TE Bvwg Beschluss 2020/6/15 W211 2226813-1

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Veröffentlicht am 15.06.2020
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Entscheidungsdatum

15.06.2020

Norm

AVG §38
B-VG Art133 Abs4
DSG §1
DSG §24
VwGVG §17

Spruch

W211 2226813-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Barbara SIMMA LL.M. als Vorsitzende und die fachkundige Laienrichterin Margareta MAYER-HAINZ und den fachkundigen Laienrichter Dr. Ulrich E. ZELLENBERG als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde des XXXX gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde vom XXXX in einer datenschutzrechtlichen Angelegenheit:

A)

Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union über die mit Entscheid des Belgischen Verfassungsgerichtshofs vom 17.10.2019, Nr 135/2019 (beim EuGH anhängig unter C-817/19), sowie über die mit Beschlüssen des Amtsgerichts Köln vom 20.01.2020, zu den Zlen 142 C 328/19, 142 C 329/19 und 142 C330/19, jeweils vorgelegten Fragen ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

I. Feststellungen:

1.1. Mit Datenschutzbeschwerde vom XXXX 2019 stellte der Beschwerdeführer an die Datenschutzbehörde den Antrag, sie möge feststellen, er sei durch die Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten durch die beim Bundesminister für Inneres eingerichtete Fluggastdatenzentralstelle auf Grundlage des PNR-Gesetzes (PNR-G) in seinem Grundrecht auf Datenschutz iSd § 1 Datenschutzgesetz (DSG) sowie Art 8 EMRK, Art 7 und 8 GRC bzw. in seinem Grundrecht auf Geheimhaltung verletzt worden. Die verdachtsunabhängige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten durch die Fluggastdatenzentralstelle allein aufgrund des Umstandes der Buchung von näher angeführten Flugreisen sei seiner Auffassung nach nicht mit dem Grundrecht auf Datenschutz in Einklang zu bringen. Davon ausgehend sei die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten ohne taugliche Rechtsgrundlage erfolgt.

1.2. Mit dem gegenständlichen Bescheid wies die Datenschutzbehörde die Datenschutzbeschwerde des Beschwerdeführers ab.

1.3. In seiner Beschwerde vom XXXX 2019 brachte der Beschwerdeführer ua vor, die PNR-RL sei mit den Art 7 und 8 sowie 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. Seine Bedenken stützte der Beschwerdeführer unter anderem auf die fehlende Verhältnismäßigkeit, insbesondere auf die verdachtsunabhängige und automatisierte Speicherung und Verarbeitung von Datensätzen einer großen Anzahl an Personen, die über das "absolut Notwendige" hinausgehe.

1.4. Der Belgische Verfassungsgerichtshof legte mit Entscheid vom 17.10.2019, Nr. 135/2019, folgende Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung vor, die beim EuGH zur Zl C-817/19 anhängig sind:

"1. Ist Art. 23 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz- Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. d dieser Verordnung so auszulegen, dass er auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften wie das Gesetz vom 25. Dezember 2016 über die Verarbeitung von Passagierdaten, mit dem die Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität, sowie die Richtlinie 2004/82/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Verpflichtung von Beförderungsunternehmen, Angaben über die beförderten Personen zu übermitteln, und die Richtlinie 2010/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über Meldeformalitäten für Schiffe beim Einlaufen in und/oder Auslaufen aus Häfen der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Richtlinie 2002/6/EG4 umgesetzt wird, anwendbar ist?

2. Ist Anhang I der Richtlinie 2016/681 mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in dem Sinne vereinbar, dass die darin aufgeführten Daten sehr weitgehend sind - insbesondere die in Nr. 18 von Anhang I der Richtlinie 2016/681 erwähnten Daten, die über die in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/82 erwähnten Daten hinausgehen - insofern sie zusammen genommen sensible Daten offenlegen könnten und so über das "absolut Notwendige" hinausgehen könnten?

3. Sind die Nrn. 12 und 18 des Anhangs I der Richtlinie 2016/681 mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, insofern unter Berücksichtigung des Wortes "einschließlich" die dort aufgeführten Daten in beispielhafter und nicht erschöpfender Weise genannt werden, was somit gegen die Anforderung der Präzision und Klarheit der Regeln, die einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten nach sich ziehen, verstoßen könnte?

4. Sind Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2016/681 und Anhang I dieser Richtlinie mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, insofern das System zur allgemeinen Erhebung, Übermittlung und Verarbeitung von Passagierdaten, das mit diesen Bestimmungen eingeführt wird, auf jede Person abzielt, die das betreffende Beförderungsmittel benutzt, unabhängig von einem objektiven Anhaltspunkt für die Annahme, dass von dieser Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen könnte?

