Entscheidungsdatum
22.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W240 2199489-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2020, Zl. 1103897500-200087958, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. bis VII. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 FPG, § 55 Abs. 1a FPG, § 53 Abs.°1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG und § 15b Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz (in Rechtskraft erwachsen):
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.02.2016 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er wegen des Krieges und der Lage in Afghanistan geflüchtet wäre. Bei einer Rückkehr hätte er Angst um sein Leben.
1.3. Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA am 21.03.2018 gab der Beschwerdeführer insbesondere auch an, dass er die Tazkira aus Afghanistan erhalten habe, ein Freund habe diese aus Kabul hergeschickt. Er sei in Helmand geboren, habe ab dem siebten Lebensjahr bis zum 15. oder 16. Lebensjahr die Schule besucht. Insbesondere seine Mutter sein ein Jahr jüngerer Bruder und seine jüngere Schwester würden noch in Afghanistan leben. Er habe als Gelegenheitsarbeiter gearbeitet, er sei oft im Lebensmittelhandel beschäftigt gewesen. Als sein Vater verstorben sei, sei ein Onkel mütterlicherseits, der ein Lebensmittelgeschäft besitze, bei der Familie, welche ein Haus besitzen, wohnhaft gewesen und habe diese auch unterstützt. Er sei ledig und ein Onkle väterlicherseits lebe in Kabul, auch Nachbarn hätten ihn unterstütz bei der Finanzierung der Ausreise.
1.4. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 21.03.2018 gab der BF im Wesentlichen an, dass er Afghanistan verlassen hätte, weil er homosexuell wäre.
1.5. Mit Bescheid vom 09.05.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
1.6. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 12.06.2018 fristgerecht zur Post gebrachte Beschwerde.
1.7. Das BVwG führte am 01.07.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines anwaltlichen Vertreters persönlich teilnahm. Eine Vertreterin des BFA nahm an der Verhandlung ebenfalls teil. Der Beschwerdeführer gab insbesondere auch an, dass er zehn Jahre die Schule bsucht habe, sein Onkel sei das Familienoberhaupt und führe ein Geschäft. Er habe in Afghanistan gearbeitet und sei vom Onkel finanziell unterstützt worden. Ein Onkel väterlicherseits lebe in Pakistan, er stehe mit einer Tante väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits in Kontakt. Der Beschwerdeführer behauptete insbesondere, dass er große Probleme mit seinem Onkel gehabt hätte, der ihn aufgrund seiner Homosexualität geschlagen hätte und er deshalb zu diesem und anderen Verwandten den Kontakt meide.
1.8. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses zu W122 2199489-1. Mit diesem Erkenntnis wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 09.05.2018 abgewiesen. Ein neuer anwaltlicher Vertreter des Beschwerdeführers beantragte fristgerecht beim BVwG die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
1.9. In der schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses im ersten Verfahren betreffend den Beschwerdeführer zu W122 2199489-1 vom 06.09.2019 wurden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:
„(…)
Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.
Der BF wurde nach seinen Angaben in XXXX , in der Provinz Helmand geboren.
Der Beschwerdeführer lebte wieder in Afghanistan noch in Österreich in einer sexuellen Beziehung oder Lebensgemeinschaft.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Die Familie des BF, bestehend aus seiner Mutter und seinem Onkel und seinem Bruder lebt in Helmand. Der Vater des BF ist verstorben. Die Familie des BF verfügt über Vermögen und die wirtschaftliche Lage ist durchschnittlich.
Der BF hat einen Onkel mütterlicherseits in seiner Heimatprovinz, einen Onkel väterlicherseits in Pakistan, eine Tante väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits in Afghanistan.
Der BF hat Kontakt zu seiner Mutter und zu seinem Bruder.
In seinem Herkunftsstaat hat der BF 10 Jahre die Schule besucht. Der BF verfügt über kein Vermögen.
Der BF ist strafgerichtlich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.
Es wird festgestellt, dass der BF persönlich nicht glaubwürdig ist.
Der BF stellte einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er Afghanistan verlassen hätte, weil er homosexuell wäre. Er würde sich nur für Männer interessieren. Er hätte das weder seine Familie noch seinem Onkel mitteilen können. Die Mutter des Beschwerdeführers hätte immer zu ihm gesagt, dass er großgeworden wäre und sie ihm eine Frau arrangieren werden würde. Zuletzt hätte sie dies sehr ernst gesagt. Der Beschwerdeführer hätte Angst, dass die Nachbarn von seiner sexuellen Orientierung erfahren werden würden und ihn steinigen würden und in der Öffentlichkeit umbringen würden ähnlich wie Farkhunda. Die Familie des Beschwerdeführers würde nicht mehr mit ihm reden. Der Beschwerdeführer gab an, eine versteckte, geheim gehaltene Beziehung zu einem Mann geführt zu haben und diesen auch geküsst zu haben. Er hätte jedoch über das Internet keinen Kontakt zu sexuellen Männern. In Österreich wisse noch niemand von seiner Homosexualität, da der Beschwerdeführer hier vor Afghanen Angst hätte.
Dieses Vorbringen konnte der BF jedoch nicht glaubhaft machen, da es sich bei Gesamtbetrachtung sämtlicher im Verlauf des Verfahrens getätigten Angaben in entscheidenden Punkten als widersprüchlich sowie als nicht schlüssig und nicht plausibel erwiesen hat.
Der BF war vor seiner Ausreise aus Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung oder Bedrohung – etwa durch Behörden oder Private – ausgesetzt.
Der BF ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre.
Es wird festgestellt, dass der BF keiner konkreten gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
II.1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Eine Rückkehr des BF in seine volatile Heimatprovinz ist nicht möglich.
Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Der BF kann Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem war der BF bereits in der Lage in Afghanistan sich selbst zu versorgen. Weiters hat er zum Unterhalt seiner Familie beigetragen.
Der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.
Zudem ist es möglich, dass die Onkel und in geringerem Maße die Familie der Tanten des BF ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan beim Aufbau einer Existenzgrundlage in Mazar-e Sharif oder Herat unterstützen. Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut.
II.1.4. Zum Leben in Österreich:
Der BF hält sich seit Februar 2016 in Österreich auf.
Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich.
Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften) festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und war auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF kein Mitglied von Vereinen. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Volleyball, geht ins Fitnessstudio, joggen und ins Schwimmbad. Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch Referenzschreiben belegt. Daraus ist zu entnehmen, dasser im Lehrbetrieb und in der Berufschule erfolgreich ist.
Der BF ist in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren (A2).
Der Beschwerdeführer ist seit 2018 in einem Lehrverhältnis im Gastgewerbe tätig.
(…)“
1.10. Das vorzitierte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erwuchs in Rechtskraft.
2. Verfahren über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz:
2.1. Der BF begab sich in weiterer Folge im Oktober 2019 nach Deutschland und von dort weiter nach Frankreich, von wo er gemäß der Dublin III-Verordnungen am 22.01.2020 nach Österreich rücküberstellt wurde. In Österreich stellte er am 22.01.2020 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befrag gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Befragung am 22.01.2020 im gegenständlichen Verfahren auf Vorhalt, dass sein ersten Asylverfahren in Österreich am 01.07.2019 bereits rechtskräftig negativ entschieden worden war und befragt nach dem Grund seines neuerlichen Antrages in Österreich an, dass seine alten Gründe nicht aufrecht bleiben würden, weil diese gelogen seien. Es sei vor fünf Jahren der Neffe des BF in Afghanistan von Dieben entführt worden. Der BF sei von seinem Bruder über die Diebe informiert worden. Dem BF sei erklärt worden, dass sein Neffe umgebracht werde, würde der BF nicht die geforderte Geldsumme zahlen. Der Neffe des BF sei freigekauft worden, der BF habe dann auch Angst gehabt, entführt zu werden, daher sei er geflüchtet.
2.3. Am 03.03.2020 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem BFA einvernommen. Er tätigte insbesondere folgende Angaben:
„(…)
LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?
VP: Ja.
LA: Möchten Sie Ihr bisheriges Vorbringen von selbst ergänzen?
VP: Nein.
LA: Welche Dokumente aus Afghanistan können Sie in Vorlage bringen?
VP: Ich habe Photos zu meinem neuen Fluchtvorbringen. Ausdrucke aus dem Internet zum Akt.
(Betreffend einem Neffen, Lehrvertrag Systemgastronomie)
LA: Warum haben Sie keine Dokumente?
VP: 2016 habe ich meine Tazkira schon abgegeben.
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?
VP: Keine, niemand ist hier.
LA: Sind Sie soweit gesund?
VP: Grundsätzlich schon, aber ich bin momentan etwas verkühlt.
LA: Zu Ihrem Heimatland:
LA: Welchen Namen führen Sie?
XXXX
LA: Wann und wo sind Sie geboren?
XXXX
LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?
VP: Die Afghanische.
LA: Angehöriger welcher Volksgruppe bzw. Religionsgemeinschaft sind Sie?
VP: Ich gehöre der Volksgruppe der Saddat an und bin Schiite. Die Saddat werden auch als Sayed bezeichnet und sind eine schiitische Minderheit.
LA: Sind Sie verheiratet, haben Sie Kinder?
VP: Weder noch.
LA: Wo haben Sie vor der Ausreise aus Afghanistan gelebt?
VP: Immer in Helmand und in der Provinzhauptstadt XXXX .
LA: Haben Sie noch nähere Verwandte in Ihrem Heimatland, wie leben diese?
VP: Ja, meine Familie lebt nach wie vor in Helmand, meine Eltern und vier Brüder, sowie eine Schwester und Onkel und Tanten. Ein Onkel lebt in Pakistan ein weiterer in Kabul.
Drei Onkel mütterlicherseits habe ich auch, einer in Helmand, zwei im Iran, meine drei Tanten mütterlicherseits leben in der Provinz Ghazni.
LA: Welche Schulausbildung haben Sie absolviert?
VP: 10 Jahre in Afghanistan.
LA: Welchen Beruf haben Sie erlernt bzw. ausgeübt?
VP: Daheim erlernte ich keinen Beruf, sondern hier. Ich machte 2 Jahre die Lehre zum Koch/Kellner in der Gastronomie.
LA: Womit haben Sie in Ihrem Heimatland bisher Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Von meiner Familie, und ich arbeitete auch im Hotel und war auch im Verkauf für eine Firma, die medizinische Produkte verkauft hat. Das war aber nur nebenbei, neben der Schule.
LA: Haben Sie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland?
VP: Wir haben ein Haus in Helmand.
LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche/ finanzielle Situation zuletzt (vor der Flucht) im Heimatland gemessen am landesüblichen Durchschnitt bezeichnen (zB. gut/mittel/schlecht)?
VP: Es war und ist mittel.
LA: Sprechen Sie Deutsch?
VP: Etwas, --kann sich auf Deutsch vorstellen und aus seinem Leben erzählen.
LA: Besuchen Sie Kurse (z.B. Deutschkurs) oder machen Sie Ausbildungen?
VP: A1 und A2, habe ich besucht.
Integration
LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein, oder einer Organisation hier in Österreich?
VP: Ich war oft im Fitnesscenter, aber zurzeit bin ich hier im Lager.
LA: Haben Sie österreichische Freunde oder sonstige soziale Kontakte zu Österreichern?
VP: Ja, ich hatte Kontakt zu meinen österreichischen Arbeitskollegen aus Ried im Innkreis aus dem Restaurant „ XXXX “, einem italienischen Restaurant.
LA: Aus welchem Grund haben Sie nunmehr einen Asylfolgeantrag gestellt?
Aus dem Polizeiprotokoll am 23.01.2020 geht hervor, dass Sie Ihre alten Gründe alle gelogen waren, ist das richtig?
VP: Ja, das ist richtig, ich habe alles erlogen. Ich möchte dazu angeben, dass Freunde, die ich auf der Flucht kennengelernt habe, mir angeraten haben, mein eigentliches Fluchtvorbringen nicht zu sagen, weil die Behörde das nicht glauben würde, das hat mich in Angst versetzt, und daher sagte ich was mir geraten wurde.
LA: Was ist also tatsächlich passiert?
VP: 2015 wurde mein Neffe in Helmand entführt, er war auf dem Schulweg, als er entführt wurde. Nachbarn und Bewohner unserer Straße haben sich versammelt, eine Woche lang hörten wir nichts von ihm, die Polizei wurde verständigt, nach einer Woche erhielten wir von unbekannter Nummer einen Anruf, mein Bruder wurde angerufen, es wurde gesagt sie hätten seinen Sohn getötet. Danach haben sie aufgelegt. Nach 2 Tagen kam wieder ein Anruf, die Entführer stellten eine Geldforderung und drohten, nunmehr mich zu töten. Von meinen Brüdern wurde ich als einziger namentlich genannt. Danach kamen zahlreich Anrufe, sie drohten, sie würde aus verschiedenen Provinzen anrufen. Nach 54 Tagen fanden wir schließlich unseren Neffen. Wir liehen von der Verwandtschaft Geld und für das Lösegeld wurde er freigelassen. Es war eine sehr hohe Summe, ich weiß nicht genau wie viel, es müsste irgendwo stehen……….. sucht am Handy zeigt Photo von handgeschriebenem Papier auf dem die Zahl 2600000 Afghani steht. Wenn das nicht bezahlt wäre, wäre ich auch bedroht gewesen.
Nach Rückübersetzung:
AW: Das photographierte Dokument ist unterzeichnet und gestempelt vom Siedlungsvertreter (Ortsvorsteher), der die Geldübergabe bestätigt, angeführt wird, wer wieviel Geld aus der Nachbarschaft gespendet hat und unter welchen Umständen es zurückgezahlt werden soll.
