Entscheidungsdatum
16.07.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2 Z2Spruch
I415 2202509-2/25.E
I415 2202510-2/26E
I415 2202512-2/23E
I415 2202511-2/24E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. LÄSSER in den amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch die mündlich verkündeten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2019, Zl. XXXX XXXX erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des XXXX , StA: Irak, der XXXX , StA: Irak, des mj. XXXX , StA: Irak, des mj. XXXX , StA. Irak, die beiden letztgenannten jeweils vertreten durch ihre Mutter Hassan XXXX , StA: Irak, alle vertreten durch Deserteurs- und Flüchtlingsberatung XXXX , beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2019, Zl. XXXX , ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
1. Verfahrensgang
Der Antragsteller 1 reiste gemeinsam mit der zu diesem Zeitpunkt schwangeren Antragstellerin 2 sowie dem mj. Drittantragssteller ins Bundesgebiet ein und stellte für alle drei Personen (folgend kurz: „A1 bis A3") erstmals jeweils am 01.01.2016 gemeinsam Anträge auf internationalen Schutz. Der Antragsteller 4 („A4“) wurde am XXXX in Österreich geboren. Für diesen wurde erstmals am 26.01.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Bei der Erstbefragung am 01.01.2016 gab der A1 an, im Irak als Taxifahrer gearbeitet zu haben. Hierbei habe er einen Unfall verursacht, bei welchem ein 10-jähriges Kind getötet worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich der Polizei gestellt und sei nach einer Woche in Haft gegen Bezahlung einer Kaution wieder freigelassen worden. Die Angehörigen des verstorbenen Kindes würden den A1 jedoch töten wollen. Aus Angst, von der Familie umgebracht zu werden, habe der A1 die Flucht aus dem Irak ergriffen.
Die A2 wurde ebenfalls am 01.01.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Diese machte hierbei keinerlei eigene Fluchtgründe geltend, sondern verwies lediglich auf das Fluchtvorbringen des A1.
Am 06.04.2018 wurde der A1 niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Hierbei gab er explizit an, in der Erstbefragung die Unwahrheit hinsichtlich seines Fluchtgrundes angegeben zu haben. Nunmehr führte er aus, ein Sicherheitsmitarbeiter sowie eine Vertrauensperson und Schreibkraft des ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani gewesen zu sein. Er sei auch mit Computertätigkeiten betraut gewesen. Nachdem Talabani erkrankt sei, hätten diverse Gruppen seine Position einnehmen wollen. Der A1 sei im Besitz bestimmter politischer Informationen gewesen, welche besagte Gruppen hätten haben wollen. Der A1 habe Angst gehabt, getötet zu werden, und sei deshalb geflüchtet.
Die A2 wurde ebenfalls am 06.04.2018 niederschriftlich durch das BFA einvernommen. Hierbei gab diese auch an, dass das Fluchtvorbringen des A1 im Rahmen seiner Erstbefragung nicht der Wahrheit entspreche und sein eigentlicher Fluchtgrund in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Mitarbeiter des ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Talabani stehe. Die A2 machte wiederum keinerlei eigene Fluchtgründe geltend.
Auch für den A3 sowie A4 wurden keinerlei eigene Fluchtgründe vorgebracht.
In einer am 24.04.2018 übermittelten schriftlichen Stellungnahme des A1 an das BFA verwies dieser auf eine Gefährdung des Iraks durch terroristische Gruppen und den IS sowie neuerlich auf sein Fluchtvorbringen hinsichtlich seiner Tätigkeit für den ehemaligen Staatspräsidenten Talabani.
In der Folge wurden die Anträge des A1 – A4 mit den Bescheiden des BFA vom 28.06.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den A1 – A4 gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide). Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurden gegen die A1 – A4 Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der A1 – A4 gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V. der angefochtenen Bescheide). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide). Das Fluchtvorbringen des A1 wurde als nicht glaubhaft befunden. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die A1 – A4 im Falle einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notsituation geraten würden. Hinsichtlich des Familienlebens wurde ausgeführt, dass in Bezug auf die Kernfamilie (A1 – A4) eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinen Eingriff in das Familienleben darstellen würde, da alle Familienmitglieder das gemeinsame Schicksal teilen würden. Besondere private Interessen in Österreich seien in Bezug auf die A1 – A4 nicht hervorgekommen.
Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 20.07.2018 Beschwerde erhoben und eine Vollmacht für die Vertretung durch den „MigrantInnenverein St. Marx“ vorgelegt. Es wurden unrichtige Feststellungen, eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilungen geltend gemacht. Inhaltlich wurde ausgeführt, das BFA habe dem Vorbringen des A1 zu Unrecht die Glaubhaftigkeit versagt. Überdies seien die herangezogenen Länderberichte in den angefochtenen Bescheiden teils veraltet und das BFA habe es verabsäumt, sich mit der konkreten Situation der A1 – A4 und der aktuellen Situation im Irak auseinanderzusetzen. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge „dem Beschwerdeführer“ die Flüchtlingseigenschaft zusprechen; allenfalls subsidiären Schutz gewähren; allenfalls „den angefochtenen Bescheid“ aufheben und zur Ergänzung des Verfahrens „an die erste Instanz“ zurückverweisen; einen landeskundigen Sachverständigen beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasst; eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; allenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären; allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; allenfalls feststellen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig ist.
Die gegen diese Entscheidungen eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.11.2018 (Zl. I403 2202509-1/5E, I403 2202510-1/5E, I403 2202512-1/5E und I403 2202511-1/5E) als unbegründet abgewiesen. Zu den Fluchtmotiven stellte dieses Gericht fest, dass der A1 den ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Talabani zumindest einmal getroffen habe, jedoch sei nicht glaubhaft, dass er in einer relevanten Funktion für ihn tätig wäre und deswegen Verfolgung zu befürchten hätte. Zusammengefasst wäre der Erstbeschwerdeführer weder in der Lage gewesen seine Tätigkeit für Talabani konkret zu schildern, noch plausibel darzulegen, von wem er warum verfolgt werden sollte. Für A2 – A4 wären keine Fluchtgründe vorgebracht worden. Es sei den A1 – A4 zumutbar, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie seien (abgesehen von einer Hautallergie bei den mj. A3 und A4, welche diese laut A1 aber nicht einschränke) gesund, der A1 sowie die A2 überdies erwerbsfähig sowie beide als Juristen gut ausgebildet. Eine Rückkehr sei aber insbesondere daher mit keinem realen Risiko einer Menschenrechtsverletzung verbunden, da die kurdischen A1 – A4 wieder in die Autonome Region Kurdistan zurückkehren können und dort über Familienanschluss verfügen. Sie würden auch nicht aus den „umstrittenen“ Gebieten, sondern aus dem Kern des Kurdischen Autonomiegebiets stammen. Hinsichtlich des Vorbringens des A1 in seiner Stellungnahme an das BFA vom 24.04.2018, in welchem dieser eine Gefährdung der kurdischen Regionen im Irak durch terroristische Gruppen und den IS schildert, sei festzuhalten, dass es sich hierbei um keine aktuellen Länderberichte handle, sondern sich die Situation in der Region Kurdistan seit der Ausreise der Beschwerdeführer im Jahr 2015 deutlich geändert habe und – durch die Vertreibung des Islamischen Staates - eine maßgebliche Verbesserung der Sicherheitslage eingetreten sei, was sich auch den aktuellen Länderberichten in den angefochtenen Bescheiden entnehmen lasse. Die Erkenntnisse wurden mit 15.11.2018 zugestellt und erwuchsen in Rechtskraft.
Laut Aktenvermerk des BFA vom 12.06.2019 stellten die A1 – A4 am 05.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland. Nach erfolgter Dublin-Zustimmung Österreichs wurden die A1 – A4 am 11.06.2019 von Deutschland nach Österreich überstellt. Bei diesen Folgeanträgen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG ist daher im Lichte des Erkenntnisses des VwGH vom 03.07.2018, Zl. Ra 2018/21/0025, von einer am 05.12.2018 erfolgten Antragstellung auf internationalen Schutz auszugehen.
Bei den am 11.06.2019 erfolgten Erstbefragungen gab der A1 im Wesentlichen an, dass er seine Asylgründe der ersten Antragstellung aufrechterhalte und sich nichts geändert habe. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak befürchte er wegen seiner Tätigkeit für den kurdischen Präsidenten umgebracht zu werden. Das gelte auch für seine Frau, die gleichfalls für den kurdischen Präsidenten tätig gewesen wäre.
Die A2 führte im Wesentlichen aus, dass sich an den Fluchtgründen nichts geändert habe. Ihr Mann würde bei einer Rückkehr in den Irak umgebracht und sie selbst müsste jedenfalls ins Gefängnis, weil sie für den kurdischen Präsidenten tätig gewesen wären. Zudem beantrage sie hiermit auch Asyl für ihre Kleinkinder, den A3 und den A4.
Am 13.06.2019 wurden den Antragstellern eine Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG und § 15a AsylG sowie § 52a Abs 2 BFA-VG ausgefolgt, mit welcher ihnen die Absicht des BFA zur Kenntnis gebracht wurde, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen sowie den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufzuheben.
Am 02.08.2019 erfolgten die Einvernahmen vor dem BFA. Die A2 führte auf Nachfrage aus Magenprobleme zu haben und diesbezüglich Medikamente einzunehmen. Es sei eine Magenspiegelung durchgeführt worden, sie habe bakterielle Probleme gehabt, aber nachgefragt keine Befunde oder Medikamente dabei. Beide Kinder haben auf Nachfrage Ekzeme und der A3 am linken Ohr Probleme. An einer lebensbedrohlichen Krankheit leide auf Nachfrage keiner. Als Kurdin habe sie überall im Irak Probleme, bedroht sei sie deshalb aber nicht worden. Sie sei Frauenaktivistin gewesen, das gehöre zum Innenministerium. Weil sie ohne Kündigung das Land verlassen habe, habe sie einen Haftbefehl erhalten. Diesen habe ihr eine Arbeitskollegin per Post geschickt, als sie in Deutschland gewesen sei. Der Haftbefehl sei vom 14.06.2017, aus dem Irak ausgereist sei sie Ende 2015. Danach befragt, wieso sie den Haftbefehl erst so spät – im Dezember 2018 – bekommen habe, führte die A2 aus, nur ein Foto erhalten und dieses zuerst für nicht so wichtig erachtet zu haben. Danach befragt, wieso sie nicht schon in der Erstbefragung angegeben habe, dass es einen Haftbefehl gebe, führte sie aus nicht mehr zu wissen, wann sie ihn bekommen habe. Zudem sei sie davon ausgegangen, dass das Verfahren ihres Mannes positiv ausgehe und sie auch hierbleiben dürfe, darum habe sie sich nicht darum gekümmert. Sie habe den Haftbefehl zwar auf Nachfrage nicht erst nach dem negativ entschiedenen Verfahren einbringen wollen, aber nachdem nun alles negativ entschieden worden sei, müsse sie das doch aufzeigen. Auf Vorhalt der belangten Behörde dadurch Beweismittel zurückgehalten zu haben, verneinte sie dies. Den Haftbefehl habe sie von ihrer Kollegin bekommen, die ebenfalls Frauenrechtsaktivistin sei und in dieser Behörde arbeite. Der Haftbefehl sei zwar vom Innenministerium ausgestellt worden, jedoch würden alle Polizeiposten, der Flughafen und alle Abteilungen der Behörde – und damit auch ihre Kollegin – freien Zugang dazu erhalten. Danach befragt, warum der Haftbefehl erst ein halbes Jahr nach ihrer Einreise nach Österreich erstellt worden sei, führte sie aus, dass der Prozess lange dauere und dies nur ein Haftbefehl sei – Urteil gebe es noch keines. Ihr Mann sei nachgefragt als Schutzmann für den Präsidenten tätig und ein Mitglied der PUK gewesen. Diese würden ihn töten wollen, warum wisse sie nicht, weil er es ihr nicht erklärt habe. Sie sei damals im 9. Monat schwanger gewesen und hätte ihr Kind per Kaiserschnitt bekommen sollen, damit sei sie beschäftigt gewesen. Danach befragt, ob sie den Fluchtgrund nach Österreich gar nicht wisse, führte sie aus zu wissen, dass sein Leben in Gefahr sei.
