Entscheidungsdatum
10.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W136 2226732-1/7E
W136 2226731-1/8E
W136 2226730-1/7E
W136 2226727-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX und 4. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2019, 1.) Zl. 1233347100-190585469, 2.) Zl. 1233347002-190580467, 3.) Zl. 1233347209-190585485 und 4.) Zl. 1233347307-190585477 nach mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1.1. Die nunmehrige Erstbeschwerdeführerin reiste mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer und ihren beiden Söhnen, den Dritt- und Viertbeschwerdeführern, alle afghanische Staatsangehörige, mit dem Flugzeug aus Teheran kommend mit gefälschten Pässen in die Republik Österreich ein, wo sie am 08.06.2019 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.
1.2. Bei der Erstbefragung am 11.06.2019 gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass ihre Familie mit ihrer Heirat mit ihrem jetzigen Ehemann nicht einverstanden gewesen sei, da ihr Vater sie an einen alten Mann „verkauft“ habe. Daher seien sie und ihr Ehemann seitens ihrer Familie mit dem Tod bedroht worden. Zu dem Zeitpunkt, als sie von ihrem Vater an den alten Mann „verkauft“ worden sei, sei sie bereits von ihrem Ehemann schwanger gewesen. Dies habe sich vor 16 Jahren in Afghanistan ereignet. Nach diesem Vorfall sei sie mit ihrem Ehemann in den Iran geflohen, wo ihre Kinder zur Welt gekommen seien. Während ihres jahrelangen Aufenthaltes im Iran seien sie von ihren Brüdern gesucht und mit dem Tod bedroht worden. Im Sommer des vorigen Jahres sei ihr Bruder etwa in den Iran gekommen, habe sie gefunden und umbringen wollen. Aus Angst um ihr Leben hätten sie daher den Iran verlassen. Ergänzend teilte die Erstbeschwerdeführerin mit, dass sie auch für ihren minderjährigen Sohn XXXX , geb. XXXX , einen Asylantrag stelle und dass sie keine weiteren Gründe für eine Asylantragstellung habe. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat befürchte sie, dass sie alle umgebracht werden würden.
Der Zweitbeschwerdeführer gab im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er wegen seiner Frau aus Afghanistan geflüchtet sei. Er sei mit seiner Frau verlobt gewesen, jedoch sei diese von ihrem Vater an einen alten Mann „verkauft“ worden. Sie hätten trotzdem Mitte 2003 in Afghanistan geheiratet, worauf die Familie seiner Frau sie beide umbringen habe wollen. Sie seien dann 2004 mithilfe eines Schleppers in den Iran geflüchtet, wo sie wegen Bedrohungen durch die Brüder seiner Frau dreimal die Wohnung gewechselt hätten. Sie seien immer von der Schwester seiner Frau gewarnt worden und hätten jedes Mal flüchten können. Davon abgesehen hätten sie im Iran als Afghanen Probleme gehabt. So hätten ihre Kinder keine Schule besuchen können und er habe illegal arbeiten müssen. Aus diesen Gründen habe er Afghanistan und später den Iran verlassen. Bei einer Rückkehr würde die Familie seiner Frau sie umbringen.
Der Drittbeschwerdeführer erzählte zu seinen Fluchtgründen befragt, dass es für sie als Afghanen sehr schwierig sei, im Iran zu leben. Da sie weder afghanische noch iranische Dokumente hätten, hätten sie mit den Iranern immer wieder Probleme gehabt. Er konnte hingegen nicht angeben, was er im Falle einer Rückkehr befürchtet.
1.3. Am 17.06.2019 und am 29.10.2019 wurden die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.
Die Erstbeschwerdeführerin brachte zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass ihre Eltern mit ihrer Eheschließung nicht einverstanden gewesen seien. Sie habe am XXXX geheiratet und sei vier Monate später schwanger geworden, obwohl sie einem anderen Mann versprochen gewesen sei. Ihre Familie, allen voran ihr Bruder, habe sie aus diesem Grund töten wollen. Deswegen habe sie Afghanistan verlassen und habe Angst, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
Der Zweitbeschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen zusammenfassend vor, dass seine Frau für einen älteren Mann gedacht gewesen sei. Seine Schwiegermutter wäre mit einer Eheschließung zwischen ihm und der Erstbeschwerdeführerin einverstanden gewesen, sein Schwiegervater hingegen nicht. Deshalb hätten sie mittels einer Vollmacht schnell geheiratet und die Erstbeschwerdeführerin sei schwanger geworden. Ergänzend gab er an, dass er vor seiner Ausreise aus dem Iran in Mashhad vor einem Geschäft eines Freundes plötzlich dem Bruder seiner Frau begegnet sei. Dieser habe ihn beschimpft und darauf sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Sein Schwager habe auch zweimal versucht, seine Adresse in Mashhad über seine Schwägerin herauszufinden, was ihm jedoch nicht gelungen sei. Aus Angst vor seinem Schwager habe er seine Kinder im letzten Schuljahr nicht mehr in die Schule geschickt.
1.4. Mit Bescheiden vom 06.12.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates stellte die belangte Behörde insbesondere fest, dass das diesbezügliche Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin unsubstantiiert und unschlüssig sei. Der Erstbeschwerdeführerin wurde insbesondere vorgehalten, dass sie selbst ihre vermeintlichen Widersacher 16 Jahre seit ihrer Ausreise aus Afghanistan in den Iran nicht mehr getroffen oder gesehen hätte und auch keine fortfolgenden Kontakte in der Zwischenzeit behauptet worden seien. Die Erstbeschwerdeführerin habe sogar zu Protokoll gegeben, dass sie ihren Bruder, der dreimal in den Iran gereist sei, seither nie mehr begegnet sei. Auch habe sie eine konkrete Bedrohung oder einen Vorfall hinsichtlich ihres Vaters in keinem Stadium des Verfahrens behauptet. Außerdem seien ihre Angaben nicht nachvollziehbar, wonach sie bereits fünf oder sechs Monate vor der Ausreise aus dem Iran, somit im Jänner 2019, den Entschluss zur Flucht nach Europa gefasst hätten und sie von den angeblichen Handgreiflichkeiten ihres Gatten mit ihrem Bruder im April 2019 erst zehn Tage vor ihrer Ausreise im Juni 2019 erfahren habe. Dazu habe der Zweitbeschwerdeführer außerdem nicht nachvollziehbar angegeben, dass er diesen Vorfall der Erstbeschwerdeführerin nicht erzählt habe, um sie nicht zu beunruhigen, obwohl er nach eigenen Angaben aus diesem Grund ihre gemeinsamen Kinder nicht mehr in die iranische Schule gebracht habe. In diesem Zusammenhang hielt die belangte Behörde zudem fest, dass der Zweitbeschwerdeführer bei seiner Erstbefragung noch keinen Vorfall mit seinem Schwager angeführt habe. Deswegen sei die Schilderung des Zweitbeschwerdeführers während seiner Einvernahme vor der belangten Behörde zur fluchtauslösenden Bedrohungssituation durch dessen Schwager gesteigert, verspätet und unglaubhaft. Davon abgesehen sei davon auszugehen, dass bei einer realen Gefahr durch die Familie der Erstbeschwerdeführerin sie nicht erst zweieinhalb Monate nach dem Vorfall vor dem Geschäft des Freundes ausgereist wären. Des Weiteren habe die Erstbeschwerdeführerin bei ihrer polizeilichen Erstbefragung angegeben, dass ihr Bruder im Sommer des vorigen Jahres sie im Iran gefunden habe, während sie vor der belangten Behörde nichts zu konkreten Vorfällen ins Treffen führen habe können. Die verspätete Ausreise erwecke keinesfalls den Anschein, dass die Beschwerdeführer fluchtartig wegen einer angeblichen Bedrohungssituation ausreisen hätten müssen. Aus vorstehenden Gründen ging die belangte Behörde davon aus, dass es sich bei diesem Vorbringen um ein reines Konstrukt handle, das einer realen Grundlage entbehre und lediglich darauf abziele, ihre Position im Asylverfahren zu verbessern.
Da die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin des Dritt- und Viertbeschwerdeführers für diese keine eigenen Fluchtgründe angeführt habe, wurde in den angefochtenen Bescheiden betreffend den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer auf die Verfahren und Entscheidungen der Eltern verwiesen.
Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde ausgeführt, dass aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung im Herkunftsland, angesichts der familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan und des Umstandes, dass es sich beim Zweitbeschwerdeführer um einen arbeitsfähigen Mann mit langjähriger Berufserfahrung als selbständig Erwerbstätiger mit einem eigenen Fliesengeschäft in Herat handle, davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würden.
