Index
19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des F A S, vertreten durch Mag. Daniel Sallrigler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 32, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2020, W104 2193450-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 10. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, sein Vater gehe in gehobener Stellung einer Tätigkeit bei den afghanischen Sicherheitsbehörden nach. Er selbst sei daher in Gefahr gewesen, von den Feinden seines Vaters oder regierungsfeindlichen Gruppen entführt oder getötet zu werden.
2 Mit Bescheid vom 20. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG - soweit hier wesentlich - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft. Insbesondere arbeite der Vater des Revisionswerbers nicht für die afghanischen Sicherheitsbehörden. Der Revisionswerber stamme aus Kabul und sei gesund und arbeitsfähig. Es stehe ihm - ausgehend von näher getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan - jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif offen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst vorgebracht, das BVwG habe seine Verpflichtung zur Berücksichtigung aktueller Länderberichte verletzt. Mit der Covid-19-Pandemie habe es sich nicht auseinandergesetzt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, weil Afghanistan von der Covid-19-Pandemie hart getroffen werde. In Herat und Kabul seien Ausgangssperren verhängt worden. Auch die afghanische Wirtschaft und der Gesundheitssektor seien „beeinträchtigt“.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar (vgl. etwa VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN). Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 20.8.2020, Ra 2020/19/0239).
10 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, mwN). Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision mit ihrem Vorbringen, wonach die afghanische Wirtschaft durch die Covid-19-Pandemie beeinträchtigt würde, nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG unvertretbar wäre, wonach dem jungen und arbeitsfähigen Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumindest in Mazar-e Sharif, das auch nach dem Vorbringen der Revision nicht von einer Ausgangssperre betroffen ist, zumutbar ist (vgl. VwGH 20.8.2020, Ra 2020/19/0239, mwN).
11 Zur Zulässigkeit der Revision wird weiters vorgebracht, das BVwG habe seine Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes verletzt. Insbesondere hätte es den dem Verfahren beigezogenen länderkundlichen Sachverständigen auch mit einer „umfassenden Gutachtenserstellung samt Ermittlungen im Heimatland beauftragen müssen“. Daraus hätte sich die Richtigkeit der Angaben des Revisionswerbers ergeben. Auch zum Beruf des Vaters des Revisionswerbers hätten weitere Ermittlungen durchgeführt werden müssen.
12 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegenstehen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen. Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, z.B. polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen. Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt (vgl. grundlegend zu Ermittlungen im Herkunftsstaat VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100; sowie VwGH 9.5.2018, Ra 2018/18/0212). Im Übrigen entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2019/19/0017, mwN). Die Revision vermag in diesem Sinn keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens aufzuzeigen.
13 Soweit die Revision weiters rügt, das BVwG hätte die beantragte Einvernahme eines Familienmitglieds des Revisionswerbers als Zeuge unterlassen, unterlässt sie es die Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels darzustellen.
14 Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision wird weiters vorgebracht, das BVwG habe hinsichtlich der Rückkehrentscheidung die erforderliche Gesamtabwägung der in § 9 BFA-VG angeführten Kriterien nicht vorgenommen und bloß einzelne Umstände herausgegriffen.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192, mwN). Im vorliegenden Fall hat das BVwG die für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände berücksichtigt. Mit ihrem bloß pauschalen Vorbringen vermag die Revision eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelghaftigkeit dieser Erwägungen nicht aufzuzeigen.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 1. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190196.L00Im RIS seit
10.11.2020Zuletzt aktualisiert am
10.11.2020