Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, über die Revision des W M in A, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019, W257 2203258-1/3E, betreffend Leistungsabgeltung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Amt der Buchhaltungsagentur), zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der Beschluss, mit dem die Beschwerde „wegen Verletzung der Entscheidungspflicht mangels Abspruch über den Antrag vom 03.02.2017“ zurückgewiesen wurde (Spruchpunkt I. A. der angefochtenen Entscheidung), wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
II. Das Erkenntnis, mit dem die „Beschwerde gegen den Bescheid des Amtes der Buchhaltungsagentur vom 07.06.2017“ als unbegründet abgewiesen wurde (Spruchpunkt II. A. der angefochtenen Entscheidung), wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.
III. Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist in der Buchhaltungsagentur des Bundes tätig.
2 Mit Spruchpunkt 2) des Bescheides vom 9. April 2015 stellte das Amt der Buchhaltungsagentur (im Folgenden: vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) fest, „dass [dem Revisionswerber] keine Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2014 gewährt werde, da [seine] Vorgesetzten im Beurteilungszeitraum die geltenden Kriterien beurteilt haben und der ermittelte Prozentsatz zu dem Ergebnis geführt hat, dass [dem Revisionsweber] nach den geltenden Regelungen keine Leistungsabgeltung für den genannten Zeitraum ausgezahlt werden konnte“.
3 Mit Schreiben vom 1. Februar 2017 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Auszahlung einer „Leistungsabgeltung“ für den Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2015; in eventu auf bescheidmäßige Feststellung, „ob die Nichtauszahlung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2015 rechtmäßig ist oder nicht“.
4 Dieses Schreiben beantwortete die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit einer mit 7. Juni 2017 datierten Erledigung folgenden Inhalts:
„[Briefkopf lautend auf ‚Amt der Buchhaltungsagentur des Bundes‘, Adressfeld und Datum]
Betreff: Leistungsabgeltung
Ihr Zeichen: [...]
Sehr geehrter Herr Amtsdirektor!
Über Ihren Antrag auf Gewährung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2014 wurde bereits mit Erledigung vom 9. April 2015 (GZ: [...]) befunden.
Zum Betrachtungszeitraum 1. Oktober 2014 bis 30. September 2015 ist [F]olgendes auszuführen: Wie in den internen Richtlinien der BHAG zur Leistungsabgeltung dargelegt, können grundsätzlich alle Mitarbeiter in den Genuss einer Leistungsabgeltung kommen, sofern kein Ausschließungsgrund zutrifft (Karenzen oä). Der/Die jeweilige Vorgesetzte beurteilt anhand der Kriterien
- Arbeitsqualität/Professionalität/Fachwissen
- Dienstleitungsorientierung/Kundenorientierung
- Einsatzbereitschaft/Flexibilität
- Persönlichkeit/Kommunikationsverhalten
- die Leistung des jeweiligen Mitarbeiters im betreffenden Zeitraum.
Eine diesbezügliche Auszahlung erfolgt ab 50,0 % Bewertungserfolg. Im gegenständlichen Zeitraum erhielten Sie durch Ihren Abteilungsleiter eine Gesamtbewertung iHv 45 %, wonach es zu keiner Auszahlung kommen kann.
Da Ihre Beurteilung im darauffolgenden Zeitraum 52,5 % betrug, erhielten Sie eine Zuwendung von EUR 765,66.
Nach ständiger Rechtsprechung des [Verwaltungsgerichtshofes] ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides nur dann zulässig, wenn sie entweder im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, die Erlassung eines solchen Bescheides aber im öffentlichen Interesse liegt oder sie im Interesse einer Partei liegt, als sie für diese Partei ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellt. Dieses rechtliche Interesse ist nur dann gegeben, wenn dem Feststellungsbescheid im konkreten Fall die Eignung zukommt, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch eine Rechtsgefährdung des Antragstellers zu beseitigen. Ein wirtschaftliches, politisches oder wissenschaftliches Interesse rechtfertigt nicht die Erlassung eines Feststellungsbescheides.
