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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Ö S in H, vertreten durch Dr. Markus Komarek, Rechtsanwalt in 6060 Hall/Tirol, Sparkassengasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 4. Dezember 2019, Zl. LVwG-2019/47/1332-4, betreffend Namensänderungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Angefochtenes Erkenntnis
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache der Antrag der Revisionswerberin auf Änderung ihres Vornamens in „Lemilia“ gemäß § 3 Abs. 1 Z 7 Namensänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 195/1988 idF BGBl. I Nr. 105/2019 (NÄG), abgewiesen (1.) und die ordentliche Revision für zulässig erklärt (2.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der beantragte Vorname sei nicht gebräuchlich.
3 Beim beantragten Vornamen „Lemilia“ handle es sich um einen Wunschnamen. Diesen Namen gebe es weder im Italienischen noch im Spanischen. Eine Stellungnahme des Institutes für Sprachwissenschaften der Universität Innsbruck habe den Vornamen nicht bestätigen können. Als einzigen Nachweis habe die Revisionswerberin die Kopie eines Führerscheins der Republik Brasilien lautend auf eine Person mit demselben Vornamen vorgelegt. Der Revisionswerberin sei selbst nur eine Person mit dem Vornamen „Lemilia“ bekannt, bei der es sich um eine Internetbekanntschaft handle, welche ihr die Kopie des genannten Führerscheins übermittelt habe. Die vorgelegten Auszüge aus sozialen Netzwerken stellten keinen Nachweis für die Gebräuchlichkeit des Vornamens dar, zumal man sich in sozialen Netzwerken auch mit Phantasienamen anmelden könne.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, auch wenn die statistische Häufigkeit der Verwendung eines Vornamens bei der Beurteilung der Gebräuchlichkeit keine Rolle spiele, könne aufgrund lediglich eines einzigen Nachweises des beantragten Vornamens (durch einen brasilianischen Führerschein) nicht von einer Gebräuchlichkeit dieses Vornamens ausgegangen werden. Der Begriff „gebräuchlich“ sei Synonym für „allgemein üblich“ und die Namensgebung einer einzelnen Person mache einen Namen noch nicht zu einem gebräuchlichen und somit allgemein üblichen Namen. Auch der Umstand, dass einem gebräuchlichen Vornamen - nämlich „Emilia“ - lediglich ein Buchstabe vorangestellt worden sei, mache diesen Namen nicht zu einem gebräuchlichen Namen. Somit stehe der Bewilligung der beantragten Namensänderung der Versagungsgrund des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG entgegen.
5 Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Verwaltungsgericht aus, es sei die Frage zu klären gewesen, wann ein Vorname nach der Bestimmung des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG „gebräuchlich“ sei. Der Auslegung dieser Bestimmung komme über den gegenständlichen Fall hinausgehende Bedeutung zu. Die Rechtfrage sei iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung, insbesondere weil zu dieser Bestimmung Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof fehle.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Dieser lehnte mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 254/2020 9, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 Begründend führte der VfGH unter anderem aus:
„Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als ein Verstoß der das angefochtene Erkenntnis tragenden Bestimmung des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG gegen Art. 8 EMRK (bzw. eine, einen solchen Verstoß unterstellende Auslegung dieser Bestimmung durch das Landesverwaltungsgericht Tirol) behauptet wird, lässt ihr Vorbringen angesichts der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, derzufolge dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten ist, wenn er - in Bezug auf die gewünschte Änderung von Familiennamen - darauf abstellt, dass Familiennamen einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen haben müssten und nicht frei erfunden werden dürfen (VfSlg. 20.100/2016), die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht ... wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung mit Art. 8 EMRK vereinbar, wenn der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG für die Gebräuchlichkeit eines Vornamens verlangt, dass der einschlägige Gebrauch eines Vornamens (im In- oder Ausland) nachweisbar ist (und damit, gerade vor dem Hintergrund der identitätsstiftenden Bedeutung des Namens, nicht jede zur individuellen Kennzeichnung geeignete sprachliche Enuntiation, die weder anstößig noch lächerlich ist, als Vornamen zulässt).“
8 Sodann erhob die Revisionswerberin die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
9 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision ergänzend vor, es stelle sich die Rechtsfrage, „ob tatsächlich ein Name bereits nicht nur vereinzelt auf der Welt vorkommen muss, um diesen auch in Österreich als Vornamen annehmen zu dürfen“.
10 Die Revision ist zu der (bereits vom Verwaltungsgericht aufgezeigten) Rechtsfrage der Auslegung des Begriffes „gebräuchlich“ in § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG zulässig, weil zu dieser Frage noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht. So hat sich der Verwaltungsgerichtshof zwar bereits zweimal zur Bestimmung des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG geäußert, dabei aber nicht die vorliegende Rechtsfrage behandelt (vgl. VwGH 15.9.2009, 2008/06/0032, und VwGH 23.6.2010, 2006/06/0113).
Vorbringen
11 Die Revision verweist für ihren Standpunkt auf die Materialien zu § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG und bringt vor, auch wenn sich die Erläuterungen auf den Familiennamen bezögen, könne für den Vornamen nichts anderes gelten. Danach seien als Beispiele für im Inland nicht gebräuchliche Familiennamen „sinnlose Buchstaben- ... oder ... Zahlenkombinationen ... oder Namen, denen im üblichen Sprachgebrauch ausschließlich Tiere, Pflanzen oder leblose Dinge bezeichnet werden“ angeführt.
Zweifel über das Geschlecht würden sich vorliegend nicht ergeben, da der beantragte Vornamen „Lemilia“ beinahe mit dem weiblichen Vornamen „Emilia“ ident sei und auf „a“ ende, wie dies im Inland nur bei weiblichen Vornamen der Fall sei.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Begriff „gebräuchlich“ sei als „allgemein üblich“ zu verstehen, schließe das Entstehen „neuer“ Namen in Zukunft aus. Dagegen sei die Entwicklung von Namen dynamisch und es müsse stets immer eine Person geben, welche einen „neuen“ Namen zuerst trage.
Zudem habe die Revisionswerberin (durch Vorlage einer Führerscheinkopie und zahlreicher Lichtbilder von Personen, welche den Namen „Lemilia“ führten) nachgewiesen, dass der Vorname „Lemilia“ tatsächlich existiere.
Für die gängige Praxis der Behörden und des Verwaltungsgerichts, „Gebräuchlichkeit“ mit statistischer Häufigkeit oder auch dem Verständnis von „allgemein üblich“ gleichzustellen, ergäbe sich keine „juristische“ Grundlage.
12 Die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht bringt in ihrer Revisionsbeantwortung im Wesentlichen vor, wenngleich das seltene Vorhandensein an sich nicht gegen eine Bewilligungsfähigkeit nach dem NÄG spreche, so bedürfe ein Name dennoch eines bestimmten Grades an (nicht zwingend statistischer) Häufigkeit bzw. Gebräuchlichkeit.
Die Namensgesetzgebung in lateinamerikanischen Ländern sei weniger restriktiv als in „Europa/Österreich“. Dort „gibt es auch Zahlen“, die als Vornamen vergeben würden „oder sowas wie ‚Madeinusa‘ (Made in USA)“. Es sei also nicht verwunderlich, dass auch Personen mit dem Namen „Lemilia“ gefunden werden könnten.
Nach Durchsicht aller verfügbaren Informationen des Fachverbandes der Österreichischen Standesbeamtinnen und Standesbeamten sowie nach Auskunft des Institutes für Sprachwissenschaften der Universität Innsbruck sei der beantragte weibliche Vorname “Lemilia“ kein „heute gebräuchlicher“ Vorname.
Rechtslage
13 § 3 des Bundesgesetzes vom 22. März 1988 über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz NÄG), BGBl. Nr. 195/1988 in der (vorliegend maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 59/2017, lautet auszugsweise:
„Versagung der Bewilligung
§ 3. (1) Die Änderung des Familiennamens oder Vornamens darf nicht bewilligt werden, wenn
...
2. der beantragte Familienname lächerlich, anstößig oder für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich ist;
...
7. der beantragte Vorname nicht gebräuchlich ist oder als erster Vorname nicht dem Geschlecht des Antragstellers entspricht;
...“
„Nicht gebräuchlich“ in § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG
14 § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG enthält zwei getrennte Tatbestände für die Versagung der Bewilligung der Namensänderung (arg.: „oder“).
15 Nach dem zweiten Tatbestand ist die Bewilligung zu versagen, wenn der beantragte Vorname „als erster Vorname nicht dem Geschlecht des Antragstellers entspricht“. Dieser Tatbestand ist in der vorliegenden Rechtssache nicht Sache des Verfahrens. Daher ist auch auf das diesbezügliche Revisionsvorbringen nicht weiter einzugehen.
16 Vorliegend relevant ist dagegen der erste Tatbestand des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG, nach dem die Bewilligung zu versagen ist, wenn „der beantragte Vorname nicht gebräuchlich ist“.
17 Wie angeführt, besteht zu diesem Tatbestand insbesondere zum Begriff „nicht gebräuchlich“ noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
18 Die Materialien zu § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG in der Stammfassung BGBl. 195/1988 führen zunächst aus, dass „Deutlicher als in dieser Bestimmung ... auf die Gebräuchlichkeit im Inland abgestellt werden“ soll, „da im Inland nicht bekannte Vornamen oft Zweifel über das Geschlecht des Namensträgers aufkommen lassen können“ (vgl. RV 467 BlgNR 17. GP, 10). Diese Abstellung auf eine Gebräuchlichkeit im Inland findet sich noch in der Regierungsvorlage (vgl. RV 467 BlgNR 17. GP, 2), ohne Begründung aber nicht mehr im Ausschussbericht (vgl. AB 510 BlgNR 17. GP, 1 bzw. 3) und im (kundgemachten) Gesetz (BGBl. Nr. 195/1988). Es ist daher nach dem maßgeblichen Gesetzeswortlaut des § 3 NÄG davon auszugehen, dass Abs. 1 Z 7 im Gegensatz zu Abs. 1 Z 2 nicht von einer „Gebräuchlichkeit im Inland“, sondern von einer “Gebräuchlichkeit“ an sich ausgeht (vgl. zur „Gebräuchlichkeit im Inland“ nach § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG und das Abstellen auf den maßgeblichen Gesetzeswortlaut VwGH 7.12.2011, 2010/06/0276). In diesem Sinne geht auch die Literatur davon aus, dass es gemäß § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG im Unterschied zum Tatbestand der Z 2 leg. cit. beim Vornamen genügt, dass dieser allenfalls auch nur im Ausland „vorkommt“ (vgl. Kutscher/Wildpert, Das österreichische Personenstandsrecht (29. Lieferung 1.6.2019), Anm. 21 zu § 3 NÄG).
19 Weiters verweisen die Materialien auf die Bestimmung des § 21 Abs. 2 PStG (gemeint das zu diesem Zeitpunkt in Kraft stehende Personenstandsgesetz, BGBl. Nr. 60/1983):
„Durch die Z 5 soll sichergestellt werden, daß eine Bezeichnung die als dem § 21 Abs. 2 PStG widersprechend nicht in das Geburtenbuch eingetragen werden könnte, im Weg einer Namensänderung zum Vornamen wird.“ (vgl. RV 467 BlgNR 17. GP, 10).
20 Gemäß § 21 Abs. 2 PStG durften Bezeichnungen, die nicht als Vornamen gebräuchlich oder dem Wohl des Kindes abträglich sind, nicht eingetragen werden (diese Bestimmung wurde inhaltsgleich in § 13 Abs. 2 PStG 2013, BGBl. I Nr. 16/2013, übernommen: vgl. RV 1907 BlgNR 24. GP, 8).
