TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/29 W279 2190437-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W279 2190437-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX 2000 alias 01.01.1997 alias XXXX 1999, StA. Afghanistan, vertreten durch Volkshilfe GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .02.2018, Zahl 1115175905/160694592, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach schlepperunterstützt unberechtigter Einreise am XXXX .05.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes selben Tag gab der BF an, er sei im Iran geboren und habe in XXXX sowie im Iran vier Klassen der Grundschule besucht. Seine Eltern sowie seine beiden Brüder und seine Schwester würden nach wie vor im Herkunftsstaat leben. In Österreich seien keine Angehörigen des BF aufhältig. Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, dass sein Leben in Afghanistan aufgrund der instabilen Sicherheitslage in Gefahr gewesen sei. Bei einer Rückkehr hätte der BF Angst um sein Leben.

2. Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 12.01.2018 eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der BF gab eingangs an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme. Er wolle berichtigen, dass er das Heimatland nicht alleine, sondern mit seiner Familie verlassen habe. In Afghanistan sei er bereits als Landwirt tätig gewesen und sei vor seiner Ausreise in XXXX aufhältig gewesen. Auf Aufforderung, einen kurzen Lebenslauf bezüglich seiner Person anzugeben, führte der BF an, dass er vom siebenten bis zum neunten Lebensjahr im Iran die Schule besucht habe, jedoch keine reguläre Aufenthaltskarte besessen habe. Anschließend habe er von seinem Vater gelebt, der den Lebensunterhalt als Fliesenleger verdient habe. Befragt, wieso er den Iran verlassen habe, entgegnete der BF, dass sie ihnen die Lage im Iran gereicht habe, da sie dort Beschimpfungen und Erniedrigungen erlitten hätten. Auf Nachfrage, wohin sich er und seine Familie nach der Ausreise aus dem Iran begeben hätten, erwiderte der BF, dass sie nach Afghanistan in die Provinz XXXX gezogen seien, da sie dort noch Grundstücke und ein Haus gehabt hätten. Die Frage, ob er in Afghanistan noch Verwandte habe, wurde vom BF verneint. Seine Kernfamilie setze sich aus seinen Eltern, seinen drei Brüdern und einer Schwester zusammen, seine Großeltern seien bereits verstorben. Befragt, weshalb seine Eltern den Herkunftsstaat verlassen hätten, gab der BF zu Protokoll, dass es in Afghanistan damals einen Bürgerkrieg gegeben habe.

Der BF sei schiitischer Hazara und habe keinen Kontakt mehr zu im Iran oder in Afghanistan aufhältigen Personen. Den Zeitraum oder das genaue Datum, an dem er den Herkunftsstaat verlassen habe, könne der BF nicht angeben. Die endgültige Ausreise sei jedenfalls zweieinhalb Wochen nach dem Entschluss, das Land zu verlassen, erfolgt. An der ungarischen Grenze sei er mit seiner Familie aufgegriffen worden und sei zwei Monate lang inhaftiert worden. Für die weiteren drei Monate sei er in ein anderes Gefängnis gebracht worden und habe seitdem zu seinen Familienmitgliedern keinen Kontakt mehr. Die Fragen, ob er vorbestraft, in seinem Heimatland inhaftiert gewesen sei oder mit den Behörden Probleme gehabt habe, wurden vom BF allesamt verneint. Er sei auch nicht politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei gewesen und habe in seinem Herkunftsstaat keine Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder mit Privatpersonen gehabt und auch nicht an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass die Taliban nach Ergreifung der Herrschaft alle zu einer Teilnahme in einem „heiligen“ Kampf aufgefordert und beabsichtigt hätten, Ausländer sowie Ungläubige aus dem Land zu vertreiben. Sein Vater habe nicht gewollt, dass seine Kinder für die Taliban kämpfen müssten und sich daher für die Flucht entschieden. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat würde der BF von den Taliban bestraft werden. Auf Nachfrage, wieso ihn die Taliban auch weiterhin suchen sollten, brachte der BF vor, dass die Weigerung, am Dschihad teilzunehmen, für diese eine unverzeihliche Sünde darstelle.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich gab der BF zu Protokoll, dass er im Bundesgebiet keine familiären Anknüpfungspunkte habe. Er wolle ab nächster Woche einen Deutschkurs besuchen und verbringe zudem auch viel Zeit mit seiner Freundin. Befragt, ob er in Österreich bereits mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sei, entgegnete der BF, dass er bereits zwei Mal mit der Polizei Probleme gehabt habe, da er einmal eine Flasche fallen lassen habe und ein anderes Mal einen Streit mit einem türkischen Staatsbürger gehabt habe.