Der A1 legte die Farbkopie eines Gerichtsurteils vom 02.06.2019 vor. Auf Nachfrage führte er aus, dass er nicht zurückkehren könne, weil er nicht gekündigt habe und daher von seiner Partei getötet werde. Er führte weiters aus, dass es sich hierbei um einen Haftbefehl handle. Das Original sei auf Nachfrage bei der Behörde im Irak. Ein Arbeitskollege habe dies für ihn fotografiert und abgeschickt. Genauere Angaben zum Arbeitskollegen dürfe er auf Nachfrage nicht machen, er arbeite jedenfalls im Präsidentenamt. Auf Vorhalt, dass seine Frau schon einen Haftbefehl von 2017 habe, er schon seit 2016 in Österreich sei und nunmehr einen Haftbefehl vom 02.06.2019 erhalte, führte er aus, dass seine Frau ihn in Deutschland erhalten habe und er erst vor kurzem nachgefragt habe wie es bei ihm aussehe und in weiterer Folge informiert worden sei. Bei seiner Frau handle es sich um keine endgültige Entscheidung eines Gerichts, sondern nur um einen Haftbefehl; bei ihm handle es sich aber um ein Urteil. Auf Vorhalt, dass er vorher angegeben habe, dass es ein Haftbefehl sei, beteuerte er, dass dies nur bei seiner Frau so sei. Auf Vorhalt, dass er im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren zwei völlig unterschiedliche Fluchtgründe angegeben habe und warum er erneut einen Asylantrag stelle führte er aus wie folgt: „A1: Ich kann auf keinen Fall zurück. Seit ca. 4 Jahren bin ich da. Ich lebe wie ein Hund. LA: Sie sind erst im Juni 2019 von Deutschland überstellt worden. A1: Ich meine die gesamte Zeit hier. Ich verstehe die Entscheidung nicht. Ich habe meine Fluchtgründe dargestellt. Vielleicht hätte ich lügen sollen. Ich kann nicht einfach falsche Angaben machen, dass ich zb ein Christ geworden bin. Ich weiß nicht warum ich keinen positiven Bescheid bekomme.“ Verschiedene Angaben habe er gemacht, weil ihm gesagt worden sei, dass die Informationen, die er über sein Land gebe, an die heimatlichen Behörden weitergegeben werden und er abgeschoben werde.
Mit daraufhin mündlich verkündetem Bescheiden hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz der A1 – A4 gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf und legte die Verfahrensakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung vor.
In den genannten Bescheiden des BFA wurde der bisherige Verfahrensgang in Bezug auf den ersten bzw. nunmehr zweiten Antrag auf internationalen Schutz dargelegt. Es wurden Feststellungen zu den Personen der Antragsteller, ihren Angaben im Rahmen der beiden Asylverfahren, zur Gefährdungssituation bei einer Abschiebung, zu Art. 8 EMRK, sowie zur Lage im Irak getätigt. Ausführungen wurden ebenso getroffen, warum die belangte Behörde davon ausgehe, dass die nunmehrigen Anträge auf internationalen Schutz voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein würden.
Die vom BFA von Amts wegen dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten Verwaltungsakten langten am 06.08.2019 in der Einlaufstelle des Bundesverwaltungsgerichtes am Sitz in Wien und am 07.08.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung der Außenstelle Innsbruck des Bundesverwaltungsgerichtes ein.
Das BFA wurde am 07.08.2019 gemäß § 22 Abs. 2 BFA-VG vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung verständigt.
Mit Beschlüssen vom 09.08.2019, Zlen. I415 2202509-2/6E, I415 2202510-2/6E, I415 2202512-2/6E und I415 2202511-2/6E, erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG für rechtmäßig und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts sei seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2018 nicht eingetreten. Im gegenständlichen Verfahren wurde in der Erstbefragung am 11.06.2019 vorgebracht, dass die Gründe aus dem vorrangehenden Asylverfahren voll inhaltlich aufrecht wären und lägen damit keinerlei neue Fluchtgründe vor. Festgestellt wurde weiters, dass sich der ursprünglich für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des Erstverfahrens nicht geändert habe. Die nunmehrigen Vorbringen seien von der Rechtskraft des Erstverfahrens mitumfasst und sind zudem nicht glaubwürdig. Die vorliegende Folgeanträge werden daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Die Abschiebung der Antragsteller in den Irak (Kurdistan) stelle für sie auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK dar bzw. sei ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Der faktische Abschiebeschutz sei daher zu Recht aberkannt worden.
Gegen diese Entscheidung erhoben die Antragsteller, vertreten durch RA Mag. Bernhard Folta, eine außerordentliche Revision, in welcher er zur Zulässigkeit und in der Sache vorbrachte, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Zum einen habe es bei der Überprüfung, ob die Tatbestandselemente des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 vorlägen, den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Prüfungsmaßstab außer Acht gelassen, wonach der faktische Abschiebeschutz nicht bereits dann aufgehoben werden dürfe, wenn eine Zurückweisung des Folgeantrags wahrscheinlich sei. Es sei vielmehr erforderlich, dass der Folgeantrag missbräuchlich gestellt werde, was vom Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt worden sei. Vielmehr sei es erforderlich, dass ein Sachverhalt vorliegt, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur in derartigen Fällen könne letztlich auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Für den konkreten Sachverhalt sei festzuhalten, dass im Zuge des Folgeantrages ein neuer Nachweis über die im Irak befürchtete staatliche Verfolgung in Form eines Haftbefehles (datiert mit 14.06.2017) gegen die A2 und eines Gerichtsurteiles (datiert mit 02.06.2019) betreffend den A1 vorlegt worden seien. Gegenständliche Beweismittel wären zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstverfahrens noch nicht vorgelegen bzw. sei den A1 – A4 nicht bekannt gewesen, sodass das diesbezügliche Vorbringen von der Rechtskraft des Erstverfahrens nicht mitumfasst seien. Nachdem im Hinblick auf die Revisions-werber keine (sonstigen) Hinweise vorliegen, welche auf eine missbräuchliche Antragstellung (z.B. mehrfache Folgeanträge, welche keine neuen substantiellen Sachverhaltselemente zugrunde liegen) schließen lassen, wäre es der belangten Behörde bzw. dem BVwG – unter Berücksichtigung der näher zitierten Judikatur des VwGH zur „Grobprüfung“ iSd § 12a AsylG – daher nicht möglich, eine Prognoseentscheidung dahingehend zu treffen, dass eine Zurückweisung des Folgeantrages auf der Hand liege. Selbst wenn eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Frage kommen könnte, so reiche dies nach Ansicht des VwGH nicht zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aus, sondern sollen ausschließlich klar missbräuchliche Folgeanträge „ausgesiebt werden“. Das BVwG sei weiters auch von der Rechtsprechung des VwGH abgewichen, indem es keinerlei länderspezifischen Feststellungen traf, obwohl eine mögliche Verletzung der den A1 – A4 in Art. 2 und 3 EMRK gewährten Rechte verfahrensgegenständlich war und selbstverständlich nur vor dem Hintergrund der im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Situation im Irak beurteilt werden könne. Ergänzend dazu verwiesen die Antragsteller auf neu hervorgekommene gesundheitliche Schwierigkeiten (die A2 leide an Magenproblemen [chronische Gastritis] und musste deshalb eine Magenspiegelung durchführen lassen; die A3 und 4 leiden an Ekzemen und weise der A3 weiters Probleme an seinem linken Ohr auf). Abschließend verwiesen die Antragsteller mit Stellungnahme vom 09.08.2019, insbesondere in Anbetracht des Beginns der türkischen Militäroperation CLAW 2 in der autonomen Region Kurdistan, auf die Verschlechterung der Sicherheitslage in der betroffenen Region Kurdistan-Irak.
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 05.03.2020, Ra 2019/19/0447, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 14.04.2020, wurden die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2019 wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Das Verfahren gemäß § 12a AsylG 2005 ist daher wieder beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2. Feststellungen:
Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Zu den Personen der Antragsteller:
Die Antragsteller führen die im Spruch angeführten Identitäten. Sie sind alle Staatsangehörige der Republik Irak. Sie sind Angehörige der Volksgruppe der Kurden und bekennen sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben.
Der A1 und die A2 sind miteinander verheiratet und die leiblichen Eltern des A3 und des A4.
Der A1, die A2 und der A3 verließen ihren Herkunftsstaat Irak gemeinsam Ende 2015 und reisten im Jänner 2016 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo der A4 am XXXX geboren wurde.
Der A1, die A2 und der A3 stellten am 01.01.2016, der A4 am 26.01.2016, Anträge auf internationalen Schutz.
Der A1, die A2 und der A3 lebten bis zu ihrer Ausreise in der Stadt XXXX in Kurdistan. Der A1 hat ein Studium der XXXX begonnen, jedoch nicht abgeschlossen. Er war für das irakische Militär tätig und arbeitete als Taxifahrer. Die A2 hat das Studium der XXXX abgeschlossen und in ihrer Heimat bereits als XXXX gearbeitet.
Die Antragsteller sind gesund und der A1 und die A2 zudem arbeitsfähig.
Die Antragsteller haben keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Ihre übrige Familie lebt im Irak. So leben etwa die Mutter, zwei Brüder und neun Schwestern des Erstbeschwerdeführers in der Provinz Suleimaniyya und in Erbil. Die Eltern und Geschwister der A2 leben in XXXX , im Nordirak. Der Vater der A2 gehört zu den Peschmerga.
Die Antragsteller sind strafrechtlich unbescholten.
Sie haben eine auf das Asylgesetz gestützte Aufenthaltsberechtigung in Österreich und verfügen über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.
Es liegt ein Familienverfahren vor.
Zu den Gründen für die Anträge auf internationalen Schutz sowie zur voraussichtlichen Entscheidung im nunmehrigen Verfahren:
Als Grund des Erstantrages führte der A1 aus, für den früheren irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani tätig gewesen zu sein; er werde verfolgt, weil er über wichtige Informationen verfügen würde. Es steht fest, dass der Erstbeschwerdeführer den ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Talabani zumindest einmal getroffen hat, doch ist nicht glaubhaft, dass er in einer relevanten Funktion für ihn tätig war und deswegen Verfolgung zu befürchten hat. Für die übrigen Beschwerdeführer wurden keine Fluchtgründe vorgebracht.
Mit den Bescheiden des BFA vom 28.06.2018 wurden die Anträge der A1 – A4 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide). und auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den A1 – A4 nicht erteilt (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide) und wurden gegen die A1 – A4 Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide). Zudem wurde festgestellt, dass die Abschiebung der A1 – A4 in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V. der angefochtenen Bescheide).
Die gegen diese Entscheidungen eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.11.2018 (Zl. I403 2202509-1/5E, I403 2202510-1/5E, I403 2202512-1/5E und I403 2202511-1/5E) als unbegründet abgewiesen.
Die Antragsteller sind ihrer Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat nicht nachgekommen. Sie reisten nach Deutschland und stellten dort Anträge auf internationalen Schutz, für welche nach erfolgter Dublin-Zustimmung Österreich zuständig ist.
