TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/7 G301 2227734-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

07.07.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G301 2227734-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Peru, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael VALLENDER in Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 11.12.2019, Zl. XXXX , betreffend Rückkehrentscheidung und unbefristetes Einreiseverbot, zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 16.12.2019, wurde gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm. § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Republik Peru zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 5 FPG gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Mit dem am 15.01.2020 beim BFA, RD Niederösterreich, eingebrachten und mit 13.01.2020 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 22.01.2020 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Peru.

Der BF lebt seit Oktober 2005 in Österreich und weist bis heute eine durchgehende Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf. Der BF hat durchgehend über einen Aufenthaltstitel zum rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich verfügt.

Der BF verfügt seit XXXX .02.2016 über einen vom Magistrat der Stadt XXXX (MA XXXX ) erteilten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, Nr. XXXX (Dokumentengültigkeit bis XXXX .02.2021).

Der BF verfügt über enge familiäre und private Bindungen in Österreich. Die Muttersprache des BF ist Deutsch, er verfügt nur über geringe Spanisch-Kenntnisse.


Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:

01) LG F.STRAFS. XXXX XXXX vom XXXX RK XXXX

§§ 85 (2), 85 (1) Z 2, 3 StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX .2017

Freiheitsstrafe 3 Jahre 6 Monate

Junge(r) Erwachsene(r)

zu LG F.STRAFS. XXXX XXXX RK XXXX

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX , bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX XXXX vom XXXX

zu LG F.STRAFS. XXXX XXXX RK XXXX

Nachträgliche Anordnung der Bewährungshilfe

LG XXXX XXXX vom XXXX

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen zum Aufenthalt in Österreich, zu den familiären und privaten Bindungen, zu den Sprachkenntnissen und zur Verankerung in Österreich stützen sich auf die diesbezüglich auch vonseiten der belangten Behörde unbestritten gebliebenen Angaben des BF vor der belangten Behörde und auf die Ausführungen in der gegenständlichen Beschwerde.

Die getroffenen Feststellungen werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Aufhebung des Bescheides (Spruchpunkt A.):

Wie in der gegenständlichen Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, erweist sich der gegenständlich angefochtene Bescheid auf Grund von inhaltlichen Mängeln sowie infolge Verkennung der maßgeblichen Rechtslage in seiner Gesamtheit als rechtswidrig:

Die belangte Behörde hat die Erlassung der Rückkehrentscheidung auf den Tatbestand des § 52 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, gestützt. Diese Bestimmung lautet wie folgt:


„§ 52. […]

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.“

Der BF verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ und ist somit in Österreich rechtmäßig auf Dauer niedergelassen.

Die belangte Behörde hat daher bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung zwar zutreffend die Bestimmung des § 52 Abs. 5 FPG zugrunde gelegt, allerdings lässt der angefochtene Bescheid konkrete Sachverhaltsfeststellungen für eine darauf beruhende rechtliche Beurteilung im Zusammenhalt mit den Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 FPG gänzlich vermissen.

In der Begründung des Bescheides legt die belangte Behörde nur mit ausschließlich allgemein gehaltenen Formulierungen und modulhaften Ausführungen, losgelöst von einem – bezogen auf den vorliegenden Einzelfall – individuell zu klärenden Sachverhalt, dar, dass alle Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes nach diesen Bestimmungen vorliegen würden.

Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde dem BF zwar sein – insoweit unstrittiges – strafrechtswidriges Verhalten aufgrund des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX vorhält, sie allerdings weder bei der Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes noch in der diesbezüglichen Beweiswürdigung auch nur ansatzweise näher konkretisierte oder nachvollziehbare Ausführungen trifft. So beschränkt sich die Begründung des Bescheides – an mehreren Stellen fast wortgleich wiederholend – darauf, dass der BF wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen verurteilt worden sei.

Nähere Angaben zu der vom BF begangenen Straftat, insbesondere zu dem der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde gelegten Sachverhalt sowie zur Art und Schwere der Straftat, fehlen jedoch zur Gänze, obwohl von der belangten Behörde entsprechende Sachverhaltsfeststellungen jedenfalls zu treffen gewesen wären. Auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (S. 17 und 24 des Bescheides) wird jedoch – abgesehen von der Erwähnung der Milderungs- und Erschwerungsgründe – auf die konkrete Straftat überhaupt nicht eingegangen.

Was die Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG anbelangt, ist festzuhalten, dass die belangte Behörde überhaupt keine konkreten oder sonst nachvollziehbaren Umstände dargelegt hat, wonach die Annahme gerechtfertigt wäre, dass der weitere Aufenthalt des BF eine „gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ darstellen würde. Die Begründung des Bescheides lässt eine dahingehende Auseinandersetzung gänzlich vermissen. Letztlich beschränkte sie sich im Ergebnis nur darauf, festzuhalten, dass die Voraussetzung des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG erfüllt sei.