5. Ist Art. 6 der Richtlinie 2016/681 in Verbindung mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften wie dem angefochtenen Gesetz entgegensteht, das als Verarbeitungszweck der PNR-Daten die Beaufsichtigung der erwähnten Aktivitäten durch die Nachrichten- und Sicherheitsdienste zulässt und so diesen Zweck in die Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität aufnimmt?

6. Ist Art. 6 der Richtlinie 2016/681 mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, insofern die in ihm geregelte Vorabüberprüfung durch eine Korrelation mit Datenbanken und im Voraus festgelegten Kriterien systematisch und allgemein auf die Passagierdaten angewandt wird, unabhängig von einem objektiven Anhaltspunkt für die Annahme, dass von diesen Fluggästen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen könnte?

7. Kann der in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2016/681 erwähnte Ausdruck "andere nationale Behörde, die ... zuständig ist" dahin ausgelegt werden, dass er sich auf die PNR-Zentralstelle bezieht, die durch das Gesetz vom 25. Dezember 2016 geschaffen wurde und die somit den Zugriff auf die PNR-Daten nach einer sechsmonatigen Frist im Rahmen von gezielten Recherchen gestatten dürfte?

8. Ist Art. 12 der Richtlinie 2016/681 in Verbindung mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften wie dem angefochtenen Gesetz entgegensteht, das eine allgemeine Aufbewahrungsdauer für die Daten von fünf Jahren vorsieht, ohne eine Unterscheidung danach vorzunehmen, ob sich im Rahmen der Vorabüberprüfung herausstellt, dass die betroffenen Fluggäste ein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen können oder nicht?

9. a) Ist die Richtlinie 2004/82 mit Art. 3 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union und mit Art. 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, insofern die Pflichten, die sie einführt, für Flüge innerhalb der Europäischen Union gelten?

b) Ist die Richtlinie 2004/82 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union und mit Art. 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften wie dem angefochtenen Gesetz entgegensteht, das zum Zwecke der Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Verbesserung der Grenzkontrollen ein System zur Erhebung und Verarbeitung der Daten "zu den in das nationale Hoheitsgebiet, aus dem nationalen Hoheitsgebiet oder durch das nationale Hoheitsgebiet" beförderten Passagieren gestattet, was indirekt eine Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen bedeuten könnte?

10. Könnte der Verfassungsgerichtshof, falls er auf der Grundlage der Antworten auf die vorstehenden Vorabentscheidungsfragen zu dem Schluss gelangen sollte, dass das angefochtene Gesetz, mit dem insbesondere die Richtlinie 2016/681 umgesetzt wird, gegen eine oder mehrere der Verpflichtungen verstößt, die sich aus den in diesen Fragen genannten Bestimmungen ergeben, die Folgen des Gesetzes vom 25. Dezember 2016 über die Verarbeitung von Passagierdaten vorläufig aufrechterhalten, um eine Rechtsunsicherheit zu vermeiden und es zu ermöglichen, dass die zuvor gesammelten und auf Vorrat gespeicherten Daten noch für die durch das Gesetz angestrebten Ziele benutzt werden können?"

1.5. Das Amtsgericht Köln legte mit Beschlüssen vom 20.01.2020, zu den Zlen 142 C 328/19, 142 C 329/19 und 142 C330/19, jeweils folgende Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor:

"Ist die PNR - Richtlinie (Richtlinie (EU) 2016/681 vom 27.04.2016 - in Bezug auf die nachfolgenden Punkte mit Art. 7, 8 Grundrechte Charta (GRCh) vereinbar:

1.) Erweisen sich die nach der Richtlinie zu übermittelnden PNR Daten unter Berücksichtigung von Art. 7, 8 GRCh als hinreichend bestimmt?

2.) Weist die Richtlinie in Hinblick auf ihren Anwendungsbereich unter Berücksichtigung von Art. 7, 8 GRCh eine ausreichende sachliche Differenzierung bei der Erfassung und Übermittlung der PNR Daten in Hinblick auf die Art der Flüge und die Bedrohungslage in einem bestimmten Land sowie in Hinblick auf den Abgleich mit Datenbanken und Mustern auf?

3.) Ist die pauschale, unterschiedslose Dauer der Speicherung aller PNR Daten mit Art. 7, 8 GRCh vereinbar?

4.) Sieht die Richtlinie unter Berücksichtigung von Art. 7, 8 GRCh einen ausreichenden verfahrensrechtlichen Schutz der Fluggäste in Hinblick auf die Verwendung der gespeicherten PNR Daten vor?

5.) Wird durch die Richtlinie unter Berücksichtigung von Art. 7, 8 GRCh das Schutzniveau der europäischen Grundrechte bei der Weitergabe der PNR Daten an Behörden von Drittstaaten durch die Drittländer ausreichend gewahrt?"