Des Weiteren gibt es eine Anzeigebestätigung von der dortigen polizeilichen Kommandantur, in der die Aufnahme der Anzeige bestätigt wird.
LA: Wann haben Sie das Land verlassen?
VP: Ende 2015 etwa 2 Monate nach diesem Vorfall, ich stand unter Stress.
LA: Konnten die Entführer gefasst werden?
VP: Nein.
LA: Was tat die Polizei?
VP: Sie unternahm nichts, mein Bruder nahm das selbst in die Hand, erfüllte die Bedingungen, zahlte das Lösegeld, sie haben auch damit gedroht, die Polizei nicht einzuschalten, sonst würden sie mich auch töten.
LA: Warum glauben sie haben jene Verbrecher Sie als einzigen ausgewählt?
VP: Das kann ich mir nicht erklären.
LA: Gab es vielleicht Gerüchte in der Nachbarschaft?
VP: In diesem Jahr gab es 4 Kindesentführungen in Helmand, nur die Entführung meines Neffen hat länger gedauert, weil wir das Geld nicht auf Anhieb zusammenbringen konnten.
LA: Wie geht es Ihrem Neffen jetzt?
VP. Er hat danach einen Monat nichts gesprochen, er ist nach wie vor verstört und hat Gedächtnislücken.
LA: Wie alt war Ihr Neffe bei der Entführung?
VP: Er war 9
LA: Wie alt waren Sie damals?
VP: Ich war 21.
LA: Gibt es sonst aktuelle Neuigkeiten von jenen Entführern?
VP: Meine Familie spricht am Telephon mit mir über diese Angelegenheit nicht.
LA: Haben Sie somit all Ihre Gründe für die Asylantragstellung in Vorlage gebracht?
VP: Ja.
LA: Theoretisch, was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat befürchten?
VP: Ich hätte Angst vor diesen Entführern, sie haben mich damals gezielt bedroht, sie würden mich nicht am Leben lassen.
Die Rechtsberatung bitte!
RB: Keine Fragen, keine Anträge.
LA: Möchten Sie Feststellungen zu Afghanistan zur Kenntnis gebracht erhalten?
VP: Nein.
LA: Haben Sie ein Verbrechen außerhalb Österreichs begangen?
VP: Nein.
LA: Wie haben sie den Dolmetscher verstanden?
VP: Ja. Gut.
Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Nein, keine Einwendungen.
(…)“
2.4. Der BF legte insbesondere folgende Unterlagen im gegenständlichen Verfahren vor:
- Ausdrucke aus dem Internet betreffend die Entführung eines Knaben namens XXXX in Afghanistan
- Kopie einer Fotografie eines Bescheides des AMS vom 07.05.2018
- Kopie einer Fotografie des BF in einer Gastronomieküche in Küchenmontur
- Lehrvertrag vom 16.05.2018 einer österreichischen Firma namens „ XXXX “
2.5. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21.04.2020 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Und gemäß §°15b Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 7 Abs. 1 VwGVG wurde aufgetragen, in einem näher bezeichneten österreichischen Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.).
Begründend wurde im Wesentlichen zum Vorverfahren ausgeführt, dass das erste Asylverfahren in Österreich rechtskräftig abgeschlossen worden sei. In diesem Verfahren seien alle bis zur Entscheidung dieses Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden. Das gesamte Erstverfahren beruhe auf einem nicht glaubhaften Vorbringen. Zu den Gründen für den neuen Antrag auf internationalen Schutz wurde festgestellt, dass der BF im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens am 01.07.2019 entstanden sei. Ein schützenswertes Familienleben in Österreich sei nicht entstanden. Die Familie des BF lebe in Afghanistan. Er habe keine weitreichenden Kontakte zur österreichischen Gesellschaft aufgebaut und nehme nicht überproportional am gesellschaftlichen Leben des Gastlandes teil. Er lebe von staatlichen Unterstützungsleistungen und es bestünden keine besonderen sozialen Kontakte, die den BF an Österreich bänden. Es könne keine Integrationsverfestigung festgestellt werden. Die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen seien höher zu werten als die allfällig bestehenden Privatinteressen des BF. Es bestehe somit kein Rückkehrhindernis. Da fundiertes öffentliches Interesse daran bestehe, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die Anordnung zur Quartiernahme nach § 15b Absatz 1 Asylgesetz 2005 iVm § 7 Abs 1 VwGVG diesem Zwecke dienlich sei, sei die Anordnung zur Unterkunftnahme in Österreich erlassen worden.
Zur Lage in Afghanistan wurden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:
Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).
Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
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Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsope