TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/10 W136 2206269-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2020
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Entscheidungsdatum

10.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W136 2206264-2/9E
W136 2206244-2/9E
W136 2206269-1/10E
W136 2206273-2/6E
W136 2206268-2/6E
W136 2206271-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX auch XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX auch XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX auch XXXX , geb. XXXX , 5. XXXX , geb. XXXX und 6. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch RA Edward W. DAIGNEAULT, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, vom 29.03.2019 bzw. vom 29.06.2019, 1.) Zl. 10972264002-151902692, 2.) Zl. 1097226304-151902668, 3.) Zl. 1097226609-151902714, 4.) Zl. 1097226500-151902684, 5.) Zl. 1135772205-161578612 und 6.) 1173049006-11249772 nach mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Die nunmehrige Erstbeschwerdeführerin reiste mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer, dem Neffen des Zweitbeschwerdeführers, dem Drittbeschwerdeführer, und der gemeinsamen Tochter, der Viertbeschwerdeführerin, alle afghanische Staatsangehörige, in die Republik Österreich ein, wo sie am 30.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

1.2. Bei der Erstbefragung am 30.11.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie bereits vor ihrer Eheschließung schwanger geworden sei und dass ihre Mutter sie zu ihrem (jetzigen) Ehemann geschickt habe, damit die Leute davon nichts erfahren. Ihr Vater habe nicht erlaubt, dass sie ins Elternhaus zurückkehrt und habe die Absicht, sie und ihre Tochter zu töten. Aus Angst um ihr und das Leben ihrer Tochter seien sie aus Afghanistan geflüchtet. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat habe sie Angst vor ihrem Vater.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er sich im Jahr XXXX verlobt habe, aufgrund finanzieller Probleme aber nicht heiraten habe können. Deshalb sei seine Ehefrau vor ihrer Heirat schwanger geworden. Seither sei er von ihrer Familie verfolgt worden. Aus Angst um das Leben seiner Familie seien sie aus Afghanistan geflüchtet. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor seinen Angehörigen. Ergänzend teilte er mit, dass er der gesetzliche Vertreter seines minderjährigen Neffen, des Drittbeschwerdeführers sei und für ihn ebenfalls einen Asylantrag stellen würde. Für seinen Neffen würden die gleichen Fluchtgründe gelten.

Die gemeinsamen Kinder der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers, der Fünft- und die Sechstbeschwerdeführerin, wurden im Bundesgebiet geboren, XXXX am XXXX und XXXX am XXXX . Aus diesem Grund wurden vom Zweitbeschwerdeführer als gesetzlichen Vertreter am 28.10.2016 für den Fünftbeschwerdeführer und am 06.11.2017 für die Sechstbeschwerdeführerin Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

1.3. Am 22.02.2018 bzw. am 21.06.2018 (der Drittbeschwerdeführer) wurden die Erst-, der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi bzw. Dari (der Zweit- und Drittbeschwerdeführer) niederschriftlich einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab zunächst an, dass sie sich im Oktober, rund sieben bis acht Monate nach der Geburt ihrer Tochter, zum Verlassen ihres Heimatlandes entschlossen habe. Zu ihren Fluchtgründen brachte sie zusammenfassend im Wesentlichen vor, dass sie und ihr Mann nach der Verlobung heiraten hätten wollen, dass die Ausgaben aber sehr hoch gewesen seien. Da sie sich regelmäßig gesehen hätten und sich nähergekommen seien, sei sie schwanger geworden. Dies würde in Afghanistan nicht akzeptiert werden. Sie habe zu ihrem Mann ziehen und ihn heiraten müssen. Durch die Geburt ihres Kindes hätten alle Dorfbewohner erfahren, dass sie schon vor der Ehe eine Beziehung gehabt hätten. Dies sei in ihrer Heimat verboten. Ihr Bruder und ihr Onkel mütterlicherseits hätten gedroht, weil ein uneheliches Kind auf die Welt gekommen sei. Sie hätte die Ehre der Familie zerstört. Damit sie nicht umgebracht werden, seien sie ins Bundesgebiet geflüchtet. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen teilte sie mit, dass ihr Bruder und ihr Onkel mütterlicherseits sie und ihre Tochter umbringen würden.

