Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, in den Rechtssachen der Revisionen von 1. A B, und 2. M B, beide in W und vertreten durch Mag. Carmen Thronton, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Tuchlauben 7a, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 24. Oktober 2019, 1. W192 1416257-3/17E und 2. W192 2206478-1/8E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und sein minderjähriger Sohn, der Zweitrevisionswerber, sind russische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber stellte, nachdem bereits einmal ein Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig abgewiesen worden war, am 7. Juni 2013 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Der Zweitrevisionswerber stellte, vertreten durch den Erstrevisionswerber, am 24. Oktober 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit den Bescheiden je vom 20. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem sprach es jeweils aus, dass den revisionswerbenden Parteien kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt werde, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) jeweils mit Erkenntnis vom 24. Oktober 2019 ab und erklärte jeweils die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
4 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Im Zulässigkeitsvorbringen der Revisionen wird ins Treffen geführt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern abgewichen, als es trotz des Vorbringens des Erstrevisionswerbers anlässlich der Einvernahme durch das BFA, wonach seine Ehefrau und die Mutter des Zweitrevisionswerbers in der Tschechischen Republik asylberechtigt sei, „überhaupt keine Ermittlungen dahingehend geführt“ habe, „ob und unter welchen Voraussetzungen es den Revisionswerbern möglich wäre, als Familienangehörige einer in Tschechien asylberechtigten Person einen Aufenthaltstitel zu erlangen“.
9 Soweit mit diesem Vorbringen - mit dem ein Beweisantrag nicht behauptet wird - eine Verletzung des Amtswegigkeitsgrundsatzes angesprochen ist, ist ihm zu erwidern, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 17.5.2019, Ra 2019/01/0066; 30.7.2020, Ra 2019/20/0383, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0286; 28.1.2020, Ra 2020/20/0011, mwN).
10 Dass die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung des BVwG, zur angesprochenen Frage keine weiteren Ermittlungen aufzunehmen, in diesem Sinn grob fehlerhaft gewesen wäre, vermögen die Revisionswerber nicht aufzuzeigen, zumal sie der in den Bescheiden des BFA vom 20. August 2018 getroffenen Feststellung, wonach für sie die Möglichkeit bestünde, in der Tschechischen Republik (wo die Frau des Erstrevisionswerbers und Mutter des Zweitrevisionswerbers asylberechtigt sei) „eine reguläre Niederlassung zu beantragen“, in ihren Beschwerden nicht entgegengetreten sind und auch keine Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass die Erlangung eines entsprechenden Aufenthaltstitels in der Tschechischen Republik ausgeschlossen wäre.
11 Soweit die Zulässigkeitsbegründung eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darin erblickt, dass die Auffassung des BVwG, wonach es dem Zweitrevisionswerber in der Zeit des Auslandsaufenthaltes möglich und zumutbar wäre, den Kontakt zu seiner Mutter über moderne Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten, eine gravierende Fehlbeurteilung sei und sich in unvertretbarer Weise über die (in der Revision näher angeführte) ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hinwegsetze, ist ihr zum Einen entgegenzuhalten, dass eine Abweichung von Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes schon aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des Art. 133 Abs. 4 B-VG keine Zulässigkeit der Revision zu begründen vermag (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/09/0120; 30.8.2017, Ra 2017/18/0155; 28.5.2019, Ra 2019/10/0049; 9.1.2020, Ra 2018/01/0343), und zum Anderen, dass es sich beim erwähnten Hinweis des BVwG um ein Begründungselement handelt, das dem übrigen - für sich tragfähigen - Teil der Begründung, dem die Revisionen nichts Taugliches entgegenhalten, bloß ergänzend („im Übrigen“) hinzugefügt wurde.
12 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 26.11.2019, Ra 2019/14/0276, mwN). Soweit sich die Zulässigkeitsbegründung auf die Heranziehung eines unschlüssigen und nicht nachvollziehbaren Gutachtens durch das BVwG beruft, ist ihr zu erwidern, dass dieses Vorbringen die gebotene Relevanzdarlegung vermissen lässt.
13 Die Revisionen bringen auch vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Unterbleiben einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgewichen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die maßgebliche rechtliche Grundlage für diese Beurteilung nicht diese Bestimmung, sondern § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) ist.
14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender, für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; 30.7.2019, Ra 2019/20/0164, mwN).
15 Dass das BVwG von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre, vermögen die Revisionswerber nicht darzutun.
16 Der pauschale Hinweis darauf, dass das BVwG Angaben des Erstrevisionswerbers aus einer Einvernahme vom 24. Oktober 2016 herangezogen habe, sowie die (unzutreffende) Bemerkung, dass „die Beweiswürdigung“ des BFA im Entscheidungszeitpunkt des BVwG „drei Jahre alt“ gewesen sei, sind nicht geeignet aufzuzeigen, in welcher Hinsicht der vom BFA erhobene - nicht nur auf der Einvernahme vom 24. Oktober 2016, sondern auch auf rezentere Ermittlungsergebnisse gestützte - Sachverhalt nicht die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufgewiesen hätte oder das BVwG sonst von der zitierten Rechtsprechung abgewichen wäre. Derartiges legen die Revisionen auch mit ihrem Vorbringen, wonach die Revisionswerber in ihren Beschwerden vom 19. August 2018 (S. 7 bis 12) „die Beweiswürdigung des BFA umfassend bemängelt“ hätten, nicht dar. Die dafür ins Treffen geführte Passage der Beschwerden enthält in weiten Teilen bloß eine Wiedergabe der in den Bescheiden des BFA angeführten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt.
17 Soweit das Beschwerdevorbringen darüber hinaus das Fehlen einer ausreichenden medizinischen Versorgung für den Erstrevisionswerber im Herkunftsland betraf, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/20/0050 bis 0053, mwN).
18 Die Zulässigkeitsbegründung der Revisionen zeigt in diesem Zusammenhang nicht auf, dass die Revisionswerber - über die bloße Behauptung einer mangelnden Zugänglichkeit adäquater Versorgung hinaus - auch ein substantiiertes Vorbringen zum Vorliegen einer (lebensbedrohlichen oder schweren) Erkrankung erstattet hätten, und tritt den (der Sache nach mit den Feststellungen der Bescheide des BFA übereinstimmenden) Annahmen des BVwG, der Erstrevisionswerber habe sich „zuletzt in keinem lebensbedrohlichen Krankheitszustand“ befunden und „keine lebensnotwenige Behandlung“ durchlaufen, ebensowenig entgegen wie dem vom BVwG konstatierten Umstand, dass der Erstrevisionswerber „nicht begründet dargelegt [habe], dass eine Rückkehr in den Heimatstaat für ihn mit einer signifikant verkürzten Lebenserwartung oder intensivem Leiden infolge einer ihm individuell nicht zugänglichen Behandlung einhergehen würde“. Dass damit im Sinne der Rechtsprechung zu § 21 Abs. 7 BFA-VG ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender, für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wurde, ist nicht zu sehen. Auch dass die in den angefochtenen Erkenntnissen angeführte Begründung für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung keinen Bezug zu den Fällen der Revisionswerber aufweise, trifft nicht zu.
19 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 1. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200572.L01Im RIS seit
06.11.2020Zuletzt aktualisiert am
06.11.2020