TE OGH 2020/7/28 10Ob26/20a

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Veröffentlicht am 28.07.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes S*****, geboren ***** 2005, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 13, 14, 15, 1150 Wien, Gasgasse 8–10, Stiege 1/3. Stock), wegen Rückforderung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Vaters C*****, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. November 2019, GZ 42 R 342/19h-104, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. Juli 2019, GZ 79 Pu 22/17a-96, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Der Antrag des Bundes vom 15. 3. 2019, den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters (im Sinn des § 9 UVG), die Pflegeperson, die/den UnterhaltsschuldnerIn, – im Fall der Verneinung der Ersatzpflicht dieser Person/en – das Kind gemäß §§ 22, 23 UVG idF FamRÄG 2009 zum Ersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse von 881 EUR für die Zeiträume Oktober 2018 bis Dezember 2018 und Jänner 2019 bis Februar 2019 zu verpflichten, wird abgewiesen.“

Der Vater hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1]       Der Vater ist aufgrund eines Vergleichs des Bezirksgerichts H***** vom 15. 9. 2010, GZ 2 C 19/10s-8, zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags an das Kind in Höhe von 280 EUR verpflichtet (ON 1, ON 59).

[2]       Dem Kind wurden vom Erstgericht mit Beschluss vom 13. 10. 2014 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 280 EUR monatlich für den Zeitraum von 1. 9. 2014 bis 31. 8. 2019 gewährt (ON 21).

[3]       Mit Beschluss vom 13. 3. 2019 wurden die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse (teilweise rückwirkend) für den Zeitraum von 1. 10. 2018 bis 31. 12. 2018 auf monatlich 113 EUR und ab 1. 1. 2019 auf monatlich 90 EUR herabgesetzt (ON 78).

[4]            Der Vater als Geldunterhaltsschuldner bezieht seit 22. 9. 2018 Krankengeld. Der Vater teilte dem Erstgericht nach Aufforderung mit Schreiben vom 8. 3. 2019 mit, dass er sich seit September 2018 wegen drei Erkrankungen im Krankenstand befinde (ON 77).

[5]            Am 15. 3. 2019 (ON 80) beantragte der Bund – wie aus dem Spruch ersichtlich – den Ersatz der von 1. 10. 2018 bis 28. 2. 2019 gewährten Vorschüsse. Das Kind habe in diesen fünf Monaten einen Übergenuss von 881 EUR an Unterhaltsvorschüssen erhalten, weil die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Schuldners nicht bzw verspätet mitgeteilt worden sei.

[6]            Das Erstgericht verpflichtete den Vater, die für das Kind in der Zeit von 1. 10. 2018 bis 28. 2. 2019 zu Unrecht gezahlten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von insgesamt 881 EUR in näher festgelegten acht Raten an den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien zurückzuzahlen. Der Vater habe sich trotz dazu vorhandener Möglichkeit zum Rückersatzantrag des Bundes nicht geäußert. Er habe seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt und seine Erkrankung erst über Aufforderung des Gerichts bekannt gegeben, sodass er zum Rückersatz gemäß den §§ 21, 22 UVG verpflichtet sei. Hingegen hätten weder der Rechtsvertreter des Kindes, noch die Mutter, noch das Kind Mitteilungspflichten verletzt.

[7]       Das Rekursgericht gab dem vom Vater erhobenen Rekurs nicht Folge. Es ließ den Revisionsrekurs infolge einer vom Vater erhobenen Zulassungsvorstellung gemäß § 63 AußStrG nachträglich zu.

[8]       Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der vom Bund nicht beantwortete Revisionsrekurs des Vaters, mit dem dieser die Abweisung des Antrags des Bundes auf Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[9]       Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[10]     Unter anderem für Vorschüsse, die entgegen einer Herabsetzungsentscheidung zu Unrecht gezahlt und nicht nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz UVG einbehalten worden sind, haften der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, der Zahlungsempfänger sowie der Unterhaltsschuldner zur ungeteilten Hand, jedoch nur derjenige, der die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs 2 UVG) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21 UVG) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst oder die Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig für den Unterhalt des Kindes verbraucht hat (§ 22 Abs 1 UVG idF FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75).

[11]     Gemäß § 21 UVG haben der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, der Zahlungsempfänger sowie der Unterhaltsschuldner dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Unverzüglich im Sinn dieser Bestimmung bedeutet nach der Rechtsprechung „ohne schuldhaftes Zögern“. Die Mitteilung an das Gericht hat demnach ohne jeglichen unnötigen Aufschub, unter Umständen sogar innerhalb von wenigen Tagen zu erfolgen (7 Ob 721/03h = RS0076454 [T3]). Das Gericht soll von allen auf eine Herabsetzung oder Einstellung von Vorschüssen Einfluss habenden Umständen frühzeitig und rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden, um Übergenüsse gar nicht entstehen zu lassen (10 Ob 40/12y).