1.5. Gegen diese Bescheide brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein. Darin wurde zunächst nach Wiedergabe des sozialen Hintergrundes der Beschwerdeführer und der Berichtigung offensichtlicher Fehler in den angefochtenen Bescheiden die Fluchtgeschichte der Beschwerdeführer ausführlich dargelegt und dabei ergänzt, dass der Vater und der Bruder der Erstbeschwerdeführerin dem Vater des Zweitbeschwerdeführers im ehemaligen Fliesengeschäft des Zweitbeschwerdeführers in der Stadt Herat begegnet seien und diesem gedroht hätten, die Erst- und den Zweitbeschwerdeführer zu töten.
In der Beschwerdebegründung wurde ausgeführt, dass die Bescheide wegen inhaltlicher und formeller Rechtswidrigkeit sowie mangelhafter Beweiswürdigung angefochten werden würden. Das einsilbige Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers, welches ihm seitens der belangten Behörde vorgeworfen werde, sei durch die kurze, wenig detailreiche Befragung bedingt gewesen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde liege auch keine Steigerung des Fluchtvorbringens vor, da die Erstbefragung nicht zur Ermittlung der Fluchtgeschichte diene. Weiters sei es völlig belanglos, wie lange die Beschwerdeführer im Iran verweilt hätten, bis sie nach Österreich geflohen seien, da die Bedrohung im Iran nicht derart präsent gewesen sei wie in Afghanistan. Die Einschätzung der belangten Behörde, dass nach so langer Zeit keine Gefahr mehr für die Beschwerdeführer in Afghanistan bestehe, sei auf ein mangelndes Kulturverständnis zurückzuführen. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer asylrelevant sei, da in Afghanistan kein staatlicher Schutz bei Übergriffen gegen Frauen, welche sich gegen eine Zwangsehe wehren würden, vorhanden sei. Im Übrigen sei zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen, da der Viertbeschwerdeführer erst elf Jahre alt sei und eine Neuansiedelung in Afghanistan nach den aktuellen UNHCR-Richtlinien für Familien mit jungen Kindern nicht zumutbar sei.
1.6. Die gegenständliche (gemeinsame) Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 18.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Schreiben vom 22.06.2020 wurden die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.07.2020 geladen.
Am 07.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari mit den beschwerdeführenden Parteien und deren Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführenden Parteien im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind Schiiten. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer.
1.2. Zur Person der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise aus Afghanistan:
Die Erstbeschwerdeführerin ist in der Stadt Herat in Afghanistan geboren sowie aufgewachsen. Sie ist überwiegend daheim unterrichtet worden, hat sodann zwei Jahre lang die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Nach ihrer Heirat im Jahr 2003 ist sie mit ihrem Ehemann nach Mashhad, in den Iran gezogen, wo sie 16 Jahre gelebt hat. Sie ist weder in Afghanistan noch im Iran einer Beschäftigung nachgegangen.
Der Zweitbeschwerdeführer ist ebenfalls in der Stadt Herat geboren und aufgewachsen, hat dort zwölf Jahre die Schule besucht und danach ein Fliesengeschäft betrieben. Nach seiner Heirat und Ausreise in den Iran hat er dort in einem Geschäft für Männerbekleidung gearbeitet.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben am XXXX in Afghanistan muslimisch-traditionell geheiratet. Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer sind im Iran geboren.
Die Eltern, fünf Brüder und drei Schwestern der Erstbeschwerdeführerin leben in der Stadt Herat. Sie hat eine weitere Schwester, die in Mashhad wohnt und zu welcher sie im Iran in Kontakt gestanden ist. Seit einem Jahr hat die Erstbeschwerdeführerin keinen Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen. Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers leben in Mashhad. Während ein Bruder und eine Schwester auch in Mashhad leben, hat der Zweitbeschwerdeführer einen weiteren Bruder in Europa, wobei er dessen genauen Aufenthalt nicht kennt, sowie zwei Schwestern in Wien. Er verfügt außerdem mütterlicherseits über zwei Onkel und eine Tante, die im Iran leben. Er steht mit seinen Eltern und Geschwistern in telefonischem Kontakt. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers ist Eigentümer eines vermieteten Textilgeschäftes und eines Hauses in der Stadt Herat, er reist regelmäßig nach Herat, um die Mieteinnahmen abzuholen.
Die Beschwerdeführer sind gesund.
