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E2D Assoziierung TürkeiNorm
ARB1/80 Art6 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des V F, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/9, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 5. Mai 2020, VGW-151/085/15684/2019-9, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte vom 12. März 2011 bis 3. August 2017 über Aufenthaltsbewilligungen „Student“. Ein Zweckänderungsantrag des Revisionswerbers vom 12. August 2016 wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 11. Oktober 2018 rechtskräftig abgewiesen. Ein - als Erstantrag gewerteter - Antrag auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltsbewilligung „Student“ vom 16. November 2018 wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. April 2019 rechtskräftig abgewiesen.
2 Am 28. Juni 2019 stellte der Revisonswerber den gegenständlichen (Erst)Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Oktober 2019 betreffend den Antrag vom 28. Juni 2019 ab. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
4 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber seit 6. Februar 2015 durchgehend bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sei. In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, der Revisionswerber erfülle die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80). Damit stehe ihm ein unmittelbar auf dem ARB 1/80 beruhendes Aufenthaltsrecht zu, welches durch die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) dokumentiert worden sei. Dadurch habe der Revisionswerber allerdings nicht die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ erfüllt.
5 Die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob türkische Staatsangehörige, die unter Art. 6 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 fielen, als niedergelassen im Sinn des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 NAG gälten und daher die Zeiten einer der Niederlassung vorangehenden Aufenthaltsbewilligung „Student“ zur Hälfte gemäß § 45 Abs. 2 NAG auf die Fünfjahresfrist des § 45 Abs. 1 NAG anzurechnen seien.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
7 Die Revision ist entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Ausspruch des Verwaltungsgerichtes im Hinblick auf das zwischenzeitig ergangene hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2020, Ro 2020/22/0004, nicht zulässig (vgl. zum nachträglichen Wegfall einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch für ordentliche Revisionen etwa VwGH 12.9.2016, Ro 2015/12/0024, mwN).
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis Ro 2020/22/0004, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der sein Aufenthaltsrecht direkt aus Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 ableitet - wie im vorliegenden Fall der Revisionswerber -, angesichts des uneingeschränkten Rechts auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung und des davon abgeleiteten Aufenthaltsrechts nicht daran gehindert ist, langfristig in Österreich ansässig zu sein. Er ist - im Unterschied zu einem aus Art. 6 Abs. 1 erster oder zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrecht - nicht an denselben Arbeitgeber oder den gleichen Beruf gebunden. Daraus ergibt sich, dass der Revisionswerber mit Erfüllen der Voraussetzungen des dritten Spiegelstriches des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 als niedergelassen im Sinn des § 2 Abs. 2 NAG anzusehen ist.
9 Der Revisionswerber erfüllt aufgrund seiner durchgehenden beruflichen Tätigkeit ab 6. Februar 2015 seit 6. Februar 2019 die Voraussetzungen des dritten Spiegelstriches des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (Zustellung am 7. Mai 2020) war er somit ein Jahr und drei Monate als niedergelassen anzusehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall für eine etwaige Anrechnung der Studienzeiten des Revisionswerbers die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 erster Satz NAG, wonach lediglich die Zeit eines „unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthalts“ im Bundesgebiet auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (ua. als Student) zur Hälfte anzurechnen wäre, erfüllt ist. Ungeachtet dessen ergäbe nämlich selbst die Anrechnung einer Dauer von etwa sechs Jahren und fünf Monaten zur Hälfte und unter Hinzurechnung der aus Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 ableitbaren Zeit der Niederlassung von einem Jahr und drei Monaten eine Gesamtdauer von etwas weniger als viereinhalb Jahren, die gemäß § 45 Abs. 1 erster Satz NAG zu berücksichtigen wäre. Auch diese zu berücksichtigende Gesamtaufenthaltsdauer erfüllt jedoch nicht die Erteilungsvoraussetzung einer fünfjährigen ununterbrochenen Niederlassung. Das Verwaltungsgericht versagte somit zutreffend die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ an den Revisionswerber.
10 Da im vorliegenden Fall ohnehin vom Bestehen der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zum regulären Arbeitsmarkt ausgegangen wird, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, dem EuGH - wie vom Revisionswerber angeregt - die in der Revision angeführten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
11 Soweit der Revisionswerber eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend macht, legt er - vor dem angeführten und für die Entscheidung relevanten Sachverhalt - nicht dar, warum die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gesetzlich geboten gewesen wäre (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160).
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 9. September 2020
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020220009.J00Im RIS seit
10.11.2020Zuletzt aktualisiert am
10.11.2020