TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/14 W142 2148889-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.07.2020
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Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5

Spruch

W142 2148889-1/37E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die RA Mag. Nadja Lorenz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2017, Zl. 1088281008-151408442, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist eine Staatsangehörige Somalias, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In ihrer Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Englisch, gab die BF zu ihren persönlichen Verhältnissen befragt an, dass sie traditionell verheiratet und in Hargeisa geboren sei. Sie sei Muslimin und habe von 1992 bis 2000 die Grundschule in Hargeisa besucht. Sie sei Hausfrau gewesen. Ihre Mutter, ihr Bruder, ihre Schwester und ihr Sohn würden in Somalia leben. Der Vater ihres Sohnes sei umgebracht worden. Jetzt habe sie den Bruder ihres verstorbenen Mannes geheiratet. Ihr Sohn lebe beim jetzigen Mann in Somalia. Ihr Cousin zweiten Grades lebe in Österreich. Sie sei im Mai 2009 mit einem Boot in den Jemen gefahren und sei dort gemeinsam mit ihrem Sohn, ihrem Ehemann und ihrer Schwester aufhältig gewesen. Als der Krieg im Jemen ausgebrochen sei, sei ihre Familie wieder zurück nach Somalia gegangen und sie sei im April 2012 über die Türkei nach Europa gereist.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, dass sie ein großes Problem gehabt habe. Ihr Mann sei von Terroristen im November 2007 getötet worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sie ihr Heimatland nicht verlassen können, da sie schwanger gewesen sei. Durch den Schock sei es zu einer Fehlgeburt gekommen und sie habe operiert werden müssen. Aufgrund der Operation sei es ihr nicht möglich gewesen, gleich eine Bootsfahrt zu machen, weshalb diese erst zwei Jahre später erfolgte. Befragt, was sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat befürchte, gab sie an, dass dies ein großes Problem wäre. Sie habe nicht mehr viel Familie in Somalia und es könne wieder passieren, dass jemand getötet werde.

3. Am 07.12.2016 wurde die BF durch die belangte Behörde in der Sprache Somali ausführlich einvernommen. Sie gab an, dass die Erstbefragung in Englisch stattgefunden habe und sie nicht alles gut verstanden habe. Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab sie ergänzend an, dass sie zum Stamm der Isak, Clan Arab, Subclan der Reer Ali gehöre. Sie habe in Hargeisa gelebt, dort die Schule besucht und eine Krankenschwesterausbildung begonnen. Sie habe am XXXX heimlich ihren Ehemann nach muslimischem Recht geheiratet. Ihre Familie sei nicht einverstanden gewesen. Sie habe einen Sohn, der am XXXX geboren worden sei. Den genauen Aufenthaltsort ihres Sohnes kenne sie nicht. Der Vater ihres Kindes sei im Oktober 2007 gestorben. Am XXXX habe sie eine Totgeburt gehabt. Nach seinem Tod, glaublich im XXXX , habe sie seinen Bruder nach muslimischen Recht geheiratet. Sie habe bis zu ihrer Ausreise in Hargeisa gelebt. Ihre Mutter, ihr Bruder, ihre Onkel, ihr Mann und ihr Kind würden in Somalia leben. Sie habe zu niemanden Kontakt.

Zu ihrem Gesundheitszustand gab sie an, dass sie Gastritis habe und Medikamente einnehme. Ab und zu habe sie Unterleibsschmerzen.