Ein Feststellungsbescheid kommt somit nicht in Betracht, da gegenständlich das wirtschaftliche Interesse überwiegt.
Mit freundlichen Grüßen
[Stempel lautend auf ‚Buchhaltungsagentur des Bundes, Abteilung Personal‘, Unterschrift, Name und Funktion (‚Amtsleiter‘) des Genehmigenden]“.
5 Mit Eingabe vom 21. Juni 2017 teilte der Revisionswerber daraufhin mit, dass er seinen Standpunkt aufrecht erhalte und geltend mache, dass er „insbesondere aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes [s]einen Kollegen gegenüber“ Anspruch auf einen Feststellungsbescheid habe und nicht nur „wirtschaftliche Interessen“ bestünden. Des Weiteren sei mit dem Schreiben vom 9. April 2015 nur „eine Begründung mitgeteilt“, nicht aber über die „Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise abgesprochen“ worden. Er halte daher seinen Antrag aufrecht und modifiziere diesen dahingehend, dass er nunmehr beantrage, „die Leistungsabgeltung von Oktober 2013 bis September 2015 auszubezahlen, in eventu bescheidmäßig (feststellend) darüber abzusprechen, ob die Nichtgewährung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2015 rechtmäßig war oder nicht“.
6 Mit Eingabe vom 19. Juli 2018 erhob der Revisionswerber Säumnisbeschwerde und machte geltend, die belangte Behörde habe seinen Antrag vom 1. Februar 2017 unerledigt gelassen und dadurch ihre Entscheidungspflicht verletzt.
7 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde legte diese Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht mit folgendem Schreiben vom 30. Juli 2018 zur Entscheidung vor:
„[Briefkopf, Adressfelder, Datum und Geschäftszahl]
Übermittlung der Säumnisbeschwerde vom 19. Juli 2018
ADir [...] gegen das Amt der Buchhaltungsagentur des Bundes
Sehr geehrte Damen und Herren!
In der Anlage übermittelt das Amt der Buchhaltungsagentur des Bundes (BHAG) die Säumnisbeschwerde von Herrn ADir [...]zur Entscheidung. Die Chronologie des bisherigen Verfahrens war wie folgt:
1. Bescheid der BHAG vom 9. April 2015 (aufgrund des Antrags vom 15. Jänner 2015), in dem in Punkt 2 über die Nichtgewährung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2014 abgesprochen wurde - in Rechtskraft erwachsen (Anlage 1).
2. Antrag ADir [...] vom 1. Februar 2017 auf Auszahlung bzw bescheidmäßige Absprache betreffend Auszahlung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2015 (Anlage 2)
3. Ablehnende Erledigung der BHAG vom 7. Juni 2017 (Anlage 3)
4. Stellungnahme ADir [...] vom 21. Juni 2017 (Anlage 4)
5. Säumnisbeschwerde ADir [...] vom 19. Juli 2018 (Anlage 5)
6. Schreiben des Geschäftsführers/Amtsleiters der Jahre 2014 und 2015 zur Leistungsabgeltung mit Widerrufs- und Vorbehaltsklausel (Anlagen 6 u. 7).
Wie in den internen Richtlinien der Buchhaltungsagentur (nicht kundgemacht im BGBl) zur Leistungsabgeltung dargelegt, können grundsätzlich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Buchhaltungsagentur in den Genuss einer Leistungsabgeltung kommen, sofern kein Ausschließungsgrund zutrifft (Karenzen oä).
Der/Die jeweilige Vorgesetzte beurteilt anhand der Kriterien
- Arbeitsqualität/Professionalität/Fachwissen
- Dienstleitungsorientierung/Kundenorientierung
- Einsatzbereitschaft/Flexibilität
- Persönlichkeit/Kommunikationsverhalten
die Leistung des jeweiligen Mitarbeiters im betreffenden Zeitraum. Eine diesbezügliche Auszahlung erfolgt ab 50 % Bewertungserfolg.
Ein Anspruch auf Gewährung einer Leistungsabgeltung besteht nicht, vgl Belohnung § 19 GehG.
Mit freundlichen Grüßen [...]“
8 Mit (dem in Beschlussform gekleideten) Spruchpunkt I. A) der angefochtenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers „wegen Verletzung der Entscheidungspflicht mangels Abspruch über den Antrag vom 03.02.2017 [gemeint: vom 1. Februar 2017]“zurück und begründete dies zusammengefasst damit, dass die Säumnisbeschwerde unzulässig sei, weil die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde über den Antrag vom 3. (gemeint: 1.) Februar 2017 bereits mit Bescheid vom 7. Juni 2017 abgesprochen habe, sodass keine Säumnis der Behörde vorliege. Mit dem weiteren (in Erkenntnisform ergangenen) Spruchpunkt II. A) wies das Bundesverwaltungsgericht „die Beschwerde [des Revisionswerbers] ... gegen den Bescheid des Amtes der Buchhaltungsagentur vom 07.06.2017“ mit näherer Begründung ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils für unzulässig.
9 Die diesen Spruchpunkten zugrunde liegende Auffassung, dass die Erledigung der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 7. Juni 2017 als Bescheid zu qualifizieren sei, begründete das Bundesverwaltungsgericht mit folgenden Überlegungen:
10 Für die Qualifikation einer Erledigung als Bescheid seien nicht primär formelle, sondern inhaltliche Kriterien maßgeblich. Daher könne auch (relativ) formlos ergangenen Erledigungen Bescheidcharakter zukommen, sofern ihre Bescheidqualität noch erkennbar sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien wesentliche Merkmale eines Bescheides „die Bezeichnung der Behörde, der normative Spruch, der Name des Genehmigenden, die Unterschrift des Genehmigenden, die Ermächtigung der genehmigenden Person sowie die Bezeichnung des Adressaten“. Dabei handle es sich um konstitutive Bescheidmerkmale, ohne deren Vorliegen von absoluter Nichtigkeit auszugehen sei. Gemäß § 58 Abs. 1 AVG habe jeder Bescheid den Spruch zu enthalten, welcher den zentralen Teil des Bescheides darstelle, in dem die normative Erledigung getroffen werde. Dieses Erfordernis sei nicht streng formal auszulegen; vielmehr sei der normative Abspruch auch aus der Formulierung erschließbar, doch müsse sich der Wille der Behörde, in einer Verwaltungssache hoheitlich abzusprechen, eindeutig aus der Erledigung ergeben. Aus der Erledigung müsse der objektiv erkennbare Wille der Behörde hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen. Auch formlose Schreiben könnten Bescheide sein.
11 Der normative Charakter einer Erledigung setze nicht voraus, dass sie von der Behörde selbst als rechtsverbindlicher Abspruch gedeutet werde bzw. nach ihrem Willen vom Adressaten oder den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts als solcher zu deuten sei, vielmehr genüge es, dass der Erledigung insgesamt bei objektiver Betrachtung ein normativer Wille entnommen werden könne, sie also auf eine Rechtsgestaltung oder -feststellung gerichtet sei. Enthalte eine Erledigung eindeutig einen normativen Abspruch, so sei das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung sowie der Gliederung der Erledigung nach Spruch und Begründung für deren Bescheidcharakter nicht entscheidend.
12 Im vorliegenden Fall habe der Revisionswerber am 3. (gemeint: 1.) Februar 2017 einen Antrag auf Auszahlung einer Leistungsabgeltung von Oktober 2013 bis September 2015, in eventu die bescheidmäßige Feststellung, ob die Nichtauszahlung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2015 rechtmäßig sei oder nicht, beantragt. Sowohl der erste Satz der Begründung der Erledigung vom 7. Juni 2017, wonach „über [den] Antrag auf Gewährung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2014 bereits mit Erledigung vom 09.04.2015 (GZ: ...) befunden“ worden sei, als auch die folgenden Ausführungen zur Nichtauszahlung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015, wonach es in diesem Zeitraum „zu keiner Auszahlung kommen“ könne, deuteten auf beabsichtigte normative Aussagen hin. Die „beiden Spruchpunkte“ seien „insofern normativ“, als die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde „einerseits den Antrag des [Revisionswerbers] zurückgewiesen“ habe und andererseits „rechtsgestaltend“ ausgeführt habe, dass eine Auszahlung der Leistungsabgeltung für den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 nicht erfolgen könne.