Selbst wenn die Tatsache unbestritten ist, dass der BF einmal strafgerichtlich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt wurde, so lässt die Begründung des angefochtenen Bescheides jedenfalls nähere fallbezogene Erwägungen vermissen, weshalb beim BF auf Grund seines bisherigen Gesamtverhaltens ein derartiges Fehlverhalten anzunehmen gewesen wäre, welches eine negative Gefährdungsprognose für das Vorliegen einer gegenwärtigen und eben auch als „hinreichend schwer“ zu qualifizierenden Gefahr rechtfertigen würde.

In der rechtlichen Beurteilung zur Erlassung des Einreiseverbots (S. 25) führt die belangte Behörde nur Folgendes aus:

„Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens ist unter Bedachtnahme auf Ihr Gesamtverhalten, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass Sie eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, gerechtfertigt ist.“

Dadurch, dass die belangte Behörde zum Schluss gelangte, dass eine „schwerwiegende Gefahr“ anzunehmen sei, verkannte sie jedoch die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage des § 52 Abs. 5 FPG.

Von welchen in der Person des BF gelegenen konkreten Umständen die belangte Behörde dabei aber ausgegangen wäre, um aber auch zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, insbesondere woraus sich das Fehlverhalten und das Gesamtverhalten des BF konkret ergeben würde oder wodurch es gekennzeichnet wäre, ist für das erkennende Gericht aus der gesamten Begründung des Bescheides nicht einmal ansatzweise ergründbar.

Die belangte Behörde hat aber auch eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, weshalb auch die Voraussetzung der „Gegenwärtigkeit“ einer allfälligen weiterhin vom BF ausgehenden Gefahr erfüllt wäre, zur Gänze unterlassen.

Gerade im Hinblick auf die tatsächliche Art und Schwere der vom BF begangenen (einmaligen) Straftat, sind auch sonst unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des BF in Österreich während seines seit 2005 dauernden legalen Aufenthalts und seiner bisherigen Unbescholtenheit, keinerlei Umstände hervorgekommen, wonach im vorliegenden Fall eine vom BF ausgehende hinreichend schwere Gefahr angenommen werden könnte.

Vielmehr ist der belangten Behörde unter besonderer Berücksichtigung des überaus langen Aufenthalts des BF außerhalb Perus vorzuwerfen, dass sie sich bei der Prüfung der Rückkehrentscheidung nicht näher mit der ebenso wesentlichen Frage auseinandergesetzt hat, inwieweit der BF noch über Bindungen zu seinem Herkunftsstaat Peru verfügt. So lebt der heute 23-jährige BF seit 2005 durchgehend in Österreich.

Als völlig unschlüssig und nicht einmal ansatzweise näher begründet erweist sich letztlich die Anordnung einer unbefristeten (!) Dauer des Einreiseverbotes und somit im grundsätzlich nach § 53 Abs. 3 Z 5 FPG höchstmöglichen Ausmaß. So spricht die belangte Behörde – in sich auch widersprüchlich – nur von einer „unbefristeten Zeitspanne“, dann aber von „diesem Zeitraum“ bzw. davon, dass die „unbefristete Zeitspanne“, dem BF hinlänglich Zeit gebe, seine innere Einstellung der Werteordnung im Allgemeinen gegenüber, sowie der Rechtsordnung im Besonderen zu überdenken (S. 25/26).

Insgesamt war der belangten Behörde somit vorzuwerfen, dass sie die bei der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes geforderte Genauigkeit und Sorgfalt gänzlich vermissen ließ und die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung – und damit zusammenhängend mit einem (unbefristeten) Einreiseverbot – in rechtlicher Hinsicht nur völlig unzureichend und in Verkennung der maßgeblichen Rechtslage begründet hat.

Die Gründe, die zu den im Spruch getroffenen Entscheidungen der belangten Behörde geführt haben, sind in der Bescheidbegründung (§ 60 AVG) klar und umfassend darzulegen. Die im angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen und Erwägungen entsprechen aber nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (§ 60 iVm. § 58 Abs. 2 AVG).

Da sich der angefochtene Bescheid auf Grund der dargelegten Erwägungen als rechtswidrig erweist, war der Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 iVm. § 27 VwGVG in Stattgebung der Beschwerde zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.


3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

3.3. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Einreiseverbot mangelnde Sachverhaltsfeststellung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G301.2227734.1.00

Im RIS seit

23.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten