TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/18 W195 2224931-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2020
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Entscheidungsdatum

18.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W195 2224931-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2019, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 07.02.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am gleichen Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt an, Ende 2012 in seiner Heimat als Sympathisant der Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP) von Mitgliedern der regierenden Partei Awami League attackiert und schwer verletzt worden zu sein. Er habe mehrere Schnittwunden, darunter einen senkrechten Schnitt am linken Oberarm und an der linken Schulter, erlitten. Aus diesen Gründen habe er Angst um sein Leben gehabt und seit 2012 versucht, seine Heimat zu verlassen, was ihm aber erst im Jänner 2017 gelungen sei. In seiner Heimat sei er auch von seinen Gegnern fälschlicherweise strafrechtlich angezeigt worden. Die Anzeige sei am 09.10.2017 in der Polizeistation XXXX erstattet worden. Am 10.01.2017 sei der BF von der Polizei gesucht worden. Im Fall einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

I.2. Am 27.06.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

Der BF gab eingangs an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen und legte eine Mitgliedbestätigung der Bangladesh Austria Association sowie zwei Erstinformationsberichte, zwei Anklageschriften und zwei Haftbefehle, jeweils im Original und in englischer Übersetzung, sowie ein Schreiben eines Rechtsanwalts in Bengali und Englisch vor. Zur ersten vorgelegten Anklageschrift gab er an, dass im Jahr 2015 bei einer Busstation ein Polizeiwagen angegriffen worden sei und der BF wegen Sachbeschädigung angezeigt worden sei; zur zweiten vorgelegten Anklage gab der BF an, dass im Zuge einer Schlägerei im Zusammenhang mit einem Brettspiel auf einem kleinen Basar ein Student gestorben sei und der BF als Beschuldigter angeführt werde.

Der BF gab in seiner Befragung im Wesentlichen an, dass er in Bangladesch immer Angst gehabt habe, verhaftet zu werden, weil sein Nachbar Bürgermeister und Anhänger der Awami League gewesen sei. Weder der BF noch Familienangehörige des BF hätten sich politisch betätigt, der BF sei aber Sympathisant der BNP gewesen.

Konkret nach seinem Fluchtgrund befragt, führte er zusammengefasst an, dass der BF regelmäßig bei einer Busstation mit einem Parteimitglied der BNP, dessen Bruder XXXX die Wahl gewonnen habe, Tee getrunken habe. Der Nachbar des BF, welcher Bürgermeister sei, habe einen Streit mit dessen Bruder gehabt. Eines Tages im April oder Mai 2012, als der BF von der Tankstelle mit einer Rikscha nach Hause gefahren sei, seien auf der Hauptstraße fünf bis sechs Personen gekommen und hätten einen Anschlag auf den BF verübt. Der Rikscha-Fahrer habe vier bis fünf Ohrfeigen bekommen und der BF sei von der Rikscha gezogen, beschimpft und mit Fäusten geschlagen worden. Man habe den BF beschuldigt, von der BNP zu sein, was dieser abgestritten habe. Ihm sei gesagt worden, dass sie Beweise hätten und gesehen hätten, wie der BF sich mit dem Bruder von XXXX amüsiert hätte. Durch die Schläge sei der Oberarmknochen des BF verschoben worden, so dass er keine Kraft mehr im linken Arm habe. Sein linkes Schlüsselbein sei mit einer Metallstange gebrochen worden und davor sei sein Bizeps und seine Schulter mit einem Messer verletzt worden. Der BF sei bewusstlos geworden und erst wieder aufgewacht, als er von einem Arzt versorgt worden sei. Er sei gefragt worden, von wem er verletzt worden sei, aber der BF habe es nicht sagen können, weil er die Personen nicht gekannt habe. Danach habe er mit einem Polizisten auf der Polizeistation gesprochen und habe einen Eintrag ins General Diary veranlassen wollen. Der Polizist habe zum BF gesagt, dass er zuvor den Bürgermeister fragen solle, damit dieser den Polizeikommandanten der Polizeistation anrufe und ihm die Erlaubnis dafür gebe. Der Bürgermeister sei ein Verwandter der Großfamilie des BF. Letztendlich sei der Eintrag ins General Diary nicht gemacht worden. Danach habe der BF versucht, ins Ausland zu gehen.

Der Familie des BF gehe es situationsbedingt schlecht. Seine Ehefrau sei schwer krank.