21 Zu § 21 Abs. 2 PStG hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes festgehalten (vgl. VwGH 8.4.1987, 86/01/0284):
„Nach der Gesetzeslage vor Inkrafttreten des neuen Personenstandsgesetzes war die Vornamenswahl hach herrschender Rechtsprechung und Lehre nicht auf inländische Vornamen beschränkt. Auch die Wahl ausländischer Vornamen war vielmehr erlaubt ... Hätte der Gesetzgeber diese Rechtslage verändern und die Wahl des zur Namensgebung Berechtigten auf die im Inland gebräuchliche Vornamen einschränken wollen, so hätte er dies bei der Neuregelung des Personenstandsrechtes im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen. Da eine solche Beschränkung auf in Österreich gebräuchliche Vornamen nicht erfolgt ist, ist davon auszugehen, daß die zur Vornamensgebung Berechtigten bei der Wahl des Vornamens grundsätzlich frei sind, dem Kind auch im Ausland gebräuchliche Vornamen zu geben. Auf die statistische Häufigkeit der Verwendung eines Namens im Inland kommt es demnach bei der Beurteilung der Gebräuchlichkeit eines Vornamens nicht entscheiden an.“
22 Daran anschließend führte der Verwaltungsgerichtshof weiter aus, dass „zwar keineswegs allein auf inländische Namen abzustellen“ ist, „sondern auch auf Namen ausländischer Herkunft, jedoch kommt es auch diesbezüglich nach dem klaren Gesetzeswortlaut darauf an, daß es sich um einen gebräuchlichen Namen handeln muß“ (vgl. VwGH 22.6.1988, 87/01/0116, mwN).
23 Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist daher gemäß § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG maßgeblich, dass ein Vorname im In- oder Ausland auch gebräuchlich ist.
24 Wann dies der Fall ist, ist nach dem Obgesagten noch nicht geklärt. Daher ist auf den Begriff „gebräuchlich“ zurückzugreifen, wie er auch in § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG normiert ist.
25 Die Materialien zu § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG in der Stammfassung BGBl. 195/1988 (vgl. RV 467 BlgNR 17. GP, 9) führen zu diesem Begriff aus:
„Durch Z 2 soll die Wahl des Familiennamens ausgeschlossen werden, der lächerlich, anstößig oder zur Kennzeichnung von Personen zumindest im Inland nicht gebräuchlich ist, wie sinnlose Buchstaben- (zB ‚ABC‘) oder Zahlenkombinationen (zB ‚007‘) oder Namen, mit denen im üblichen Sprachgebrauch ausschließlich Tiere, Pflanzen oder leblose Dinge bezeichnet werden (zB ‚Krokodil‘, ‚Herbstzeitlose‘ oder ‚Aluminium‘)“
26 Zur Bedeutung des Begriffes „gebräuchlich“ in § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG hat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, bei der Beurteilung der „Gebräuchlichkeit“ eines Namens komme es lediglich darauf an, ob der Name akzeptiert werde, verworfen und keine Hinweise für eine derartig abweichende Bedeutung des Wortes „gebräuchlich“ erkannt (vgl. VwGH 7.12.2011, 2010/06/0276).
27 Auch der VfGH hat im obzitierten Beschluss vom 8. Juni 2020, E 254/2020-9, mit dem er die Beschwerde der Revisionswerberin abgelehnt hat, auf seine Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG hingewiesen (VfGH 15.10.2016, E 880/2016, VfSlg. 20.100, Rn. 18):
„Nun ist dem Gesetzgeber zunächst nicht entgegenzutreten, wenn er mit dem dritten Tatbestand des § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG - der beantragte Familienname ist für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich - darauf abstellt, dass Familiennamen einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen in Österreich haben müssen und nicht frei erfunden werden dürfen. Indem der Gesetzgeber aber darauf abstellt, ob sich ein bestimmter Begriff als Familienname in der Gesellschaft herausgebildet hat, stellt er notwendig auf Entwicklungen in einer Gesellschaft ab (so führen insbesondere Migrationsbewegungen dazu, dass sich die in Österreich ‚gebräuchlichen‘ Familiennamen verändern). Insoweit haben Familiennamen, weil sie sich in aller Regel von Vorfahren ableiten, immer auch eine historische Dimension“.
28 Daraus hat der VfGH für den vorliegend maßgeblichen § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG abgeleitet:
„Es ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung mit Art. 8 EMRK vereinbar, wenn der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG für die Gebräuchlichkeit eines Vornamens verlangt, dass der einschlägige Gebrauch eines Vornamens (im In- oder Ausland) nachweisbar ist (und damit, gerade vor dem Hintergrund der identitätsstiftenden Bedeutung des Namens, nicht jede zur individuellen Kennzeichnung geeignete sprachliche Enuntiation, die weder anstößig noch lächerlich ist, als Vornamen zulässt).“ (vgl. VfGH 8.6.2020, E 254/2020-9).
29 Darüber hinaus kann der Begriff „gebräuchlich“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch weiter geklärt werden:
30 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im öffentlichen Recht bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlauts in seinem Zusammenhang. Daher ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Dafür müssen die objektiven, jedermann zugänglichen Kriterien des Verständnisses statt des subjektiven Verständnishorizonts der einzelnen Beteiligten im Vordergrund stehen. Die Bindung der Verwaltung an das Gesetz nach Art. 18 B-VG bewirkt einen Vorrang des Gesetzeswortlautes aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Legitimation der Norm (vgl. zu allem VwGH 30.9.2019, Ra 2019/01/0312, mwN).
31 Das NÄG enthält keine Definition des Begriffes „gebräuchlich“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird „gebräuchlich“ als „üblich“ oder „(weit) verbreitet“ verstanden (vgl. etwa Pabst/Fussy/Steiner, Österreichisches Wörterbuch, 43. Auflage [2016], 270, Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 4. Auflage [2010], 411, und Duden, Das Synonymwörterbuch, 6. Auflage [2014], 422). Diese Bedeutung ist auch mit der vom VfGH erkannten Bedeutung dieses Begriffes als „der einschlägige Gebrauch eines Vornamens (im In- oder Ausland)“ vereinbar.
32 Vor diesem Hintergrund ist der erste Tatbestand des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG (wenn „der beantragte Vorname nicht gebräuchlich ist“) wie folgt auszulegen:
33 Nach dieser Bestimmung ist keineswegs allein auf inländische Vornamen abzustellen, sondern auch auf Vornamen ausländischer Herkunft. Dabei kommt es jedoch darauf an, ob dieser Vorname im In- oder Ausland „gebräuchlich“, also üblich oder (weit) verbreitet ist. Dies ist jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn es sich um sinnlose Buchstaben- oder Zahlenkombinationen oder um Vornamen handelt, mit denen im üblichen Sprachgebrauch ausschließlich Tiere, Pflanzen oder leblose Dinge bezeichnet werden. Der Vorname muss einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen haben und darf nicht frei erfunden werden.
34 Dem Revisionsargument, diese Auslegung schließe das Entstehen neuer Namen in Zukunft aus und hindere eine dynamische Entwicklung von Namen, ist entgegen zu halten, dass der Gesetzgeber, wenn er darauf abstellt, ob sich ein bestimmter Begriff als Name in der Gesellschaft herausgebildet hat, sich notwendig auch auf Entwicklungen in einer Gesellschaft bezieht, und einer solchen Regelung auch vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nicht entgegen getreten werden kann (vgl. bereits VfGH 8.6.2020, E 254/2020-9, mit Verweis auf VfGH 15.10.2016, E 880/2016, VfSlg. 20.100).
Einzelfallbezogene Beurteilung
35 Ausgehend vom oben angeführten Regelungsinhalt des § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG hält das angefochtene Erkenntnis einer - nach Zulassung der Revision - nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof stand.
36 Das Verwaltungsgericht hat ausreichend ermittelt und begründet, dass der beantragte Vorname der Revisionswerberin im In- oder Ausland nicht „gebräuchlich“, also üblich oder (weit) verbreitet ist.
37 So konnte das Institut für Sprachwissenschaften der Universität Innsbruck auf Anfrage der belangten Behörde den beantragten Vornamen nicht bestätigen. Das Verwaltungsgericht durfte auch zu Recht annehmen, dass mit dem einzigen Nachweis einer Kopie eines Führerscheins der Republik Brasilien (lautend auf eine Person mit demselben Vornamen) und mit den vorgelegten Auszügen aus sozialen Netzwerken nicht dargetan wurde, dass der beantragte Vorname im Ausland allgemein üblich ist.
38 Einer Kreation dieses Vornamens durch die Revisionswerberin steht entgegen, dass ein Vorname gemäß § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen haben muss und nicht frei erfunden werden darf. Mit den Worten des VfGH ist es zulässig, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG „nicht jede zur individuellen Kennzeichnung geeignete sprachliche Enuntiation, die weder anstößig noch lächerlich ist, als Vornamen zulässt“.
Ergebnis
39 Die Revision war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 30. September 2020
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020010013.J00Im RIS seit
28.10.2020Zuletzt aktualisiert am
28.10.2020