Zu ihrem Fluchtgrund gab sie zusammengefasst an, dass ihre Probleme am XXXX begonnen hätten. Sie habe ihren damaligen Freund gebeten zu ihrer Familie zu gehen, damit er sie heiraten dürfe. Ihre Familie habe dies aber wegen seiner Stammeszugehörigkeit (zum Stamm der Muuse Dheriyo, Subclan Reer Harun) abgelehnt und sich gegen eine Heirat ausgesprochen. Die BF habe ihren Freund dann heimlich geheiratet und habe ihn nur heimlich gesehen. Einen Monat nach der Heirat sei sie am Schulweg umgekippt, ins Krankenhaus gebracht worden und dort habe man ihre Schwangerschaft festgestellt. Ihre Familie habe von der Schwangerschaft erfahren und sei schockiert gewesen. Sie sei von ihren Onkeln zu Hause geschlagen worden und habe dann verraten, wer sie geschwängert habe. Von den Schlägen habe sie das Bewusstsein verloren und sei wieder ins Krankenhaus gebracht worden. Ihr Onkel habe gewollt, dass sie das Kind abtreibe. Sie habe das nicht gewollt und sei aus dem Krankenhaus zu einer Schulkollegin geflohen. Danach sei sie mit ihrem Mann zu seiner Familie nach Berbera gegangen, habe sich dort versteckt und ihren Sohn mittels Kaiserschnitt auf die Welt gebracht. Als ihr Sohn drei Jahre alt gewesen sei, sei sie nochmals schwanger gewesen. Ihr Mann habe damals einen Friseursalon gehabt und sei nicht von der Arbeit nach Hause gekommen. Am nächsten Tag seien der Bruder ihres Mannes und zwei weitere Personen zu ihr gekommen und hätten ihr mitgeteilt, dass ihr Mann getötet worden sei. Die BF sei dann für einen Monat ins Koma gefallen und im Krankenhaus gewesen. Sie habe eine Totgeburt erlitten. Sie sei gemeinsam mit der Familie des Mannes nach Äthiopien gegangen und dort bis zu ihrer Heilung geblieben. Sie habe Angst gehabt und habe nicht mehr nach Berbera zurückkehren können. Nach einem Jahr hätten die Eltern ihres verstorbenen Mannes gemeint, sie solle seinen Bruder heiraten. Dies habe sie dann auch gemacht und sie seien gemeinsam mit ihrem Sohn nach Boosaaso und weiter in den Jemen gefahren. Die Polizei habe festgestellt, dass ihre Familie hinter dem Tod ihres ersten Mannes stecke. Die Polizisten würden zum gleichen Stamm wie sie gehören, deshalb hätten sie ihr nicht gleich gesagt, wer es gewesen sei und es verschwiegen. Banditen hätten von ihrer Familie den Auftrag erhalten, ihren Mann zu töten. Sie sei sich sicher, dass ihre Familie dahinterstecke. Bei einer Rückkehr habe sie Angst von ihrer Familie getötet zu werden.

Im Zuge des Verfahrens legte die BF Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen vor.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 09.02.2017 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde der BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Identität der BF stehe nicht fest. Sie sei Staatsangehörige von Somalia, gehöre zum Stamm der Isaaq (Clan Arab, Subclan der Reer Ali) und bekenne sich zum muslimischen Glauben. Sie sei in Hargeisa in Nordsomalia geboren und habe dort mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrem Onkel gelebt. Sie habe erstmals am XXXX nach moslemischen Recht geheiratet und aus dieser Ehe sei ein Sohn entstanden. Ihr Gatte sei im Oktober 2007 verstorben. Am XXXX habe sie eine Totgeburt erlitten. Nach dessen Tod habe sie im XXXX seinen Bruder nach moslemischen Recht geheiratet.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass sie in ihrem Heimatland einer konkreten, gegen sie gerichteten individuellen Bedrohung ausgesetzt gewesen sei. Es habe festgestellt werden können, dass sie keiner Verfolgung seitens ihrer Familie ausgesetzt gewesen sei bzw. sie im Falle der Rückkehr wäre bzw. habe sie dies nicht glaubhaft machen können. Sie sei lediglich nach Österreich gekommen um hier ein besseres Leben zu führen.

Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, dass ihr gesamtes Vorbringen in keiner Weise die für das Asylverfahren nötigen Glaubwürdigkeitskriterien erfülle. Sie habe nur emotionslose Behauptungen in den Raum gestellt, ohne diese zu belegen oder durch konkrete Anhaltspunkte glaubhaft zu machen. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönlich Erlebtes detailreich, weit schweifend unter Angabe der eigenen Gefühle bzw. spontaner Rückerinnerung an oft unwesentliche Details oder Nebenumstände berichten. Diesen Voraussetzungen habe die BF jedoch nicht entsprochen. Die Fluchtgeschichte sei als zu blass, wenig detailreich, zu oberflächlich und daher keinesfalls als glaubhaft zu qualifizieren. Es sei auch nicht glaubhaft, dass sie erst zwei Jahre später ausreisen habe können. Wäre sie tatsächlich bedroht worden und hätte sie so große Angst fürchten müssen, so hätte sie keinesfalls zwei Jahre mit ihrer Ausreise zugewartet. Es sei auch eine reine Vermutung, dass ihre Familie hinter der Ermordung ihres Mannes stecke. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Familie erst nach über drei Jahren plötzlich entscheiden würde, ihren Mann zu töten. Auch habe sie keine Beweise erbracht. Die Behörde gehe daher davon aus, dass die BF lediglich deshalb nach Österreich gekommen sei, um hier ein besseres Leben zu führen.

5. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht vollumfängliche Beschwerde erhoben. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde nicht auf das individuelle Vorbringen der BF eingegangen sei. Bei einer Rückkehr der BF nach Somalia habe sie eine objektiv nachvollziehbare Gefahr durch die eigene Familie zu befürchten. Der staatliche Schutz sei insgesamt zu schwach bzw. gar nicht gegeben. Der Kontakt zum Ehemann der BF sei abgebrochen und sie wisse nichts über seinen Verbleib.

Mit der Beschwerde legte die BF einen Suchantrag des Roten Kreuzes hinsichtlich ihres Ehemannes bzw. ihres Sohnes vor.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.05.2017 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und im Beisein eines Rechtsvertreters der BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm. In der Beschwerdeverhandlung wurde die BF vom erkennenden Gericht nochmal ergänzend zu ihren Fluchtgründen und ihren Verwandten im Heimatland befragt. Zudem wurden das Länderinformationsblatt (Stand 13.02.2017) erörtert. Der Rechtsvertreter führte dazu aus, dass die BF ihre Fluchtgründe glaubhaft geschildert habe und sie in den Augen ihrer Familie eine Schande gebracht habe, weil sie ohne Erlaubnis bzw. Zustimmung der Familie einen Mann aus einem minderen Clan geheiratet habe. Dies könne zur körperlichen Gewalt und zum Tode führen.

Im Zuge der Verhandlung legte die BF folgende Unterlagen vor:

-        Rezept einer Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe für das Medikament Seractil (Schmerzmittel) und Pantoloc.

-        Diverse Röntgenaufnahmen.

-        Radiologischer Befundbericht vom 02.02.2016, worauf „Geringgradige Rotation von C2 nach links. Sonst altersentsprechend normale Darstellung der Halswirbelsäule“ festgehalten wurde.

-        Bestätigung betreffend die Teilnahme an Deutschkursen (A1 und A2).

7. Am 19.12.2017 und 29.12.2017 legte die BF ein ÖSD-Zertifikat vor, wonach sie die Prüfung Deutsch-A2 gut bestanden habe.

8. Am 25.07.2018 legte die BF weitere Integrationsunterlagen vor.

9. Am 30.07.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der BF die aktuellen Feststellungen zu Somalia (Stand: 12.01.2018, zuletzt aktualisiert per 03.05.2018). Ihr wurde eine Frist von zwei Wochen zur Einbringung einer Stellungnahme gewährt.

10. Am 06.08.2018 langte eine Stellungnahme der BF ein. Es wurde ausgeführt, dass die Länderfeststellung die nach wie vor prekäre Situation von Frauen in Somalia darlegen würden. Die BF sei konsequent um eine Integration in Österreich bemüht.

11. Am 07.08.2018 langte eine Stellungnahme des BFA ein. Es wurde ausgeführt, dass nicht angenommen werden könne, dass der BF bei einer Rückkehr nach Somalia die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

12. Am 30.08.2018 legte die BF eine Teilnahmebestätigung für einen Integrationskurs vor.

13. Am 02.01.2019 legte die BF ein Zertifikat über den „Lehrgang für Integrationswissen und interkulturelle Kompetenzen“ vor.

14. Am 24.01.2019 langte eine Teilnahmebestätigung eines Werte- und Orientierungskurses ein.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.02.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch und im Beisein eines Rechtsvertreters der BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Befragt, ob sie nach Mogadischu zurückkönne, führte die BF aus, dass dort auch Probleme herrschen würden, es keine Sicherheit gebe und sie dort niemanden kenne, da sie für ihre Familie als tot gelte und diese sie in Mogadischu verfolgen und ihr Schwierigkeiten bereiten würden. Die Polizei habe auch damals nichts gemacht, weil ihre Familie einem Mehrheitsclan angehöre, der die Macht habe. Die Polizisten hätten dem selben Clan angehört wie die Familie der BF, daher habe man den Fall ihres Mannes, der einem Minderheitenclan angehört habe, ignoriert. Als sie mit ihrem zweiten Mann im Jemen gewesen sei, sei sie nicht mit zurück nach Somalia gegangen, weil sie Angst vor ihrer Familie gehabt habe. Ihr Mann habe zu seiner kranken Mutter wollen und hätte danach in den Jemen zurückkommen sollen, sei aber nie gekommen. Die Familie ihres zweiten Mannes lebe an der Grenze zwischen Somalia und Äthiopien, auf der äthiopischen Seite.

Der BFV führte aus, dass die BF abgesehen von der individuellen Verfolgungsgefahr als alleinstehende Rückkehrerin, die auf kein Netzwerk zurückgreifen kann, mit maßgeblicher Wahrscheinlich geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt wäre. Die BF führte darüber hinaus aus, dass Frauen zwangsweise mit den Angehörigen eines Mehrheitsclans oder einem wohlhabenden Mann verheiratet werden würden, ohne ihre Zustimmung, weil die Familien Geld dafür bekommen würden. Erörtert wurde unter anderem das Länderinformationsblatt für Somalia und Somaliland.

Eingebracht wurden Integrationsunterlagen sowie Sprachnachweise für Niveau B1 und Empfehlungsschreiben.

16. Am 13.09.2019 wurde eine Meldebestätigung der BF sowie eine Anmeldebestätigung für einen Deutschkurs auf Niveau B1 eingebracht.

17. Am 15.10.2019 wurde dem Gericht ein psychiatrischer Befundbericht übermittelt, wonach die BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Schlafstörung leidet. Der BF wurden Medikamente und eine Psychotherapie verschrieben.

18. Am 04.11.2019 brachte die BF ein psychiatrisches Sachverständigengutachten von XXXX , FÄ f. Psychiatrie und Neurologie, ein. Diagnostiziert wurde eine zumindest mittelgradig depressive Störung mit somatischem Syndrom mit anhaltender höhergradiger depressiver Symptomatik von mehreren Monaten mit Schlafstörungen, Alpträumen, Suizidgedanken, diversen körperlichen Beschwerden, eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie ein psychisches Trauma aufgrund der Genitalverstümmelung.

19. Am 28.11.2019 übermittelte die BF eine aktuelle psychiatrische Anamnese der Marienambulanz.

20. Am 10.01.2020 langte eine Stellungnahme ein, wonach festgehalten wird, dass psychotherapeutische Maßnahmen und eine psychiatrische Behandlung aus gutachterlicher Sicht dringend indiziert und erforderlich sind und eine Abschiebung den Zustand massiv verschlechtern würde, weshalb mit akuter Suizidalität zu rechnen wäre. Eine medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung sei in Somalia nicht gewährleistet, da die Lage für Personen mit psychischen Erkrankungen katastrophal sei. Psychisch kranke Menschen würden oftmals angekettet, damit sie sich und andere nicht verletzen. Die BF sei eine alleinstehende Frau mit besonderer Vulnerabilität. Durch das Eingehen einer Mischehe werden die Menschen aus dem Mehrheitsclan oftmals verstoßen. Außerdem wurde weitere Integrationsunterlagen eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF ist Staatsangehörige von Somalia, Zugehörige zum Clan der Isaaq und Muslimin. Sie wurde in Hargeisa (Somaliland) geboren und hat sich bis zu ihrer Ausreise in den Jemen im Mai 2009 in Somaliland aufgehalten. Im April 2012 ist sie wegen des Krieges im Jemen alleine in die Türkei gereist und hat dort etwa drei Jahre lang gelebt, bevor sie schließlich nach Österreich reiste und hier am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die BF hat 8 Jahre lang eine Schule besucht und die Ausbildung zur Krankenschwester begonnen.

Die BF leidet laut psychiatrischem Gutachten unter anderem an einer zumindest mittelgradig depressiven Störung mit somatischem Syndrom mit anhaltender höhergradiger depressiver Symptomatik, einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie einem psychischen Trauma aufgrund der Genitalverstümmelung. Eine medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung ist dringend erforderlich.

Die BF, eine Zugehörige zum Clan der Isaaq, heiratete am XXXX heimlich und gegen den Willen ihrer Familie einen Mann mit minderer Stammeszugehörigkeit (einen Zugehörigen zum Clan der Muuse Dhariyo). In weiterer Folge wurde die BF von ihrem Mann schwanger. Ihre Familie erfuhr von der Schwangerschaft und die BF wurde deshalb von ihren Onkeln bewusstlos geschlagen und ins Krankenhaus eingeliefert. Ihre Onkel wollten, dass sie das Kind abtreibt. Die BF wollte jedoch nicht abtreiben, ist zu einer Schulkollegin geflohen und hat sich danach bei der Familie ihres Mannes in Berbera versteckt. Dort hat sie ihren Sohn mittels Kaiserschnitt auf die Welt gebracht. Als ihr Sohn drei Jahre alt war, wurde die BF erneut schwanger. Der Mann der BF ist eines Tages nicht von seiner Arbeit im Friseursalon zurückgekehrt und am nächsten Tag wurde ihr vom Bruder ihres Mannes mitgeteilt, dass er getötet wurde. Die BF wurde daraufhin ohnmächtig, war ein Monat lang im Krankenhaus und erlitt eine Totgeburt. Nach etwa einem Jahr heiratete die BF den Bruder ihres verstorbenen Mannes und ist mit diesem und ihrem Sohn in den Jemen gegangen. Die BF ist sich sicher, dass ihre Familie für den Tod ihres ersten Mannes verantwortlich ist bzw. jemanden dazu beauftragt hat, ihren ersten Mann zu töten. Die BF hat daher Angst von ihrer Familie getötet zu werden bzw. erneuten körperlichen Angriffen durch ihre Familie ausgesetzt zu sein. Wo sich ihr zweiter Ehemann und ihr Sohn befinden bzw. ob diese noch am Leben sind, weiß die BF nicht. Sie hat die beiden zuletzt im Jemen gesehen.

Festgestellt wird, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität von privater Seite droht, gegenüber welcher die staatlichen Behörden Somalias keinen effektiven Schutz bieten können. Eine innerstaatliche Schutzalternative besteht nicht.

Die BF ist um eine Integration in Österreich sehr bemüht, besucht Kurse auf B1 Niveau und ist in Österreich nicht straffällig geworden.

2. Feststellungen zu Somaliland und Somalia:

Die Republik Somaliland hat sich im Mai 1991 für unabhängig erklärt, wurde aber bis dato international nicht anerkannt (BS 2018, S.4; vgl. AA 4.3.2019, S.5f). Die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten bemühen sich in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit (AA 4.3.2019, S.5f).

Obwohl Somaliland kaum internationale Unterstützung erhielt, gilt das Land heute als Vorbildstaat am Horn von Afrika (SZ 13.2.2017; vgl. ECO 13.11.2017). Somaliland hat schrittweise staatliche Strukturen wieder aufgebaut und war auch bei demokratischen Reformen erfolgreich (BS 2018, S.4/23/33; vgl. UNDP 10.12.2017). Das Land verfügt über zahlreiche Zeichen der Eigenständigkeit: Es gibt eine Zivilverwaltung, Streitkräfte, eine eigene Währung (ICG 12.7.2019, S.1), eine Regierung, eine Verfassung und seit Jahren ökonomische Stabilität (DW 30.11.2018). Mit internationaler Hilfe konnten Bezirksverwaltungen und Bezirksräte etabliert werden (BFA 8.2017, S.94).

Seit 1997 herrschen Frieden und politische Stabilität (BS 2018, S.32). Die Regierung bekennt sich zu Demokratie und Marktwirtschaft (BS 2018, S.37). Die Bindung bzw. das Commitment Somalilands zum demokratischen System ist groß (BS 2018, S.21f), denn letzteres hat sich aus einer Reihe großer Clankonferenzen entwickelt und ist damit mit einem hohen Maß an Legitimität versehen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt zwischen Regierung und Bürgern ist ungewöhnlich stark (ECO 13.11.2017). Die demokratischen Institutionen Somalilands sind relativ stabil, es mangelt aber an Ressourcen und Expertise (BS 2018, S.21f).

Trotzdem kämpft das Land mit massiven strukturellen Restriktionen. Der Staatsapparat bleibt schwach und unterfinanziert und das Land ist von einem inakzeptablen Maß an Armut geprägt (BS 2018, S.33). Der Staat ist von Wirtschaftstreibenden abhängig, auf allen Ebenen der Verwaltung kommt es zu Korruption und Clan-Patronage (BS 2018, S.6/21f). Zudem sind staatliche Institutionen bei ihren Entscheidungen an das Einverständnis einflussreicher Clanältester gebunden, wenn sie Spannungen und – in Einzelfällen – Gewalt vorbeugen wollen (BS 2018, S.15). Dabei hat Somaliland aber im Wesentlichen mit Verhandlungen zwischen und mit unterschiedlichen Akteuren gute Erfahrungen gemacht (BS 2018, S.36).

Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit mehrere allgemeine Wahlen durchgeführt (AA 4.3.2019, S.5f; vgl. ICG 12.7.2019, S.1). Diese wurden durch internationale Beobachter regelmäßig als frei und fair beurteilt (BS 2018, S.4f).

Es gibt ein Zwei-Kammern-Parlament. Das Ober- bzw. Ältestenhaus (Guurti) besteht aus 86 ernannten, das Unter- bzw. Repräsentantenhaus aus 82 gewählten Mitgliedern (USDOS 13.3.2019, S.24; vgl. FH 5.6.2019a, A2). Parlamentswahlen wurden zuletzt 2005 abgehalten und sind seit Jahren überfällig. Zuletzt wurden die Parlamentswahlen im März 2017 auf April 2019 verschoben (USDOS 13.3.2019, S.24) bzw. sind diese nunmehr für Ende 2019 vorgesehen (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AMISOM 15.1.2019b; AA 5.3.2019b). Eine weitere Verschiebung kann nicht ausgeschlossen werden (UNSC 15.5.2019, Abs.9). Die neuerliche Verschiebung der Parlamentswahlen wirft einen Schatten auf das vergleichsweise demokratische Somaliland (AA 4.3.2019, S.4).

Das Guurti sollte eigentlich alle sechs Jahre neu mit Ältesten besetzt werden (FH 5.6.2019a, A2), geht aber nunmehr in das dreizehnte Amtsjahr, ohne wiedergewählt worden zu sein (AA 4.3.2019, S.6). Es gibt Vorwürfe, wonach im Oberhaus politische Korruption herrscht (USDOS 13.3.2019, S.24; vgl. BS 2018, S.21).

Auch die Präsidentschaftswahl hatte sich mehrfach verzögert, bevor sie Mitte November 2017 stattfand (AA 4.3.2019, S.6; vgl. FH 5.6.2019a, A1). Zum Präsidenten gewählt wurde der Kandidat der regierenden Kulmiye-Partei, Muse Bihi Abdi. Seine Angelobung erfolgte im Dezember 2017 (USDOS 13.3.2019, S.24; vgl. AA 4.3.2019, S.6). Die Wahl wurde als weitgehend frei und fair eingeschätzt (AA 5.3.2019b), auch wenn es einige Unregelmäßigkeiten gab; letztere haben den Ausgang der Wahl nicht signifikant beeinflusst (FH 5.6.2019a, A1; vgl. ISS 10.1.2018).

Mit der Beschränkung auf drei Parteien soll eine Zersplitterung der Parteienlandschaft entlang von Clans verhindert werden. Lokalwahlen entscheiden darüber, welche drei Parteien für die nächsten Wahlen auf nationaler Ebene zugelassen werden (BS 2018, S.16/22f; vgl. AA 4.3.2019, S.6). Bei den Gemeindewahlen im November 2012 entschied sich die Bevölkerung bei einer Auswahl von sieben Parteien für Kulmiye, Ucid und Waddani als nationale Parteien (BS 2018, S.16/22f), die Udub verlor die Zulassung. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Gegebenenfalls werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 4.3.2019, S.6).

Eine Clan-bezogene Organisation politischer Parteien ist also in der Verfassung verboten. Trotzdem dominiert die Clanzugehörigkeit Politik und Entscheidungsprozesse. Traditionelle Normen und Institutionen arbeiten simultan zu demokratischen Institutionen (BS 2018, S.22).

Das Innenministerium hat 2.700 Sultane registriert. Diese erhalten für ihre Beteiligung an den Lokalverwaltungen auch ein Gehalt (UNHRC 6.9.2017, Abs.74).

Somaliland definiert seine Grenzen gemäß der kolonialen Grenzziehung; Puntland hingegen definiert seine Grenzen genealogisch entlang der Siedlungsgebiete des Clans der Darod. Insgesamt ist die Ostgrenze Somalilands zu Puntland nicht demarkiert, und die Grenze bleibt umstritten (EASO 2.2016, S.72). Das Verhältnis zwischen dem im Nordwesten gelegenen Somaliland und dem Rest des Landes ist problematisch (AA 5.3.2019b). Vor allem in West- und Zentral-Somaliland wurde die somalische Identität zunehmend von einer somaliländischen Identität abgelöst (BS 2018, S.11).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-        AMISOM (15.1.2019b): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Somaliland Standard], Newsletter per E-Mail

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        DW - Deutsche Welle (30.11.2018): Somaliland: Return of the migrants, URL, Zugriff 19.7.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

-        ECO - The Economist (13.11.2017): Why Somaliland is east Africa’s strongest democracy, URL, Zugriff 19.7.2019

-        FH - Freedom House (5.6.2019a): Freedom in the World 2019 - Somaliland, URL, Zugriff 22.7.2019

-        ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019

-        ISS - Institute for Security Studies (10.1.2018): Somaliland's New President Has Work to Do, URL, Zugriff 19.7.2019

-        SZ - Süddeutsche Zeitung / von Eichhorn, Caroline (13.2.2017): Wo Mütter die Wirtschaft schmeißen, URL, Zugriff 19.7.2019

-        UNDP - UN Development Programme (10.12.2017): Somaliland applies global resilience expertise to drought response, URL, Zugriff 19.7.2019

-        UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, URL, Zugriff 12.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
1.         Sicherheitslage

Der in Somaliland etablierten de facto-Regierung ist es gelungen, ein für die Region durchaus bemerkenswertes Maß an Stabilität und Ordnung herzustellen (AA 5.3.2019b; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.45). Friede und politische Stabilität wurden 1997 erlangt (BS 2018, S.32), und es ist dort auch nach wie vor vergleichsweise friedlich (BS 2018, S.9; vgl. DW 30.11.2018). Die Regierung übt über das ihr unterstehende Gebiet Kontrolle aus (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. LIFOS 9.4.2019, S.6), nur das Randgebiet zu Puntland ist umstritten (LIFOS 9.4.2019, S.6), bzw. hat die Regierung dort nicht die volle Kontrolle (FH 5.6.2019a, C1).

Die Sicherheitskräfte können in einem vergleichsweise befriedeten Umfeld ein höheres Maß an Sicherheit im Hinblick auf terroristische Aktivitäten und allgemeine Kriminalität herstellen als in anderen Landesteilen. Dies gilt insbesondere für die Regionen Awdal und Woqooyi Galbeed mit den Städten Hargeysa und Berbera (AA 17.9.2019). Somaliland ist damit das sicherste Gebiet Somalias, die Sicherheitslage ist dort deutlich stabiler (UNHRC 6.9.2017, Abs.52/71ff; AA 4.3.2019, S.4; ÖB 9.2016, S.23). Mehrere Quellen bezeichnen Somaliland als sicher. Die Einwohner bewegen sich frei und gewiss, nicht angegriffen zu werden. In Hargeysa und auch in den ländlichen Gebieten – mit Ausnahme der umstrittenen Teile – sind lebensbedrohliche Zwischenfälle eine Seltenheit (BFA 8.2017, S.94f).

Somaliland war in der Lage, die Bedrohung durch al Shabaab einzudämmen (UNHRC 6.9.2017, Abs.73). Die Terrorgruppe kontrolliert einerseits keine Gebiete in Somaliland (AA 4.3.2019, S.5/7/13), andererseits gibt es so gut wie keine Angriffe durch al Shabaab bzw. wurden Versuche erkannt und Anschläge verhindert (NLMBZ 3.2019, S.15). Es gibt keine signifikanten Aktivitäten der al Shabaab in Somaliland (LIFOS 3.7.2019, S.37f), und seit 2008 hat es keine terroristischen Aktivitäten mehr gegeben (BFA 8.2017, S.105). Al Shabaab kann in Somaliland auch keine Steuern einheben (LIFOS 3.7.2019, S.37f). Die relativ homogene Bevölkerung resultiert in einer starken sozialen Kontrolle, eine Art Nachbarschaftswache findet Anwendung (NLMBZ 3.2019, S.15). Aufgrund der Mitwirkung der Bevölkerung wurden zahlreiche Mitglieder der al Shabaab verhaftet. Immer wieder hört man auch von Verhaftungen an Straßensperren (BFA 8.2017, S.110).

Trotzdem bleibt die Gruppe für Somaliland eine Bedrohung. Es ist davon auszugehen, dass sie in Hargeysa über eine Präsenz verfügt, deren Kapazitäten aber gering sind. Eine (temporäre) Präsenz und sporadische Aktivitäten von al Shabaab werden aus den umstrittenen Gebieten in Ost-Somaliland und aus Burco gemeldet (BFA 8.2017, S.105f).

Deserteure der al Shabaab scheinen in Somaliland kaum gefährdet zu sein. Es gibt keine Berichte, wonach in Hargeysa schon einmal ein Deserteur der al Shabaab exekutiert worden wäre (BFA 8.2017, S.107f).

Clankonflikte bestehen wie überall in Somalia auch in Somaliland, und es kann zu Auseinandersetzungen und Racheakten kommen, die zivile Opfern fordern. Clankonflikte stellen aber kein Sicherheitsproblem dar, das die politische Stabilität der Region gefährdet. Somaliland hat Regierungsstrukturen aufgebaut, die das Machtstreben der verschiedenen Clans ausbalancieren. Das ganze politische System beruht auf Kompromissen zwischen den Clans (ÖB 9.2016, S.20f). Außerdem konnten mit internationaler Hilfe Bezirksverwaltungen und Bezirksräte etabliert werden (BFA 8.2017, S.94f). Den Behörden ist es gelungen, einen relativ wirksamen Schutz gegen Banden und Milizen zu gewährleisten (AA 4.3.2019, S.16). Hinsichtlich Hargeysa gibt es keine Sicherheitsprobleme. Die Kriminalitätsrate ist relativ niedrig. Wenn es zu einem Mord kommt, dann handelt es sich üblicherweise um einen gezielten Rachemord auf der Basis eines Clan-Konflikts. Hargeysa und Burco sind relativ ruhig (BFA 8.2017, S.95). Clan-Konflikte werden v.a. im umstrittenen Grenzgebiet zu Puntland gewaltsam ausgetragen. Die Dürre und damit verbundene Ressourcenkonflikte haben die Gefahr dort noch größer werden lassen (LIFOS 3.7.2019, S.38).

In der Region Sanaag hat sich ein seit langem laufender Konflikt zwischen den Isaaq-Clans der Habr Jeclo und Habr Yunis weiter intensiviert. Dies hat soweit geführt, dass Präsident Bihi im Mai 2019 über drei Bezirke in Sanaag den Ausnahmezustand verhängen wollte, um die Möglichkeiten der Armee auszuweiten. Dieser Plan traf im Parlament auf Widerstand (ICG 12.7.2019, S.10). Ende Juni wurde der Ausnahmezustand auch wieder aufgehoben. Im Juli 2019 brachen die Clankämpfe erneut aus, dabei wurden 18 Zivilisten getötet (UNSC 15.8.2019, Abs.10).