Auf die Frage, wie sich der Unterricht in XXXX abgespielt habe, dass er mit den Nachbarskindern bei zwei Frauen Lesen und Schreiben gelernt habe. Aufgrund der Einstellung der Taliban hätten diese Nachhilfeeinheiten jedoch geheim sein müssen. Auf Vorhalt, dass Taliban kein Problem mit Bildung hätten, erklärte der BF, dass Schüler deren Ansicht zufolge jedoch nur den Koran lernen sollten. Befragt, wie man sich die Ankunft der Taliban in seinem Dorf vorstellen könne, führte der BF an, dass sie von Haus zu Haus gezogen seien, sich nach männlichen Jugendlichen erkundigt hätten und alle Familien unter Druck gesetzt hätten. Zudem hätten sie auch Propagandamaterial bezüglich des Dschihads verteilt. Bei Abwesenheit eines männlichen Jugendlichen hätten Familien eine Steuer zahlen müssen. Nachgefragt, ob er selbst auch bei dem Gespräch mit den Taliban anwesend gewesen sei, gab der BF an, dass sie ausschließlich mit seinem Vater gesprochen hätten und dieser um Zeit, seine Entscheidung zu überdenken, gebeten habe. Nach einem erneuten Besuch der Taliban habe sich die Familie des BF aufgrund des zunehmenden Drucks für eine Ausreise aus Afghanistan entschieden. Andere Familie hätten dieselben Probleme gehabt. Befragt, ob es einen Grund gegeben habe, weshalb die Taliban gerade ihn rekrutieren hätten wollen, entgegnete der BF, dass sie alle einziehen hätten wollen. Auf Nachfrage, wieso sie nicht in Herat geblieben seien, replizierte der BF, dass sich die Präsenz der Taliban auf das gesamte Staatsgebiet erstrecke. Auf die weitere Frage, wieso er fast 20 Monate keine Schritte gesetzt habe, um seine Familie zu finden, erklärte der BF, dass er die deutsche Sprache nicht beherrscht habe und erst relativ spät mit seiner Betreuerin über seine Familie gesprochen habe.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine Bestätigung der volkshilfe vom 02.01.2018 über die Teilnahme an einem Renumerationsprojekt, eine Teilnahmebescheinigung des Berufsförderungsinstituts XXXX vom 19.07.2017 über den Besuch der Bildungsveranstaltung „Deutsch als Fremdsprache Niveau A1/A2“ in der Zeit vom 09.05.2017 bis zum 06.07.2017, eine Teilnahmebescheinigung des Berufsförderungsinstituts XXXX vom 05.08.2016 über den Besuch der Bildungsveranstaltung „Grundbildung-Fokus Deutsch“ in der Zeit vom 04.07.2016 bis zum 05.08.2016, eine Teilnahmebescheinigung des Berufsförderungsinstituts XXXX vom 21.10.2016 über den Besuch der Bildungsveranstaltung „Grundbildung-Fokus Deutsch“ in der Zeit vom 19.09.2016 bis zum 21.10.2016, eine Teilnahmebescheinigung des Berufsförderungsinstituts XXXX vom 21.12.2016 über den Besuch der Bildungsveranstaltung „Grundbildung-Fokus Deutsch“ in der Zeit vom 07.11.2016 bis zum 21.12.2016, eine Bestätigung des Berufsförderungsinstitut XXXX vom 11.01.2018 über die Teilnahme am Lehrgang „ Bildung für Flüchtlinge“ vom 15.01. bis zum 22.03.2018, eine Teilnahmebestätigung der volkshilfe vom 14.03.2017 über die Teilnahme an dem Kurs „Basis Bildung Los! 2017-1“ vom 16.01.2017-08.03.2017 und eine Teilnahmebestätigung des Österreichischen Integrationsfonds vom 24.11.2017 über die Teilnahme an einem Werte-und Orientierungskurs in Vorlage gebracht.

3. In einer Stellungnahme zum Ländervorhalt vom 24.01.2018 wurde vom gesetzlichen Vertreter des BF ausgeführt, dass aus den verfügbaren Berichten über Zwangsrekrutierungen unmissverständliche hervorgehe, dass in Afghanistan zur Rekrutierung und Mobilisierung soziale, psychische und physische Gewalt angewendet werden würden. Wie aus der ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan hervorgehe, seien Hazara häufiger Diskriminierungen, Zwangsrekrutierungen sowie Zwangsarbeit betroffen und würden oft Opfer von Ermordungen bzw. Entführungen durch die Taliban werden.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Die Behörde stellte beweiswürdigend fest, dass nicht glaubhaft gewesen sei, dass der BF im Mai 2016 nach Österreich gekommen sei und erst kurz vor der Einvernahme im Jänner 2018 versucht habe, seine Familie zu suchen. Auch seine Angaben zu seinem Leben im Iran seien nicht glaubhaft gewesen, da er zuerst angegeben habe, ein illegaler Afghane ohne Karte gewesen zu sein, um wenig später jedoch auszuführen, dass er eine grüne Karte gehabt habe, die sein Vater für ihn regelmäßig verlängert habe. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass der BF einerseits erklärt habe, dass aufgrund seiner Angst vor den Taliban zwei Jahre nur im Verborgenen am Schulunterricht teilgenommen habe, andererseits zu Protokoll gegeben habe, dass die Taliban erst vier Wochen vor seiner Ausreise in sein Dorf gekommen seien. Auch seine Angaben hinsichtlich der Ausreise seien keineswegs nachvollziehbar gewesen, da er angegeben habe, dass zwischen dem Entschluss und der Ausreise zwei bis zweieinhalb gelegen seien, später in der Einvernahme habe er jedoch angegeben, dass sein Vater nach dem zweiten Besuch der Taliban über die Ausreise entschieden habe und sie in weiterer Folge binnen einer Woche aus dem Land geflohen seien. Auch aus den sonstigen Umständen habe eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht festgestellt werden können.

5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 22.03.2018 eingelangt, fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde vorgebracht, dass die Feststellung der Behörde, wonach der BF Kontakt zu seiner Familie habe, jeglicher Grundlage entbehre. Die Behörde nehme ohne entsprechende Ermittlungstätigkeit an, dass seine Familie in Kabul gelebt habe und der BF daher über ein soziales Netz verfüge. Auch der von der belangten Behörde getätigte Vorhalt, es sei nicht nachvollziehbar, dass der BF zum einen angegeben habe, aus Angst vor den Taliban zwei Jahre im Geheimen unterrichtet worden zu sein und zum anderen, dass sich die konkreten Bedrohungsvorfälle von Seiten der Taliban erst ca. vier Wochen vor Ausreise ereignet hätten, erscheine als rein konstruierter Widerspruch, da das Vorliegen einer bestimmten Bedrohungssituation nicht die zuvor bereits bestehende latente, stetig bestehende Gefahr von den Taliban ausschließe. Ausgehend von den Länderfeststellungen des BFA zu Afghanistan müsste von der Wohlbegründetheit der Furcht des BF vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara ausgegangen werden, auch wenn sich die Handlungen bisher nicht konkret gegen seine Person gerichtet hätten. Da das BFA die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung verkannt habe, sei die angefochtene Entscheidung schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben. Der BF sei afghanischer Staatsangehöriger, lebe jedoch seit 2016 in Österreich und sei im Bundesgebiet auch sozialisiert worden. Auch der Umstand, dass er sich im Westen aufgehalten habe, könnte ihn aufgrund einer unterstellten politischen Einstellung oder einem unterstellten Werteabfall zur Zielscheibe von Übergriffen in Afghanistan machen. Es liege keine innerstaatliche Fluchtalternative vor, da die Verfolger den BF überall in seinem Herkunftsstaat aufsuchen könnten und er somit landesweite Verfolgung befürchten könne. Nach ständiger Judikatur treffe die Behörde eine erhöhte Manuduktions-und Sorgfaltspflicht bei der Befragung von minderjährigen Flüchtlingen. Die Behörde sei ihren Ermittlungspflichten nicht im ausreichenden Maße nachgekommen.

6. Mit Schreiben vom XXXX 05.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass sich der BF derzeit in Frankreich befinde und eine Überstellung abgelehnt worden sei.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist Muslim schiitischer Ausrichtung. Er ist im Iran geboren und hat dort zwei Jahre die Schule besucht, zwei Jahre vor seiner Ausreise nach Europa ist er jedoch mit seiner Familie in die Provinz XXXX gezogen. Der BF hat mit seinen Eltern sowie mit seinen drei Brüdern und seiner Schwester das Land verlassen und sein Vater hat im Heimatland als Fliesenleger den Lebensunterhalt für die Familie erwirtschaftet. Der Aufenthaltsort der Familienmitglieder des BF ist unbekannt.

Es ist nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Dem Verfahren wird nicht zugrunde gelegt, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht.

Es wird zugrunde gelegt, dass dem BF bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif, besteht für den BF als alleinstehenden, gesunden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine solche Bedrohungssituation und liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist seit seiner Antragstellung im Mai 2016 durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der BF hat an mehrere Deutschkurse besucht, an einem Bildungslehrgang sowie einem Projekt teilgenommen und einen Werte-und Orientierungskurs absolviert. Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden. In Österreich hat der BF keine familiären Anknüpfungspunkte. Der BF befindet sich derzeit in Frankreich.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer Bedrohung aufgrund einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt droht.

Es wird weiters dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der BF im Herkunftsstaat einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre. Überdies konnte nicht festgestellt werden, dass der BF ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Schiite), Volksgruppe (Hazara), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Familie) oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität aufgrund einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban.

Darüber hinaus gilt der BF aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat, in Afghanistan nicht als westlich orientiert. Der BF ist in Afghanistan aufgrund seines Aufenthaltes in Europa keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Es kann weiters nicht festgestellt werden und es ist nicht glaubhaft, dass der BF bei einer allfälligen Rückkehr nach insbesondere Herat oder Mazar-e Sharif mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer ihn konkret betreffenden asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein würde, bzw. in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in den Städten Herat oder in Masar –e Sharif, besteht für den BF als jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf, keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Städte Mazar-e Sharif und Herat sind von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug über internationale Flughäfen zu erreichen.

Das BFA hat ein insgesamt mängelfreies Verfahren durchgeführt. Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Verfahren ihrer Ermittlungspflicht durch die Vornahme einer detaillierten Befragung nachgekommen und dem angefochtenen Bescheid ist ein im vorliegenden Verwaltungsakt dokumentiert umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Sachverhalt wurde bereits unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesamtes festgestellt und rechtlich korrekt durch das BFA gewürdigt.


In der Beschwerde konnten glaubhaft keine wesentlichen, bzw. verfahrensrelevant neuen Sachverhaltselemente glaubhaft bzw. substantiiert begründet dargelegt werden, welche geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen grundlegend in Frage zu stellen.

Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

Aus einem Schreiben des BFA vom XXXX .05.2020 geht zudem hervor, dass sich der BF nunmehr in Frankreich befindet.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.       Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

1.1.    KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil – der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen – in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. – 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen – zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren – führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer – speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der „Green Zone“ der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der „Green Zone“ seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen – in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation „Shamshad TV“ an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

(Guardian 7.11.2017)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh – Atta Noor – zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt – hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen – hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann – dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um 3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem „Geisterpersonal“ vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen – was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen – in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen – dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich – laut afghanischen Beamten – ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar – in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als „Rücktritt“ verlautbarte, sprach dieser selbst von einer „Entlassung“ – er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer „unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung“ richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Quellen:

-        al Jazeera (20.10.2017): Deadly attacks hit mosques in Kabul and Ghor, http://www.aljazeera.com/news/2017/10/dozens-feared-dead-attacks-afghanistan-171020142936566.html, Zugriff 20.12.2017

-        BBC (31.10.2017): Kabul Green Zone attacked by suicide bomber, http://www.bbc.com/news/world-asia-41819850, Zugriff 20.12.2017

-        BBC (21.10.2017): Afghan suicide mosque attacks kill scores of worshippers, http://www.bbc.com/news/world-asia-41699320, Zugriff 20.12.2017

-        BS – Business Standard (24.11.2017): Key Haqqani network leader among dozens killed in Afghanistan, http://www.business-standard.com/article/news-ani/key-haqqani-network-leader-among-dozens-killed-in-afghanistan-117112400292_1.html, Zugriff 21.12.2017

-        Guardian (7.11.2017): Kabul TV station defiantly resumes broadcasting moments after Isis attack ends, https://www.theguardian.com/world/2017/nov/07/gunmen-attack-kabul-tv-station-after-explosion, Zugriff 20.12.2017

