Entscheidungsdatum
18.06.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
I403 2231613-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Bulgarien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2020, Zl.
XXXX zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der volljährige Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsbürger, wurde am 15.03.2019 im Bundesgebiet kontrolliert und laut Strafanzeige festgestellt, dass er 0,9 g Cannabiskraut bei sich führte. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 19.04.2019 wurde ihm die Erlassung eine Ausweisung angekündigt. Am 24.04.2019 langte eine schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher dieser unter anderem (unter Beigabe eines Bustickets) betonte, erst am 10.03.2019 nach Wien gekommen zu sein und hier bei einem Freund übernachtet zu haben.
Mit Bescheid des BFA vom 23.05.2019 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Fremdenpolizeigesetz aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt. Der Bescheid wurde durch Hinterlegung im Akt zugestellt, da der Beschwerdeführer in Österreich zu diesem Zeitpunkt über keine Meldeadresse verfügte.
Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 2 BFA-VG erlassen und dieser am 17.01.2020 vollzogen. Der Beschwerdeführer wurde im Polizeianhaltezentrum neuerlich vom BFA befragt und gab er wiederum an, vor zwei Wochen mit dem Bus nach Wien gereist zu sein. Er sei auf der Suche nach Arbeit eingereist. Ihm wurden zwei Anzeigen wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften vorgehalten, wozu der Beschwerdeführer angab, die Drogen nur für den Eigenkonsum erworben zu haben. Der Beschwerdeführer wurde noch am 17.01.2020 aus der Haft entlassen.
Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2020 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchführungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
Am 09.05.2020 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und Schubhaft über ihn verhängt. Am 13.05.2020 reiste er im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr nach Bulgarien.
Gegen den genannten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 29.05.2020 (fristgerecht aufgrund des Fristenlaufs nach dem Covid-19-Justizbegleitgesetz) Beschwerde erhoben und kritisiert, dass der Beschwerdeführer unbescholten sei und nach Österreich gekommen sei, um einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Er stelle keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.
Am 05.06.2020 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bulgarien und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG (vgl aktenkundige Kopie des bulgarischen Personalausweises, AS 112). Er ist gesund und erwerbsfähig. In Bulgarien leben seine Mutter und sieben Geschwister (vgl Protokoll der Niederschrift durch das BFA am 19.04.2019, AS 27 bzw. am 17.01.2020, AS 121). In Österreich leben keine Angehörigen (Stellungnahme, AS 61).
Es konnte nicht festgestellt werden, wann der Beschwerdeführer erstmals in das Bundesgebiet einreiste. Seinen eigenen Angaben nach reiste er am 22.02.2019 (vgl Anzeige der LPD vom 19.04.2019, AS 1, Protokoll der Niederschrift durch das BFA am 19.04.2019, AS 25) bzw. am 08.03.2019 (Stellungnahme, AS 42 und 61; Kopie des Bustickets, AS 45) in das Bundesgebiet ein. In weiterer Folge wurde er am 15.03.2019 und am 19.04.2019 im Bundesgebiet angetroffen. Im April 2019 reiste der Beschwerdeführer nach Bulgarien aus, nach etwa zwei Wochen aber wieder ins Bundesgebiet ein (vgl Protokoll der Niederschrift durch das BFA am 17.01.2020, AS 123). Ab dem 03.06.2019 war der Beschwerdeführer im Bundesgebiet gemeldet (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 08.06.2020). Am 17.01.2020 wurde der Beschwerdeführer erneut im Bundesgebiet angetroffen. Er gab an, vor zwei Wochen eingereist zu sein, doch konnte er dies nicht belegen (Anzeige der LPD vom 17.01.2020, AS 97). Am 09.05.2020 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und Schubhaft über ihn verhängt. Am 13.05.2020 reiste er im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr nach Bulgarien.
Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeiten nach (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 10.06.2020). Der Beschwerdeführer hat bislang weder Leistungen aus der Arbeitslosen-/Krankenversicherung noch Mindestsicherung oder andere Sozialleistungen bezogen (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 10.06.2020).
Im Bundesgebiet ist der Beschwerdeführer seit 03.06.2019 gemeldet; die amtliche Abmeldung wurde durch das BFA am 26.05.2020 veranlasst (AS 268), aber noch nicht vollzogen. Unterkunftgeber ist sein Freund XXXX (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 08.06.2020), der ihn auch finanziell unterstützt (vgl Protokoll der Niederschrift durch das BFA am 19.04.2019, AS 26). Allerdings hielt sich der Beschwerdeführer, der seinen Freund zu Silvester 2016/2017 kennengelernt hatte, nur zeitweise an der Meldeadresse auf, ansonsten wohnte er in einem Heim der Caritas. Der Beschwerdeführer verfügt über keine eigenen Mittel (Antragsformular für unterstützte freiwillige Rückkehr, AS 234).
Mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom 02.04.2019, Zl. XXXX (AS 40) wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 15.03.2019 einem anderen ein Baggy Cannabiskraut mit 0,6 Gramm überlassen und das Suchtgift auch zum eigenen Gebrauch besessen und dadurch die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall, 15 StGB und nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG begangen. Am 06.07.2019 wurde der Beschwerdeführer erneut wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 27 SMG angezeigt.
