TE Bvwg Beschluss 2020/6/26 L514 2232072-1

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Entscheidungsdatum

26.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L514 2232072-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger beantragte am XXXX 2019 die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ("Aufenthaltsberechtigung").

Mit Verbesserungsauftrag vom selben Tag wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, innerhalb von vier Wochen seinen Antrag in deutscher Sprache ausführlich zu begründen sowie eine Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument (Original) und ein Lichtbild nachzureichen.

Mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 08.01.2020 wurden die geforderten Unterlagen nachgereicht sowie ausgeführt, dass der Beschwerdeführer erstmalig im Jahr 1989 in das Bundesgebiet eingereist sei und sich seither mit Unterbrechungen in Österreich - über einige Jahre hinweg auch rechtmäßig - aufhalten würde. Er habe seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet, würde über einen Freundes- und Bekanntenkreis verfügen und habe er eine Arbeitsplatzzusage. Weitetrs habe er aufgrund seiner früheren Tätigkeiten einen Pensionsanspruch und verfüge er über eine alle Risiken abdeckende Krankenversicherung sowie über eine ortsübliche Unterkunft. Im Rahmen seiner Möglichkeiten habe der Beschwerdeführer versucht, sich die deutsche Sprache anzueignen, war jedoch aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht in der Lage, ein Sprachzertifikat zu erwerben. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer unbescholten und würden seine privaten Interessen ob seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich die öffentlichen Interessen an seiner Ausweisung überwiegen.

Am 03.03.2020 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich befragt. Der Beschwerdeführer führte auf Nachfrage aus, dass er sich seit dem Jahr 1990 in Österreich aufhalte. Bis zum Jahr 2013 sei er auch durchgehend beschäftigt gewesen und habe über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Da er vergessen habe seinen Aufenthaltstitel zu verlängern und zur Ausreise aufgefordert worden sei, sei er dieser Aufforderung freiwillig nachgekommen und sei er selbstständig in die Türkei zurückgekehrt. Im Jahr 2015 sei der Beschwerdeführer unter Zuhilfenahme eines C-Visums wieder nach Österreich gekommen. Seit diesem Zeitpunkt sei er geringfügig beschäftigt. Nach Ablauf seines C-Visums sei er deshalb nicht wieder ausgereist, da er eine Beschäftigungsbewilligung habe und somit als Assoziierungstürke anzusehen sei. Darüber hinaus habe er einen Anspruch aus einer Alterspension. Weiters habe er in Österreich viele türkische Freunde und Bekannte und verfüge über eine Wohnrechtsvereinbarung. Einem A2 Deutschkurs könne er aus gesundheitlichen Gründen nicht folgen, was ihm auch von einem Arzt attestiert worden sei. In der Türkei würden nach wie vor seine Ehegattin und die vier gemeinsamen, mittlerweile aber erwachsene Kinder leben, zu welchen er jedoch keinen Kontakt habe. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei werde er weder strafrechtlich noch politisch verfolgt. In der Folge wurde der Beschwerdeführer zur Vorlage eines Befreiungsscheines oder einer sonstigen Arbeitsbewilligung aufgefordert.

Mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 31.03.2020 wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit vielen Jahren regulär in Österreich erwerbstätig sei und daher unter Art. 6 ARB 1/80 fallen würde. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Art. 6 ARB 1/80 ist die Ausübung einer Beschäftigung unabhängig vom Vorliegen einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines zulässig. Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer sich seit rund 30 Jahren im Bundesgebiet aufhalte und hier seinen Lebensmittelpunkt habe, erweise sich eine Rückkehrentscheidung schon bereits aus diesem Grund als dauernd unzulässig.

2. Mit Bescheid des BFA vom 05.05.2020, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom XXXX 2019 gemäß § 55 AsylG abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 0 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Vom BFA festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer erstmals laut seinen Angaben im Jahr 1990 in das österreichische Bundesgebiet eingereist und laut Versicherungsdatenauszug bis zum Jahr 2013 rechtmäßig einer Beschäftigung nachgegangen sei. Einen Befreiungsschein habe der Beschwerdeführer nicht in Vorlage bringen können. Im Jahr 2013 habe er Österreich verlassen und sei er im Jahr 2015 mit einem C-Visum zurückgekehrt. Nach Ablauf des C-Visums sei der Beschwerdeführer weiter in Österreich geblieben.

Danach folgen Länderfeststellungen und wurde beweiswürdigend ausgeführt, dass sich die Feststellungen den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich betreffend aus der Aktenlagen ergeben würde.

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 05.05.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 08.05.2020 zugestellt, wogegen mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 05.06.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Zur Begründung wurden im Wesentlichen der Inhalt der bisherigen Stellungnahmen wiederholt. Darüber hinaus wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer niemals die Absicht gehabt habe seine Niederlassungsbewilligung durch seine Rückkehr in die Türkei im Jahr 2015 aufzugeben, sondern habe er lediglich einer behördlichen Aufforderung Folge geleistet. Weiters wurde dargetan, dass entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur ein im Verhältnis zur Gesamtaufenthaltsdauer eher kurzer, unfreiwilliger Auslandsaufenthalt daran nichts zu ändern vermag, weil dies nicht dazu geführt habe, dass der Beschwerdeführer seine persönlichen oder beruflichen Interessen ins Ausland verlegt habe (VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079). Letztlich wurde moniert, dass im Spruch des angefochtenen Bescheides keine Frist für die freiwillige Rückkehr festgelegt worden sei, jedoch wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde auch nicht aberkannt. Dies würde ebenfalls eine Rechtswidrigkeit darstellen.

Bereits mit Beschwerde vom 15.05.2020 wurde seitens des Vertreters des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher vor allem auf den gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers eingegangen wurde. Beigelegt wurden der Beschwerde ein klinisch-psychologischer Befund von XXXX , Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe vom 18.10.2018 sowie eine gutachterliche Stellungnahme von XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 17.01.2019.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

2.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.3. Beginnend mit dem Erkenntnis des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, wurde zur Sachentscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes ausgeführt, dass die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme zur grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 VwGVG verankerte System verlange im Sinne der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Im angeführten Erkenntnis des VwGH wird diesbezüglich ausgeführt: "Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden [...]".

2.4. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

2.4.1. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass der bekämpfte Bescheid des BFA an vielerlei Mängeln leidet. Abgesehen vom Umstand, dass die Länderfeststellungen dem Beschwerdeführer laut Aktenlage niemals zur Kenntnis gebracht wurden, was der Fairness halber in der Beschwerde nicht moniert wurde, und der Tatsache, dass im Spruch vergessen wurde, eine Frist für die freiwillige Ausreise festzusetzen, vermag die Sachverhaltsfeststellung samt Beweiswürdigung die rechtliche Begründung nicht zu tragen.

Das BFA stützte sich hinsichtlich der Frage des Aufenthaltes bzw der Ausreise in die Türkei lediglich auf die Angaben des Beschwerdeführers, ohne diese zu hinterfragen oder die entsprechenden fremdenpolizeilichen bzw niederlassungsrechtlichen Unterlagen beizuschaffen. Es wird in der Beweiswürdigung lapidar auf den Akteninhalt verwiesen ohne weiterführende Ermittlungen durchgeführt zu haben. Dies ist vor dem Hintergrund der attestierten leichten Demenz des Beschwerdeführers, welche sich aus den beiden im Rahmen der Beschwerde in Vorlage gebrachten Befunden ergibt, als problematisch anzusehen. Abgesehen davon finden sich im Bescheid des BFA keinerlei konkrete Feststellungen hinsichtlich der Dauer des legalen Aufenthaltes des Beschwerdeführers, des Grundes für seine Rückkehr in die Türkei bzw der Länge des C-Visums, welches für die Wiedereinreise genutzt worden sei. Auch aus dem Akteninhalt ergeben sich diese essentiell wichtigen Informationen nicht. Überdies versuchte das BFA im Rahmen der niederschriftlichen Befragung es auch nicht, diesbezüglich konkrete Antworten vom Beschwerdeführer zu erlangen, wobei - wie bereits oben ausgeführt - in diesem Zusammenhang ob des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers diesbezügliche Antworten nicht unreflektiert übernommen werden dürften.

Ein wesentlicheres Manko des bekämpften Bescheides stellt der Umstand dar, dass sich das BFA in keinster Weise mit dem Assoziierungsabkommen beschäftigt hat, obschon der Beschwerdeführer selbst bzw der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 31.03.2020 darauf verwiesen hat.

2.4.2. Am 12. September 1963 schlossen die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Türkei ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation (Assoziierungsabkommen). Am 23. November 1970 verabschiedeten die Vertragsparteien das "Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation" (im Folgenden: ZP), das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In weiterer Folge wurde am 19.09.1980 durch den Assoziationsrat (dem durch das ZP Normsetzungskompetenz übertragen wurde) der Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) gefasst, welcher den vorangegangenen Beschluss Nr. 2/76 weitgehend ablöste.

In Art. 6 ARB 1/80 werden die Rechte türkischer Staatsangehöriger geregelt, welche je nach Beschäftigungsdauer in Österreich bestimmte Ansprüche im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung und letztlich ihren Aufenthalt ableiten können.

Art 6 Abs. 1 ARB 1/80 lautet:

Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Art 6 Abs. 2 ARB 1/80 lautet:

Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann ein türkischer Staatsangehöriger sie (nur) unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130; sowie VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

In seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, führte der VwGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. insb. VwGH 27.6.2006, ZI. 2006/18/0138 und VwGH 26.09.2007, ZI. 2007/21/0215) zunächst aus, dass der Europäische Gerichtshof für die Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung ausgeführt hat, dass darauf abzustellen sei, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 setze den zuständigen nationalen Behörden Grenzen, die denen entsprechen, die für eine gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaats getroffene Ausweisungsentscheidung gelten (EuGH 10.2.2000, Nazli, C-340/97, Rn. 56 ff, sowie EuGH 11.11.2004, Cetinkaya, C-467/02, Rn. 43 ff). Im Hinblick auf die somit in Bezug auf die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen angeordnete Gleichbehandlung von ARB-berechtigten türkischen Staatsangehörigen einerseits und - im Ergebnis - EWR-Bürgern andererseits folgerte der VwGH für das FPG in der Stammfassung, dass solche Maßnahmen gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die Unionsbürger-RL umgesetzt wurde und der demnach umschrieb unter welchen Voraussetzungen (insbesondere) gegen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, in Betracht kämen und maß die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen diese Personen an den Kriterien dieser Bestimmung (siehe etwa VwGH 27.06.2006, ZI. 2006/18/0138).

Im Weiteren legte der VwGH dar:

"Dass in Bezug auf den Umfang der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgelegt wird, hat der Europäische Gerichtshof auch in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht (vgl. EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, Rn. 67). Im eben genannten Urteil wurde aber erkannt, dass der erhöhte Ausweisungsschutz, wie er in Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL festgelegt ist (umgesetzt ursprünglich durch § 86 Abs.1 fünfter Satz FPG, jetzt durch § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG), nicht auch auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu übertragen sei (Rn. 74).

Demgegenüber sei - gemäß den Rn. 79 ff des genannten Urteils Ziebell - für ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige, die sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedsstaat aufhalten, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthalts-RL) maßgeblich, sodass es darauf ankomme, ob der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt" (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009)."

2.4.3. Im vorliegenden Fall ist jedenfalls zu überprüfen, inwieweit der Beschwerdeführer unter das Assoziierungsabkommen gefallen ist bzw fällt. Dies ist insofern von Relevanz, würde er nämlich bereits über eine Aufenthaltsberechtigung, die sich aus dem Assoziierungsabkommen unmittelbar abgeleitet, verfügen, wäre eine Antragstellung gemäß § 55 AsylG unzulässig. Dabei ist auch zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer durch die Rückkehr in die Türkei - dafür müssten jedenfalls die genauen Zeiträume festgestellt werden - etwaige durch das Assoziierungsabkommen erworbene Rechte verloren hat oder nicht bzw ob durch die geringfügige Beschäftigung neuerlich Rechte erwachen sind - dazu gehört auch, ob der Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung oder einen Befreiungsschein vorlegen müsste, zumal diesen in diesem Zusammenhang lediglich deklarativer Charaktere zukäme - , wenn zuvor erworbene Rechte tatsächlich verloren gegangen sein sollten.

Daraus wird im Ergebnis ersichtlich, dass sich die Bescheidbegründung des BFA mangels entsprechender Ermittlungen und letztlich auch Feststellungen als nicht zur Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers tragfähig erweist und der entscheidungswesentliche Sachverhalt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 55 AsylG nicht ausreichend ermittelt wurde.

2.5. Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren jedenfalls die fremden- bzw niederlassungsrechtlichen Unterlagen beizuschaffen und im Zusammenschau mit dem Assoziierungsabkommen eindeutige und sachverhaltsbezogene Feststellungen zu treffen haben, erst dann wird eine nachvollziehbare Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes möglich sein.

Da im gegenständlichen Fall das den Kern des Vorbringens betreffende Ermittlungsverfahren vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre, käme das einem unerwünschten Abbau der Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens gleich, weshalb sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG verbietet.

Im vorliegenden Fall hat das BFA, wie oben dargestellt, essentielle Ermittlungen unterlassen, weswegen im gegenständlichen Fall im Sinne der aktuellen Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG davon auszugehen ist, dass genau solch gravierende Ermittlungslücken vorliegen, die eben zur Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde (BFA) berechtigen, zumal das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden kann, ohne sich erstmalig mit dem gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt auseinandergesetzt zu haben.

Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das BFA zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

2.6. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Wie sich aus der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, besteht zur Frage der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 VwGVG eine Rechtsprechung. Die vorliegende Entscheidung weicht von dieser Rechtsprechung auch nicht ab.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Assoziationsabkommen Begründungsmangel Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L514.2232072.1.00

Im RIS seit

19.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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