Nachgefragt, was der BF nach dem Angriff bis zu seiner Flucht gemacht habe, gab er an, dass der Arzt ihm gesagt habe, dass er nichts machen solle. Die Familie des BF habe keine schlechte Feldwirtschaft gehabt. Der BF habe gedacht, dass er zu Hause bleibe und ein Rind für die Zucht gekauft. Ein Nachbar des BF habe die Ausreise des BF organisiert. Für ein Fahrzeug des Nachbars habe der BF mit diesem vereinbart, als Partner gemeinsam mit diesem zu arbeiten. Das Fahrzeug habe Hühner transportiert.

Nachgefragt, wann der BF von den Anzeigen erfahren habe, gab er an, dass er im Heimatland davon erfahren habe. Der Mord und die Sachbeschädigung sei bei der Busstation in seinem Heimatdorf passiert.

Nachgefragt, weshalb der BF gerade am 10.01.2017 geflohen sei, gab er an, dass die Polizei wie üblich in das Haus des Bürgermeisters in der Nachbarschaft gekommen sei, und in jener Nacht sei die Polizei zum BF nach Hause gekommen, um ihn zu suchen. Zu dieser Zeit sei der BF gerade bei der Tankstelle in der Hauptstraße ausgestiegen, als er von XXXX zurückgekommen sei.

I.3. Am 16.09.2019 fand eine weitere Befragung des BF vor dem BFA statt, in welcher der BF weitere Unterlagen, darunter das Sonderermächtigungsgesetz 1974, das digitale Sicherheitsgesetz vom Oktober 2018, den Menschenrechtsbericht Bangladesch 2018 von der Menschenrechtsorganisation XXXX sowie Internetauszüge, vorlegte und einen Antrag stellte, welcher vom Dolmetscher dahingehend übersetzt wurde, dass der BF als politischer Oppositioneller verfolgt werde und ihm politisch motivierte Strafverfahren angehängt werden, weshalb er den Antrag stelle, das BFA möge Ermittlungen vor Ort anstellen.

Der BF gab in seiner Befragung ergänzend im Wesentlichen an, dass er die vorgelegten Anzeigen von einem Freund namens XXXX erhalten habe und dieser dem BF die Unterlagen über XXXX habe schicken lassen. Dieser Freund sei zu den öffentlichen Verhandlungen gegangen und habe die Unterlagen für den BF besorgt. Der BF sei sehr gut mit diesem Freund befreundet gewesen; dieser würde in XXXX leben. Der BF habe die Woche zuvor mit ihm telefoniert, wegen einem dritten Strafverfahren gegen den BF. In der dritten Anzeige werde dem BF Körperverletzung, Sachbeschädigung, unrechtmäßige Versammlung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Dies seien die typischen Vorwürfe eines politischen Verfahren. Die dritte Anzeige sei vom 18.12.2018.

Auf Nachfrage, weshalb der BF so lang in Bangladesch habe leben können, obwohl er seit 2012 verfolgt werde, gab der BF an, dass er manchmal in der Stadt XXXX aufhältig gewesen sei und er sich manchmal versteckt gehalten habe, bis er das Land verlassen habe.

Im Heimatort würden noch seine Mutter, drei Brüder, die Ehefrau und die Tochter des BF leben. Der BF habe keinen guten Kontakt zu seinen Verwandten. Seine Ehefrau habe der BF nach islamischen Regeln geheiratet, aber diese habe sich nach religiösen Regeln vom BF scheiden lassen und lebe wieder bei ihren Eltern. Der BF habe nur mehr Kontakt zu seiner Tochter, welche bei verschiedenen Tanten lebe. Der Mutter des BF gehe es nicht gut. Die Familie des BF werde in Bangladesch von Hausdurchsuchungen gestört, weil gegen den BF wieder ein Strafverfahren laufe. Die Mutter des BF werde von Machthabern aus der Ortschaft verhöhnt.

In den ersten zwei Strafverfahren gebe es bereits eine Verurteilung, weshalb der BF sofort bei einer Rückkehr sterben würde, und weil das dritte Strafverfahren gegen den BF eingeleitet worden sei, würde die Polizei Hausdurchsuchungen machen. Dies habe der BF von einem Freund namens XXXX erfahren, welcher in der Nachbarortschaft lebe.

Nachgefragt, ergänzte der BF, dass er einmal zu lebenslanger Haft verurteilt und einmal die Todesstrafe gegen den BF verhängt worden sei.

Vorgehalten, dass wegen Sachbeschädigung keine lebenslange Haft verhängt werde, gab der BF an, dass es nicht nur die Sachbeschädigung sei, sondern unrechtmäßige Versammlung, Brandstiftung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dies seien die üblichen Tatbestände gegen Oppositionelle.

Vorgehalten, dass der BF in der ersten Anzeige wegen Unruhestiftung und Verstoß gegen das Sicherheitsverordnungsverstoßgesetz angeklagt sei und der Haftbefehl daher resultiere, weil der BF nicht bei Gericht erschienen sei, gab der BF an, dass man ihn genau wegen diesen Sachen verhaften würde. Viele Personen, welche die Polizei nicht mehr dem Gericht vorgeführt hätten, seien unauffindbar gewesen. Der BF habe, als er noch in Bangladesch gewesen sei, mitbekommen, dass zwei Täter dieser Vorfälle direkt mitgenommen, aber nie dem Gericht vorgeführt worden seien. Diese seien nie mehr nach Hause gekommen, weil sie heimlich getötet worden seien. Gegen Oppositionelle passiere das durch und durch im ganzen Land. Der BF kenne aber die Namen dieser Personen nicht.

Nachgefragt, ob der BF beim Vorfall betreffend die zweite Anzeige anwesend gewesen sei, gab er an, dass er nicht anwesend gewesen sei. Am 10.10.2018 habe es eine Auseinandersetzung gegeben, bei der eine Person namens XXXX mit einem Hackmesser schwer verletzt worden sei. Danach habe der BF erfahren, dass dieser im Spital verstorben sei und der BF in einer Anzeige als Beschuldigter geführt werde, weil er der gegnerischen Partei angehöre.

Konkret nachgefragt, welche Funktion der BF in der BNP gehabt habe, gab er an, dass er mit dem Führer der BNP auf Polizeiverwaltungsebene, XXXX , und dessen Bruder sehr eng gewesen sei. Auch wenn der BF keine Funktion gehabt habe, habe er großes Ansehen als Mitglied gehabt. Der BF habe keinen Kontakt mehr zu XXXX XXXX XXXX , weshalb er nicht wisse, wo sich dieser derzeit aufhalte. Er habe aber über die Nachrichten gehört, dass dieser im Zuge einer Parteikundgebung einen Vortrag gehalten und angegriffen worden sei. Er habe schwere Verletzungen erlitten und ins Krankenhaus müssen. Dies könne man im Internet nachlesen.

Die Frage, ob der BF ein aufrechtes Familienleben in Österreich habe, bejahte er und gab an, dass er eine familienähnliche Beziehung mit XXXX , einem österreichischen Staatsangehörigen, habe. Nachgefragt führte er aus, dass er eine sexuelle Beziehung zu dieser Person habe. Der BF wohne in keinem gemeinsamen Haushalt mit dieser Person und treffe sich nur ab und zu mit ihm. Der BF habe keine Sorgepflichten. Der BF führte auf Nachfrage weiter aus, dass er sich auch zu Frauen hingezogen fühle.

Am Ende der Befragung ergänzte der BF sein Vorbringen dahingehend, dass er auch Probleme wegen Facebook-Einträgen habe.

I.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.09.2019 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Echtheit der vorgelegten Anzeigen insbesondere aufgrund des unvollständig angegeben Namens des BF stark angezweifelt werde und der BF sein Fluchtvorbringen im Laufe des Verfahrens wesentlich gesteigert habe, weshalb von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF ausgegangen werde. Aufgrund der Angaben des BF werde weiter davon ausgegangen, dass sich dieser in Bangladesch selbst erhalten könnte. Der BF verfüge über fundierte Schulbildung und könne auf die Unterstützung seiner in Bangladesch lebenden Familienangehörigen zählen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" würden nicht vorliegen und würden zudem die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.5. Am 17.10.2019 wurde der Bescheid des BFA seitens des – von der XXXX vertretenen – BF zur Gänze angefochten.

Begründend wurden im Wesentlichen mangelhafte Länderfeststellungen zur Lage der Oppositionsmitglieder, Gerichtsverfahren, Haftbedingungen sowie zur allgemeinen Sicherheitslage sowie mangelhafte Ermittlungen hinsichtlich vorgelegter Beweismittel geltend gemacht.

Hinsichtlich der vorgelegten Beweismittel hätte das BFA Ermittlungen durchführen müssen, da es nicht ausreiche, sich auf die Länderberichte zu stützen, welche besagen, dass solche Dokumente oftmals gefälscht seien.

In Bezug auf die Beweiswürdigung sei der Behörde weiter vorzuwerfen, dass sie den BF nicht umfassend und detailliert in Zusammenhang mit der dritten Anzeige befragt habe. Der BF hätte hierbei angeben können, dass seine Familie in der Folge von der Polizei in Bangladesch besucht und bedroht werde. Der BF habe die auslösenden Kommentare auf Facebook wieder gelöscht und den Dienst deaktiviert, aus Angst vor Verfolgung. In diesem Kommentar habe der BF auf Korruption und unrechtmäßig durchgeführte Wahlen hingewiesen.

Dem Einwand der Steigerung seines Vorbringens in Bezug auf das Vorbringen hinsichtlich eines sexuellen Kontakts zu einem Mann werde entgegengehalten, dass nicht erkannt werden könne, wie ein Antragsteller sein Vorbringen im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens steigern könne.

Der BF werde in Bangladesch aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt. Darüber hinaus drohe dem BF auch Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit der Männer, denen homosexuelle Handlungen vorgeworfen werden, sollte sein sexueller Kontakt zu einem Mann herauskommen.

I.6. Am 31.10.2019 legte das BFA die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.7. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde das aktuelle Länderinformationsblatt (April 2020) der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 02.06.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

Am 02.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Im Zuge der Verhandlung wurde der BF erneut ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Bangladesch befragt.

Auf die Frage, ob der BF Kontakt zu seiner Familie in Bangladesch habe, meinte er: „Mit meiner Familie, man könnte sagen, nicht wirklich“. Erst nach der dritten Nachfrage erklärte der BF, „Ja, manchmal“. Nachgefragt, wie oft, führte der BF aus: „Letztes Monat zB 2 Mal, weil mein jüngerer Bruder krank ist, deswegen.“

Nachgefragt, wer denn seine Familie sei, meinte der BF: „Meine Mutter, 2 Brüder, die Ehefrau vom Bruder und die Tochter.“ Im Verlauf der weiteren Befragung stellte sich heraus, dass der BF 3 Brüder, 4 Schwestern, eine Ehefrau und eine Tochter hat. Seine Mutter lebt noch, der Vater ist verstorben.

Die Ehefrau habe sich zu seinem Schwiegervater begeben und den BF verlassen, sie seien jedoch noch standesamtlich verheiratet. Die Tochter, geboren am 26.10.2001, wohne abwechselnd bei den Schwestern.

Der Versuch während der Verhandlung mit dem BF eine Konversation in deutscher Sprache zu führen, misslang; der BF verstand die meisten (einfachen) Fragen nicht, der Sprachwortschatz ist sehr begrenzt. Der BF hat bisher auch kein Sprachzertifikat erworben, weil er nach seiner Meinung aufgrund der familiären Umstände und Schwierigkeiten psychisch etwas niedergeschlagen sei. Durch den Lock-Down (Mitte März 2020) im Zusammenhang mit dem Corona-Virus sei es nicht möglich gewesen, einen Deutschkurs abzuschließen.

Der BF ist seit 06.02.2017 in Österreich.

Gefragt, ob er in Österreich Kinder habe, verneinte dies der BF. Auf die Frage, ob er in einer Beziehung in Österreich lebe, meinte der BF: „Nein, derzeit nicht.“

Von der Vertreterin des BF gefragt, dass dieser vor dem BFA angegeben habe, dass er eine Beziehung zu einem Mann geführt habe, antwortete der BF, dass er einen Mann am Karlsplatz in Wien kennen gelernt habe, mit dem er homosexuellen Kontakt hatte. Sie hätten sich bei einer Party kennen gelernt und etwas miteinander getrunken. Sie hätten sich 4 bis 5 Mal getroffen. Nachdem das Display am Mobiltelefon des BF kaputt gegangen sei konnte er den Bekannten nicht mehr anrufen; er habe ihn zwar später nochmals gesehen, aber keinen Kontakt aufgenommen.