Im gegenständlichen Verfahren wurde in der Erstbefragung am 11.06.2019 vorgebracht, dass die Gründe aus dem vorrangehenden Asylverfahren voll inhaltlich aufrecht wären und damit keinerlei neue Fluchtgründe vor. Bei der Einvernahme am 02.08.2019 brachten der A1 ein irakisches Urteil vom 14.06.2019 bei und die A2 einen Haftbefehl vom 14.06.2017 vor, welche jeweils von Arbeitskollegen zugeschickt worden wären und änderten ihr Fluchtvorbringen dahingehend ab. Auf Nachfrage führte er aus, dass er nicht zurückkehren könne, weil er nicht gekündigt habe und daher von seiner Partei getötet werde. Weil die A2 ohne Kündigung das Land verlassen habe, habe sie einen Haftbefehl erhalten. Diesen habe ihr eine Arbeitskollegin per Post geschickt, als sie in Deutschland gewesen sei. Der Haftbefehl sei vom 14.06.2017, aus dem Irak ausgereist sei sie Ende 2015. Danach befragt, wieso sie den Haftbefehl erst so spät – im Dezember 2018 – bekommen habe, führte die A2 aus, nur ein Foto erhalten und dieses zuerst für nicht so wichtig erachtet zu haben. Danach befragt, wieso sie nicht schon in der Erstbefragung angegeben habe, dass es einen Haftbefehl gebe, führte sie aus nicht mehr zu wissen, wann sie ihn bekommen habe.
3. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den Personen der Antragsteller, ihrer Herkunft und zu ihren Berufserfahrungen beruhen auf ihren plausiblen, im Wesentlichen gleich bleibenden Angaben im Laufe des bereits abgeschlossenen Asylverfahrens. Auch im gegenständlichen Verfahren haben sie diese Angaben bestätigt bzw. keine gegenteiligen Aussagen getroffen.
Die Feststellungen zur aktuellen privaten und familiären Situation der Antragsteller in Österreich gründen auf deren Vorbringen in beiden Asylverfahren.
Die Feststellungen zu den zweiten, gegenständlichen Anträgen auf internationalen Schutz und den hiezu erstatteten Vorbringen der Antragsteller ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
4. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
§ 22 Abs. 10 AsylG 2005 lautet:
„Entscheidungen
§ 22. (Anm.: Abs. 1 bis Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
[...]
(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.“
Demnach entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss.
Zu Spruchpunkt A)
Im Verfahren zur Aberkennung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (vgl. § 18 AsylG 2005), wobei auch der Grundsatz der Einräumung von rechtlichem Gehör (§§ 37, 45 Abs. 3 AVG) zu beachten ist. Ein solches Ermittlungsverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Es wurde den Antragstellern Parteiengehör eingeräumt, sie wurden am 11.06.2019, 13.06.2019 und 02.08.2019 befragt und wurde ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme zu den maßgeblichen Länderfeststellungen zu ihrem Herkunftsstaat eingeräumt. Mit der entsprechenden Verfahrensanordnung wurde den Antragstellern mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihre Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufzuheben.
Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt hat und kein Fall des Abs. 1 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
„1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“
Ein Folgeantrag ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 „jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag“.
§ 22 BFA-VG lautet:
„Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes
§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.“
Zu prüfen ist sohin, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall vorliegen.
Die Verfahren über den ersten Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des BFA vom 28.06.2018 und Abweisung der dagegen erhobenen Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 08.11.2018 rechtskräftig abgeschlossen.
Bei den neuerlichen Anträgen auf internationalen Schutz vom 05.12.2018 handelt es sich um Folgeanträge iSd § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005.
Gegen die Antragsteller liegt eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 19.12.2017, Ra 2017/18/0451, 0452, darauf hingewiesen, dass die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ausführen, dass „eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags“ zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für „klar missbräuchliche Anträge“ beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010-15).
Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde im Rahmen einer Grobprüfung somit eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz der A1 – A4 voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.
