Entscheidungsdatum
25.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L516 2144115-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2016, 1100631504-152057443/BMI-BFA_STM_AST, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24.06.2020 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der Beschwerdeführer ist ein iranischer Staatsangehöriger und stellte am 24.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.
Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 24.06.2020 eine mündliche Verhandlung durch.
1. Sachverhaltsfeststellungen
1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie die ebenso dort angeführten Geburtsdaten. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran. Seine Identität steht fest.
1.2 Der Beschwerdeführer ist homosexuell, bekennt sich zu seiner sexuellen Orientierung, lebte diese auch aus und möchte dies auch weiterhin und offen tun können.
1.3 Zur Lage homosexueller Personen im Iran:
Homosexualität ist im Iran strafbar. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches "Coming out" deshalb grundsätzlich nicht möglich.
(Auswärtiges Amt, Die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, 12.01.2019)
Verboten ist im Iran jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen, unabhängig der Religionsangehörigkeit. Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht verboten. Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als "Verbrechen gegen Gott" gelten, stehen offiziell Auspeitschung und Todesstrafe (dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden). Im Falle von "Lavat" (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den "passiven" Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfand, ansonsten für den Vergewaltiger. Auf "Mosahegheh" ("Lesbianismus") stehen 100 Peitschenhiebe Strafe, nach vier Wiederholungen kann die Todesstrafe verhängt werden. Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen.
Die Todesstrafe wird vor allem bei homosexuellen Vergewaltigungen verhängt, wobei diese oft von den Verurteilten bestritten wird. Im Falle von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen werden zumeist Freiheits- sowie Körperstrafen verhängt, teilweise aber auch die Todesstrafe. Da Homosexualität offiziell als Krankheit gilt, werden Homosexuelle vom Militärdienst befreit und können keine Beamtenfunktionen ausüben. Es ist davon auszugehen, dass Verurteilungen im Falle von Homosexualität auf andere Straftatbestände lauten, weshalb es kaum Daten zu Menschenrechtsverletzungen in diesem Bereich gibt. Geständnisse können durch Folter erzwungen worden sein.
(ÖB Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, Dezember 2018)
2. Beweiswürdigung:
2.1 Die Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit und Herkunft des Beschwerdeführers (oben 1.1) ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war, zumal der Beschwerdeführer auch in der Verhandlung seine als unbedenklich erachtete iranische Geburtsurkunde im Original vorlegte (VS 24.06.2020, Beilage Kopie vom Original).
2.2 Die Feststellungen zur Homosexualität des Beschwerdeführers (oben 1.2) waren nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu treffen.
Der Beschwerdeführer brachte bereits in der ersten Einvernahme vor dem BFA vor, homosexuell zu sein Der Beschwerdeführer war in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 24.06.2020 dazu in der Lage, von sich aus in freier Erzählung den Weg zu seiner eigenen sexuellen Identität nachvollziehbar zu beschreiben. So XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX Diese Ausführungen des Beschwerdeführers erweisen sich auch im Wesentlichen widerspruchsfrei, kohärent und konsistent. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher in Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte sexuelle Orientierung von einem glaubhaften Vorbringen aus. Während des laufenden Beschwerdeverfahrens trat somit eindeutig zu Tage, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert ist und seine Neigung auch weiterhin ausleben möchte.
2.3. Die Feststellungen zur Lage der Homosexuellen im Iran (oben 1.3) beruhen auf aktuellen Länderberichten, konkret auf dem Asylländerbericht der ÖB Teheran zum Iran vom Dezember 2018 sowie dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran vom Jänner 2019.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zur Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005
3.1 Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, C-199/12, ausgesprochen, dass Art 9 Abs 1 in Verbindung mit Art 9 Abs 2 lit c der Qualifikations-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, welches eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Art 10 Abs 1 lit d in Verbindung mit Art 2 Buchst c der Qualifikations-Richtlinie ist dahin auszulegen, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber auch nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.
3.2 Daran anschließend hat der Verfassungsgerichtshof erkannt, "es widerspricht der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, auf das zu verzichten die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden." (VfGH 11.06.2019, E 291/2019).
3.3 Fallbezogen ist der Beschwerdeführer homosexuell, er lebte seine sexuelle Orientierung auch aus und möchte dies auch in Zukunft offen tun können. Vor diesem Hintergrund und angesichts der festgestellten Ländersituation im Iran über Verfolgungshandlungen gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung sowohl durch staatliche Organe wie durch Dritte - aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches "Coming out" grundsätzlich nicht möglich und im Falle von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen werden zumeist Freiheits- sowie Körperstrafen wie Auspeitschungen verhängt, teilweise aber auch die Todesstrafe - wäre der Beschwerdeführer bei offenem Bekenntnis zu seiner homosexuellen Orientierung im Fall einer Rückkehr in den Iran einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt.
3.4 Nach der Judikatur des EuGH und des VfGH kann auch nicht erwartet werden, dass der Beschwerdeführer seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.
3.5 Es ist daher unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, und zwar aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten sozialen Gruppe, nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen, zumal auch eine inländische Ausweichmöglichkeit - die Lage gestaltet sich in allen Landesteilen gleichartig - nicht vorhanden ist.
3.6 Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.
3.7 Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben.
3.8 Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.9 Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs 4 AsylG damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).
Zu B)
Revision
3.10 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des EuGH und des Verfassungsgerichtshofes geklärt ist.
3.11 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft Homosexualität sexuelle Orientierung soziale GruppeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L516.2144115.1.00Im RIS seit
19.10.2020Zuletzt aktualisiert am
19.10.2020