13 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde habe zwar in ihrer Erledigung vom 7. Juni 2017 festgehalten, keinen Feststellungsbescheid erlassen zu wollen, weil die Erlassung eines Feststellungsbescheides im Interesse der Partei als notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nur dann zu erfolgen habe, wenn ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch eine Rechtsgefährdung des Antragstellers zu beseitigen sei, während im vorliegenden Fall das wirtschaftliche Interesse überwiege. Diesen Ausführungen sei jedoch entgegenzuhalten, dass auch die Verneinung des Bescheidwillens durch die Behörde in einer Erledigung dieser die Bescheidqualität dann nicht nehme, wenn sie „nach ihrem (sonstigen) Inhalt in gesetzeskonformer Interpretation“ eindeutig „als verbindliche Entscheidung (insbesondere als abschließende Erledigung eines Antrags) zu werten“ sei (Hinweis auf VwGH 16.5.2001, 2001/08/0046), der mangelnde Bescheidwille also nur „vorgeschützt“ werde (Hinweise auf VfSlg. 5178/1965 und 4981/1965).
14 Das Schreiben der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde könne nicht anders verstanden werden, als dass damit dem Antrag des Revisionswerbers vom 3. (gemeint: 1.) Februar 2017 auf Auszahlung einer Leistungsabgeltung von Oktober 2013 bis September 2015 keine Folge gegeben werde. Dass die belangte Behörde mit der Erledigung einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt und eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts normativ entschieden habe, zeige überdies deren „Schriftsatz vom 30.07.2018“ (gemeint: das Schreiben, mit dem dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde vorgelegt wurde), in dem dessen Anlage 3 (Erledigung vom 7. Juni 2017) als „ablehnende Erledigung der BHAG“ bezeichnet sei. In der Erledigung vom 7. Juni 2017 könne daher der Wille der Behörde erblickt werden, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen. Vor diesem Hintergrund schade es daher weder, dass die Erledigung nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet worden sei, noch, dass Rechtsmittelbelehrung sowie Gliederung in Spruch und Begründung fehlten, zumal festzuhalten sei, dass die Erledigung sehr wohl eine Begründung enthalte.
15 Da auch die anderen „notwendigen Bescheidmerkmale“ wie die Bezeichnung der Behörde, der Name und die Unterschrift des Genehmigenden und somit alle konstitutiven Bescheidmerkmale vorlägen, komme der Erledigung vom 7. Juni 2017 Bescheidcharakter zu.
16 Gegen den Beschluss und das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende Revision, die ihre Zulässigkeit damit begründet, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Kriterien der Bescheidqualität behördlicher Erledigungen abgewichen sei (Hinweise auf VwGH 21.12.2012, 2012/17/0473, und 25.2.2016, Ra 2016/19/0007).
17 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung mit näheren Ausführungen verteidigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die außerordentliche Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
18 Die Frage, ob eine nicht als Bescheid bezeichnete Erledigung auf Grund ihres konkreten Erscheinungsbildes, insbesondere ihres konkreten Aufbaues und ihrer konkreten sprachlichen Fassung als Bescheid zu beurteilen ist, stellt eine einzelfallbezogene Auslegungsfrage dar und ist daher im Regelfall nicht revisibel (vgl. VwGH 1.9.2015, Ra 2015/03/0060; 7.10.2016, Ra 2016/08/0147; 21.12.2016, Ra 2016/12/0103, 0111, 0113; 13.9.2017, Ra 2017/12/0062; 30.1.2019; Ra 2019/12/0003-0004). Anderes gilt nach dieser Rechtsprechung aber dann, wenn das vom Verwaltungsgericht erzielte Auslegungsergebnis vor dem Hintergrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unvertretbar ist. Dies ist hier aus folgenden Erwägungen der Fall:
19 Die Auffassung, der Erledigung vom 7. Juni 2017 komme Bescheidqualität zu, stützte das Bundesverwaltungsgericht auf Literaturstellen zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung für den Bescheidcharakter einer behördlichen Erledigung ebenso wenig entscheidend sei wie eine mangelnde Gliederung dieser Erledigung nach Spruch und Begründung.
20 Das Bundesverwaltungsgericht wich dabei jedoch von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es unbeachtet ließ, dass nach dieser Rechtsprechung die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid ... für das Vorliegen eines Bescheides „nur dann“ nicht wesentlich ist, „wenn der Inhalt einer behördlichen Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass die Behörde die Rechtsform des Bescheides gewählt hat“ (VwGH 21.11.2013, 2011/11/0185; 5.9.2008, 2007/12/0161; 25.2.2016, Ra 2016/19/0007, jeweils mwN), wenn sich also „aus der Erledigung eindeutig ergibt, dass die Behörde einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt und normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat“ (vgl. VwGH 26.6.2019, Ro 2018/03/0009, mwN).
21 Das Erfordernis, dass ein Bescheid einen Spruch enthalten muss, ist nicht streng formal auszulegen; vielmehr ist der normative Abspruch auch aus der Formulierung erschließbar, doch muss sich der Wille der Behörde, in einer Verwaltungssache hoheitlich abzusprechen, eindeutig aus der Erledigung ergeben. Aus der Erledigung muss der objektiv erkennbare Wille der Behörde hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen. Auch formlose Schreiben können Bescheide sein (vgl. VwGH 31.1.2000, 99/10/0202; 26.6.2019, Ro 2018/03/0009).
22 Zur Frage des Bescheidcharakters einer nicht als Bescheid bezeichneten Erledigung hat ein verstärkter Senat des Verwaltungsgerichtshofes mit Beschluss vom 15. Dezember 1977, Zlen. 934 und 1223/73, VwSlg. 9458/A, ausgeführt (vgl. in diesem Sinn zB auch VwGH 28.04.2008, 2007/12/0029; 10.11.2010, 2010/12/0042; 17.4.2013, 2012/12/0166; 11.4.2018, Ra 2015/08/0033, 0047, 0048):
„Enthält eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die (Anmerkung: sofern dies auf Grund der späteren Änderung der Rechtslage noch vorgesehen ist) Unterschrift oder auch die Beglaubigung, dann ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung, also in diesem Sinn auch aus der Form der Erledigung, ergeben. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen u.dgl. können nicht als verbindliche Erledigung, also nicht als Spruch im Sinne des § 58 Abs. 1 AVG, gewertet werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon in seiner bisherigen Judikatur den rechtsverbindlichen Inhalt einer behördlichen Erledigung als für die Bescheidqualität der Erledigung wesentlich gewertet und unter dieser Voraussetzung die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nicht als wesentlich angesehen. Ergibt sich aus dem Wortlaut der behördlichen Erledigung, insbesondere aus der Verwendung der Verfahrensgesetze und der Verwaltungsvorschriften für jedermann eindeutig, dass ein rechtsverbindlicher Abspruch vorliegt, dann ist ungeachtet des Fehlens der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid ein solcher als gegeben anzunehmen. Der mit der Bestimmung des § 58 Abs. 1 AVG angestrebte Zweck, nämlich durch die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Betroffenen Klarheit und damit Rechtssicherheit zu schaffen, ist erreicht, wenn die Bestimmung über den Spruch des Bescheides in eindeutiger Form eingehalten und verwirklicht ist.
