TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/30 Ra 2020/10/0024

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2020
beobachten
merken

Index

L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
MSG Wr 2010 §24a
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/10/0025 E 30.09.2020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision der D P in L, vertreten durch die Beneder Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/DG/9, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 16. Dezember 2019, Zl. VGW-141/021/6104/2019-16, betreffend Kostenersatz für geleistete Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1        1. Mit Bescheid vom 4. April 2019, Zl. MA 40-SH/2019/00318767-001, verpflichtete die belangte Behörde die Revisionswerberin gemäß § 24a Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG dazu, im Zeitraum vom 21. Jänner bis 31. Mai 2016 aufgewendete Kosten für Leistungen der Mindestsicherung in Höhe von € 799,92 zu ersetzen.

2        Dem legte die belangte Behörde zugrunde, die Revisionswerberin habe - aufgrund einer rückwirkenden Zuerkennung der Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld - für den angeführten Zeitraum eine Nachzahlung in Höhe von € 799,92 erhalten. Im Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Mai 2016 seien an die Revisionswerberin Leistungen der Mindestsicherung in Höhe von insgesamt € 5.026,56 ausbezahlt worden.

3        Die Voraussetzungen des § 24a WMG seien daher erfüllt, weshalb die Revisionswerberin zum Kostenersatz zu verpflichten sei.

4        2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 16. April 2019 brachte die Revisionswerberin (u.a.) vor, die Berechnungen der Behörde seien - insbesondere mit Blick auf die Anrechnung von Ratenzahlungen der Revisionswerberin „inhaltlich nicht nachvollziehbar“; insofern sei eine „vollständige Ermittlung des Sachverhaltes“ unterblieben.

5        In einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 16. Oktober 2019 brachte die Revisionswerberin (u.a.) vor, eine Stellungnahme der belangten Behörde vom 3. Juli 2019 (betreffend die Höhe des zu leistenden Kostenersatzes) berücksichtige zahlreiche Zahlungen der Revisionswerberin nicht.

6        3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. Dezember 2019 wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde der Revisionswerberin ab, wobei es die Revision gegen diese Entscheidung nicht zuließ.

7        Ausgehend von dem schon von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt stützte sich das Verwaltungsgericht auf § 24a WMG und führte dazu aus, nach dessen Wortlaut - der insoweit in den Gesetzesmaterialien seine Entsprechung finde - bestehe der Kostenersatzanspruch für Aufwendungen, die durch die Gewährung von Mindestsicherungsleistungen in einer Zeit entstanden seien, in der auch ein Anspruch auf die genannten Versicherungsleistungen bestanden habe. Die Wortfolge „für eine Zeit“ bzw. „in dieser Zeit“ beziehe sich auf den Zeitraum, in dem Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewährt worden seien. Die in diesem Zeitraum dem Träger der Mindestsicherung entstandenen Kosten seien in „voller Höhe“ (bzw. „in vollem Umfang“), d.h. im Umfang der tatsächlich gewährten Mindestsicherungsleistungen, bis zur Höhe der lukrierten Versicherungsleistungen, zu ersetzen (Hinweis auf VwGH 27.3.2019, Ra 2018/10/0129).

8        Daher sei die Revisionswerberin im vorliegenden Fall zur Rückerstattung der im genannten Zeitraum bezogenen Mindestsicherungsleistungen im vollen Umfang der in Rede stehenden „Pensionsleistung“ zu verpflichten.

9        Inwieweit die Revisionswerberin bereits Zahlungen geleistet habe oder inwieweit bereits Raten einbehalten worden seien, sei „in diesem Verfahren nicht zu prüfen“. Vom Verwaltungsgericht sei lediglich zu überprüfen, ob der Kostenersatz für Leistungen der Mindestsicherung von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid vom 4. April 2019 korrekt nach § 24a WMG festgesetzt worden sei; es sei demnach zu prüfen, ob im relevanten Zeitraum Mindestsicherung geleistet worden sei und die Revisionswerberin für diesen Zeitraum eine Nachzahlung erhalten habe.

10       4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11       Die belangte Behörde hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

12       1. Für den Revisionsfall sind folgende Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes - WMG, LGBl. Nr. 38/2010 idF LGBl. Nr. 49/2018, in den Blick zu nehmen:

Kostenersatz bei Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt

§ 24. (1) [...]

(3) Über die Verpflichtung zum Kostenersatz ist mit Bescheid zu entscheiden. Die Behörde ist berechtigt, die Aufrechnung gegen Ansprüche auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung zu verfügen.

[...]

Kostenersatz bei rückwirkender Zuerkennung von Ansprüchen

§ 24a. Unterstützt das Land Wien als Träger der Mindestsicherung eine Bedarfsgemeinschaft für eine Zeit, in der eine oder mehrere Personen einen Anspruch auf Versicherungsleistungen nach dem ASVG oder dem AlVG oder auf Leistungen nach dem KBGG oder dem UVG oder einen Anspruch auf Unterhalt oder auf Wohnbeihilfe nach dem WWFSG 1989 haben, so sind alle anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zum Ersatz der Kosten verpflichtet, die durch die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz in dieser Zeit entstanden sind. Der Kostenersatzanspruch besteht in voller Höhe der entstandenen Kosten, ohne Berücksichtigung eines Vermögensfreibetrages und unabhängig davon, ob Einkommen oder Vermögen vorhanden ist oder weiterhin eine Notlage besteht. Die Bestimmung des § 24 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden.“

13       2. Die Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision verweisen (unter anderem) auf das auch vom Verwaltungsgericht angeführte Erkenntnis Ra 2018/10/0129; danach sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich, weshalb Änderungen der Sach- und Rechtslage seit Erlassung des bekämpften Bescheides der belangten Behörde zu berücksichtigen seien.

14       Aus diesem Grund sei die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, es sei unerheblich, welche Zahlungen die Revisionswerberin bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses getätigt habe, unrichtig.

15       3. Die Revision erweist sich aufgrund dieses Vorbringens als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

16       3.1. In dem erwähnten Erkenntnis Ra 2018/10/0129 (Rz 14) hat der Gerichtshof - in einem ebenfalls § 24a WMG betreffenden Revisionsfall - gestützt auf Vorjudikatur darauf hingewiesen, dass für die relevante Frage des nachträglichen Kostenersatzes aus verwertbarem Vermögen die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich ist, zumal es nicht um den Abspruch geht, was zu einem bestimmten Zeitpunkt (etwa jenem der Erlassung des verwaltungsbehördlichen Bescheides) oder in einem bestimmten Zeitraum rechtens war, sondern um die aktuelle Begründung einer Zahlungsverpflichtung des Revisionswerbers (Hinweis auf VwGH 28.2.2018, Ra 2016/10/0055).

17       Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht, indem es sich auf die Prüfung, ob der Kostenersatz für Leistungen der Mindestsicherung im Bescheid der belangten Behörde vom 4. April 2019 „korrekt“ nach § 24a WMG festgesetzt worden sei, beschränkt und allfällige bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses geleistete Zahlungen der Revisionswerberin ausdrücklich für unerheblich erklärt hat, abgewichen.

18       Auf diese Weise hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

19       3.2. Mit Blick auf das fortzusetzende Verfahren sei angemerkt, dass - wovon das Verwaltungsgericht in Beantwortung eines Vorbringens der Revisionswerberin zutreffend ausgegangen ist - gemäß § 24a zweiter Satz WMG der auf diese Bestimmung gestützte Kostenersatzanspruch (u.a.) unabhängig davon besteht, ob weiterhin eine Notlage besteht.

20       4. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

21       Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. September 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020100024.L01

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten