TE Vwgh Beschluss 2020/9/30 Ra 2020/01/0344

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Veröffentlicht am 30.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §46
AVG §69 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der S S, in W, vertreten durch MMaga. Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juli 2020, Zl. G310 2223710-2/2E, betreffend Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Beschluss wurde dem Antrag der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen albanischer Volksgruppenzugehörigkeit, auf Wiederaufnahme des vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 5. Mai 2020 abgeschlossenen Verfahrens nicht stattgegeben (A) und die Revision für nicht zulässig erklärt (B).

2        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

3        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

4        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5        Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu neu entstandenen Beweismitteln (Verweis auf VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0403) abgewichen. Das von der Revisionswerberin vorgelegte Schreiben des „CEDAW-Ausschusses“ sei zwar nach Abschluss des Asylverfahrens entstanden, beziehe sich jedoch auf einen Sachverhalt, der vor Abschluss dieses Verfahrens entstanden sei. Auch ließen die Ausführungen des BVwG nicht erkennen, warum diesem Beweismittel die abstrakte Eignung fehlen sollte, ein im Hauptinhalt des Spruches anders lautendes Erkenntnis herbeizuführen. Diese abstrakte Eignung hätte bejaht werden müssen, da die Aufforderung bzw. Empfehlung des „CEDAW-Ausschusses“ einen Beweis dafür darstelle, dass der Revisionswerberin im Falle ihrer Rückführung nach Serbien ein nicht wiedergutzumachender Schaden drohe, weil der serbische Staat sie nicht hinreichend schützen könne.

6        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; Gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf „alte“ - das heißt nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 9.3.2020, Ra 2019/12/0005, mwN). Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0510, mwN). Dieser Wiederaufnahmegrund ermöglicht nicht die neuerliche Aufrollung eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens in Fragen, die im früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können (vgl. VwGH 30.4.2019, Ra 2018/10/0064, mwN).

7        Eine nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommene und vertretbare Beurteilung der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme durch das Verwaltungsgericht ist nicht revisibel (vgl.VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0463, zur Voraussetzung des fehlenden Verschuldens nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG in einem Fall, in dem das Verwaltungsgericht fallbezogen davon ausging, dass die Geltendmachung der neu hervorgekommenen Tatsachen im Verfahren möglich und zumutbar gewesen wäre).

8        Der Verwaltungsgerichtshofist nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. zu allem VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0189-0191, mwN).

9        Ausgehend von dieser Rechtsprechung wird eine Zulässigkeit der vorliegenden Revision nicht dargetan, zumal das Verwaltungsgericht in nicht unvertretbarer Weise zur Mitteilung des CEDAW-Komitees (Komitee für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau nach Art. 17 der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, BGBl. Nr. 443/1982) betreffendvorläufige Maßnahmen („interim measures“) nach Art. 63 der Geschäftsordnung des CEDAW-Komitees („rules of procedure“) dargetan hat, dass diesem die abstrakte Eignung fehle, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche sich das BVwG tragend gestützt habe.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, welche Auswirkungen vorläufige Maßnahmen, die von „UN treaty bodies“ wie dem „CEDAW-Ausschuss“ erlassen würden, innerstaatlich nach sich zögen. Mit diesem Vorbringen wird eine Zulässigkeit der Revision schon deshalb nicht aufgezeigt, weil die vorliegende Mitteilung des CEDAW-Komitees vom 26. Juni 2020 nicht das abgeschlossene Verfahren betreffend die Zuerkennung von internationalem Schutz zum Gegenstand hat, sondern alleine eine vorläufige Maßnahme („interim measure“) nach Art. 63 der Geschäftsordnung des CEDAW-Komitees. Diese vorläufige Maßnahme beinhaltet die Empfehlung an den Vertragsstaat, die Revisionswerberin nichtin ihren Herkunftsstaat abzuschieben, solange ihre Mitteilung vom 25. Juni 2020 an das CEDAW-Komitee in Behandlungist („while her communication is under consideration“). Dies ist der Revision auch entgegen zu halten, wenn sie behauptet, diese Empfehlung sei ein Beweis für die fehlende Schutzfähigkeit des serbischen Staates.

11       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. September 2020

Schlagworte

Beweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010344.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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