TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/8 Ra 2019/12/0052

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §46
AVG §52
AVG §58 Abs2
AVG §60
BDG 1979 §14 Abs3 idF 2011/I/140
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel, Hofrätin MMag. Ginthör sowie Hofrat Mag. Cede als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des H R in W, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 27/28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2019, W245 2202127-1/8E, betreffend Versetzung in den Ruhestand von Amts wegen gemäß § 14 Abs. 1 BDG 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Personalamt Wien der Österreichischen Post AG), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist der Österreichischen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen. Er war zuletzt als Beamter im Bereich Paketzustelldienst beschäftigt und befand sich seit 19. März 2014 im Krankenstand. Mit Schreiben vom 28. März 2014 wurde er vom Personalamt Wien der Österreichischen Post AG davon informiert, dass am 26. März 2014 von Amts wegen das Ruhestandsversetzungsverfahren gemäß § 14 BDG 1979 eingeleitet worden sei. Am 15. Mai 2014, 9. November 2015, 25. September 2017 und am 10. Oktober 2017 wurde er über Veranlassung des Personalamts durch ärztliche Sachverständige der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) untersucht, deren Gutachten in Stellungnahmen des chefärztlichen Dienstes der PVA jeweils vom 11. Juni 2014, 12. Dezember 2015 und 18. Oktober 2017 zusammengefasst wurden.

2        Mit Bescheid des Personalamts vom 20. Juni 2018 wurde der Revisionswerber gemäß § 14 BDG 1979 von Amts wegen in den Ruhestand versetzt. Zur Begründung stützte sich das Personalamt darauf, dass der Revisionswerber auf Grund der Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes der PVA vom 18. Oktober 2017 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, die mit dem zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatz, Code 0805, Paketzustelldienst, verbundenen Aufgaben zu erfüllen, weil ihm Tätigkeiten mit schwerer körperlicher Beanspruchung, fallweise schweren Hebe- und Trageleistungen und Exposition von Nässe und Kälte nicht mehr möglich und zumutbar seien. Auch die Dienstleistung auf - im Bescheid näher angeführten - anderen Arbeitsplätzen sei dem Revisionswerber aufgrund des Gesamtrestleistungskalküls nicht mehr möglich bzw. zumutbar. Hinsichtlich des Arbeitsplatzes, Code 0835, Fachpostverteildienst, sei er zwar noch in der Lage, diesen aufgrund seines Gesamtrestleistungskalküls auszuüben, jedoch sei weder „derzeit“ noch in absehbarer Zeit ein entsprechender Arbeitsplatz frei bzw. werde kein entsprechender Arbeitsplatz frei.

3        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde. Im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragte er die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtes zur Frage des Vorliegens von Verweisungsarbeitsplätzen.

4        Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 27. Juni 2019 als unbegründet ab und erklärte die Revision unter Verweis auf die im Erkenntnis im Einzelnen zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für nicht zulässig. Zur beantragten Einholung des Gutachtens eines berufskundlichen Sachverständigen führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass aus dem Vorbringen des Revisionswerbers keine „substantiellen Mängel erkennbar“ seien, die die Ermittlungsergebnisse des Personalamts „hinsichtlich de[r] Verweisungsarbeitsplätz[e] in Zweifel ziehen konnten“. Zudem bestehe nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Erfordernis, für die Evaluierung von Verweisungsarbeitsplätzen einen berufskundlichen Sachverständigen beizuziehen. Es gehe vorliegendenfalls nämlich nicht um die Verwendbarkeit des Revisionswerbers auf Arbeitsplätzen, deren Anforderungsprofile der beim Verwaltungsgericht belangten Behörde nicht bekannt seien, sondern um die Verwendung des Revisionswerbers im Bereich der Dienstbehörde auf von ihr organisatorisch eingerichteten und ihr folglich von den Anforderungen her bekannten Arbeitsplätzen (Hinweise auf VwGH 23.6.2014, 2010/12/0209; 30.6.2010, 2006/12/0209; und 17.9.2008, 2007/12/0144).

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit dem Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts über die Unzulässigkeit der Revision entgegentritt und dazu unter anderem (unter Hinweis auf die Erkenntnisse vom 17. September 2008, 2007/12/0163, und vom 17. Dezember 2007, 2007/12/0058) vorbringt, dass die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit von Amts wegen (ua.) voraussetze, dass „auf Dauer kein freier Verweisungsarbeitsplatz für den Beamten zur Verfügung stehe“. Im vorliegenden Fall sei die Rechtsfrage zu klären, ob es „in lang andauernden Ruhestandsversetzungsverfahren (gegenständlich mehr als vier Jahre)“ ausreiche, wenn die Dienstbehörde bloß in einem Zeitraum von drei Monaten überprüfe, „ob Verweisungsberufe möglich sind“. Zudem bestehe ein Verfahrensmangel darin, dass das Bundesverwaltungsgericht, obwohl der Revisionswerber dies beantragt habe, zur Beurteilung, ob Verweisungsberufe bestünden, die der Revisionswerber gemäß seinem Leistungskalkül noch hätte bekleiden können, keinen berufskundlichen Sachverständigen beigezogen habe.

6        Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurückweisung der Revision, hilfsweise deren Abweisung beantragt wird.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Revision ist im Lichte ihrer Zulässigkeitsbegründung zulässig. Sie ist auch berechtigt.