Die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid ist jedoch nicht in jedem Fall entbehrlich. Verwaltungsbehörden (im organisatorischen Sinn) können auch rechtsgeschäftliche Erklärungen abgeben, wobei aus dem Inhalt der Erklärung noch nicht eindeutig geschlossen werden kann, ob es sich um rechtsgeschäftliche Erklärungen oder um rechtsverbindliche Anordnungen im Bereich des öffentlichen Rechtes handelt. Ferner sind behördliche Erledigungen nicht nur in Bescheidform zu erlassen (vgl. Verfahrensanordnungen, Dienstaufträge oder organisatorische Maßnahmen).
Insbesondere in jenem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung oder einer behördlichen Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen lässt, ist die ausdrückliche Bezeichnung für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell. Nur dann, wenn der Inhalt einer behördlichen Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass die Behörde die Rechtsform des Bescheides gewählt hat, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nach der für sich allein gesehen unabdingbaren Norm des § 58 Abs. 1 AVG für das Vorliegen eines Bescheides nicht wesentlich.“
23 An eine behördliche Erledigung, die nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet ist, muss hinsichtlich der Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab angelegt werden (vgl. VwGH 17.12.2007, 2007/12/0200; 10.11.2010, 2010/12/0042).
24 Die Erledigung vom 7. Juni 2017 ist nicht als Bescheid bezeichnet und nicht in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung gegliedert. Inwiefern das Bundesverwaltungsgericht darin „Spruchpunkte“ erblicken will, ist nicht nachvollziehbar und es ist nicht ersichtlich, dass nach dem strengen Maßstab im Sinne der angeführten Rechtsprechung der Wortlaut der Erledigung und ihre sprachliche Gestaltung, „keinen Zweifel darüber aufkommen lassen“, dass darin der objektiv erkennbare Wille zum Ausdruck kommt, gegenüber dem Revisionsweber eine normative Regelung seiner Verwaltungsangelegenheit zu treffen.
25 Zweifel an seiner Normativität ergeben sich schon aus dem Umstand, dass das Schreiben hinsichtlich des Zeitraums Oktober 2013 bis September 2014 lediglich das Vorhandensein einer bereits erfolgten Erledigung vom 9. April 2015 erwähnt, ohne daraus Konsequenzen für die Behandlung des nunmehr vorliegenden Antrags zu ziehen (wie etwa dessen Unzulässigkeit oder die Unmöglichkeit, darüber einen inhaltlichen Bescheid zu erlassen). Schon mangels darin zum Ausdruck kommender Weigerung, hinsichtlich dieses Zeitraums (neuerlich) einen Bescheid zu erlassen, trifft es daher nicht zu, dass die Behörde - wie es das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf VfSlg. 5178/1965 und 4981/1965 formuliert - „ihren mangelnden Bescheidwillen nur vorgeschützt“ hätte. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich für seine Auffassung auch aus der Formulierung des Schreibens zur Vorlage der Säumnisbeschwerde nichts ableiten, weil die Beurteilung der Bescheidqualität einer behördlichen Erledigung aus dieser selbst und nicht aus späteren Ereignissen zu gewinnen ist (vgl. VwGH 16.10.1989, 89/12/0094).
26 Im Unterschied zum Schreiben vom 7. Juni 2017 handelte es sich bei der darin erwähnten Erledigung vom 9. April 2015 um einen ausdrücklich als Bescheid bezeichneten und nach Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung gegliederten Rechtsakt. Auch dass die Behörde für das vorliegende Schreiben eine Form wählte, die sich von dem Rechtsakt, auf den sie Bezug nimmt, derart unterscheidet, spricht gegen ihren objektiv erkennbaren Willen, das vorliegende Schreiben in die gleiche Rechtsform zu kleiden.
27 Auf seinen bloß informativen Charakter deutet auch, dass das Schreiben den Umstand erwähnt, dass der Revisionswerber für den Zeitraum nach September 2015 („im darauffolgenden Zeitraum“) eine „Zuwendung von EUR 765,66“ erhalten habe, zumal dieser Umstand für eine normative Erledigung des Antrags, auf den es sich bezieht, keine Bedeutung hat, weil dieser auf den Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2015 beschränkt war. Auch die Höflichkeitsfloskeln in der Anrede („Sehr geehrter Herr [...]“) und in der Grußformel („Mit freundlichen Grüßen“) sprechen gegen den eindeutig normativen Charakter der Erledigung (vgl. VwGH 11.10.2006, 2006/12/0055; 11.4.2018, Ra 2015/08/0033, 0047, 0048).
28 Vor dem Hintergrund, dass die Erledigung vom 7. Juni 2017 insofern eine einheitliche Gestalt aufweist, als sie in ihrer Erledigungsart nicht nach Zeiträumen unterscheidet, sondern sich gesamthaft auf den Antrag vom 1. Februar 2017 bezieht, deutet das Vorgesagte insgesamt - sohin auch im Hinblick auf das Antragsbegehren für den (nicht Gegenstand des Bescheides vom 9. April 2015 bildenden) Zeitraum von Oktober 2014 bis September 2015 - darauf, dass nicht (eindeutig) von einem normativen, nicht bloß informativen Charakter des Schreibens auszugehen ist. Für eine bloße Mitteilung spricht auch die Formulierung, wonach es zu keiner Auszahlung kommen „kann“.
29 Dazu kommt Folgendes: Obwohl das Schreiben vom 7. Juni 2017 im Briefkopf den Schriftzug „Amt der Buchhaltungsagentur“ aufweist, schließt es - wenn auch unter Anführung von Name und Funktion des Genehmigenden - mit der Fertigungsklausel „Buchhaltungsagentur des Bundes, Abteilung Personal“. Auch wenn dieser Mangel für sich betrachtet (angesichts der Formulierung „Amt der Buchhaltungsagentur“ im Briefkopf) einer berichtigenden Auslegung einer - in sonstiger Hinsicht zweifelsfrei einer Behörde zuordenbaren und als Bescheid qualifizierbaren - Erledigung nicht entgegenstünde (vgl. zu derartigen Konstellationen VwGH 25.3.2015, Ra 2014/12/0020; 19.5.2020, Ra 2019/14/0317, mwN), deutet dieser bei einer Gesamtschau unter Berücksichtigung auch der bereits erwähnten Punkte gegen einen eindeutig als normativen behördlichen Abspruch erkennbaren Erledigungsinhalt.
30 Aus den gewählten Formulierungen ist daher ein normativer Wille der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde im Schreiben vom 7. Juni 2017 nicht eindeutig erkennbar. Seine Bezeichnung als Bescheid erfolgte nicht. Ihm kommt folglich keine Bescheidqualität zu.
31 Die - auf die gegenteilige Prämisse des Bundesverwaltungsgerichts gestützte - Zurückweisung der Säumnisbeschwerde ist daher mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet (siehe Spruchpunkt I.).
Das Bundesverwaltungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund über die Säumnisbeschwerde des Revisionswerbers abzusprechen haben.
32 Festzuhalten ist, dass sich die auf das Schreiben vom 7. Juni 2017 replizierende Stellungnahme des Revisionswerbers nicht als Beschwerde deuten lässt und den vorgelegten Verwaltungs- und Gerichtsakten auch nicht zu entnehmen ist, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde im Sinne von Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG - sei es durch die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde oder durch jemand anderen (vgl. dazu VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421) - vorgelegt worden ist.
33 Soweit das Bundesverwaltungsgericht die „Beschwerde gegen den Bescheid des Amtes der Buchhaltungsagentur vom 07.06.2017“ als unbegründet abwies, belastete es somit seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit iSd. § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG (siehe Spruchpunkt II.).
34 Die angefochtene Entscheidung war daher im Umfang ihres Spruchpunktes I. A). wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und im Umfang ihres Spruchpunktes II. A) wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
35 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 52 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. September 2020
Schlagworte
Bescheidcharakter Bescheidbegriff Einhaltung der Formvorschriften Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Inhalt des Spruches Allgemein Angewendete Gesetzesbestimmung Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019120033.L00Im RIS seit
02.11.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020