[12]     Es ist nicht strittig, dass die Unterhaltsvorschüsse in Höhe der vom Bund im Antrag vom 15. 3. 2019 aufgeschlüsselten Differenzbeträge für den Zeitraum Oktober 2018 bis Februar 2019 zu Unrecht ausgezahlt wurden.

[13]           Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die Haftung der in § 22 UVG angeführten Personen auf schadenersatzrechtlicher Grundlage beruht (10 Ob 72/18p; RS0076903 [T2]; RS0110453). Die Haftung ua des Unterhaltsschuldners gemäß § 22 Abs 1 UVG für die Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Unterhaltsvorschüsse setzt ein schuldhaftes Verhalten voraus (RS0076515), das für die Auszahlung der Vorschüsse ursächlich gewesen ist (RS0076773).

[14]           Voraussetzung für einen auf eine Verletzung der Mitteilungspflicht gemäß § 21 UVG gestützten Schadenersatzanspruch des Bundes ist daher ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verletzung der Mitteilungspflicht und dem Überbezug. Hat das Gericht aus den Akten ohnehin bereits Kenntnis vom relevanten Sachverhalt – etwa auch, wenn eine andere (mitteilungspflichtige) Person den maßgeblichen Sachverhalt dem Gericht bereits mitgeteilt hat –, kommt es nicht zu einem Ersatz (2 Ob 521/84; RS0076795).

[15]           Im vorliegenden Fall fehlt es für den Zeitraum von November 2018 bis Februar 2019 bereits an der Kausalität der dem Revisionsrekurswerber vorgeworfenen Verletzung der Mitteilungspflicht für den entstandenen Überbezug. Das Erstgericht erhielt bereits am 2. 10. 2018 durch ein Schreiben des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe Kenntnis davon, dass der Vater seit 22. 9. 2018 – zu diesem Zeitpunkt also erst seit wenigen Tagen – Krankengeld bezog (ON 65). Auch am 7. 12. 2018 (ON 71) und am 25. 2. 2019 (ON 72) langten beim Erstgericht Informationen des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe ein, aus denen sich ergab, dass der Vater seit 22. 9. 2018 und nach wie vor Krankengeld bezog.

[16]           Das Erstgericht erlangte daher bereits am 2. 10. 2018 Kenntnis vom Herabsetzungsgrund (§ 19 Abs 1 UVG). Die Auszahlung der Vorschüsse ab 1. 11. 2018 war aus diesem Grund nicht auf eine Verletzung der Mitteilungspflicht des Vaters zurückzuführen.

[17]           Für die Bejahung einer Ersatzpflicht des Unterhaltsschuldners für den bereits am 1. 10. 2018 zur Auszahlung fälligen Unterhaltsvorschuss für den Monat Oktober 2018 (§ 17 Abs 1 UVG) fehlt es an einer im Sinn des § 22 Abs 1 UVG vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht durch den Unterhaltsschuldner. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt sowie nach den Umständen die Vermutung des bösen Vorsatzes nahe liegt. Bei der Beurteilung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit sind die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen; dabei ist auch das Element der schweren subjektiven Vorwerfbarkeit einzubeziehen (RS0124118).

[18]           Bei der hier gebotenen Betrachtung ex ante (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 22 UVG Rz 2) kann dem Unterhaltsschuldner schon deshalb nicht der Vorwurf des groben Verschuldens gemacht werden, weil keine Verfahrensergebnisse vorliegen, aus denen sich ergeben würde, dass er schon zu Beginn des Oktobers 2018 davon ausgehen musste, dass sein Krankengeldbezug längere Zeit hindurch dauern würde, sodass er eine relevante Minderung seiner Leistungsfähigkeit und damit verbunden seiner Unterhaltsverpflichtung schon zu diesem Zeitpunkt als wahrscheinlich hätte ansehen müssen.

[19]           Ein Anspruch auf Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse besteht im konkreten Fall weder gegenüber dem Vater, noch – nach den insofern nicht strittigen Verfahrensergebnissen – gegenüber einem der weiteren in § 22 Abs 1 und 2 UVG genannten möglichen Ersatzpflichtigen. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der Rückersatzantrag des Bundes vom 15. 3. 2019 abzuweisen.

[20]     Ein Kostenersatz findet gemäß § 10a UVG nicht statt.

Textnummer

E129423

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00026.20A.0728.000

Im RIS seit

29.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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