Einstellungszusage der Firma XXXX GmbH vom 18.04.2018;

* Bestätigung der Mitgliedschaft vom 21.04.2018 bei der Freiwilligen Feuerwehr XXXX ;

* Referenzschreiben der FF XXXX vom 19.09.2018, vorgelegt am 14.05.2019;

* Referenzschreiben von Hr. XXXX vom 14.02.2019, vorgelegt am 14.05.2019;

* Bestätigung des Schweißkurses vom 14.02.2019, vorgelegt am 14.05.2019;

* Bestätigung der Mitgliedschaft bei der FF XXXX vom 21.11.2019;

* Feuerwehrausweis

Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin:

* Kursbestätigung vom 14.06.2016 Deutsch A1 Teil 1;

* Deutschkurs in XXXX vom 07.09.2016;

* Prüfungszeugnis vom 13.10.2016;

* Kursbestätigung Deutsch Niveau A2, Teil 2;

* Kursbestätigung vom 23.12.2016 Deutsch A2 Teil 1;

* Darstellung vom Mai 2019;

* Bescheid des AMS vom 30.04.2019, vorgelegt am 21.05.2019;

* Arbeitszeugnis und bedingte Arbeitszusage vom 18.10.2019

Betreffend den Drittbeschwerdeführer:

* Schulbesuchsbestätigung;

* Schulnachricht, Abschlusszeugnis, Leistungsbeschreibung und Schreiben des KV, Schuljahr 2017/18, vorgelegt am 21.05.2019.

Betreffend den Viertbeschwerdeführer:

* Schulbesuchsbestätigung vom 18.04.2018

Betreffend den Sechstbeschwerdeführer:

* des AMS vom 30.04.2019, vorgelegt am 21.05.2019;

* Arbeitszeugnis und

* Geburtsurkunde;

* Melderegisterauszug;

* Aufnahmezusage Kindergarten XXXX vom 23.04.2018

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.Feststellungen:

Die Identität der Erst-bis Fünftbeschwerdeführer ist ungeklärt. Die Identität des Sechstbeschwerdeführers steht fest. Die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer steht nicht fest. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer.

Vor ihrer Ausreise hielten sich die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer in Russland auf bevor sie gemeinsam nach Österreich einreisten und am 08.01.2014 Anträge auf internationalen Schutz einbrachten. Der Sechstbeschwerdeführer ist im österreichischen Bundesgebiet geboren; seine gesetzliche Vertretung stellte am 02.02.2015 einen Antrag iSd § 34 AsylG. Es liegt ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG vor.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Sie sind allesamt strafgerichtlich unbescholten.

Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben der Beschwerdeführer - insbesondere jene des Erstbeschwerdeführers - zur behaupteten Bedrohungssituation. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass den Beschwerdeführern eine asylrelevante Gefährdung ausgesetzt sind. Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht. Die Zweitbeschwerdeführerin bezog sich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und wurden für die minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihr Herkunftsland in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Die Erst- bis Zweitbeschwerdeführer sind arbeitsfähig. Die unbescholtenen Beschwerdeführer halten sich seit beinahe sechseinhalb Jahre im Bundesgebiet auf. Die Beschwerdeführer leben im gemeinsamen Haushalt. Sie beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Die Beschwerdeführer haben sich ein soziales Netz in Österreich aufgebaut. Die Beschwerdeführer haben gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Der Erstbeschwerdeführer absolvierte einen Deutschkurs und ein Zertifikat der Niveaustufe B2. Er besuchte einen Schweißerkurs und ist zertifizierter Schweißer gemäß ÖNORM EN SIO 9606-1:2014. Der Erstbeschwerdeführer ist seit 01.05.2016 Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, wo er eine große Einsatzbereitschaft zeigt, bereits bei vielen Einsätzen zur Stelle war und zahlreiche Kurse an der OÖ. Landesfeuerwehrschule ablegte. Der Erstbeschwerdeführer hat den technischen Lehrgang 1. und den technischen Lehrgang 2 und Atemschutzlehrgang vorzüglich abgeschlossen. Zudem spielt er eine wichtige Rolle für die Atemschutzgruppe. Die Zweitbeschwerdeführerin absolvierte zuletzt einen Deutschkurs Niveaustufe A2, Teil 2 und war im Zeitraum von 15.05.2019 bis 30.09.2019 als Reinigungskraft angestellt und wurde ihr im Falle einer Arbeitserlaubnis eine weitere Anstellung in Aussicht gestellt. Die Familie wird laut zahlreich vorgelegter Referenz- und Empfehlungsschreiben - als fleißig und integrationswillig beschrieben und ausgeführt, dass sie sich im hohen Maß an diversen Aktionen beteiligen. Die Beschwerdeführer haben österreichische Bekannte zu denen regelmäßiger Kontakt besteht. Aufgrund der gesetzten Integrationsschritte, sowie des aufrechten Familienlebens zwischen den Beschwerdeführern, würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen.

Zur Situation in der Russischen Föderation wird auf die aktuellen Berichte verwiesen. Aus diesen ergibt sich auszugsweise Folgendes:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und

Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018 - CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018 - FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018 - OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018 - Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018 - Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018 - Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018, http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018 - BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018 - Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018 - EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der ISSprecher Muhammad al-Adnani ein ?Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des ISKalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ?Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018 - Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018 - DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

- Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018 - Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018 - EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018 - FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). SchariaGerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische

Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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