TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/29 W169 2142215-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2020
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Entscheidungsdatum

29.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W169 2142215-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2016, Zl. 1078061202-150863478, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.10.2019 und am 19.05.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.05.2021 erteilt.

IV. Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.07.2015 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, aus der Provinz Daikundi zu stammen und im Alter von zwei Jahren in den Iran gezogen zu sein, wo er auch zuletzt gelebt habe, die Sprachen Dari und Farsi zu sprechen, der Religionsgemeinschaft der Schiiten und der Volksgruppe der Hazara anzugehören und ledig zu sein. Der Beschwerdeführer habe im Iran drei Jahre die Grundschule besucht und keinen Beruf ausgeübt. Zum Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer an, dass er im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern illegal in den Iran gereist sei. Er wisse nicht, aus welchem Grund sie ausgereist seien. Im Iran sei er illegal aufhältig gewesen und habe immer wieder Probleme mit Polizisten und den Behörden gehabt. Sein Bruder XXXX habe sie auch vor einiger Zeit verlassen. Daher habe er sich entschlossen, den Iran ebenfalls zu verlassen. Der Beschwerdeführer sei nach Österreich gekommen, um hier zu studieren und seine ganze Familie nachzuholen. Sonst habe er keine Fluchtgründe. Zu seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr befragt, gab der Beschwerdeführer an, niemanden in Afghanistan zu haben. Er habe Angst "vor den Dieben und Verbrechern". Er sei im Iran einmal entführt worden und seine Mutter habe Lösegeld für seine Freilassung bezahlen müssen. Er sei auch gefoltert worden.

2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.04.2016 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, der Volksgruppe der Hazara und der Religionsgemeinschaft der Schiiten anzugehören. Der Beschwerdeführer sei in der Provinz Daikundi geboren und habe ab seinem zweiten Lebensjahr bis zur Ausreise in der Stadt Qazvin, Iran, gelebt. Er habe drei Jahre die Grundschule besucht und danach auf der von seinem Vater gepachteten Landwirtschaft gearbeitet. Er sei ledig. Seine Eltern und sein jüngerer Bruder würden in Qazvin leben. Seine Eltern seien zu Hause und nur der jüngere Bruder arbeite in der Landwirtschaft. Sein älterer Bruder lebe in Pakistan, eine verheiratete Schwester in Australien und eine weitere verheiratete Schwester im Herkunftsort der Familie im Dorf XXXX, Distrikt XXXX, Provinz Daikundi, Afghanistan, wo auch ein verheirateter, arbeitsloser Cousin lebe. Der Beschwerdeführer stehe in Kontakt mit seinen außerhalb Afghanistans lebenden Familienmitgliedern.

Zum Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Eltern mit ihm Afghanistan aufgrund der Sicherheitslage verlassen hätten. In Daikundi gebe es keine Arbeit. Man müsse beispielsweise nach Pakistan oder nach Kabul gehen, aber die Reiserouten seien sehr gefährlich. Es seien sehr viele Taliban dort. Sie seien damals wegen den Taliban geflüchtet. Für "uns" Schiiten sei es gefährlich gewesen. Sein Leben sei dort in Gefahr. Er habe Angst vor den Taliban und vor dem Islamischen Staat. Es sei nirgendwo in Afghanistan sicher. Im Falle einer Rückkehr hätte er niemanden, der ihn unterstützen würde.

Den Iran habe der Beschwerdeführer verlassen, weil "wir" nicht zur Schule gehen und arbeiten hätten dürfen. Der Beschwerdeführer habe im Iran keine Zukunft gehabt. Die Polizisten hätten "uns" belästigt und nach Afghanistan abschieben wollen. Der Beschwerdeführer sei nach Österreich gekommen, um zu lernen und, wenn möglich, seine Eltern ebenso herzubringen. Er sei im Iran von der Polizei und einmal von Iranern geschlagen worden. "Irgendwelche Leute" hätten den Beschwerdeführer eine Woche lang festgehalten und von seiner Familie Geld verlangt. Sie hätten auch seine Füße mit einem Metallstück verbrannt. Er habe Angst um sein Leben gehabt. Es habe sich dabei um Iraner gehandelt.

Zu den Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, keine Verwandten in Österreich zu haben. Er besuche derzeit eine Höhere Bundeslehranstalt für Tourismus. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er habe österreichische Freunde, mit denen er sich treffe, Deutsch lerne und Fußball spiele. Er habe sich schon sehr gut in Österreich eingelebt.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Schulbesuchsbestätigung vor.

3. Am 28.04.2016 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein. Weiters wurde präzisiert, dass der Beschwerdeführer ursprünglich aus dem Gebiet XXXX, Distrikt Sharistan, Provinz Daikundi, Afghanistan stamme. Der Beschwerdeführer habe seit seinem elften Lebensjahr seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Dem Beschwerdeführer sei eine Neuansiedlung in Daikundi oder Kabul nicht zumutbar. Er sei asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Es bestehe die Gefahr kinderspezifischer Verfolgung. Weiters gehöre der Beschwerdeführer der sozialen Gruppe der alleinstehenden minderjährigen Afghanen und der ethnischen Minderheit der Hazara an.

Zusammen mit der Stellungnahme wurde eine Kopie der afghanischen Tazkira des Beschwerdeführers übermittelt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine damalige gesetzliche Vertreterin fristgerecht Beschwerde. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie aus "politischen Gründen" durch die Taliban gefährdet, zudem sei die Allgemeinlage prekär. Es bestehe kein staatlicher Schutz und keine innerstaatliche Fluchtalternative. Auf das Kindeswohl sei Bedacht zu nehmen.

Vorgelegt wurden eine Schulbesuchsbestätigung, weiters eine Bestätigung einer Organisation, wonach der Beschwerdeführer an Deutschkursen auf dem Niveau A0 und A1 teilgenommen habe und eine - nicht näher definierte - Prüfung des ÖSD bestanden habe, sowie eine Bestätigung, wonach der Beschwerdeführer einen Englischkurs für Anfänger "G2" erfolgreich absolviert habe.

6. Mit Schriftsatz vom 28.07.2017 legte der Beschwerdeführer ein Zertifikat des ÖSD über eine bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A1 vor.

7. Mit Schriftsatz vom 14.10.2019 legte der Beschwerdeführer sechs Unterstützungsschreiben sowie einen Kurzarztbrief vom 26.09.2019 vor, wonach der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einem Foltertrauma leide, eine Narbenkontraktur am Vorfuß aufweise (anamnestisch nach dem Foltertrauma), sowie eine Refluxoesophagitis bestehe. Eine Medikation wurde verschrieben.

8. Mit Schriftsatz vom 15.10.2019 bot der Beschwerdeführer Zeugen für seine "westliche Lebensweise" an und wiederholte unter Hinweis auf die EASO Richtlinien, dass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar sei. Weiters legte der Beschwerdeführer zwei Unterstützungsschreiben vor.

9. Am 18.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der inzwischen volljährige Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreterin teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt ferngeblieben. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, Rückkehrbefürchtungen und Integrationsbemühungen in Österreich befragt (s. Verhandlungsprotokoll).

Im Rahmen der Verhandlung legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen, einen Arbeitsvorvertrag, einen Kurzarztbrief vom 15.10.2019, einen klinisch-psychologischen Befundbericht vom 16.10.2019, wonach der Beschwerdeführer an einer ausgeprägten schweren posttraumatischen Belastungsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung leide und eine Befreiung vom Turnunterricht im Freien (Beilage ./A), sowie weitere Unterlagen über seinen Schulbesuch und seine Integrationsbemühungen (Beilage ./B), sowie eine Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen (Beilage ./C) vor.

10. Mit Schriftsatz vom 30.10.2019 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein. Vorgelegt wurde zudem ein ärztlicher Befundbericht vom selben Tag, wonach sich beim Beschwerdeführer auf der linken Fußsohle eine Richtung Ferse zugespitzte narbige Verhärtung und zusätzlich im Anschluss daran im Bereich der Großzehe eine rötlich-bräunliche Verfärbung finde. Diese Verhärtung könne durchaus infolge einer Verbrennung mit einem heißen Gegenstand zustande gekommen sein. Auch die Form der Narbe sei sehr kompatibel damit. Eine Bagatellverletzung als Ursache sei in dieser Form nicht anzunehmen. Die rötlich-bräunliche Verfärbung scheine eher rezent zu sein bzw. sei möglicherweise aufgrund der narbigen Verletzung rezidivierend. Eine orthopädische bzw. pedologische Vorstellung werde empfohlen.

11. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2019, Zl. W169 2142215-1/10Z, wurde Univ. Prof. Dr. med. XXXX zur Erstellung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie zum Sachverständigen bestellt.

12. Am 11.02.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht das Psychiatrisch-Neurologische Gutachten von Dr. XXXX vom 30.01.2020 ein (siehe OZ 15).

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.02.2020 wurde dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Psychiatrisch-Neurologische Gutachten vom 30.01.2020 zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

14. Mit Schreiben vom 11.03.2020 gab der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertreterin eine diesbezügliche Stellungnahme ab. Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte keine Stellungnahme ein.

15. Am 14.05.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine weitere Stellungnahme der bevollmächtigten Vertreterin des Beschwerdeführers ein.

16. Am 19.05.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere öffentliche, mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und seine rechtsfreundliche Vertreterin teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt ferngeblieben. Im Rahmen der Verhandlung wurde das Gutachten von Dr. XXXX erörtert und der Beschwerdeführer zu seinen Rückkehrbefürchtungen und Integrationsbemühungen in Österreich seit der letzten Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes im Oktober 2019 befragt. Hinsichtlich seiner Integration legte der Beschwerdeführer drei Unterstützungserklärungen vor (siehe Beilage ./A).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Schiiten und der Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX, Distrikt Sharistan, Provinz Daikundi, geboren und ist im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie in den Iran geflüchtet, wo er bis zu seiner Ausreise in der Stadt Qazvin lebte. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter.

Der Beschwerdeführer spricht die Sprachen Dari und Farsi sowie ein wenig Deutsch und Englisch. Er besuchte im Iran drei Jahre die Grundschule und arbeitete danach auf der von seinem Vater gepachteten Landwirtschaft mit.

Die Eltern und zwei Brüder des Beschwerdeführers leben in einem Mietshaus in Qazvin, Iran. Eine Schwester lebt in Australien. Eine in Afghanistan aufhältige Schwester ist verstorben. Der Beschwerdeführer hat einen Cousin väterlicherseits in Afghanistan, wo sich dieser aufhält, weiß er nicht. Der Beschwerdeführer hat nur zu seinen Eltern und Geschwistern Kontakt. Der älteste Bruder des Beschwerdeführers arbeitete auf Baustellen und finanzierte somit den Lebensunterhalt der Familie des Beschwerdeführers. Der jüngere Bruder besucht die Schule. Die Eltern des Beschwerdeführers sind schon alt und arbeiten nicht mehr. Sie wurden vom ältesten Bruder des Beschwerdeführers versorgt. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie befindet sich die Familie des Beschwerdeführers im Iran zu Hause in Quarantäne, keiner kann einer Arbeit nachgehen.

Der Beschwerdeführer hat an der linken Fußsohle eine in Richtung Ferse zugespitzte narbige Verhärtung und zusätzlich im Anschluss daran im Bereich der Großzehe eine rezente bzw. rezidivierende rötlich-bräunliche Verfärbung. Diese narbige Verhärtung kann infolge einer Verbrennung mit einem heißen Gegenstand zustande gekommen sein. Die Form der Narbe ist damit kompatibel. Eine Bagatellverletzung ist als Ursache nicht anzunehmen. Der Beschwerdeführer verspürt aufgrund dieser Verletzung bei kälteren Temperaturen Schmerzen.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion (ICD-10: F43.21) und es besteht der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1). Der Beschwerdeführer leidet an psychisch bedingten Magenschmerzen. Er nimmt zum Entscheidungszeitpunkt als Medikation Omeprazol 40mg, Trittico 150mg sowie Sertralin 50mg ein. Eine Weiterführung der medikamentösen und psychiatrischen Behandlung ist erforderlich.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten und nimmt Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan mit seiner Familie im Alter von zwei Jahren aufgrund der schlechten Sicherheitslage.

Dem Beschwerdeführer droht im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus individuellen Gründen Gewalt oder Gefahr durch die Taliban.

Dem Beschwerdeführer droht auch nicht allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. aufgrund seiner Rückkehr aus dem westlichen Ausland Gewalt oder Gefahr einer Verfolgung.

Der Beschwerdeführer hat keine identitätsstiftende westliche, nicht mit afghanischen Gesellschaftsvorstellungen in Einklang zu bringende Einstellung angenommen.

Der Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten. Er könnte keine finanzielle Unterstützung durch seine Familie erwarten.

Der Beschwerdeführer verfügt über einen österreichischen Freundeskreis, besuchte zwei Jahre die Tourismusschule in Retz und die Handelsschule in Hollabrunn, diese musste er jedoch im Februar 2020 abbrechen, da es ihm psychisch nicht gut ging. Er meldete sich dann zum externen Pflichtschulabschluss an der NMS Horn an. Er ist in der Gemeinde Eggenburg, wo er lebt, sozial gut integriert.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:

1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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