TE Vwgh Beschluss 2020/9/28 Ra 2020/18/0213

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/18/0214
Ra 2020/18/0215

Betreff

0Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision von 1. M E, 2. N A, und 3. A E, alle vertreten durch Mag. Karin Herbst, Rechtsanwältin in 9020 Klagenfurt, Alter Platz 23/2, als bestellte Verfahrenshelferin, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. März 2020, 1. G305 2190884-1/17E, 2. G305 2190885-1/16E und 3. G305 2190887-1/17E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind Mitglieder einer Familie; der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Ehegatten, der Drittrevisionswerber ist deren minderjähriger Sohn. Sie sind alle irakische Staatsangehörige und Muslime sunnitischen Glaubens. Sie stammen aus einem schiitischen Stadtviertel Bagdads und lebten dort bis zu ihrer Ausreise in einem Eigentumshaus gemeinsam mit den Familienangehörigen der Zweitrevisionswerberin.

2        Die revisionswerbenden Parteien stellten am 25. Oktober 2015 Anträge auf internationalen Schutz, die sie im Wesentlichen damit begründeten, dass der Erstrevisionswerber aufgrund seiner syrischen Abstammung und seiner sunnitischen Glaubensrichtung bedroht worden sei. Die revisionswerbenden Parteien hätten zunächst einen Drohbrief erhalten; später sei der Erstrevisionswerber von einer „Terrormiliz“ beschossen worden.

3        Mit Bescheiden vom 27. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien zur Gänze ab, erteilte keine Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche - auf das Wesentliche zusammengefasst - vorbringt, das BVwG habe seine Beweiswürdigung hinsichtlich der geltend gemachten Fluchtgründe in einer unvertretbaren Weise vorgenommen und sich nicht ausreichend mit den Länderberichten zur Lage im Irak auseinandergesetzt. Zudem sei davon auszugehen, dass Familien mit minderjährigen Kindern eine Rückkehr in den Irak aufgrund der willkürlichen Gewaltsituation generell nicht zugemutet werden könne.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/18/0017, mwN) vorgenommen worden wäre. Das BVwG wies auf die Aussage des Erstrevisionswerbers hin, den ins Treffen geführten Drohbrief nie gesehen zu haben und den genauen Inhalt nicht zu kennen, da er lediglich der Zweitrevisionswerberin von ihren Brüdern vorgelesen worden sei; auch die Zweitrevisionswerberin habe angegeben, den genauen Inhalt des Briefes nicht zu kennen. Der Schlussfolgerung des BVwG, es sei nicht glaubhaft, dass die Revisionswerber ihre Heimat aufgrund eines Drohbriefes, dessen genauen Inhalt sie nicht kannten, verlassen hätten, setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Die Einschätzung, die Revisionswerber seien ungeachtet der Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten in Bagdad nicht asylrelevant gefährdet, leitet das BVwG vertretbar daraus ab, dass nach dem Vorbringen der Revisionswerber die ebenfalls sunnitischen Brüder der Zweitrevisionswerberin weiterhin unbehelligt in dieser Gegend wohnen würden und eine (weitere) Tochter der Zweitrevisionswerberin zwei Monate nach der gemeinsamen Ankunft in Österreich freiwillig zurückgekehrt sei. Dem Revisionsvorbringen, das BVwG habe bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt, dass der Erstrevisionswerber als ehemaliges Mitglied der Baath-Partei stärker als andere Sunniten durch schiitische Milizen bedroht sei, ist zu entgegnen, dass das BVwG die ehemalige - kurzzeitige - Mitgliedschaft des Erstrevisionswerbers bei der Baath-Partei berücksichtigt hat, aus diesem Umstand aber - ebenfalls vertretbar - keine asylrelevante Gefährdung abgeleitet hat, weil er aus dieser Partei schon im Jahr 1993 (um „sein Leben nicht mit einer Parteimitgliedschaft [zu] belasten“) ausgeschieden sei und seither keine politischen Aktivitäten mehr entfaltet hat. Der Revision gelingt es mit ihren Ausführungen, die sich vorwiegend gegen einzelne beweiswürdigende Überlegungen des BVwG im Zusammenhang mit der Annahme der Unglaubhaftigkeit des Schussattentats auf den Erstrevisionswerber richten, insgesamt nicht, die für sich tragenden beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG zu erschüttern.

11       Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten richtet, ist zu erwidern, dass im vorliegenden Einzelfall - auch unter Berücksichtigung der Vulnerabilität des minderjährigen Drittrevisionswerbers - ein reales Risiko der Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte im Ergebnis nicht ersichtlich ist. Das BVwG stützte seine Einschätzung insbesondere darauf, dass die Unterkunfts- und Versorgungssituation für die revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr nach Bagdad gesichert sei, weil dort noch zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte bestehen würden, die Familie der Zweitrevisionswerberin über ein in ihrem Eigentum stehendes Haus in einem zwar mehrheitlich von Schiiten bewohnten Viertel verfügen würde, wobei es aber nach Angaben der revisionswerbenden Parteien mit den Nachbarn keine Probleme gegeben habe, und der Erstrevisionswerber Berufserfahrung besitze. Darüber hinaus würden sich in der Nähe des Wohnhauses der Familie Schulen sowie ein Supermarkt befinden und das Leitungswasser sei - ebenfalls nach den Angaben der revisionswerbenden Parteien - Trinkwasser.

12       Ausgehend davon begegnet die Beurteilung des BVwG, die revisionswerbenden Parteien könnten in ihren Herkunftsort zurückkehren, fallbezogen keinen Bedenken (vgl. zu einer Familie aus Bagdad in einer vergleichbaren Situation VwGH 29.6.2018, Ra 2018/18/0138 bis 0144, mwN).

13       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 28. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180213.L00

Im RIS seit

30.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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