Über Nachfrage des VP meinte der BF, dass er sich als homosexueller Mann fühle. Einen Anschluss an die Homosexuellen-Szene in Österreich habe er nicht gesucht, er habe auch keinen weiteren Kontakt gehabt. Der BF habe mit Niemandem über sein homosexuelles Erlebnis gesprochen, ausgenommen beim BFA.

Er lebe derzeit über die Caritas. Er wohne mit drei anderen in einer Wohnung Er koche meistens, treffe sich mit einem Bengalen in Heiligenstadt oder einem anderen Freund in Meidling. Er versuche Zeitungen zu lesen. Fernseher habe er keinen, Internetzugang habe er nur über die Zimmerkollegen. Ein Mobiltelefon habe er früher mit Facebook Funktion gehabt, aber das Display ging kaputt und er musste sich ein Mobiltelefon besorgen mit einer Wertkarte. Ein bengalischer Freund habe ihm geholfen bei der Erstellung der Unterlagen zu seinem Verfahren.

In Bangladesch habe der BF nach der Schule zuerst auf den landwirtschaftlichen Grundstücken geholfen, dann habe er die „Busarbeit“ gemacht.

Am 12.01.2017 habe er Bangladesch verlassen. Zwei Tage zuvor sei die Polizei mit einem Haftbefehl zu ihm nach Hause gekommen, als der BF noch an der Tankstelle gearbeitet habe. Er sei daraufhin nicht mehr nach Hause gegangen, sondern sofort zu seiner Schwester nach XXXX gefahren. Er habe sich Geld von seinem Schwager ausgeborgt und sei nach XXXX gefahren, von dort weiter nach Indien (Kalkutta, später Delhi).

Der erste politische Vorfall gegen den BF sei bereits Mitte 2012 passiert, als der BF mit einer Rikscha nach Hause unterwegs war. Man habe ihn aus der Rikscha gezerrt, ihn schwer verletzt und bewusstlos geschlagen, andere Personen seien zu Hilfe geeilt und hätten ihn zu einem Arzt gebracht. Der BF sei sich sicher, dass die Angreifer Mitglieder der AL gewesen seien. Dies deshalb, weil der BF etwa fünf Tage zuvor an einer Veranstaltung der BNP teilgenommen habe. An dieser Veranstaltung hätten 3000 bis 4000 Personen teilgenommen. Danach hätten, etwa zwei bis drei Tage vor dem Überfall, ihn Personen beim Busstand verhöhnt und gelästert, warum der BF den BNP Führer so unterstütze.

Die Polizei habe ihn am 10.01.2017 wegen eines Vorfalles gesucht, welcher sich am 26.08.2015 ereignet haben soll. Es sei dies ein Vorfall bei der Busstation gewesen. Der BF sei in einem Teegeschäft gesessen, etwa einen halben Kilometer entfernt von einem Bazar in der Nähe des Schulcolleges. Dort habe eine Demonstration stattgefunden mit etwa 50 bis 70 Personen. Der BF habe bemerkt, dass 2 Polizeifahrzeuge beschädigt worden seien und die Polizisten hätten auch 2 bis 3 Personen festgenommen. Man hätte ihn als dritten im Strafverfahren angeklagt. Dies deshalb, weil die Demonstration von BNP-Aktivisten gemacht worden sei und weil auch der BF die BNP mag. Der BF sei nur beim Busstand Tee trinken gewesen, er sei nicht einmal bei dem Vorfall gewesen.

Die erste Anzeige (Demonstration in der Nähe der Busstation) gegen den BF sei am 27.08.2015 über den Vorfall am 26.08.2015 eingebracht worden. Deswegen wollte ihn die Polizei am 10.01.2017 verhaften. Der BF habe sich daraufhin versteckt gehalten, sei beispielsweise nach XXXX , XXXX und XXXX mit dem Bus gefahren; manchmal habe er auch im Fahrzeug geschlafen.

Die zweite Anzeige stamme vom 10.10.2015. In der Nachbarortschaft sei eine Person namens XXXX beim Karambot-Spiel aufgrund einer Auseinandersetzung verletzt worden und verstarb danach im Spital. Es seien dies Personen der AL gewesen, dies wisse der BF so schon von der Ortschaft, und man hätte den BF in der Anzeige als Täter fingiert.

Von der dritten Anzeige habe der BF nichts gewusst, ein Freund habe sie ihm erzählt. Bei einem Vorfall am 18.12.2018, zu einem Zeitpunkt, als sich der BF bereits in Österreich aufgehalten habe, hätte es im Polizeiverwaltungsbezirk XXXX eine Schlägerei von 20 bis 30 Personen gegeben, zwischen Anhängern der AL und der BNP, und der BF würde in dieser Anzeige genannt sein.

Dreimal musste der BF in der Verhandlung gefragt werden, ob der BF Mitglied einer Partei war, bevor er – ohne verschleiernde Ausschweifungen – antwortete: „Nein, ich war mit den Namen nicht Mitglied, aber bis zur Ebene des Polizeiverwaltungsbezirkes kannte ich jeden.“ Der BF musste zugestehen, dass er auch Menschen der gegnerischen AL in der Ortschaft kannte, weil die AL ebenso in der Ortschaft vertreten waren. Es seien diese Personen aber nicht tiefergehende Freunde gewesen, mit denen sei er nicht unterwegs gewesen.

Ein weiterer Fluchtgrund wurde nicht angegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der muslimischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.

Der BF hat in Bangladesch neun Jahre eine Grundschule in seinem Heimatort im Distrikt XXXX besucht. Danach war der BF Fahrzeughelfer („Busarbeit“) für einen Verwandten und hat in der Landwirtschaft der Familie mitgeholfen. Der BF lebte im Distrikt XXXX hielt sich aber regelmäßig in XXXX auf, wo er bei seiner Schwester übernachtete.

Der BF hat in Bangladesch geheiratet, die Ehefrau des BF hat sich vom BF getrennt; formell ist noch keine Scheidung ausgesprochen. Die Mutter, die drei Brüder, die vier Schwestern, die (Ex-)Ehefrau und die Tochter des BF leben in Bangladesch. Der Vater des BF ist 2016 nach einem Herzinfarkt verstorben. Der BF hat Kontakt zu seiner Mutter und seiner Tochter in Bangladesch. Die Familienangehörigen des BF finanzieren sich ihren Lebensunterhalt in Bangladesch durch die Reisfelder der Familie und (früher) die finanzielle Unterstützung der Schwiegereltern des BF.

Am 07.02.2017 stellte der BF den gegenständlichen Asylantrag. Der BF bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und lebt gemeinsam mit drei bengalischen Staatsangehörigen in einer privaten Wohnung. Der BF ist Mitglied in der XXXX Er hat sich für einen Deutschkurs A1 angemeldet, aber bisher keine Prüfung abgelegt.

Im Bundesgebiet befinden sich keine Familienangehörigen des BF.

Der BF behauptete vor dem BFA eine homosexuelle Beziehung gehabt zu haben, fühle sich aber auch zu Frauen hingezogen. Vor dem BVwG verneinte der BF, derzeit eine Beziehung zu haben. Er hätte 4 bis 5 Mal Kontakt zu einem homosexuellen Mann gehabt, fühle sich als Homosexueller, suche aber keinen Kontakt zur homosexuellen Szene in Österreich und habe auch niemandem – außer dem BFA und dem BVwG – darüber erzählt.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund.

II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Es wird festgestellt, dass der BF nur über stetes, wiederholtes Nachfragen mit Details zu den behaupteten Vorfällen Stellung nahm und damit die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen verringerte, weil dadurch die Vorfälle konstruiert wirkten.

Der BF ist kein Mitglied einer Partei, auch nicht der BNP.

Es wird festgestellt, dass es unglaubwürdig ist, wenn der BF an einer Veranstaltung der BNP, an der 3000 bis 4000 Personen teilgenommen haben, eine Woche danach, von „vermutlich“ AL-Mitgliedern aus einer Rikscha gezerrt und verprügelt wurde, obwohl er nicht einmal Parteimitglied der BNP ist.

Es wird festgestellt, dass es unglaubwürdig ist, dass im Jänner 2017 ein Polizeieinsatz gegen den BF wegen eines Vorfalles aus August 2015 erfolgte. Die Schilderungen dieses Vorfalles, etwa die im Rahmen eines Polizeieinsatzes erfolgte „Verhaftung“ von zwei bis drei Personen aus einer Menge von 50 bis 70 Demonstranten, welche der BF aus der Entfernung von einem halben Kilometer wahrgenommen haben will, sind ebenso nicht glaubwürdig.

