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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §46Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des K S, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020, L508 2172920-2/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, beantragte am 20. Juni 2017 internationalen Schutz, weil er im Iran wegen des Besuches einer christlichen Hauskirche verfolgt werde.
2 Mit Erkenntnis vom 19. März 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 7. September 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Fluchtgründe des Revisionswerbers erachtete es dabei als nicht glaubhaft.
3 Mit Schriftsatz vom 13. März 2020 beantragte der Revisionswerber die Wiederaufnahme des oben angeführten Verfahrens. Darin brachte er unter anderem vor, er habe am 2. März 2020 von seinem Bruder über Whatsapp Ablichtungen zweier an ihn gerichteter Ladungen zur gerichtlichen Einvernahme im Iran (vom 1. November 2017 und vom 21. April 2018) erhalten, die im Zusammenhang mit seinem geltend gemachten Fluchtgrund stünden. Als Grund der Vorlage werde etwa in der Ladung vom 21. April 2018 der Vorwurf von „Propagandaansprache gegen die Religion Islam und Zusammenarbeit mit ungläubigen Gruppen“ genannt. Die neuen Beweismittel seien geeignet, sein Fluchtvorbringen zu bestätigen und ein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG den Wiederaufnahmeantrag gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die beiden Ladungen seien zwar neue Beweismittel, könnten aber nicht zu einem anderen Verfahrensergebnis führen. Die Ladung vom 1. November 2017 sei dem Revisionswerber - aus näher dargestellten Gründen - schon vor rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bekannt gewesen. Dass sie trotzdem nicht beigeschafft und im Verfahren vorgelegt worden sei, müsse dem Revisionswerber als nicht bloß geringfügiges Verschulden zugerechnet werden. Beiden Beweismitteln (Ladungen) mangle es an der abstrakten Eignung, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG sich in seinem Erkenntnis vom 19. März 2018 beweiswürdigend gestützt habe, zumal es in dieser Entscheidung davon ausgegangen sei, dass der Revisionswerber eine völlig konstruierte Geschichte vorgetragen habe und persönlich massiv unglaubwürdig gewesen sei. Wären die nun vorgelegten Ladungen daher bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG im vorangegangenen Verfahren vorgelegen, hätte dies zu keinem anderen Ergebnis geführt.
6 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die in der Zulassungsbegründung und in den Revisionsgründen unter anderem geltend macht, das BVwG habe die Tauglichkeit der neuen Beweismittel als Wiederaufnahmegründe in einer vorgreifenden Beweiswürdigung entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verneint.
7 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt unter anderem voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf „alte“ - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. etwa VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0197; zum letztgenannten rechtlichen Aspekt auch VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159).
12 Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt weiters die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. auch dazu etwa VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0197, mwN).
13 Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob die als neues Beweismittel vorgelegte Ladung vom 1. November 2017 vor rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ohne Verschulden der Partei hätte vorgelegt werden können. Für die erst mit 21. April 2018 datierte weitere Ladung konnte dies jedenfalls nicht der Fall sein. Diesbezüglich führt das BVwG lediglich ins Treffen, ihr Vorliegen hätte im vorangegangenen Asylverfahren zu keiner anderen beweiswürdigenden Bewertung der Angaben des Revisionswerbers geführt.
14 Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass das BVwG damit nicht die abstrakte Tauglichkeit der Ladung vom 21. April 2018 als Beweismittel beurteilte, sondern in vorgreifender Beweiswürdigung anzweifelte, dass dieses Beweismittel tatsächlich ein anderes Verfahrensergebnis zustande gebracht hätte; eine Frage, die nach dem bisher Gesagten nicht im Wiederaufnahmeverfahren, sondern im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären wäre.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
16 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. September 2020
Schlagworte
BeweismittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180265.L00Im RIS seit
30.11.2020Zuletzt aktualisiert am
30.11.2020