Eigentlich steht der Osten der Region Sanaag nicht unter Kontrolle der somaliländischen Regierung. Teile dieser Gebiete werden von den dort lebenden Warsangeli de facto selbst verwaltet (BFA 8.2017, S.25/102). Teile der Warsangeli haben sich im Mai 2019 gänzlich auf die Seite Puntlands geschlagen (UNSC 15.8.2019, Abs.9).

Die Grenze zu Puntland ist umstritten (AA 4.3.2019, S.5). Sowohl Somaliland als auch Puntland beanspruchen Sool, Sanaag und Cayn (BS 2018, S.6). Normalerweise kommt es dort nur zu kleineren Scharmützeln mit ansässigen Milizen (AA 5.3.2019b). In den gewaltsamen Konflikt involviert sind Somaliland, Puntland, Kräfte des selbsternannten Khatumo-Staates und lokale Clanmilizen (BS 2018, S.34). Die Grenzfrage ist das größte Sicherheitsproblem Somalilands (LIFOS 3.7.2019, S.37). Im Jahr 2018 gab es jedoch teils heftigere militärische Auseinandersetzungen zwischen somaliländischen und puntländischen Truppen, v.a. im Bereich der Ortschaft Tuko Raq (auch: Tukaraq) (AA 4.3.2019, S.5; vgl. AA 5.3.2019b; USDOS 13.3.2019, S.16; BS 2018, S.34). Bei Kampfhandlungen im Jänner 2018 gab es auf beiden Seiten dutzende Verluste, und ca. 2.500 (SEMG 9.11.2018, S.5/35) – nach anderen Angaben 12.500 – Zivilisten wurden dabei vertrieben (HRW 17.1.2019). Im Mai und Juni 2018 kam es zu weiteren Gefechten. Im Juli 2018 folgten die ersten internationalen Vermittlungsversuche (SEMG 9.11.2018, S.36). UN, IGAD [regionale Staatenorganisation] und andere haben diplomatisch vermittelt (SRSG 13.9.2018, S.1; vgl. SRSG 3.1.2019, S.4). Danach wurde der Konflikt eingedämmt und zwischen beiden Seiten eine ca. zwei Kilometer breite Pufferzone eingerichtet. Seither stehen sich somaliländische und puntländische Kräfte im Abstand von zwei Kilometern in konsolidierten militärischen Positionen gegenüber (SEMG 9.11.2018, S.5/35; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.39). Der de-facto-Waffenstillstand hält (SRSG 3.1.2019, S.4) weitgehend, auch wenn die Situation in und um Tuko Raq weiterhin angespannt ist und es sporadisch zu Gefechten zwischen beiden Seiten kommt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. ICG 12.7.2019, S.3) – etwa im November 2018 (ICG 12.7.2019, S.3). Im April (UNSC 15.5.2019, Abs.18) und im Juni 2019 kam es zu einer Kampfhandlung zwischen der somaliländischen Armee und einer lokalen Miliz, die möglicherweise von Puntland unterstützt wird. Im Bereich Tuko Raq ist die Lage nach wie vor volatil (SLS 12.6.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.18; LIFOS 3.7.2019, S.39).

Der Begriff „Khatumo“ findet in keiner der verwendeten Quellen eine relevante Verwendung.

Vorfallzahlen: In den somaliländischen Regionen Awdal, Sanaag, Sool, Togdheer und Woqooyi Galbeed lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 3,5 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31ff). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 24 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „Violence against Civilians“). Bei 17 dieser 24 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 22 derartige Vorfälle (davon 21 mit je einem Toten). Laut ACLED Datenbank entwickelte sich die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in Somaliland folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):

SOMALILAND

Vorfälle (mit Todesopfern) - gesamt

2013

2014

2015

2016

2017

2018

Anzahl Vorfälle / Opferzahl (1/>1)

OPFERZAHL

1

>1

1

>1

1

>1

1

>1

1

>1

1

>1

VORFALLSZAHL

Awdal

4

-

-

-

2

1

2

-

2

2

-

-

Sanaag

6

1

4

1

6

-

11

7

1

1

13

11

Sool

6

5

19

4

16

6

6

5

17

17

11

3

Togdheer

9

2

10

4

12

3

12

6

4

4

4

4

Woq. Galbeed

11

1

3

1

8

3

2

-

5

5

2

-

 

36

9

36

10

44

13

33

18

29

20

30

18

 

45

46

57

51

49

48

 

 

80%

20%

78%

22%

77%

23%

65%

35%

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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