Im verfahrensgegenständlichen Antrag (Folgeantrag) bringen der A1 und die A2 Sachverhalte vor, die sich bereits teilweise vor Rechtskraft des Erkenntnisses vom 08.11.2018 ereignet haben und die ihnen zwar bekannt waren und die sie im ersten Asylverfahren auch teilweise vorgebracht haben, die sie jedoch nun durch ein Dokument (Gerichtsurteil datiert mit 02.06.2019) belegen zu können behaupten. Ergänzend dazu verwiesen die Antragsteller auf neu hervorgekommene gesundheitliche Schwierigkeiten (die A2 leide an Magenproblemen [chronische Gastritis] und musste deshalb eine Magenspiegelung durchführen lassen; die A3 und 4 leiden an Ekzemen und weise der A3 weiters Probleme an seinem linken Ohr auf). Abschließend verwiesen die Antragsteller mit Stellungnahme vom 09.08.2019, insbesondere in Anbetracht des Beginns der türkischen Militäroperation CLAW 2 in der autonomen Region Kurdistan, auf die Verschlechterung der Sicherheitslage in der betroffenen Region Kurdistan-Irak.
Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 („wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist“) hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, es müsse das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deute - unter Bedachtnahme auf näher bezeichnete unionsrechtliche Vorgaben - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. dazu grundlegend VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).
Das vom Antragsteller zur Begründung seines Folgeantrags vorgelegte Gerichtsurteil begründet möglicherweise einen geänderten Sachverhalt, der einen Folgeantrag zulässig macht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann nämlich ein nach rechtskräftigem Abschluss eines Asylverfahrens erlassener Haftbefehl eine maßgebliche Sachverhaltsänderung darstellen, die eine neue Beurteilung der vom Asylwerber geltend gemachten Fluchtgründe erfordert. Es bedarf in einem solchen Fall einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen (vgl. VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556, mwN), insbesondere dahingehend, ob diesem Vorbringen ein zumindest glaubhafter Kern zukommt (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, mwN). Sollte sich aber die Notwendigkeit ergeben, sich mit den Angaben des Antragstellers (und des von ihm vorgelegten Gerichtsurteils) umfangreich beweiswürdigend auseinanderzusetzen, kann jedenfalls nicht mehr davon gesprochen werden, die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes liege schon nach Grobprüfung seines Folgeantrags auf der Hand (vgl. in diesem Sinne bereits VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010). Wie nämlich vom Verwaltungsgerichtshof im genannten Judikat festgehalten, verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, „dass die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht in erster Linie anhand des Ergebnisses der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bis dahin vorgenommenen Ermittlungen zu erfolgen hat. Lässt dieses Ermittlungsergebnis aber die einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung nicht zu, sondern bedarf es dafür erheblicher ergänzender Ermittlungen, kann diese von der Behörde zu vertretende Mangelhaftigkeit nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen.“ Im derzeitigen Verfahrensstadium und aufgrund der hier lediglich vorzunehmenden Grobprüfung kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz vom 05.12.2018 wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird. Von einer klar missbräuchlichen Folgeantragstellung im Sinne der Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 7.2.2020, Ra 2019/18/0487, sowie grundlegend VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451) kann daher nicht gesprochen werden.
Somit ist jedenfalls eine der drei Voraussetzungen, unter denen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werden darf, derzeit nicht erfüllt.
Gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. Ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG ist dem Gesetz nach in diesem Fall nicht möglich.
Den (fingierten) Beschwerden im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes war somit stattzugeben und die mündlich verkündeten Bescheide des BFA vom vom 02.08.2019, Zl. XXXX , aufzuheben (zur Formulierung des Spruches vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010, Rz 31).
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung Behebung der Entscheidung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung ersatzlose Behebung faktischer Abschiebeschutz Folgeantrag geänderte Verhältnisse Identität der Sache Kassation Prognoseentscheidung ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2202511.2.01Im RIS seit
27.10.2020Zuletzt aktualisiert am
27.10.2020