-        Handelsblatt (20.12.2017): Afghanistan stürzt in politische Krise, http://www.handelsblatt.com/politik/international/gouverneurs-abloesung-afghanistan-stuerzt-in-politische-krise/20759742.html, Zugriff 21.12.2017

-        KUNA – Kuwait News Agency (15.12.2017): Security operations kill 12 rebels in Afghanistan, http://www.kuna.net.kw/ArticleDetails.aspx?id=2669249&language=en, Zugriff 21.12.2017

-        Independent (20.10.2017): Kabul attack: Isis claims responsibility for Shia mosque suicide bombing killing at least 30 in Afghan capital, http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/kabul-attack-latest-update-shia-mosque-suicide-bomb-kills-death-afghanistan-capital-prayers-a8011466.html, Zugriff 20.12.2017

-        INSO – International NGO Safety Organisation (o.D.): Afghanistan - Total incidents per month for the current year to date, http://www.ngosafety.org/country/afghanistan, Zugriff 19.9.2017

-        INSO - The International NGO Safety Organisation (2017): Afghanistan - Gross Incident Rate, http://www.ngosafety.org/country/afghanistan, Zugriff 19.9.2017

-        NYT – The New York Times (11.12.2017): Hunting Taliban and Islamic State Fighters, From 20,000 Feet, https://www.nytimes.com/2017/12/11/world/asia/taliban-isis-afghanistan-drugs-b52s.html, Zugriff 21.12.2017

-        NYT – The New York Times (7.11.2017): A Leading Afghan TV Station Is Attacked in Kabul, https://www.nytimes.com/2017/11/07/world/asia/kabul-shamshad-tv-attack.html, Zugriff 20.12.2017

-        NYT – The New York Times (20.10.2017): Twin Mosque Attacks Kill Scores in One of Afghanistan’s Deadliest Weeks, https://www.nytimes.com/2017/10/20/world/asia/afghanistan-kabul-attack-mosque.html, Zugriff 20.12.2017

-        NZZ – Neue Züricher Zeitung (18.12.2017): Palastintrige in Kabul, https://www.nzz.ch/international/palastintrige-in-kabul-ld.1340788, Zugriff 21.12.2017

-        Pajhwok (1.12.2017): 31 militants eliminated in security operations, says MoD, https://www.pajhwok.com/en/2017/12/01/31-militants-eliminated-security-operations-says-mod, Zugriff 21.12.2017

-        Reuters (1.12.2017): Islamic State seizes new Afghan foothold after luring Taliban defectors, https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-islamic-state/islamic-state-seizes-new-afghan-foothold-after-luring-taliban-defectors-idUSKBN1DV3G5, Zugriff 21.12.2017

-        Reuters (23.11.2017): Islamic State beheads 15 of its own fighters: Afghan official, https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-islamic-state/islamic-state-beheads-15-of-its-own-fighters-afghan-official-idUSKBN1DN12I, Zugrif 21.12.2017

-        Reuters (16.11.2017): Kabul 'Green Zone' tightened after attacks in Afghan capital, Suicide bomber kills nine near Afghan political meeting, https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast/suicide-bomber-kills-nine-near-afghan-political-meeting-idUSKBN1DG164, Zugriff 20.12.2017

-        RFE/RL – Radio Free Europe Radio Free Liberty (19.12.2017): Powerful Afghan Governor Vows To Fight His Disputed Ouster, https://www.rferl.org/a/afghan-kabul-ghani-government-ousts-powerful-governor-noor-vows-fight-jamiat-e-islami/28926040.html, Zugriff 21.12.2017

-        RFE/RL – Radio Free Europe Radio Free Liberty (18.12.2017): Afghan Party Cries Foul After Ghani Says Powerful Governor Has Resigned, https://www.rferl.org/a/afghanistan-noor-balkh-governor-resigns-fired-disputed/28924925.html, Zugriff 21.12.2017

-        SCR – Security Council Report (30.11.2017): December 2017 Monthly Forecast, http://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2017-12/afghanistan_23.php, Zugriff 18.12.2017

-        SIGAR – Special Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.10.2017): QUARTERLY REPORT TO THE UNITED STATES CONGRESS, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2017-10-30qr.pdf, Zugriff 18.12.2017

-        Telegraph (31.10.2017): Suicide bomber thought to be as young as 12 kills five in Kabul's diplomatic zone, http://www.telegraph.co.uk/news/2017/10/31/motorcycle-suicide-bomber-kills-three-kabuls-diplomatic-zone/, Zugriff 20.12.2017

-        Tolonews (5.12.2017): Senior al-Qaeda Member Killed In Joint Military Operation, http://www.tolonews.com/afghanistan/senior-al-qaeda-member-killed-joint-military-operations, Zugriff 21.12.2017

-        TP – The Peninsula (20.12.2017): At least 5 killed, 7 injured in security forces operations in Eastern Afghanistan, https://www.thepeninsulaqatar.com/article/20/12/2017/At-least-5-killed,-7-injured-in-security-forces-operations-in-Eastern-Afghanistan, Zugriff21.12.2017

-        Tribune (24.11.2017): Afghan forces claim killing top Haqqani commander, https://tribune.com.pk/story/1567289/3-afghan-forces-claim-killing-top-haqqani-commander/, Zugriff 21.12.2017

-        UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan: Afghanistan (7.11.2017): protection of civilians in armed conflict: attacks against places of worship, religious leaders and worshippers, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_report_on_attacks_against_places_of_worship_7nov2017_0.pdf, Zugriff 20.12.2017

-        UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan: Afghanistan (10.2017): Protection of Civilians in Armed Conflict; Midyear Report 2017, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_quarterly_report_1_january_to_30_september_2017_-_english.pdf, Zugriff 18.12.2017

-        UN GASC – General Assembly Security Council (20.12.2017): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of December 15th 2017, http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/1056, Zugriff 20.12.2017

-        UN GASC – General Assembly Security Council (21.9.2017): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of September 15th 2017, https://unama.unmissions.org/report-secretary-general-situation-afghanistan-and-its-implications-international-peace-and-7, Zugriff 21.9.2017

-        Xinhua (21.12.2017): 19 insurgents arrested in N. Afghanistan, http://www.xinhuanet.com/english/2017-12/21/c_136842566.htm, Zugriff 21.12.2017

2.       Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das „Afghanistan Peace and Reintegration Program“ in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum „internationalen Terroristen“ erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

-        BBC News (4.2.2017): Afghan warlord Hekmatyar sanctions dropped by UN, http://www.bbc.com/news/world-asia-38867280, Zugriff 9.2.2017

-        CRS – Congressional Research Service (12.1.2017): Afghanistan: Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 24.1.2017

-        CRS – U.S. Congressional Research Service (12.1.2015): Afghanistan: Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf, Zugriff 20.10.2015

-        Die Zeit (22.9.2016): Kabul schließt Friedensabkommen mit berüchtigtem Milizenführer Hekmatjar, http://www.zeit.de/news/2016-09/22/afghanistan-kabul-schliesst-friedensabkommen-mit-beruechtigtem-milizenfuehrer-hekmatjar-22113008, Zugriff 5.10.2016

-        DW – Deutsche Welle (29.9.2016): Friedensabkommen in Afghanistan unterzeichnet, http://www.dw.com/de/friedensabkommen-in-afghanistan-unterzeichnet/a-35923949, Zugriff 5.10.2016

-        IDEA - The International Institute for Democracy and Electoral Assistance (o.D.): Afghanistan: An Electoral Management Body Evolves, http://www.oldsite.idea.int/publications/emd/upload/EMD_CS_Afghanistan.pdf, Zugriff 13.2.2017

-        Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 11.9.2014

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (8.7.2014): Afghanischer Wahlsieger Ashraf Ghani, http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/technokrat-populist-choleriker-1.18339044, Zugriff 31.10.2014

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (22.1.2015): Leerlauf in Kabul Afghanistans endlose Regierungsbildung, http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/afghanistans-endlose-regierungsbildung-1.18466841, Zugriff 2.11.2015

-        NYT - The New York Times (29.9.2016): Afghan President, Insurgent Warlord Sign Peace Agreement, http://www.nytimes.com/aponline/2016/09/29/world/asia/ap-as-afghanistan-peace-agreement.html?_r=0; Zugriff 5.10.2016

-        Pajhwok (19.1.2017): Wolesi Jirga, district council elections next year, http://www.pajhwok.com/en/2017/01/19/wolesi-jirga-district-council-elections-next-year, Zugriff 24.1.2017

-      

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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