9        Die Absätze Abs. 1 bis 3 des § 14 BDG 1979 lauten in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 140/2011:

„Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

§ 14. (1) Die Beamtin oder der Beamte ist von Amts wegen oder auf ihren oder seinen Antrag in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie oder er dauernd dienstunfähig ist.

(2) Die Beamtin oder der Beamte ist dienstunfähig, wenn sie oder er infolge ihrer oder seiner gesundheitlichen Verfassung ihre oder seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihr oder ihm im Wirkungsbereich ihrer oder seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben sie oder er nach ihrer oder seiner gesundheitlichen Verfassung zu erfüllen imstande ist und der ihr oder ihm mit Rücksicht auf ihre oder seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.

(3) Soweit die Beurteilung eines Rechtsbegriffes im Abs. 1 oder 2 von der Beantwortung von Fragen abhängt, die in das Gebiet ärztlichen oder berufskundlichen Fachwissens fallen, ist von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau - ausgenommen für die gemäß § 17 Abs. 1a des Poststrukturgesetzes (PTSG), BGBl. Nr. 201/1996, den dort angeführten Unternehmen zugewiesenen Beamtinnen und Beamten - Befund und Gutachten einzuholen. Für die gemäß § 17 Abs. 1a PTSG zugewiesenen Beamtinnen und Beamten ist dafür die Pensionsversicherungsanstalt zuständig.“

10       Gemäß § 17 VwGVG sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (auch) „jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte“.

11       Zu den tragenden Grundsätzen des Verfahrensrechts gehört die Pflicht des Verwaltungsgerichts, beantragte Beweise aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht ist - im Hinblick auf die das verwaltungsgerichtliche Verfahren beherrschenden Grundsätze der Amtswegigkeit (§ 39 Abs. 2 AVG iVm. § 17 VwGVG) und der materiellen Wahrheit (§ 37 AVG) - verpflichtet, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, erforderliche Beweise aufzunehmen. Es darf sich nicht über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge ohne Ermittlungen und ohne eine dem Gesetz entsprechende Begründung hinwegsetzen (VwGH 14.10.2016, Ra 2016/09/0052; 24.7.2017, Ro 2014/08/0043).

12       Gemäß § 14 Abs. 3 BDG 1979 sind im Ruhestandsversetzungsverfahren zu lösende Fragen, die in das Gebiet der Berufskunde fallen, von einem Sachverständigen (hier: der PVA) zu behandeln. Eine Ausnahme gilt nach den im angefochtenen Erkenntnis (und in der - diesem entgegentretenden - Zulässigkeitsbegründung) zitierten Erkenntnissen, in denen der Verwaltungsgerichtshof dem Vorbringen, die (damals) jeweils belangte Behörde hätte bei der Beurteilung verfügbarer Verweisarbeitsplätze das (damals) jeweils beantragte Gutachten eines berufskundlichen Sachverständigen einzuholen gehabt, mit folgender Begründung entgegentrat (Zitat aus dem Erkenntnis VwGH 17.9.2008, 2007/12/0144; in gleichem Sinn auch VwGH 17.12.2007, 2007/12/0058; 17.9.2008, 2007/12/0163; 30.6.2010, 2006/12/0209; 23.6.2014, 2010/12/0209):

„[D]ie Dienstbehörde [war] nicht nach § 1 DVG in Verbindung mit § 52 AVG verpflichtet, einen berufskundlichen Sachverständigen zur näheren Ausleuchtung der auf den Verweisungsarbeitsplätzen zugewiesenen Aufgaben beizuziehen, geht es doch im vorliegenden Fall nicht um die Verwendbarkeit des Beschwerdeführers auf der belangten Behörde vom Anforderungsprofil her nicht bekannten Arbeitsplätzen, insbesondere auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern um seine Verwendung im Bereich der Dienstbehörde auf von ihr organisatorisch eingerichteten und ihr folglich von den Anforderungen her bekannten Arbeitsplätzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2007, Zl. 2007/12/0058), sodass von einem Mangel der erforderlichen Sachkunde im Sinn des § 52 AVG und damit von der Notwendigkeit der Beiziehung eines Sachverständigen nicht gesprochen werden kann“.

13       Diese Rechtsprechung, die sich auf das Verfahren vor jener Behörde bezieht, in deren Bereich die Arbeitsplätze eingerichtet sind, ist jedoch auf ein verwaltungsgerichtliches Verfahren, in dem im Bereich der beim Verwaltungsgericht belangten Behörde eingerichtete Verweisarbeitsplätze zu beurteilen sind, nicht übertragbar.

14       Eine Beurteilung durch das Verwaltungsgericht, die sich auf die - allein auf dem Amtswissen der beim Verwaltungsgericht belangten Behörde beruhenden- „Ermittlungsergebnisse“ des angefochtenen Bescheides stützt, vermag die beantragte Einholung des Gutachtens eines berufskundlichen Sachverständigen nicht zu substituieren (vgl. demgegenüber zur Zulässigkeit der Heranziehung behördlichen Sachverstands im - hier nicht gegebenen - Fall des Gutachtens eines Amtssachverständigen VfGH 7.10.2014, E 707/2014 [=VfSlg. 19.902/2014], sowie - dem folgend - zB VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027; 28.3.2017, Ro 2016/09/0009).

15       Das Bundesverwaltungsgericht hat sich somit über den Beweisantrag ohne eine dem Gesetz entsprechende Begründung hinweggesetzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es bei Vermeidung dieses Mangels zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

16       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. C VwGG aufzuheben.

17       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. Oktober 2020

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet "zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019120052.L00

Im RIS seit

10.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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