Der Zweitbeschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen zusammenfassend im Wesentlichen vor, dass er mit seiner Frau schon vor der Hochzeit geschlafen habe. Als dann ihr Kind auf die Welt gekommen ist, hätten sie sich nicht mehr sicher gefühlt, da in Afghanistan Privatpersonen schon handeln würden, bevor noch Behörden eingeschaltet werden. Sie hätten nicht dasselbe Schicksal erleiden wollen, wie ein Mädchen namens Farkhunda, welches von Menschenmassen gesteinigt worden sei, weil es laut einem Mullah einen Koran verbrannt hätte. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass sie jedenfalls Probleme haben würden. Es könnte sein, dass ein Unbeteiligter gegen sie vorgehen würde. In der Heimat seien sie von der Familie seiner Frau bedroht worden. Sein Leben wäre in Gefahr. Auf die Frage, ob er oder seine Familie persönlich verfolgt oder bedroht wurde, berichtete er, dass sich alle bei der Geburt seiner ältesten Tochter gefragt hätten, warum sie so schnell auf die Welt gekommen sei. Bevor es ernster geworden sei, seien sie schon geflüchtet. Zu den Bedrohungen durch die Familie seiner Frau führte er aus, dass seine Frau bedroht worden sei. Ihr Onkel mütterlicherseits habe ihrer Mutter gesagt, dass ihre Tochter eine schlimme Tat begangen habe, die mit einer Enthauptung zu bestrafen sei. Außerdem sei seine Frau auch von ihrem ältesten Bruder bedroht worden, da diese Tat die Ehre verletzt habe. Es habe alles nach der Geburt angefangen. Seine Frau habe durch ihre Mutter von den Drohungen erfahren. Seine Schwiegereltern, der Onkel und der Bruder würden in Kabul leben. Befragt, teilte er mit, dass seine Frau mit ihren Eltern in Kontakt sei.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Perg vom 22.05.2018 wurde dem Zweitbeschwerdeführer alleine die Obsorge über den minderjährigen Drittbeschwerdeführer übertragen.

Der Drittbeschwerdeführer gab zusammenfassend an, dass er seine Heimat wegen Krieg und Unsicherheit verlassen habe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er traurig sein. Zu den Ausreisegründen seines Onkels aus Afghanistan konnte er keine Angaben machen. Er habe zuletzt vor rund einem Monat telefonischen Kontakt zu seinen Angehörigen gehabt. Seine Familie würde ein Haus und Grund besitzen. Sein Vater habe ein Geschäft und zwei Brüder würden in einer Mine arbeiten. Nochmals nach seinen Fluchtgründen befragt, erklärte er, dass wegen des Kriegs und der Bomben ausgereist sei. Auf Nachfrage teilte er mit, dass nie etwas passiert sei, dass er aber allgemein wegen Krieg, Sicherheit und Bomben besorgt sei. Befragt, verneinte er, dass seiner Familie etwas passiert sei. Bei der Hochzeit seines Onkels sei er mit seinen Eltern und Geschwistern dabei gewesen. Er sei jung gewesen und könne sich nicht erinnern, ob auch Verwandte seiner Tante dabei gewesen sind. Außerdem würde er diese nicht kennen.

1.4. Mit Bescheiden vom 30.07.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz insbesondere bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

1.5. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde vom 30.07.2018 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer asylrelevant sei. Unter Verweis auf einen Bericht zur Zina wurde zudem ausgeführt, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan nur an einem Ort leben könnten, an dem ein soziales Netz besteht, welches ihnen bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft hilft. Die Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin würden jedoch zum Kreis der Verfolger gehören und die Familie des Zweitbeschwerdeführers könnte eine derartige Hilfe nicht bieten. Damit würde den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr aufgrund von Hunger und schlechter Wohnverhältnisse eine Art. 3 EMRK widrige Behandlung drohen.

2.1. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.01.2019 wurde der gemeinsamen Beschwerde stattgegeben und wurden die angefochtenen Bescheide der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers sowie der Viert- bis Sechstbeschwerdeführer (nicht des Drittbeschwerdeführers) behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden unterlassen habe, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der Beschwerdeführer, insbesondere der minderjährigen Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie habe insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.

2.2. Am 14.02.2019 wurden die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari erneut niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie beim letzten Interview zwar versucht habe, alles zu erzählen, dass sie beim Lesen ihres Protokolls jedoch festgestellt habe, dass etwas nicht drinnen stehen würde. Ihr Onkel mütterlicherseits habe gewollt, dass sie seinen Sohn heiratet. Weil sie damals schwanger gewesen sei, hätten sie gewollt, dass sie nicht mit ihrem Mann, sondern mit dem Sohn ihres Onkels zusammenkommt. Darauf hingewiesen, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre mit ihrem Ehemann verlobt gewesen sei, bestätigte sie, dass sie von XXXX bis 2014 verlobt gewesen seien und dass es in Afghanistan üblich sei, so lange verlobt zu sein. Sie sei vor der Heirat schwanger gewesen, dies würde in Afghanistan nicht toleriert werden. Bezüglich der Fluchtgründe ihrer Kinder teilte sie mit, dass ihre in der Heimat geborene Tochter Probleme hätte. Der Fluchtgrund habe auch mit ihr zu tun. Ihre anderen Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen gab sie an, dass sie nicht sagen könne, was auf ihre jüngeren Kinder zukommt, aber ihre älteste Tochter würde als uneheliches Kind nicht toleriert werden. Dies sei in Afghanistan ganz gefährlich. Auf Hinweis, dass ihr Ehemann über eine Unterkunft in Panjshir verfügen würde und bereits vor ihrer Ausreise in der Lage gewesen sei, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, erklärte sie auf die Frage, mit welchen Schwierigkeiten ihre Kinder in Panjshir rechnen müssten, dass ihre Brüder ihre älteste Tochter nicht akzeptieren würden. Es sei durchaus möglich, dass ihre Brüder und ihr Onkel ihre Tochter töten, weil sie glauben, dass die Erstbeschwerdeführerin ihre Ehre verletzt hat. Darunter würden auch die anderen Kinder leiden, weil sie dann nicht mehr normal wäre.

Der Zweitbeschwerdeführer brachte zunächst vor, dass seine Eltern verstorben seien und sein Bruder sowie seine Schwester in Panjshir leben würden. Er sei wegen des nur schlecht ausgebauten Internets in seiner Heimat mit seinen Geschwistern nur unregelmäßig in Kontakt. Es würde ihnen aber gut gehen. Er würde gemeinsam mit seinem Bruder ein Haus und Grundstücke besitzen. Zu seinen Fluchtgründen erklärte er, dass diese aufrecht seien und dass nichts Neues hinzuzufügen sei. Bezüglich Fluchtgründen seiner Kinder erklärte er, dass in Afghanistan alles durcheinander sei. Es würde viele Schwierigkeiten geben, die letztlich für ihre Flucht gesorgt hätten. Das Hauptproblem habe seine älteste Tochter, weil sie ein uneheliches Kind sei.

3.1. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 29.03.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, dass es der Erstbeschwerdeführerin nicht gelungen sei, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Eine Verfolgung durch ihre Schwangerschaft vor der Eheschließung würde nämlich nicht plausibel erscheinen, da sie in ihrer Einvernahme diesbezüglich keine konkrete Bedrohung angegeben habe und nach der Geburt ihrer Tochter noch mehr als sechs Monate in der Dorfgemeinschaft verblieben sei, ohne dass es seitens dieser zu Problemen gekommen wäre. Diese seien unter den gegebenen Umständen – sie sei sechs Jahre verlobt gewesen, habe noch während der Schwangerschaft geheiratet, die Ehe sei von den Ältesten arrangiert worden und die Hochzeitsfeier aus finanziellen Gründen nicht zustande gekommen – auch nicht zu erwarten. Außerdem sei es in Afghanistan absolut üblich, nur traditionell zu heiraten und für den Zeitpunkt der Hochzeit keine Dokumente zu besitzen, sodass es bei einem eventuellen Umzug für ihre Familie nicht notwendig bzw. im Falle des Falles absolut problemlos gewesen wäre, ihre Tochter XXXX bei Nachfragen als ehelich geboren auszugeben. Weiters würde es der Behörde selbst bei Glaubwürdigkeitsunterstellung nicht plausibel erscheinen, dass der Onkel der Erstbeschwerdeführerin für seinen Sohn eine Hochzeit mit ihr, einer bereits verlobten und schwangeren Frau, organisieren hätte wollen. Vielmehr wäre es im Interesse der Familie gewesen, die Hochzeit mit ihrem langjährigen Verlobten – und auch Vater des Kindes – schnell zu organisieren, anstatt sie und ihr Kind einem anderen Mann anzuvertrauen. Davon abgesehen würde ihre im Bundesgebiet angeeignete Lebensweise nicht der Lebensweise einer afghanischen Frau widersprechen. Sie würde wegen weiteren Afghanen in ihrer Unterkunft Kopftuch tragen und ihr soziales Umfeld in Österreich würde sich auf ihre Familie und ihre Freundinnen beschränken und auf keine westliche Orientierung schließen lassen. Ihrer im Bundesgebiet geschilderten Lebensweise sei nicht zu entnehmen, dass sie sich seit ihrem Aufenthalt andere Normen angeeignet hätte, die ihr den Aufenthalt in ihrem Herkunftsstaat erschweren oder verunmöglichen würden. Sie sei nach wie vor hauptsächlich mit der Kinderbetreuung und Haushaltsführung beschäftigt, was keinen wesentlichen Unterschied zu ihrer Lebensführung in Afghanistan vor ihrer Ausreise darstellen würde. Allein die Tatsache, dass es ihr als Frau in Österreich möglich sei, alleine einkaufen zu gehen und sie diese Möglichkeit nützt, sei kein ausreichendes Indiz für eine Verwestlichung. Im Wesentlichen gleichlautend wurden die Entscheidungen des Zweitbeschwerdeführers bzw. seiner minderjährigen Kinder begründet. Eine Gefährdung hinsichtlich seines Fluchtvorbringens – die Bedrohung durch die Familie seiner Frau bzw. die Bedrohung aufgrund der Schwangerschaft seiner Frau vor der Eheschließung – habe nicht erkannt werden können, sodass auch im Falle einer Rückkehr eine diesbezügliche Gefährdung nicht als gegeben anzusehen gewesen sei.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde ausgeführt, dass aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan, aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in Panjshir und des Umstandes, dass es sich beim Ehemann der Erstbeschwerdeführerin um einen arbeitsfähigen Mann mit langjährigen Berufserfahrungen als Händler von Edelsteinen handelt, davon auszugehen sei, dass sie und ihre Familie im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würde.

3.2. Gegen diese Bescheide brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.

Darin wurde zunächst auf ihre Beschwerde vom 30.08.2019 verwiesen, in welcher dargelegt worden sei, dass sie aufgrund des erfolgten außerehelichen Geschlechtsverkehrs asylrelevant verfolgt (worden) seien. Weiters wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich hinsichtlich der seitens der Behörde festgestellten Widersprüchlichkeiten lediglich um nebensächliche Details handeln würde bzw. dass gerade diese ihre Glaubwürdigkeit belegen würden, zumal sie bei einer auswendig gelernten Fluchtgeschichte alles eins zu eins wiedergegeben hätten. So aber habe jeder selbst Erlebtes aus seiner eigenen Sicht wiedergegeben und sich dabei einmal mehr und einmal weniger an die vorangegangenen Ereignisse erinnert. Ferner sei die Feststellung der Behörde, wonach die Erstbeschwerdeführerin keinen westlich orientierten Lebensstil führen würde, eindeutig verfehlt. Außerdem würde für die Erstbeschwerdeführerin und ihre beiden Töchter bei einer Rückkehr in fast allen Teilen Afghanistans ein erhöhtes Risiko bestehen, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Den Feststellungen zufolge sei dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs oder Verbrechens zu werden), als auch als spezifische Gefährdung, bei nonkonformen Verhalten (dh. Bei Verstößen gegen gesellschaftliche oder religiöse Normen, wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften, die Gewährleistung des Schulbesuchs der Kinder oder eine Berufsausübung außerhalb des Hauses) einer „Bestrafung“ ausgesetzt zu sein. Schon aus diesem Grund wäre ihnen Asyl, zumindest aber subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. Sie könnten nämlich nicht auf ein familiäres Netzwerk zur Existenzversorgung zurückgreifen, da die Familie der Erstbeschwerdeführerin zum Kreis der Verfolger gehören würde und die Familie des Zweitbeschwerdeführers eine fünfköpfige Familie nicht ernähren könnte. Diese seien gerade einmal in der Lage, für sich selbst zu sorgen.

3.3. Die gegenständliche (gemeinsame) Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 02.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Schreiben vom 27.05.2020 wurden die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.06.2020 geladen.

Am 18.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari mit den beschwerdeführenden Parteien (Erst- bis Drittbeschwerdeführer) und deren Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführenden Parteien im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind Sunniten. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet und die Eltern der mj. Viert- bis Sechstbeschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer ist der gesetzliche Vertreter des mj. Drittbeschwerdeführers (vgl.  Obsorgebeschluss des Bezirksgerichts Perg vom 22.05.2018).

1.2. Zur Person der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise aus Afghanistan:

Die Erstbeschwerdeführerin ist in XXXX , Hese Awal, in der Provinz Panjshir, in Afghanistan geboren sowie aufgewachsen und als Kind mit ihrer Familie nach Pakistan gezogen, wo sie zehn Jahre zur Schule gegangen ist. Im Jahr 2006 ist sie mit ihrer Familie nach Afghanistan zurückgekehrt und hat in Kabul in einem Mietshaus gelebt. Im Jahr XXXX haben sich die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer verlobt und haben im Jahr 2014 geheiratet, nach der Heirat ist die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Mann nach Panjshir gezogen.

Der Zweitbeschwerdeführer ist in XXXX , in der Provinz Panjshir geboren und aufgewachsen, hat dort elf Jahre die Schule besucht und danach zunächst als Arbeiter in einem Smaragdbergwerk gearbeitet und später Smaragde verkauft.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben 2014 in Afghanistan geheiratet. Der Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin sind in Afghanistan, der Fünft- und die Sechstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren. Der Drittbeschwerdeführer ist der Neffe des Zweitbeschwerdeführers, dem die Obsorge über ihn zugesprochen wurde.

Der Vater und die fünf Geschwister der Erstbeschwerdeführerin leben in Kabul. Ihre Mutter ist schon gestorben. Ihre vier Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits sowie ihre beiden Onkel väterlicherseits leben ebenfalls in Kabul. Eine Tante mütterlicherseits lebt in Takhar. Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers sind schon vor langer Zeit gestorben. Sein Bruder und seine Schwester sind schon verheiratet und leben mit ihren bereits erwachsenen Kindern in XXXX . Er steht mit beiden Geschwistern in telefonischem Kontakt. Es geht ihnen aus wirtschaftlicher Sicht gut. Ihm und seinem Bruder gehören ein Haus und mehrere Grundstücke.

Die Beschwerdeführer sind gesund.

1.3. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Beschwerdeführer befinden sich seit ihrer Antragstellung im November 2015 (bzw. seit ihrer Geburt, der Fünft- und die Sechstbeschwerdeführerin) auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführer beziehen seither regelmäßig Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Die Erstbeschwerdeführerin kümmert sich gemeinsam mit ihrem Ehemann um den Haushalt bzw. ihre drei Kleinkinder (zweieinhalb, dreieinhalb und fünf Jahre alt) und arbeitet seit Februar bzw. April 2020 rund drei Stunden pro Woche als Haushaltshilfe für zwei namentlich genannte Personen. Die Erstbeschwerdeführerin spricht nur gebrochen Deutsch (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020). Der Zweitbeschwerdeführer erledigt manchmal Gartenarbeiten, um etwas dazuzuverdienen, und kann sich in gebrochenem Deutsch gut verständlich machen.

Der Drittbeschwerdeführer hat zwei bis drei Jahre die Schule in Österreich besucht, den Schulabschluss jedoch nicht geschafft.

Die Beschwerdeführer waren bisher nicht Vollzeit und regelmäßig erwerbstätig.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr keine Verfolgung aufgrund ehrverletzenden Verhaltens in Form der Schwangerschaft der Erstbeschwerdeführerin vor ihrer Verehelichung (durch die Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin, insbesondere Vater, älterer Bruder und Onkel mütterlicherseits). Den Beschwerdeführern droht auch keine Verfolgung durch den Onkel der Erstbeschwerdeführerin, der ihre Verehelichung mit seinem Sohn geplant haben soll bzw. durch die afghanischen Behörden oder streng religiöse Fanatiker, die sich an ihrer vorehelichen Beziehung stören könnten.

Der Erstbeschwerdeführerin droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine geschlechtsspezifische Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "westlich-orientierter Frauen". Weiters ist weder die Erstbeschwerdeführerin auf Grund der Tatsache, dass sie sich mehrere Jahre in Europa aufgehalten und hier eine „westliche Wertehaltung“ kennengelernt hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Die Beschwerdeführer konnten nicht glaubhaft machen, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund ihrer individuellen Situation im Zusammenhang mit der Lage in ihrer Herkunftsregion ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK) droht.

1.5. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Eine Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimatprovinz Panjshir oder etwa nach Herat ist möglich und zumutbar (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020, Zweitbeschwerdeführer: „[…] Panjshir ist eigentlich eine sehr sichere Provinz, […]“).

Panjir ist mit Kabul durch eine Autostrasse verbunden, deren Befahrung problemlos möglich ist (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020, Erstbeschwerdeführer, Seite 21 Mitte). So sind erst unlängst der Bruder des Zweitbeschwerdeführers und seine Frau zu Begräbnis der Mutter der Erstbeschwerdeführerin, die am 10.06.2020 verstorben ist, nach Kabul gefahren.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in Panjshir geboren sowie aufgewachsen und anschließend mit ihrer Familie nach Pakistan gezogen, wo sie zehn Jahre die Schule besucht hat. Anschließend ist die Familie nach Afghanistan zurückgekehrt, wo sie in Kabul gelebt haben. Nach der Hochzeit ist sie mit dem Zweitbeschwerdeführer nach Panjshir gezogen. Die beiden Beschwerdeführer haben ihre Sozialisation daher in Afghanistan und in Pakistan (die Erstbeschwerdeführerin), also in islamisch geprägten Ländern erfahren und der Zweitbeschwerdeführer hat dort zunächst seinen und in der Folge auch den Lebensunterhalt seiner Familie erfolgreich bestreiten können (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020, Zweitbeschwerdeführer: „Ich habe in Afghanistan ein gutes Leben gehabt. […] Mir ging es wirtschaftlich ganz gut.“). Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben noch familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, die Familie der Erstbeschwerdeführerin ist nach wie vor in Kabul aufhältig und die Geschwister des Zweitbeschwerdeführers leben mit ihren Familien immer noch in XXXX . Da der Zweitbeschwerdeführer über langjährige Berufserfahrungen sowie immer noch Haus und Grundstücke in seiner Heimatregion verfügt, scheint ihre finanzielle Situation daher gesichert zu sein (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020, Zweitbeschwerdeführer: „Das Haus und die Grundstücke gehören mir und meinem Bruder.“).

Die Beschwerdeführer sind jung, gesund und der Zweitbeschwerdeführer hat langjährige Erfahrungen auf dem Edelsteinsektor und damit bereits in Afghanistan seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie finanziert bzw. im Bundesgebiet mit Gartenarbeiten die Einkünfte aufgebessert, es ist daher kein Grund ersichtlich, warum eine Wiederansiedlung in ihrer Heimat nicht möglich sein sollte. Auch ihre drei leiblichen Kinder (bzw. ihr Neffe), die jetzt zweieinhalb, dreieinhalb und fünf Jahre (bzw. siebzehneinhalb Jahre) alt sind, sind gesund, es ist kein Grund ersichtlich, warum sie nicht gemeinsam mit ihren Eltern in Panjshir oder etwa in Herat leben könnten, auch wenn der Fünft- und die Sechstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren wurden. Was den Fünftbeschwerdeführer betrifft, dessen Hausarzt den Verdacht auf Autismus bei ihm geäußert hat, konnte sich die erkennende Richterin auf Grund seiner Anwesenheit im Rahmen der Verhandlung davon überzeugen, dass es sich um ein an seiner Umwelt interessiertes, sehr aktives, fast hyperaktives Kind handelt, das die Anordnungen seiner Eltern grundsätzlich wahrnehmen kann und auch wahrnimmt, aber offenbar nicht (immer) gewillt ist, diesen länger Folge zu leisten. Körperliche Leiden oder schwere bzw. lebensbedrohliche Erkrankungen konnten dabei jedoch nicht festgestellt werden.

Insbesondere wurden auch keine Faktoren glaubhaft gemacht und haben sich solche auch sonst im Verfahren nicht ergeben, die eine Gefahrenverdichtung in den Personen der Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer aufgrund ihrer Minderjährigkeit darstellen. Es besteht für sie aufgrund ihrer Minderjährigkeit insbesondere keine erhöhte Gefahr, zivile Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Es ergaben sich im Hinblick auf die familiäre Situation auch keine Hinweise, dass die minderjährigen Kinder der beiden Beschwerdeführer bzw. der noch minderjährige Neffe des Zweitbeschwerdeführers Gefahr laufen würden, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.

Der Drittbeschwerdeführer, er ist der noch minderjährige Neffe des Zweitbeschwerdeführers steht im 18. Lebensjahr und ist gesund. Er lebt im gemeinsamen Haushalt mit der Familie seines Onkels. Er steht allerdings in regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern und gibt an, keine Angst vor einer Rückkehr nach Afghanistan zu haben, aber möchte seine hier gefundenen Freunde nicht verlieren. Allerdings möchte er unbedingt weiter zusammen mit der Familie seines Onkels leben.

Der Zweitbeschwerdeführer konnte auch bisher durch seine berufliche Tätigkeit in Afghanistan seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie bestreiten (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020, Zweitbeschwerdeführer: „Ich habe in Afghanistan ein gutes Leben gehabt. […] Mir ging es wirtschaftlich ganz gut.“) und ist letztlich kein Grund ersichtlich, weshalb er dies, auch mit nunmehr drei Kindern zumindest vorübergehend nicht wieder machen könnte. Immerhin ist der Neffe mittlerweile bald XXXX Jahre alt und damit in der Lage, seine „Zieheltern“ notfalls auch zu unterstützen bzw. möchte die Erstbeschwerdeführerin ebenso eine berufliche Tätigkeit ausüben. Ihnen wäre daher der (Wieder)Aufbau einer Existenzgrundlage in Panjshir oder etwa in Herat möglich, zumal sie in ihrer Heimat noch ausreichenden familiären Anschluss haben (vgl. Verhandlung vom 18.06.2020, Zweitbeschwerdeführer: „Ich habe Kontakt zu beiden Geschwistern.“). Die Beschwerdeführer hätten zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

1.6.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in AFGHANISTAN zur Kenntnis gebracht und im Folgenden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 18.05.2020:

Allgemeines:

Zur Herkunftsprovinz der Beschwerdeführer:

Panjsher/Panjshir

Panjsher (auch Panjshir) liegt im Zentrum Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Baghlan und Takhar, im Nordosten an Badakhshan, im Osten an Nuristan, im Süden an Laghman und Kapisa und im Westen an Parwan (NPS o.D.pj; vgl. UNODC/MCN 11.2018). Die Provinzhauptstadt von Panjsher ist Bazarak. Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Bazarak, Darah (oder Ab Shar oder Hes-e-Duwumi), Hissa-e-Awal (Khinj), Unaba (oder Anawa), Paryan, Rukha und Shutul (CSO 2019; vgl. IEC 2018, UNOCHA 4.2014pj, PAJ o.D.pj, NPS o.D.pj). sowie einen temporären Distrikt Ab Shar (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Panjsher für den Zeitraum 2019-20 auf 167.000 Personen (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Tadschiken (NYT 13.1.2014), Hazara, Pashai, Nuristani und Ghilzai-Paschtunen (NPS o.D.pj; vgl. PAJ o.D.pj, Reuters 15.10.2011).

Die Provinz Panjsher ist mit Kabul durch eine lokale Straße verbunden, die durch den Distrikt Bagram in der Provinz Parwan führt (Fox 23.5.2017). Die Entfernung zwischen Kabul und Bazarak beträgt 150 Kilometer (TS 4.3.2015).

Laut UNODC Opium Survey 2018 ist Panjsher seit 2013 schlafmohnfrei (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Provinz Panjsher führte den Widerstand gegen die Sowjets und gegen den Taliban-Aufstand in den 1980er- und 1990er-Jahren an. Die Provinz ist die Heimat des Tadschiken Ahmad Shah Massoud, des „Löwen von Panjshir", der gegen die Sowjets kämpfte und die Nordallianz gegen die Taliban anführte (NYT 13.1.2014; vgl. WP 29.11.2018).

Die Provinz Panjshir gilt als relativ friedlich und sicher, wobei der Distrikt Kiran wa Menjan der Provinz Badakhshan an die Provinz angrenzt und von strategischer Bedeutung für die Taliban ist (LWJ 4.8.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte sind einsatzfähig, die Provinz gegen Aufständische zu verteidigen (TN 2.8.2019).

Viele Panjshiris waren Mitglieder der afghanischen politischen und militärischen Elite, wie CEO Abdullah Abdullah oder der ehemalige NDS-Chef und einige Vizepräsidentschaftskandidaten (NYT 13.1.2014; vgl. REU 20.1.2019; TEL 13.8.2011).

In Bezug auf die Anwesenheit von regulären staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Panjsher in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der Task Force East angehört, die von US-amerikanischen und polnischen Truppen geleitet wird (USDOD 6.2019).

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA keine zivilen Opfer in der Provinz Panjsher (UNAMA 2.2020).

Der Vize-Schattengouverneur der Taliban für die Provinz Panjsher wurde nach Angaben des afghanischen Innenministeriums im August 2019 von den Regierungskräften in Kapisa getötet (AT 4.8.2019; vgl. KP 4.8.2019).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019 – 20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 05.012.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 09.01.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 01.09.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 06.05.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.03.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban, die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.08.2019). Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 01.02.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.02.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command – North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.09.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.02.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten sechs Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.07.2019).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.02.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.06.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.09.2019; vgl KP 29.08.2019, KP 31.08.2019, KP 09.09.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.01.2019; vgl. KP 09.09.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 09.01.2019; vgl. TN 10.01.2019), Chemtal (TN 11.09.2018; vgl. TN 06.07.2018), Dawlatabad (PAJ 03.09.2018; vgl. RFE/RL 04.09.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.04.2019) an.

Berichten zufolge errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.08.2019; vgl. 10.08.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.08.2019).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. – 31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. – 30.06.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01. – 31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. – 30.06.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.08.2019).

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen – eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children‘s Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet – damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab – derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben – darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit

16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“ (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o.D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WB 28.8.2017).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird – in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sindkeine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation; vgl. AKDN 26.7.2017). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die – ausschließlich von Frauen betrieben – hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show „Afghan Star“ zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Zusammenfassung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017 sowie European Asylum Support Office, Individuals targeted under social and legal norms, Pkt. 3.2.:

Kleidungsvorschriften
Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten.

Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 Afghaninnen und Afghanen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessenste Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Paschtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten.

Auch Frauen in Kabul kleiden sich traditionell oder bescheiden (engl. "modestly") zur Vermeidung von Belästigungen.

Bewegungsfreiheit

Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar und Kabul.

Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten

Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.

Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Beschwerdeführern, zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise aus Afghanistan:

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer sowie zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise aus Afghanistan ergeben sich aus deren glaubhaften und im Wesentlichen gleichlautenden Angaben im Rahmen des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens.

Die Angaben der Beschwerdeführer zu ihren sonstigen persönlichen Verhältnissen, ihrem Geburtsort, ihrem schulischen sowie beruflichen Werdegang, ihrer Ausreise aus Afghanistan und ihren Familienangehörigen sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der in Afghanistan bestehenden sozioökonomischen Strukturen sowie der Länderfeststellungen plausibel. Die von den Beschwerdeführern hierzu getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Feststellung zu den Bezugszeiten von Leistungen aus der Grundversorgung ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem.

Die Feststellungen zu den vom Zweitbeschwerdeführer besuchten Deutschkursen und seinen und den Deutschkenntnissen der Erstbeschwerdeführerin folgen aus den von ihm dahingehend vorgelegten Unterlagen sowie der mün

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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