In Österreich ist der Beschwerdeführer allerdings strafgerichtlich unbescholten (vgl Strafregisterauszug vom 08.06.2020), nachdem er mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 30.01.2020, Zl. XXXX hinsichtlich der im Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom 02.04.2019 erhobenen Vorwürfe freigesprochen worden war.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Insbesondere wurden auch Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Sozialversicherungsdatenbankauszug und dem Strafregister eingeholt.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Aktenkundig ist weiters eine Kopie des bulgarischen Personalausweises.
Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln, welche jeweils in Klammer zitiert und vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit bestritten wurden, sowie den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren und in der Beschwerde, welche der gegenständlichen Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Zudem wurde vom Bundesverwaltungsgericht die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX vom 30.01.2020, Zl. XXXX hinsichtlich des Freispruchs von den im Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom 02.04.2019 erhobenen Vorwürfen angefordert und berücksichtigt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zum Aufenthaltsverbot und den darauf aufbauenden Spruchpunkten:
3.1. Zu den Rechtsgrundlagen:
§ 67 FPG lautet:
§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
3.2. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus den folgenden Gründen stattzugeben:
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder jener, der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger jener Fremde, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist. Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger Bulgariens ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
Da vom Beschwerdeführer, der aufgrund seiner bulgarischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich der §§ 66 und 67 FPG fällt, die Voraussetzung eines rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet seit fünf bzw. zehn Jahren nicht erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG zur Anwendung.
Gegen einen grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG generell zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre.
Entsprechend hatte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet „eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ darstellt. Die belangte Behörde erklärte, dass gegen ihn wegen mehrfacher Delinquenz, auf der gleichen schädlichen Neigung basierend, mehrere Anzeigen der LPD erstattet worden seien und er damit gezeigt habe, dass er nicht bereit sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten.
Dem wurde in der Beschwerde zu Recht entgegengehalten, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX zur Zl. XXXX freigesprochen worden sei.
Dem Bundesamt ist grundsätzlich zuzustimmen, dass es für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht erforderlich ist, dass eine Anzeige oder gar Verurteilung des Fehlverhaltens vorliegt. Es ist vielmehr auf die Art und Schwere des Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (vgl etwa VwGH vom 03.04.2009, 2008/22/0711). Auch ein festgestelltes Fehlverhalten eines Fremden, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, kann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349).
Genau diesem Erfordernis ist das Bundesamt aber nicht nachgekommen. Die Behörde stellt das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte und den Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bildende Fehlverhalten nicht einmal rudimentär dar, sondern verweist auf zwei Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex. Es wurden keinerlei Tatbeschreibungen, Tatzeitpunkte und das konkret verwirklichte Delikt dargestellt. Dies reicht jedenfalls nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose aus (vgl VwGH vom 24.01.2019, Ra 2018/21/0234). Das Bundesamt hätte sich - bei Fehlen einer strafgerichtlichen Verurteilung - im Sinne der Beantwortung einer Vorfrage mit den behaupteten Straftaten des Beschwerdeführers inhaltlich auseinandersetzen und ausführen müssen, warum der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesamtes einen strafrechtlichen Tatbestand verwirklicht hat. Auch wurde nicht berücksichtigt, dass ein Freispruch erfolgt war. Wenn das Bundesamt dem Beschwerdeführer vorhält, er habe sich durch seine Meldepflichtverletzungen den Verfahren entzogen und sei es deshalb zu keiner Verurteilung gekommen, so steht dies im Gegensatz zu dem mit Urteil des Landesgerichts XXXX erfolgten Freispruch vom 30.01.2020.
Das dem Beschwerdeführer vom Bundesamt unsubstanziiert vorgeworfene strafbare Verhalten im Bundesgebiet (konkret zwei Anzeigen wegen Suchtmittelvergehen) ist damit nicht geeignet, eine vom Beschwerdeführer ausgehende, tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die die Grundinteressen der Gesellschaft berührt, iSd § 67 Abs. 1 FPG zu begründen.
Weiters vermag ein - allenfalls weiter zu befürchtender - unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet im Hinblick auf die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung des § 67 Abs. 1 FPG (ehemals § 86 Abs. 1 FPG) ein Aufenthaltsverbot nicht zu rechtfertigen (vgl VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0453).
In Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer am 13.05.2020 aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde und sich zum Entscheidungszeitpunkt weder aus dem Verwaltungs- oder Gerichtsakt noch aus den öffentlichen Registern ein Hinweis darauf ergibt, dass der Beschwerdeführer inzwischen neuerlich in das Bundesgebiet eingereist wäre, kam die Erlassung einer Ausweisung iSd § 66 FPG statt des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG nicht in Betracht. Eine Ausweisung setzt einen Inlandsaufenthalt voraus und stellt § 21 Abs. 5 BFA-VG schon nach seinem eindeutigen Wortlaut keine Basis für die Feststellung, die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FPG wäre statt der Erlassung des Aufenthaltsverbotsbescheides nach erfolgter Abschiebung rechtmäßig gewesen, dar (vgl etwa VwGH vom 25.01.2018, Ra 2017/21/0237 mwN).
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer war daher nicht zulässig und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.
4. Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Sein Vorbringen wurde der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt. Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte. Da bereits die für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes notwendige Gefährdung nicht festgestellt werden konnte, war es auch nicht notwendig, sich im Sinne des § 9 BFA-VG einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu machen. Es ergab sich bereits aus der Aktenlage, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war.
Im vorliegenden Fall konnte daher, in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (VwGH, 16.05.2019, Ra 2018/21/0244); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Suchtmitteldelikt UnionsbürgerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2231613.1.00Im RIS seit
23.10.2020Zuletzt aktualisiert am
23.10.2020