Es wird festgestellt, dass der zweite behauptete Vorfall vom 10.10.2015, nämlich eine Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang bei einem Karambot-Spiel in der Nachbarortschaft, zu einer Anzeige gegen den BF geführt haben soll, weil diese Auseinandersetzung auch eine zwischen AL-und BNP-Mitgliedern gewesen sei, ist unglaubwürdig, da der BF nicht einmal Mitglied der BNP war und nach seinen Aussagen nicht am Tatort gewesen ist.

Es wird festgestellt, dass auch die dritte Anzeige gegen den BF vom 18.12.2018 wegen der Beteiligung an einer Schlägerei zwischen 20 bis 30 Personen in Dorf XXXX Polizeiverwaltungsbezirk XXXX eine falsche Anzeige ist, weil der BF zu diesem Zeitpunkt nachweislich in Österreich aufhältig war.

Es wird somit festgestellt, dass in Bangladesch keine Anzeigen gegen den BF erhoben, Haftbefehle gegen den BF ausgestellt oder Urteile gegen den BF erlassen wurden.

Ebenso wenig wird festgestellt, dass der BF in Bangladesch von der Polizei gesucht wurde bzw. gesucht wird.

Der BF ist in seinem Herkunftsland keiner konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung oder Verfolgung aus politischen oder homosexuellen Gründen ausgesetzt gewesen und droht auch keine Verfolgung im Falle einer Rückkehr.

Neben der behaupteten Verfolgungsgefährdung aus politischen oder homosexuellen Gründen liegen auch keine anderen Gründe vor, aufgrund derer der BF in seinem Heimatland eine Verfolgung bzw. Gefährdung zu befürchten hätte. Insbesondere konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF eine Verfolgung in Bangladesch wegen seiner in Österreich erfahrenen Homosexualität drohen würde, weil der BF nach seiner eignen Aussage diese nur gegenüber dem BFA und dem BVwG geäußert hat, sodass im Heimatland darüber keine Kenntnis besteht.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

1.       Politische Lage

Letzte Änderung: 06.04.2020

Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People's Republic of Bangladesh / Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 13.3.2020) leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 13.3.2020; vgl. GIZ 3.2020, AA 6.3.2020a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 6.3.2020a).

Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Der Premierminister ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der fünfjährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige Übergangsregierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB 8.2019; vgl. GIZ 11.2019a). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 8.2019) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern durch die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 11.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 8.2019).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt (ÖB 8.2019). Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 22.7.2019; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020).

Seit 2009 ist Sheikh Hasina Wazed von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 11.2019a; vgl. ÖB 8.2019). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019, DW 14.2.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).

Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).

Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden, innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist (GIZ 11.2019a).

Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 8.2019). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein (ACCORD 12.2016). Die Ankündigung von PM Sheik Hasina, ein Tribunal einzusetzen, um erstmals die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskrieg 1971, aber auch für die Ermordung ihres Vaters und Staatsgründers Sheikh Rajibur Rahman 1975 sowie versuchte Mordanschläge auf ihr eigenes Leben 2004 zur Rechenschaft zu ziehen, stoßen in gewissen (pro-pakistanischen Kreisen) in Bangladesch auf heftigen Widerstand (ÖB 8.2019).

Die Kommunalwahlen 2019 fanden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 statt (bdnews24 20.6.2019; vgl. bdnews24 3.2.2019). Nachdem die BNP und einige andere Parteien die Wahlen boykottierten, wurde eine niedrige Wahlbeteiligung beobachtet (bdnews24 20.6.2019; vgl. DS 10.3.2019). Die Kandidaten der AL waren in 317 von 470 Upazillas [Landkreisen] siegreich, in 149 Upazillas gewannen unabhängige Kandidaten, die vorwiegend abtrünnige der Regierungsparteien sind. In 115 Upazillas gab es keine Gegenkandidaten (bdnews 20.6.2019). Für die Nachwahlen in insgesamt 8 Upazillas am 14.10.2019 kündigte die BNP jedoch eine Teilnahme an (PA 8.9.2019).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 92 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), über 4.500 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 8.2019). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 8.2019).

Quellen:

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2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.04.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).

Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte ums Leben. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).

In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (22.3.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 2.4.2020

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Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 4.2.2020

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Number of Terrorism Related Incidents Year Wise 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020

?        SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh,

Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 15.1.2020

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3.       Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 06.04.2020

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Gemäß einer Verfassungsänderung können Richter abgesetzt werden (AA 22.7.2019).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Ju

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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