TE Vwgh Beschluss 2020/10/6 Ra 2019/19/0479

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Dr. Pürgy sowie Mag. Stickler und die Hofrätin Dr.in Lachmayer sowie der Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des R O in W, vertreten durch Dr. Andrea Simma, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Krugerstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2019, Zl. I414 2143586-1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 25. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, er sei 2006 von Milizen entführt und sein Geschäft in Bagdad geplündert worden. 2009 sei er in die Arabischen Emirate gegangen und erst 2011 wieder in den Irak zurückgekehrt. 2013 sei es zu einem neuerlichen Übergriff durch die Miliz gekommen, bei dem man ihm das Geschäft und das Haus weggenommen habe. Daraufhin sei die Familie zu den Schwiegereltern in Bagdad gezogen und vier Monate später in die Türkei geflüchtet. Im Verfahren legte er ein „UNHCR Refugee Certificate“ der UNHCR-Repräsentation in der Türkei vor.

2        Mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Es erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage (Spruchpunkt IV.).

3        Dagegen erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der er eine fehlerhafte Beweiswürdigung sowie Ermittlungsmängel im Hinblick auf die Länderberichte und das vorgelegte UNHCR Refugee Certificate rügte.

4        Das BVwG wies die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Begründend führte es aus, der behauptete Fluchtgrund habe nicht glaubhaft gemacht werden können, weil der Revisionswerber in wesentlichen Punkten widersprüchliche, nicht nachvollziehbare und unplausible Angaben gemacht habe. Ihm drohe bei einer Rückkehr in den Irak keine reale Gefahr, entgegen Art. 3 EMRK behandelt zu werden. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung führte es mit näherer Begründung aus, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Inland überwiegen würden.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, der Revisionswerber habe ein Dokument vorgewiesen, wonach er als Flüchtling anerkannt worden sei. Das BVwG habe sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt. Weiters wird eine mangelnde Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK gerügt. Die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz sei nicht nachvollziehbar, weil der Revisionswerber als Sunnit bei einer Rückkehr in den Irak einer hohen Gefahr der Verletzung von Rechten gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt sei.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision bringt zunächst vor, das BVwG habe sich begründungslos nicht mit dem vorgelegten Refugee Certificate des UNHCR auseinandergesetzt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf sich das Verwaltungsgericht über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 16.7.2020, Ra 2019/19/0419, mwN). Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0282, mwN). Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0051, mwN).

10       Der Revision gelingt es nicht, die Relevanz dieses Verfahrensfehlers darzulegen. Das UNHCR-Certificate stammt aus dem Jahr 2015 und wurde bis 18. September 2016 befristet. Die Revision legt weder dar, aus welchen Gründen dem Revisionswerber im Jahr 2015 dieses certificate ausgestellt wurde, noch dass im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG ungeachtet der befristeten Geltung des certificates die damals berücksichtigte asylrelevante Bedrohung noch aufrecht sei.

11       Im Hinblick auf die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz gelingt es der Revision ebenfalls nicht, eine Unvertretbarkeit der Beurteilung durch das BVwG aufzuzeigen. Dass das BVwG festgestellt hat, dass nicht jeder Sunnit im Irak allgemein einer besonderen Gefahr einer Art. 3 EMRK-widrigen Behandlung ausgesetzt wäre, begegnet vor dem Hintergrund der Länderberichte keinen vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken.

12       Im Hinblick auf die Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK gelingt es der Revision nicht darzulegen, dass die Beurteilung des BVwG fehlerhaft gewesen wäre. Dass das BVwG die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung höher gewertet hat als die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich, begegnet - auch unter Einbeziehung der zusätzlich in der Revision vorgebrachten Aspekte wie Empfehlungsschreiben und einer Einstellungszusage - keinen vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken.

13       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190479.L02

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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