TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/24 W273 2194067-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2020
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Entscheidungsdatum

24.06.2020

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W273 2194064-2/13E

W273 2194069-2/13E

W273 2194067-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabel FUNK-LEISCH über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, 2. XXXX geb. XXXX , vertreten durch: XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, 3. XXXX , geb. XXXX vertreten durch: XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, alle vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BFA, RD Salzburg, 1. vom 25.01.2019, Zl. XXXX , 2. vom 25.01.2019, Zl. XXXX , 3. vom 25.01.2019, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 Fall AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in Folge: BF2), geboren am XXXX , ist mit XXXX (in Folge: BF1), geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren XXXX , verheiratet und die Mutter der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX (in Folge: BF3 und BF4) sowie des minderjährigen XXXX (in Folge: BF5), geboren am XXXX , Beschwerdeführer im hg. Verfahren XXXX .

Die Beschwerdeführer stellten am 23.11.2016 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am selben Tag statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) fand am 15.02.2018 statt.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „Bundesamt“) vom 12.03.2018 (in Folge: „Bescheid vom 12.03.2018“) wurde dieser Antrag gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen wurde jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.03.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

3. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführer gleichlautende Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht.

4. Der BF1 stellte am 08.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF2 stellte am 26.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz für den minderjährigen BF5. Der Antrag auf internationalen Schutz des BF1 sowie des minderjährigen BF5 wurde vom Bundesamt zur Gänze abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Gegen diese Bescheide erhoben BF1 und BF5 fristgerecht Beschwerden hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie des Status der subsidiär Schutzberechtigten.

5. Am 04.12.2018 leitete das Bundesamt das gegenständliche Verfahren zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ein und führte am 19.12.2018 eine niederschriftliche Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin durch.

6. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 25.01.2019 (in Folge: „Bescheid vom 25.01.2019“) erkannte das Bundesamt den mit Bescheid vom 12.03.2018 zuerkannten Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und entzog den BF2, BF3 und BF4 die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Behörde erließ Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen bemessen (Spruchpunkt VI.).

7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht gleichlautende Beschwerden.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.05.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer und ihr Vertreter teilnahmen. Das Bundesamt nahm entschuldigt nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 22.05.2020 erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 22.05.2020 wurde dem Bundesamt samt Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG zugestellt.

9. Mit Schreiben vom 27.05.2020 ersuchte das Bundesamt um Ausfolgung der schriftlichen Erkenntnisse gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Personen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin

Der BF1 führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, bekennt sich zum sunnitischen Glauben und spricht Paschtu als Muttersprache. Er wurde in der Provinz Nangarhar geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Europa im Jahr 2009. Im Jahr 2015 kehrte er nach Afghanistan zurück, wo er in der Provinz Nangarhar bis zu seiner Ausreise nach Österreich lebte.

Die BF2 führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX Sie ist afghanische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, bekennt sich zum sunnitischen Glauben und spricht Paschtu als Muttersprache. Die BF2 wurde in der Provinz Nangarhar geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise nach Österreich.

BF1 und BF2 sind verheiratet. Die BF haben insgesamt vier minderjährige Kinder. BF3, BF4 und BF5 sind in Österreich aufhältig.

BF2 hatte zu BF1 im Zeitraum zwischen der Ausreise der BF2 aus Afghanistan und der erneuten Kontaktaufnahme des BF1 mit der BF2 in Österreich keinen Kontakt und keine Informationen über den Aufenthaltsort des BF1.

Die Eltern und ein Bruder des BF1 sind bereits verstorben. Ein Onkel mütterlicherseits des BF1 lebt in Kabul. Weitere Verwandte des BF1 lebten zuletzt in der Heimatprovinz des BF1, Nangarhar. Der BF1 hat seit ca. einem Jahr keinen Kontakt mit seinen Familienangehörigen in Afghanistan mehr. Ihm ist der aktuelle Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen nicht bekannt.

Die Mutter der BF2 ist bereits verstorben. Der Vater, drei Schwestern und ein Bruder der BF2 lebten zuletzt in der Heimatprovinz der BF2, Nangarhar. Seit ca. einem Jahr hat die BF2 keinen Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen in Afghanistan. Sie hat keine Kenntnis mehr über den aktuellen Aufenthaltsort ihrer Verwandten in Afghanistan.

Die BF wurden nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert und sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der BF1 hat ein Grundstück und ein Haus im Heimatdort in der Provinz Nangahar. Es ist unbekannt, wer derzeit darüber verfügt.

Der BF1 hat vier Jahre die Grundschule in seinem Heimatdorf besucht und war als Taxi-Fahrer in Afghanistan tätig. In Europa arbeitete er als Hilfsarbeiter auf Baustellen sowie als Metzger und Maurer.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

BF1 und BF2 sind gesund.

1.2. Zu den Personen der Dritt-, Viert-, Fünftbeschwerdeführer

Der minderjährige BF3 trägt den Namen XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde am XXXX in der Provinz Nangarhar geboren und ist dort bis zur Ausreise nach Österreich auch aufgewachsen. Der BF3 gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der minderjährige BF4 trägt den Namen XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde am XXXX in der Provinz Nangarhar geboren und ist dort bis zur Ausreise nach Österreich auch aufgewachsen. Der BF4 gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der minderjährige BF5 trägt den Namen XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde am XXXX in Linz, Österreich, geboren. Der BF5 gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Die minderjährigen Beschwerdeführer leben mit ihren Eltern im Familienverband und sind gesund.

1.3. Zur individuellen Situation der BF2, BF3 und BF4 und einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat

Es wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes vom 12.03.2018 nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben. Die allgemeine Lage in Afghanistan hat sich nicht wesentlich und nachhaltig gebessert.

Hinsichtlich der Rückkehr in den Herkunftsstaat wird festgestellt, dass die minderjährigen BF3 und BF4 auf die Versorgung durch die BF2 und BF1 angewiesen sind. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan im Familienverband müsste der BF1 neben seiner eigenen Versorgung allein für die Versorgung der BF2 und der insgesamt vier minderjährigen Kinder aufkommen. Die BF verfügen in Afghanistan über keine konkrete Wohnmöglichkeit mehr sowie über keine finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten. Die BF haben keinen Kontakt zu ihren in Nangarhar lebenden Familienangehörigen. Ein Onkel mütterlicherseits des BF1, lebt zwar mit seiner Familie in Kabul, dieser versorgte jedoch bereits ein Kind der BF und es ist nicht davon auszugehen, dass die insgesamt fünfköpfige in Österreich aufhältige Familie der BF aufgrund dieses einzigen familiären Kontaktes in Kabul über Wohnmöglichkeiten verfügt bzw. mit finanzieller Unterstützung rechnen kann. Abgesehen von diesem Kontakt verfügen die BF über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Kabul oder in anderen Städten Afghanistans.

Die Beschwerdeführer verfügen in Afghanistan im Entscheidungszeitpunkt über keine zu Versorgungszwecken verwendbaren Besitztümer, keine finanziellen Ressourcen und kein tragfähiges familiäres Netz, das sie bei einer Wiederansiedlung im Herkunftsstaat unterstützen könnte.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und im Fall einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif könnten die Beschwerdeführer die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen und kämen daher in eine existenzbedrohende Notlage.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019

-        Kurzinformation der Staatendokumentation COVID-19 Afghanistan; Stand: 9.4.2020

-        UNHCR - Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit von AsylwerberInnen aus Afghanistan (Entwicklungen in Afghanistan; Sicherheitslage; Auswirkungen des Konflikts auf ZivilistInnen; Menschenrechtslage; humanitäre Lage; Risikoprofile; interne Fluchtalternative; Ausschlussgründe; etc.) vom 30.08.2018;

-        Leitfaden zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan, UNHCR Österreich, November 2018;

-        EASO-Leitlinien zu Afghanistan (EASO Country Guidance: Afghanistan Guidance Note and Common Analysis) vom Juni 2019;

-        EASO-Länderinformationen zu den sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in Afghanistan, Schwerpunkt Kabul City, Mazar-e Sharif und Herat City (EASO Country of Origin Report: Afghanistan Key socio-economic indicators, focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City) vom April 2019 (nur auf Englisch verfügbar).

-        Update zur humanitären Lage und Auswirkungen von COVID-19 (Stand: 13. Mai 2020) vom UN OCHA (nur auf Englisch verfügbar)

-        ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017: AFGHANISTAN: Frauen in urbanen Zentren

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 13.10.2017: Existenzmöglichkeiten alleinstehender Frauen und Mädchen

Heimatprovinz Nangarhar

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken. Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft leben in der Provinz Nangarhar. Die Provinz hat 1.668.481 Einwohner (LIB, Kapitel 3.22).

Nangarhar ist eine volatile Provinz, in der die Taliban und der ISKP aktiv sind. Diese kontrollieren manche Gebiete der Provinz. Durch staatliche Sicherheitskräfte werden Luft- und Bodenoperationen durchgeführt, bei denen Talibanaufständische und ISKP-Mitglieder getötet wurden. Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP. Im Jahr 2018 gab es 1.815 zivile Opfer. Dies entspricht einer Steigerung von 111% gegenüber 2017. Die Hauptursachen dafür waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von IEDs und Bodengefechten. Die Zahl der zivilen Opfer durch IEDs vervierfachte sich (LIB, Kapitel 3.22). Die Provinz Nangarhar – mit Ausnahme der Stadt Jalalabad – zählt zu jenen Provinzen, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass ein in diese Provinz zurückgekehrter Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit auf dem Gebiet dieser Provinz einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad. Diese Stadt zählt zu jenen Landesteilen Afghanistans, in denen eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen.

Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif/ Herat

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 „minimal“ (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 „stressed“ eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020, Kapitel 3.1)

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Sie hat 556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch „stressed“ genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).

Frauen

Rechte:

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (LIB 13.11.2019, S. 297). Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (LIB 13.11.2019, S. 297).

Bildung:

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten. Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung, sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (LIB 13.11.2019, S. 299).

Landesweit waren im Jahr 2016 182.344 Studenten an 36 staatlichen (öffentlichen) Universitäten eingeschrieben, davon waren 41.041, also nur 22,5%, weiblich (LIB 13.11.2019, S. 300).

Berufstätigkeit:

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (LIB 13.11.2019, S. 302). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (LIB 13.11.2019, S. 302). Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (LIB 13.11.2019, S. 302). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv – manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (LIB 13.11.2019, S. 302).

Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen; traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig – was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird. Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (LIB 13.11.2019, S. 303).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit:

Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt (USDOS 13.3.2019). Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert (LIB 13.11.2019, S. 303).

Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (LIB 13.11.2019, S. 303-304).

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung:

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den „Familienfrieden“ durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (LIB 13.11.2019, S. 304).

Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet (LIB 13.11.2019, S. 304). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern – das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (LIB 13.11.2019, S. 305). ie Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Justiz war weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt, unzureichend ausgebildet, weitgehend ineffektiv und Drohungen, Voreingenommenheit, politischem Einfluss und allgegenwärtiger Korruption ausgesetzt. Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (LIB 13.11.2019, S. 305).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt:

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt und kommen auch weiterhin vor (LIB 13.11.2019, S. 307). Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (LIB 13.11.2019, S. 307).

Familienplanung und Verhütung:

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (LIB 13.11.2019, S. 309).

Reisefreiheit von Frauen:

Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen eingeschränkt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (LIB 13.11.2019, S. 310).

Kleidung:

Kleidungs- und Kopftuchvorschriften variieren in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat erheblich. Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung – diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten „Manteau shalwar“ tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige „islamische“ Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017, AFGHANISTAN, Frauen in urbanen Zentren, S. 2).

Alleinstehende Frauen:

Abgesehen von einer kleinen weiblichen Elite sei es gesellschaftlich und kulturell für Frauen unmöglich, alleine zu leben. Unbegleitete Frauen, die vor Missbrauch flüchten würden, etwa Frauen, die nicht mit ihren Familien wiedervereint werden könnten, oder unverheiratete Frauen würden üblicherweise von der Gesellschaft nicht akzeptiert.

Laut dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) seien unbegleitete Frauen, Witwen, geschiedene Frauen und Frauen, deren Männer verschwunden seien, einem größeren Risiko ausgesetzt, Opfer von Vergewaltigungen zu werden.