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu 1.1. bis 1.3. ergeben sich aus der Aktenlage, das Vorabentscheidungsersuchen des Belgischen Verfassungsgerichtshofs ist unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=222944&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=5395616, zuletzt abgerufen am 28.05.2020, die Beschlüsse des Amtsgerichts Köln sind unter http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ag_koeln/j2020/142_C_328_19_Beschluss_20200120.html,http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ag_koeln/j2020/142_C_329_19_Beschluss_20200120.html

und http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ag_koeln/j2020/142_C_330_19_Beschluss_20200120.html,

jeweils zuletzt abgerufen am 28.05.2020, abrufbar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 38 AVG, der gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, kann eine Behörde ein Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung von Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei ua dem zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

3.2. Eine Hauptfrage in diesem Sinne kann auch eine Vorlagefrage eines beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens sein. Sie berechtigt zur Aussetzung nach § 38 AVG, wenn sie für das verwaltungsgerichtliche Verfahren präjudiziell ist (vgl zB VwGH 13.12.2011, 2011/22/0316). Präjudiziell ist eine Rechtsfrage dabei auch zu einer "bloß" ähnlichen Rechtsfrage, und zwar auch dann, wenn nicht dieselbe gesetzliche Regelung desselben Gesetzgebers betroffen ist (vgl jüngst VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0068).

3.3. Im gegenständlichen Fall begehrt der Beschwerdeführer die Feststellung, er sei durch die auf Grundlage des PNR-G vorgenommene Verarbeitung ihn betreffender personenbezogener Daten durch die beim Bundesminister für Inneres eingerichtete Fluggastdatenzentralstelle in seinem Recht auf Datenschutz bzw. Geheimhaltung personenbezogener Daten verletzt. Der Beschwerdeführer beruft sich dabei ua auf die Unvereinbarkeit der PNR-RL mit EU-Primärrecht, nämlich mit Art 7, 8 und 52 GRC.

3.4. Gegen die Vereinbarkeit der PNR-RL mit EU-Primärrecht bestehen aus den folgenden Gründen Bedenken:

"Der EuGH hat im Urteil Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia Ende 2008 und damit bereits ein Jahr vor dem Inkrafttreten der GRC ausgesprochen, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten sowie Einschränkungen dieses Rechts, sprich Eingriffe auf das absolut Notwendige zu beschränken haben. Diese Aussage hat er seitdem mehrmals bekräftigt und mittlerweile selbst als ständige Rsp. tituliert. Er führt damit eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung durch. Die Organe/Stellen bzw. der Gesetzgeber haben dabei erkennbar Maßnahmen zu prüfen, die weniger stark in das Grundrecht eingreifen. Diese müssen aber auch gleich wirksam sein wie jene, die grundrechtsintensiver sind. Der zuständige Gesetzgeber hat somit klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung solcher Maßnahmen festzulegen und auch hinreichende Garantien dafür vorzusehen, dass Daten wirksam vor Missbrauch(srisiken) sowie vor unberechtigtem Zugang und unberechtigter Nutzung geschützt sind. Unter Einhaltung dieser Bedingungen sowie unter strikter Einhaltung der Voraussetzungen des eng auszulegenden Art 15 Abs 1 e-privacy-RL erachtete der EuGH die Speicherung von Daten auf Vorrat während einer begrenzten Zeit - im Gegensatz zur nach der RL 2006/24/EG möglichen allgemeinen zweijährigen Speicherung von sämtlichen Verkehrs- und Standortdaten ohne Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme - für zulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Vorratsdatenspeicherung ist zudem, dass objektive (normative) Anknüpfungspunkte vorliegen, die es ermöglichen, Personenkreise (geografisch) zu erfassen, deren Daten geeignet sind, zumindest einen mittelbaren Zusammenhang zu schweren Straftaten sichtbar zu machen, auf irgendeine Weise zur Bekämpfung der Kriminalität beizutragen oder eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern. Diese Anforderungen hat ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle im Vorhinein zu kontrollieren. Gemäß diesen strengen Voraussetzungen hat zuletzt das OVG Münster die in Deutschland seit 1.7.2017 erneut eingeführte Vorratsdatenspeicherung für unionswidrig qualifiziert.

Ob die RL 2016/681/EU betreffend die systematische Speicherung bzw. Verarbeitung der sog PNR-Daten vor dem Hintergrund dieser strengen (datenschutzfreundlichen) Prämissen grundrechtskonform ist, ist - ungeachtet der gegenüber der RL 2006/24/EG vorgenommenen Verbesserungen beim Schutz personenbezogener Daten - fraglich. Insbesondere die sechsmonatige, verdachtsunabhängige offene Speicherung der PNR-Daten stellt trotz des Umstandes, dass die Betroffenen nicht so häufig (wie beim Telefonieren) Gegenstand solcher Verarbeitungen sind, und diese entsprechend weniger weite Einblicke in die Privatsphäre gewähren, einen grundrechtsinvasiven Eingriff dar. Auch wenn diese Richtlinie gegenüber dem vom EuGH (ua) in Bezug auf Art 8 GRC als unzureichend qualifizierten PNR-Abkommen der EU mit Kanada dem Betroffenen deutlich mehr Schutz gewährt (präzise Auflistung der Straftaten, bei welchen eine Speicherung erfolgt, keine Speicherung sensibler Daten, Angabe der Behörde, welche die Verarbeitung der PNR-Daten vornimmt, ua), bestehen dennoch Zweifel an deren Grundrechtskonformität. Dies insofern, weil der EuGH hinsichtlich des PNR-Abkommens mit Kanada die dort angeordnete dauerhafte Speicherung der PNR-Daten sämtlicher Fluggäste nach ihrer Ausreise nicht als auf das absolut Notwendige reduziert qualifizierte. Anderes gilt nach Ansicht des EuGH nur dann, wenn bei den erfolgten Überprüfungen vor Einreise oder bei Ausreise objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von bestimmten Fluggästen auch nach der Ausreise eine erhöhte Gefahr ausgeht. Eine Verwendung von PNR-Daten während des Aufenthalts und nach der Ausreise aus Kanada müsse zudem einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder durch eine unabhängige Verwaltungsbehörde unterworfen werden, der ein begründeter Antrag vorauszugehen habe.

Die PNR-RL der EU sieht diese Differenzierung nicht vor. Sie erlaubt die personalisierte Speicherung der Daten zunächst pauschal über sechs Monate hinweg, ohne an Ein- oder Ausreise anzuknüpfen. Angesichts des Umstandes, dass die allermeisten Aufenthalte von Reisenden jedenfalls weniger als ein halbes Jahr andauern, entspricht diese nicht differenzierende Regelung nicht den vom EuGH an eine zulässige Speicherung aufgestellten Kriterien. Eine vorherige Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sieht Art 12 Abs. 3 lit b RL 2016/681/EU, wenn überhaupt, nur für eine Speicherung der PNR-Daten über die angesprochene sechsmonatige Frist hinaus vor und entspricht damit ebenso nicht den vom EuGH aufgestellten Kriterien. Ergänzend sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass auch der EGMR iZm Datenspeicherungen betont, dass diese nicht in exzessiver Relation zu den verfolgen Zielen erfolgen darf." (vgl. Riesz in Holoubek/Lienbacher, GRCKommentar² Art 8, Rz 100f. (Stand 1.4.2019, rdb.at))

3.5. Zur Frage der Unvereinbarkeit der PNR-RL mit Primärrecht sind bereits Vorlagefragen von belgischen bzw. deutschen Gerichten beim EuGH anhängig.

3.6. Die Beantwortung dieser Fragen ist für das gegenständliche Verfahren im Sinne der oben angeführten Judikatur relevant und damit ausreichend ähnlich; sie ist auch präjudiziell: Da das PNR-G die PNR-RL umsetzen soll, würde eine etwaige Rechtswidrigkeit der PNR-RL dazu führen, dass auch die Bestimmungen des PNR-G gegen Primärrecht verstoßen und damit unangewendet zu bleiben hätten, was wiederum die Rechtswidrigkeit der Verarbeitung der gegenständlichen Fluggastdaten zur Folge haben könnte.

3.7. Es wird daher die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens - mit nicht bloß verfahrensleitendem Beschluss (vgl VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0019) - bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH über die mit Entscheid des Belgischen Verfassungsgerichtshofs vom 17.10.2019, Nr 135/2019 (beim EuGH anhängig unter C-817/19), sowie über die mit Beschlüssen des Amtsgerichts Köln vom 20.01.2020, zu den Zlen 142 C 328/19, 142 C 329/19 und 142 C330/19, jeweils vorgelegten Fragen beschlossen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Anwendung des § 38 AVG konnte sich das erkennende Gericht auf eine - jeweils zitierte - gefestigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stützten. Eine - wie hier - im Rahmen dieser vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Grundsätze vorgenommene Beurteilung einer bei einem anderen Gericht anhängigen Rechtsfrage als für das gegenständliche Verfahren präjudiziell ist nicht reversibel (vgl VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0068).

Schlagworte

Aussetzung Aussetzung der Entscheidung EuGH Vorabentscheidungsverfahren Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W211.2226813.1.00

Im RIS seit

19.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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