TE Vwgh Beschluss 2020/10/2 Ra 2020/20/0346

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Veröffentlicht am 02.10.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art2
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, in der Rechtssache der Revision des J C in T, vertreten durch die Lirk Spielbüchler Hirtzberger Rechtsanwälte OG in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 9a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 2020, I409 2196747-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Guineas, stellte am 5. April 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 19. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Guinea zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie. In Bezug auf die vorgesehene Abschiebung des Revisionswerbers habe das Bundesverwaltungsgericht die Pandemie und die diesbezügliche Situation in Guinea nicht berücksichtigt, obwohl Guinea eines der meistbetroffenen Länder in West- und Zentralafrika sei. Die Infektionszahlen in Guinea seien insbesondere im Zeitraum zwischen 4. August 2020 und 18. August 2020 rasant gestiegen. Es liege „COVID-bedingt“ ein hohes Sicherheitsrisiko der Sicherheitsstufe 4 vor. Bei der Einreise müsse ein negativer PCR-Test vorgewiesen werden. Es bestünden Ausgangssperren zwischen 24:00 Uhr und 4:00 Uhr im Großraum Conakry. Die Bewegungsfreiheit innerhalb Guineas sei stark eingeschränkt. Die damit verbundenen negativen Auswirkungen für den Revisionswerber habe das Bundesverwaltungsgericht nicht berücksichtigt.

8        Soweit die Revision geltend macht, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zum rechtlichen Umgang mit der COVID-19-Pandemie, ist ihr zu entgegnen, dass die Rechtsprechung zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf eine drohende Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK auch für die aktuell aufgetretene COVID-19-Pandemie maßgeblich ist (vgl. etwa VwGH 21.8.2020, Ra 2020/18/0146; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255). Es trifft daher nicht zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage vorliegt.

9        Dass und aus welchen Gründen dem Revisionswerber bei Rückkehr in den Herkunftsstaat - entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts - eine reale Gefahr der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte drohen könnte, wird in der Revision nicht konkret dargelegt. Wenn die Revision daher bezogen auf die COVID-19-Pandemie Ermittlungs- und Feststellungsmängel ins Treffen führt, verabsäumt sie es, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel nachvollziehbar darzutun (vgl. etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0273; 5.8.2020, Ra 2020/14/0199). Lediglich ergänzend ist festzuhalten, dass der Berücksichtigung des Vorbringens zu den (weiteren) Entwicklungen der COVID-19-Pandemie im August 2020 das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot entgegensteht (vgl. VwGH 8.6.2020, Ra 2020/19/0155, mwN).

10       Die Revision stützt ihre Zulässigkeit ferner darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht das aufrechte Lehrverhältnis des Revisionswerbers nicht berücksichtigt habe und Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob das Gericht aufgrund der Vorgaben des § 18 Abs. 1 AsylG 2005 zur amtswegigen Erhebung dieser Informationen verpflichtet gewesen wäre. Damit wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, weil das Bundesverwaltungsgericht - entgegen den Ausführungen der Revision - das Lehrverhältnis des Revisionswerbers in seine Erwägungen betreffend die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK einbezog.

11       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt zudem in ständiger Rechtsprechung, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 12.8.2020, Ra 2020/14/0322, mwN). Dass die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichtes an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würde, zeigt die Revision nicht auf.

12       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 2. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200346.L00

Im RIS seit

06.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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