Zu niemals verheirateten Frauen merkt der Bericht von EASO an, dass die Lage von alleinstehenden Frauen in der männerdominierten afghanischen Gesellschaft sehr schwierig sei, da unbegleitete Frauen üblicherweise von der Gesellschaft nicht akzeptiert würden. Offizielle Statistiken würden darauf hindeuten, dass 92 Prozent der Frauen beim Erreichen eines Alters von 25 Jahren verheiratet seien. Mädchen und Frauen, die vor Zwangsehen flüchten würden, würden häufig von ihren Familien verstoßen und könnten wegen des Stigmas, weggelaufen zu sein, nirgendwo hingehen. Frauen und Mädchen könnten sogar wegen des Beschmutzens der Familienehre getötet werden. Diejenigen, die keine familiäre Unterstützung hätten, seien oft gezwungen, zu betteln oder sich zu prostituieren.

Zu geschiedenen Frauen schreibt der Bericht, dass laut verfügbaren Statistiken für Kabul, Herat und Balch weniger als ein Prozent der Bevölkerung als geschieden registriert sei. Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR) weise in einem Artikel darauf hin, dass Scheidung immer noch als zutiefst beschämend empfunden werde. Die Anzahl der registrierten Scheidungen sei jedoch laut einem Vertreter der Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC), der für den Bericht interviewt worden sei, im Steigen begriffen und die Einstellung zu Scheidungen ändere sich langsam, insbesondere in städtischen Gebieten.

Wenn es sich um eine Einzelperson handle, insbesondere eine Frau, werde die Wohnung nicht an sie vermietet, da man ihr gegenüber argwöhnisch sei. Üblicherweise benötige man beim Mieten einer Wohnung auch jemanden, der für einen bürge. Wenn man also nach Kabul komme und kein soziales Netzwerk habe, habe man niemanden, der für einen bürgen könne, was es sehr schwierig mache, einen Mietvertrag abzuschließen.

In einem Bericht vom November 2016 zu Ausweispapieren in Afghanistan berichtet das NRC, dass die Tazkera in Afghanistan das Haupt-Ausweisdokument sei, das benötigt werde, um eine Reihe staatlicher Dienste (darunter Bildung) zu erhalten, um Arbeit im staatlichen Sektor und in großen Teilen des privaten Sektors zu finden. Die Tazkera werde auch benötigt, um andere

Ausweisdokumente, etwa Pässe und Führerscheine, zu erhalten. Es sei jedoch so, dass Frauen viel seltener eine Tazkera besitzen würden als Männer. Um eine Tazkera zu erhalten, müsse die Frau ein entsprechendes Büro/Amt zusammen mit einem männlichen Verwandten besuchen, der dann erkläre, dass die Frau Teil der Familie sei. Daher könnten Frauen, die keine nahen männlichen Verwandten hätten oder deren männliche Verwandte nicht wollten, dass sie Ausweispapiere bekämen, keine Tazkera erhalten (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 13.10.2017 zu Afghanistan: Existenzmöglichkeiten alleinstehender Frauen und Mädchen [a-10346-2])

Zu den aktuellen Auswirkungen der COVID 19 Pandemie:

COVID-19-Pandemie Die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle steigt weiterhin an. Positiv getestete Personen werden aus allen 34 Provinzen gemeldet. Die höchste Anzahl an Fällen weist Kabul auf, gefolgt von Herat, Kandahar und Balkh.

Der landesweite Lockdown gilt in unterschiedlichem Maße weiterhin bis zum 24.05.20. Die Provinzen Kandahar, Helmand und Ghazni haben inzwischen aber einige Lockerungen zugelassen. So wurden Bewegungsbeschränkungen aufgehoben und Geschäfte dürfen zu bestimmten Tageszeiten öffnen.

Auch die Provinzregierung von Balkh kündigte Lockerungen an, während sich in Herat aufgrund mangelhaft durchgeführter Vorsichtsmaßnahmen das Virus schnell weiter ausbreitet. Insbesondere in öffentlichen Diensten beschäftigte Personen sind hier betroffen. Zwischen 26.04. und 02.05.20 kehrten aus Iran 5.801 Personen zurück, 42 % weniger als in der Vorwoche. 3.526 Personen waren freiwillige Rückkehrer, 2.275 Personen wurden abgeschoben. Die Mehrheit der freiwilligen Rückkehrer, von denen zunächst viele nach Herat gehen, gab an, ihre Arbeitsstelle in Iran verloren zu haben.

Die Lockdown Maßnahmen treffen insbesondere Familien, die auf Taglöhnertätigkeiten angewiesen sind und keine anderen Einkommensmöglichkeiten haben. Die Nahrungsmittelunsicherheit ist besonders bei Familien gestiegen. Ca. 13,4 Mio. Menschen sind bezüglich der Nahrungsmittelversorgung entweder in Phase 3 (Krise) oder Phase 4 (Notfall) der IPC Klassifizierung. Binnenvertriebene und vulnerable Personengruppen, sowie Kinder sind davon besonders betroffen. In Kabul, Nangahar, Herat und Mazar-e Sharif ist eine Zunahme von Kinderarbeit zu beobachten, die von Familien eingesetzt wird, um mit die notwendigste Versorgung in der Covid 19 Krise sicherzustellen. (Update zur humanitären Lage und Auswirkungen von COVID-19 (Stand: 13. Mai 2020) vom UN OCHA)

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakten sowie in die Gerichtsakten zu den Zahlen XXXX , und durch Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zu den Identitäten der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zu den Namen und zu den Geburtsdaten der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

Die Feststellungen zu den Staatsangehörigkeiten der Beschwerdeführer, zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrer Muttersprache, ihrem Lebenslauf, ihrem Aufwachsen sowie ihrer familiären Situation in Afghanistan, der fehlenden Schul- und Berufsausbildung der BF2 bzw. der Berufserfahrung des BF1 gründen sich auf den diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben der BF. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.

Die Feststellung, dass die BF1 im Zeitraum zwischen der Ausreise der BF2 aus Afghanistan und der erneuten Kontaktaufnahme des BF1 mit der BF2 in Österreich keinen Kontakt und keine Informationen über den Aufenthaltsort des BF1 hatte, beruht auf den gleichbleibenden Angaben der BF dazu im Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung (BFA-Akt der BF2, Einvernahme S. 6, VHS S. 15).

Dass sich die Familie der BF2 und BF1, mit Ausnahme eines Onkels, der in Kabul lebt, nach wie vor in der Heimatprovinz der BF, Nangarhar, aufhält bzw. deren Aufenthaltsort unbekannt ist und die BF sonst keine Verwandte in anderen Provinzen Afghanistans haben, ergibt sich aus den diesbezüglich schlüssigen und gleichbleibenden Aussagen der BF2 und BF1 im gesamten Verfahren (BFA-Akt der BF2, AS 47; BFA-Akt des BF1, AS 111; VHS, S. 8-9, S. 18). BF1 und BF2 gaben übereinstimmend an, keinen Kontakt zu Verwandten in Afghanistan zu haben und auch sonst über keine Informationen zu ihrem Aufenthaltsort zu haben (VHS, S. 17-18, S. 8-9). Dass zu dem Onkel mütterlicherseits des BF1, bei dem das vierte Kind der BF zuletzt in Kabul lebte, seit ca. einem Jahr kein Kontakt mehr besteht, ergibt sich aus den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VHS, S. 9 und S. 17-18). BF1 und BF2 wurden in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zu den Unterstützungsmöglichkeiten durch Verwandte in Afghanistan befragt. Sie gaben übereinstimmend an, dass der Onkel des BF1 in Kabul der letzte Anknüpfungspunkt war und die Versorgung des vierten Kindes zuletzt übernommen hat. Diese Versorgung ist derzeit auch nicht gesichert, zumal zu dem Onkel des BF1 in Kabul seit längerem kein Kontakt mehr besteht (VHS, S. 9, Befragung der BF2: R: Wissen Sie, ob Ihre Familienangehörigen (Vater und Geschwister) nach wie vor in der Provinz Nangarhar aufhältig sind? BF2: Nein, das weiß ich auch nicht, weil ich keinen Kontakt habe. R: Stehen Sie in Kontakt mit Ihrem Sohn in Afghanistan bzw. dem Onkel mütterlicherseits Ihres Mannes? BF2: Vor ca. einem Jahr sagte der Onkel meines Mannes zu meinem Mann, dass er unseren Sohn nicht mehr bei ihm wohnen lassen kann. Mein Mann sagte, dass er jetzt in Österreich ist und sonst niemanden kennt, zu dem er seinen Sohn in Afghanistan schicken könnte. Daher haben wir auch mit dem Onkel meines Mannes den Kontakt abgebrochen. R: Wissen Sie, ob Ihr Sohn überhaupt noch bei dem Onkel in Afghanistan wohnt? BF2: Mein Sohn und der Bruder meines Mannes wohnten bei dem Onkel meines Mannes. Seit einem Jahr wissen wir nicht, ob sie noch dort leben. R: Wissen Sie jetzt, wo Ihr Sohn überhaupt ist? BF2: Nein, ich habe keinen Kontakt. VHS S. 17, Befragung BF1: R: Haben Sie Kontakt zu dem Onkel und dem Sohn? (BF1 weint): Seit ca. einem Jahr habe ich keinen Kontakt, nachdem mir der Onkel gesagt hat, dass er die Verantwortung für meinen Sohn nicht mehr übernehmen kann. Ich habe dann den Kontakt abgebrochen. R: Wer kümmert sich derzeit um Ihren Sohn? (BF1 weint): Ich habe keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht, ob er bei ihm lebt oder irgendwo anders hingeschickt wurde. R: Haben Sie den Kontakt gesucht? BF1: Was sollte ich machen? Zu wem sollte ich meinen Sohn schicken? R: Welche Familienangehörigen von Ihnen leben aktuell noch in Ihrem Heimatdorf? BF1: Meine Verwandten haben das Dorf jetzt verlassen. Der eine ist in eine Richtung gegangen, der andere, in eine andere. Ich weiß nicht, wer jetzt wo lebt. R: Stehen Sie zu irgendjemanden in Afghanistan in Kontakt? BF1: Nein, mit niemanden. Ich kann das nicht hören, wenn ich anrufe und hören, dass mein Sohn in Schwierigkeiten ist. Ich kann das nicht ertragen und mein Leben wird noch schwerer. R: Halten sich Familienangehörigen von Ihrer Ehefrau in Afghanistan auf? BF1: Ja, kann sein, aber da die Sicherheitslage dort schlecht ist, ist es gut möglich, dass auch ihre Verwandten das Dorf verlassen haben, aber Kontakt habe ich nicht…VHS, S. 22: R: Könnten Ihre Familienangehörigen in Afghanistan Sie bei einer Rückkehr mit ihrer Familie unterstützen? BF1: In anderen Provinzen habe ich keine Verwandten. In den Provinzen, wo Paschtu gesprochen wird, ist es gefährlicher, als in den anderen Provinzen. Ich habe nur den einen Onkel in Kabul. R: Könnte Ihr Onkel in Kabul Sie finanziell oder in andere Hinsicht unterstützen? BF1: Er ist nicht einmal bereit, für meinen Sohn aufzukommen. Für uns erst recht nicht.).

Aus diesen Angaben ist nicht ableitbar, dass konkrete Unterstützungsmöglichkeiten und finanzielle Ressourcen der BF in Afghanistan bestehen, um die Kosten einer dauerhaften Neuansiedelung in einer afghanischen Großstadt für die gesamte Familie zu tragen.

Das Bestehen unterstützungsfähiger familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan konnte somit nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF1, sowie seiner Schul- und Berufsausbildung bzw. Berufserfahrung gründen sich auf dessen Angaben im hg. Verfahren zur Zl. XXXX (AS 110-112).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand sämtlicher Beschwerdeführer gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22.05.2020 (in Folge: VHS) S. 6, S. 12, S. 13, S. 24) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Der BF1 ist derzeit gesund, er wurde vor längerer Zeit mit Hepatitis-C infiziert (vgl. Endbefund XXXX , S. 2, vom 23.05.2019).

2.2. Zu den Feststellungen zur individuellen Situation der BF2, BF3 und BF4 sowie zur Rückkehr der BF nach Afghanistan:

2.2.1 Dass sich die Familie der BF2 und BF1, mit Ausnahme eines Onkels, der in Kabul lebt, nach wie vor in der Heimatprovinz der BF aufhält und die BF sonst keine Verwandte in anderen Provinzen Afghanistans haben, ergibt sich aus den diesbezüglich schlüssigen und gleichbleibenden Aussagen der BF2 und BF1 im gesamten Verfahren (s. bereits oben Pkt. 2.1.).

2.2.2. Weiters gaben die BF2 und der BF1 übereinstimmend an, dass sie keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Afghanistan haben. Dass ein Onkel mütterlicherseits des BF1 in Kabul lebt und auch ihr Sohn dort zuletzt lebte, ist vor dem Hintergrund, dass im Verfahren keine Hinweise hervorgekommen sind, dass durch diesen Onkel eine finanzielle Unterstützung der Familie der BF erfolgen kann, als keine maßgebliche Änderung der familiären Situation der Beschwerdeführer in Afghanistan zu werten. Die BF verfügen über keine sonstigen Anknüpfungspunkte in Afghanistan (s. bereits oben Pkt. 2.1.). Dass die Beschwerdeführer nicht mit einer Unterstützung durch ihre in Nangarhar lebenden Verwandten rechnen können, ergibt sich daraus, dass kein Kontakt zu diesen besteht und diese ihre eigenen Familien erhalten müssen. Die Familie hat folglich keine Anknüpfungspunkte für Unterkunft, Schulbesuch und Aufnahme von Berufstätigkeit in Afghanistan.

2.2.3. Die BF verfügen in Afghanistan über kein verwertbares Vermögen. Der BF1 gab in der mündlichen Verhandlung zwar an, noch ein Haus und ein Grundstück in Nangarhar zu haben (VHS, S. 18). Er habe dieses aber verlassen und wisse nicht, in wessen Besitz sich dies befindet. Abgesehen davon, dass eine Rückkehr in die Heimatprovinz Nangarhar für die BF schon aufgrund der nach den Länderinformationen schlechten Sicherheitslage nicht möglich ist, ist nicht feststellbar, dass der BF1 bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf dieses Grundstück in irgendeiner Weise zugreifen und daraus die finanzielle Absicherung der Familie erlangen könnte.

2.2.4. Die Feststellung, dass sich die Sicherheitslage in der Herkunftsregion der Beschwerdeführer, Nangarhar, nicht wesentlich und nachhaltig verändert hat, ergibt sich aus einem Vergleich der vom Bundesamt im Bescheid vom 12.03.2018 herangezogenen Länderberichte und der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Länderinformationen. Daraus ergibt sich, dass die Sicherheitslage in der Heimatprovinz Nangarhar sowohl im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 12.03.2018 als auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides volatil war bzw. ist. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass auch dem aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation keine Änderung der Sicherheitslage zu entnehmen ist. Eine Veränderung der Umstände besteht somit auch nicht in diesem Punkt.

2.2.5. Was die allgemein instabile Sicherheitslage in Afghanistan betrifft, hat der Bescheid vom 25.01.2019 nicht aufgezeigt, inwiefern von einer maßgeblichen Änderung der Situation verglichen mit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszugehen ist. Das Bundesamt ging im angefochtenen Bescheid weiterhin davon aus, dass den Beschwerdeführern eine Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz nicht möglich wäre und begründete den Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, mit einer nunmehr bestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul aufgrund eines familiären Kontaktes bzw. alternativ in Herat oder Marzar-e Sharif. Was die Sicherheitslage in Afghanistan und speziell in Kabul betrifft, zeigt der angefochtene Bescheid nicht auf, vor welchem Hintergrund eine maßgebliche Änderung derselben anzunehmen wäre. Die Ausführungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan in den Bescheiden vom 12.03.2018 und vom 25.01.2019 zeichnen ein vergleichbares Bild und machen keine wesentliche Veränderung der Lage in Afghanistan ersichtlich. Eine nachhaltige und wesentliche Besserung der Situation in Afghanistan für Familien ohne tragfähiges soziales Netz verglichen mit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wird aus diesen Ausführungen nicht ersichtlich.

2.2.6. Nach den festgestellten Länderinformationen hängt die Versorgung von Rückkehrern insbesondere vom Bestehen eines tragfähigen sozialen Netzwerkes ab. Aus den aktuellen, speziell zu Kabul eingebrachten Länderinformationen ergibt sich, dass Familiennetzwerke für Rückkehrer lebensnotwendig sind, um Arbeit und Unterkunft zu finden (EASO „Afghanistan Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City”, April 2019, S.29).