1.3. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Beschwerdeführer befinden sich seit ihrer Antragstellung im Juni 2019 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführer beziehen seither regelmäßig Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.
Die Erstbeschwerdeführerin kümmert sich um ihre Kinder und besucht zweimal in der Woche einen Deutschkurs. In ihrer Freizeit verbringt sie viel Zeit mit Freunden, mit denen sie sich oft trifft, einkaufen geht oder Rad fährt. Neben den erwähnten Freundschaften ist die Erstbeschwerdeführerin kein Mitglied von Vereinen. Die Erstbeschwerdeführerin spricht kein Deutsch und verfügt über kein Deutschzertifikat. Der Zweitbeschwerdeführer kann sich auf elementarer Basis auf Deutsch verständigen. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer waren in Österreich bisher nicht erwerbstätig und haben auch keine gemeinnützigen Aufgaben übernommen.
Die Erstbeschwerdeführerin hat bisher keine Unternehmungen gesetzt, um ihren Wunsch nach einer Berufstätigkeit als Apothekerin bzw. Mitarbeiterin in einem Labor umzusetzen. Sie ist wenig kontakt- und kommunikationsfreudig.
Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer besuchen in Österreich jeweils eine Schule.
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.4. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer stellten am 08.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihren Antrag auf internationalen Schutz begru?nden die Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass ihnen bei einer Rückkehr Verfolgung durch die Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin, insbesondere ihren Vater und ihren Bruder, aufgrund ehrverletzenden Verhaltens in Form ihrer heimlichen Verehelichung drohen würde. Abgesehen davon, dass das Vorbringen zum fluchtauslo?senden Ereignis nicht glaubhaft ist, wa?re es nicht geeignet, eine asylrelevante Bedrohung bzw. Verfolgung aufzuzeigen.
Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise in Österreich eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt und eine "westliche Lebensführung" angenommen hat. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Die Erstbeschwerdeführerin wäre im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.
Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt sind oder eine solche, im Falle ihrer Rückkehr, zu befürchten hätten.
Die Beschwerdeführer konnten nicht glaubhaft machen, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund ihrer individuellen Situation im Zusammenhang mit der Lage in ihrer Herkunftsregion ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK) droht.
1.5. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:
Eine Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimatprovinz Herat ist möglich und zumutbar. Die Beschwerdeführer können Herat sicher mit dem Flugzeug von Österreich erreichen.
Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind in der Stadt Herat geboren und aufgewachsen. Sie haben dort den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht und sind nach ihrer Heirat in den Iran gezogen, wo sie sich 16 Jahre aufgehalten haben. Die beiden Beschwerdeführer haben ihre Sozialisation daher in Afghanistan und im Iran, also in islamisch geprägten Ländern erfahren. Der Zweitbeschwerdeführer hat dort zunächst seinen und in der Folge im Iran auch den Lebensunterhalt seiner Familie erfolgreich bestreiten können. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind gesund und haben noch familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, da die Familie der Erstbeschwerdeführerin nach wie vor in der Stadt Herat aufhältig ist. Da der Zweitbeschwerdeführer langjährige Berufserfahrungen im Verkauf vorweisen kann und sein Vater immer noch über ein Textilgeschäft und ein Haus in seiner Heimatregion verfügt, scheint ihre finanzielle Situation daher gesichert zu sein. Dazu ist zu bemerken, dass der Erstbeschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Iran als Alleinverdiener immerhin eine Familie gründen konnte und sich auch so viel ersparen konnte, dass er die hohen Kosten seiner Ausreise, immerhin € 33.000,- zum größten Teil daraus bestreiten konnte.
Es ist somit kein Grund ersichtlich, warum eine Wiederansiedlung in ihrer Heimat nicht möglich sein sollte. Insbesondere sind auch ihre zwei Kinder, die derzeit 15 und 11 Jahre alt sind, gesund und ist kein Grund ersichtlich, warum sie nicht gemeinsam mit ihren Eltern in der Stadt Herat leben könnten. Den Beschwerdeführer wäre daher der (Wieder-)Aufbau einer Existenzgrundlage in Herat möglich, zumal sie dort familiären Anschluss haben. Die Beschwerdeführer hätten zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
Insbesondere wurden auch keine Faktoren glaubhaft gemacht und haben sich solche auch sonst im Verfahren nicht ergeben, die eine Gefahrenverdichtung in den Personen der Dritt- und Viertbeschwerdeführer aufgrund ihrer Minderjährigkeit darstellen. Es besteht für sie aufgrund ihrer Minderjährigkeit insbesondere keine erhöhte Gefahr, zivile Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Es ergaben sich im Hinblick auf die familiäre Situation auch keine Hinweise, dass die minderjährigen Kinder der beiden Beschwerdeführer Gefahr laufen würden, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.
Eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Erkrankung verläuft bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei rund 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe – und nahezu alle Todesfälle - treten vorrangig in den Risikogruppen der älteren Personen (ab 65 Jahren) und der Personen mit physischen Vorerkrankungen (insbesondere Herz- und Lungenkrankheiten, Krebs oder deutlich reduzierter Immunabwehr) auf. Für junge und körperlich gesunde Menschen ist bereits das Risiko eines schweren Verlaufs minimal. Die Mortalitätsrate im Erkrankungsfall liegt für Personen in der Altersstaffel der Beschwerdeführer (nach Erhebungen in Italien, Spanien, Südkorea und den Niederlanden) bei rund 0,1%. Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer gehören keiner Risikogruppe im Zusammenhang mit CoVid-19 an. Die CoVid-19-Pandemie stellt für sie kein „real risk“ im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat dar.
1.6. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in AFGHANISTAN zur Kenntnis gebracht und im Folgenden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 21.07.2020:
Allgemeines:
Zur Herkunftsprovinz der Beschwerdeführer:
Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 09.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.06.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 03.07.2015; vgl. PAJ 01.03.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019 – 20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 03.02.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.06.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 05.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.09.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.03.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.05.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.06.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu, und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.06.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.06.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.01.2017; vgl. RUSI 16.03.2016; SAS 02.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 02.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.06.2019).
2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 03.08.2017; Reuters 25.03.2018).
Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 02.01.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
[...] Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.02.2019).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.06.2019; vgl. KP 28.09.2019, KP 29.06.2019, KP 17.06.2019, 21.05.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.06.2019; vgl. AN 23.06.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.06.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 07.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.04.2018; VoA 13.04.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.01.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 08.09.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 09.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 02.06.2019; vgl. PAJ 13.06.2019), und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.07.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 05.07.2019; vgl. PAJ 30.06.2019) wie z.B. in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.06.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
IDPs – Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. – 31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum vom 01.01. – 30.06.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum vom 01.01. – 31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. – 30.06.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.08.2019).“
Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat – u.a. zur Sicherheitslage – können der Analyse der Staatendokumentation „Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat“ vom 13.06.2019 entnommen werden (BFA 13.06.2019).
Frauen
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen – eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).
Bildung
Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).
In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children‘s Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet – damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).
Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab – derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben – darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).
Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit
16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).
Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“ (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).
Berufstätigkeit
Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o.D.).
Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).
Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WB 28.8.2017).
Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).
Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird – in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sindkeine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation; vgl. AKDN 26.7.2017). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die – ausschließlich von Frauen betrieben – hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).
Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show „Afghan Star“ zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).
Politische Partizipation und Öffentlichkeit
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).
Zusammenfassung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017 sowie European Asylum Support Office, Individuals targeted under social and legal norms, Pkt. 3.2.:
Kleidungsvorschriften
Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten.
Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 Afghaninnen und Afghanen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessenste Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Paschtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten.
Auch Frauen in Kabul kleiden sich traditionell oder bescheiden (engl. "modestly") zur Vermeidung von Belästigungen.
Bewegungsfreiheit
Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar und Kabul.
Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten
Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.
Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Beschwerdeführern, zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise aus Afghanistan:
Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer sowie zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und im Iran sowie zu ihrer Ausreise aus Afghanistan bzw. dem Iran ergeben sich aus deren glaubhaften und im Wesentlichen gleichlautenden Angaben im Rahmen des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens.
Die Angaben der Beschwerdeführer zu ihren persönlichen Verhältnissen, ihrem Geburtsort, ihrem schulischen sowie beruflichen Werdegang, ihrer Ausreise aus Afghanistan bzw. dem Iran, ihrem Gesundheitszustand, ihren Familienangehörigen und deren Aufenthalt sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der in Afghanistan bestehenden sozioökonomischen Strukturen sowie der Länderfeststellungen plausibel. Die von den Beschwerdeführern hierzu getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei.
2.2. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Feststellung zu den Bezugszeiten von Leistungen aus der Grundversorgung ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Leben und der Integration der Beschwerdeführer in Österreich folgen aus ihren dahingehend glaubhaften Angaben sowie den vorgelegten Unterlagen. Insbesondere folgen die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers aus den von ihnen dahingehend vorgelegten Unterlagen sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer beruht auf den eingeholten Strafregisterauszügen.
2.3. Soweit das von den Beschwerdeführern behauptete Fluchtvorbringen sowie eine Verfolgungsgefahr der Erstbeschwerdeführerin aufgrund einer angenommenen westlichen Lebensführung nicht festgestellt werden konnte (Pkt. II.1.4.), ist Folgendes festzuhalten:
2.3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 56/2018, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs. 1 letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt (mit Hilfe so genannter „parater“ Bescheinigungsmittel) zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.05.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht.
1. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).
2. Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
3. In diesem Zusammenhang ist der Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, 9, (Statusrichtlinie), maßgeblich:
„Artikel 4
Prüfung der Tatsachen und Umstände (1) – (4) […]
(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn
a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;
b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;
c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;
d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und
e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“
2.3.2. Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist v.a. auf folgende Kriterien abzustellen: Zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
Im vorliegenden Verfahren haben die Beschwerdeführer nach ihrer Erstbefragung in einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Gelegenheit gehabt, ihre Fluchtgründe umfassend darzulegen. Der aufgrund dieser Befragungen festgestellte Sachverhalt und die Beweiswürdigung finden ihren Niederschlag in den angefochtenen Bescheiden. In Anbetracht des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie angesichts der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, hat dieses auch keine Bedenken gegen die (in der Bescheidbegründung zum Ausdruck kommende) Annahme der belangten Behörde, dass den Beschwerdeführern in ihrem Herkunftsstaat keine gezielte konkrete Verfolgung droht.
2.3.3. Die von der Erst- und dem Zweitbeschwerdeführer behaupteten Bedrohungen bzw. Verfolgungsgefährdungen durch den Vater und den Bruder der Erstbeschwerdeführerin konnten letztlich nicht festgestellt werden. Den Beschwerdeführern war es im gesamten Verfahren nämlich nicht möglich, konkrete Erlebnisse oder Erfahrungen, welche ihre Ängste überzeugend untermauern, nachvollziehbar und glaubhaft zu schildern. Sie haben insgesamt von keinem einzigen Vorfall in ihrer Heimat berichtet, welcher ihre dahingehenden Befürchtungen glaubwürdig stützen und eine Bedrohung für sie oder ihre Kinder tatsächlich nahelegen würde.
Zunächst lässt sich festhalten, dass die Beschwerdeführer ihre Heimatstadt im Frühjahr 2004 zum (islamischen) Neujahrsfest, somit ein deriviertel Jahr nach ihrer angeblich heimlichen Hochzeit am XXXX verlassen haben und anschließend 16 Jahre lang unbehelligt im Iran gelebt hätten, ohne dass es während dieser langen Zeitspanne zu irgendwelchen erwähnenswerten Vorfällen gekommen sei. Gerade unmittelbar nach Ereignissen oder Umständen, die geeignet sind, Unmut oder Empörung auszulösen, wäre aber eigentlich damit zu rechnen (gewesen), dass allfällige Verfolger, insbesondere im ersten Übereifer, ihrem Unmut bzw. ihrer Erregung Luft machen und unüberlegte Handlungen setzen. Dazu ist es im konkreten Fall aber nicht gekommen, obwohl der Familie der Erstbeschwerdeführerin der Aufenthaltsort der Beschwerdeführer bekannt gewesen sein muss. Vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführer nach eigenen Angaben im Iran in einer Entfernung von lediglich 20 Minuten Fahrtzeit von der Wohnung der Schwester der Erstbeschwerdeführerin gewohnt hat und diese sowohl mit den Beschwerdeführern als auch mit der restlichen Familie, von der die Bedrohung für die Beschwerdeführer ausgehen soll, in Kontakt gestanden ist, entspricht es nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht der allgemeinen Erfahrung und erscheint es unglaubhaft, wenn die Beschwerdeführer vermeinen, dass die Familie der Erstbeschwerdeführerin sie trotz intensiver Suche sie nicht ausfindig machen hätte können. Die Beschwerdeführer konnten weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren einen plausiblen Grund für die auffällig lange Zeitspanne zwischen ihrer Heirat und ihrer Flucht nach Europa nennen. Daher ist den diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde, wonach die verspätete Ausreise