2.2.7. Aus den aktuellen Länderinformationen speziell zur Situation aufgrund des Lockdowns zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie ergibt sich zudem, dass die Nahrungsmittelversorgung speziell von vulnerablen Personengruppen und Kindern aktuell besonders prekär ist (Update zur humanitären Lage und Auswirkungen von COVID-19 (Stand: 13. Mai 2020) vom UN OCHA). Durch die aktuell herrschende COVID-19 Krise und die damit einhergehende angespannte Situation am Arbeitsmarkt sind die Möglichkeiten für Erwerbstätigkeit in afghanischen Großstädten zudem massiv erschwert. Die Lockdown Maßnahmen treffen insbesondere Familien, die auf Taglöhnertätigkeiten angewiesen sind und keine anderen Einkommensmöglichkeiten haben. Der BF1 wäre mangels Netzwerk auf Taglöhnerarbeiten zur Versorgung des übrigen BF angewiesen. Die Einschränkungen aufgrund der Covid19-bedingten Lockdown Maßnahmen in afghanischen Großstädten sind ein weiterer Faktor, der die individuelle Vulnerabilität und konkrete Gefährdung der Existenzsicherung des der BF. Auch vor diesem Hintergrund ist angesichts des fehlenden Unterstützungsnetzwerkes und der sonstigen Anknüpfungspunkte davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer in eine Notlage geraten würden.

2.2.8. Bezüglich der Tatsache, dass der BF1 mittlerweile in Österreich aufhältig ist und die BF2 nunmehr nicht mehr als alleinstehende Frau zu sehen ist, ist festzuhalten, dass die Ankunft des BF1 in Österreich eine Lageänderung darstellt. Diese Tatsache stellt jedoch noch keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts dar (s. diesbezüglich die rechtliche Beurteilung), weil das Bundesamt sich zudem auf weitere Elemente bei der Zuerkennung stützte und weiters geprüft werden muss, ob eine Rückkehr der BF nach Afghanistan in der jetzigen Situation möglich ist:

?        Nangahar ist eine volatile Provinz. Eine Rückkehr nach Nangahar wurde auch vom BFA mit dem Bescheid vom 12.03.2018 ausgeschlossen.

?        Der BF1 verfügt in Afghanistan über kein tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk mehr. Es ist davon auszugehen, dass er – mangels Netzwerk– nicht in der Lage wäre, allein dauerhaft für seine Versorgung und die Versorgung der BF2, BF3-B5 sowie zusätzlich seines vierten minderjährigen Kindes, welches derzeit in Kabul lebt, zu sorgen.

?        Die BF2 verfügt über keine Schul- oder Berufsausbildung und könnte im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan auch keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, weil sie sich um ihre insgesamt vier minderjährigen Kinder kümmern müsste.

?        BF3, BF4 und BF5 sind schon aufgrund ihrer Minderjährigkeit als vulnerable Personen anzusehen. Sie sind auf die Versorgung durch ihre Eltern angewiesen.

?        Nach den festgestellten Länderinformationen hängt die Versorgung von Rückkehrern, insbesondere vom Bestehen eines tragfähigen sozialen Netzwerkes ab. Dies ist den BF nicht gegeben. Die Familie hat keine Anknüpfungspunkte für Unterkunft, Schulbesuch, Aufnahme von Berufstätigkeit.

?        Die BF verfügen in Afghanistan über kein Vermögen. Eine Unterkunft der Familie in Afghanistan, insbesondere in Kabul, ist nicht gesichert.

?        Die besondere Vulnerabilität des BF1 besteht im konkreten Fall zum einen in dem Erfordernis, seine Ehefrau und drei minderjährigen Kinder, insbesondere den BF5, allein versorgen zu müssen und ohne konkrete Wohn- oder Unterstützungsmöglichkeiten eine Existenzgrundlage aufbauen zu müssen.

Aus diesem Umständen geht das Gericht davon aus, dass den Beschwerdeführern im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr drohen würde, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten, zumal sie mangels sozialem Netzwerk und aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität als Familie mit insgesamt vier minderjährigen Kindern nicht in der Lage wären, dauerhaft eine Existenz entsprechend den dortigen Verhältnissen aufzubauen. Es bestünde die reale Gefahr, dass sie in eine existenzbedrohende (Not-)Lage geraten, weshalb die entsprechende Feststellung zu treffen war.

Aus all diesen Gründen kommt auch eine Ansiedelung in anderen Großstädten Afghanistans (Herat, Mazar-e Sharif) für die BF nicht in Betracht.

Das Bundesamt trat den Beweisergebnissen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht entgegen, zumal es an dieser entschuldigt nicht teilnahm.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§ 8, 9 AsylG 2005 lauten wie folgt:

„Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8.

(1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.

dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Ka

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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