TE Bvwg Beschluss 2020/7/15 W232 1239114-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.07.2020
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Entscheidungsdatum

15.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W232 1239114-4/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2020, Zl. 731822306-180083288, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet durch seine gesetzliche Vertreterin am 17.06.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei wurden für den Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

2. Mit Bescheid des damals zuständigen Bundesasylamtes vom 28.12.2006, Zl. 03 18.223-BAT, wurde dem Asylantrag des Beschwerdeführers im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 Monaten verurteilt.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 21 Monaten verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

5. Aus einem Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2018 geht hervor, dass die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten (nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005) aktuell nicht vorliegen würden.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2018, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von vier Monaten verurteilt. Zudem wurde die bedingte Strafnachsicht in der Dauer von 12 Monaten, die gegen den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016 zu Zl. XXXX verhängt wurde, widerrufen.

7. Am 28.01.2020 fand aufgrund eines eingeleiteten Aberkennungsverfahren gemäß § 7 AsylG 2005 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.

8. Mit Bescheid vom 17.04.2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom 28.12.2006 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte es dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation fest (Spruchpunkt V.), erließ gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG gegenüber dem Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.) und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VII.).

9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine im weiteren Verfahren bevollmächtigte Rechtsberaterin vollinhaltlich mit Schreiben vom 26.05.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde das Fluchtvorbringen der Mutter des Beschwerdeführers im Lichte der aktuellen Länderberichte prüfen und diese sowie den Vater des Beschwerdeführers einvernehmen und im Lichte dieses Fluchtvorbringens bei richtiger Würdigung und rechtlicher Beurteilung erkennen müssen, dass die damaligen Fluchtgründe nach wie vor bestünden und hätte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten daher nicht von Amts wegen aberkennen dürfen. Die Behörde habe im gegenständlichen Bescheid keine ausführliche Prüfung vorgenommen, ob die Umstände, auf Grund deren der Beschwerdeführer als Flüchtling anerkannt worden sei, noch bestehen würden oder nicht, insbesondere habe sie sich mit dem Fluchtvorbringen der Eltern des Beschwerdeführers nicht ausreichend auseinandergesetzt. Zudem wurde auf das Bestehen eines Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers hingewiesen und darauf, dass die Behörde verkannt habe, dass der Beschwerdeführer nach wie vor über ein schützenswertes Familienleben mit seinen Eltern verfüge, da er mit diesen engen Kontakt pflege und eine gegenseitige finanzielle Abhängigkeit bestehe. Der Beschwerdeführer lebe zudem nach wie vor mit seiner Mutter und zwei seiner Schwestern im selben Haushalt. Zudem erweise sich die Erlassung des Einreiseverbotes aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers als nicht erforderlich, jedenfalls aber als unverhältnismäßig hoch. Daher möge das Einreiseverbot ersatzlos behoben, in eventu die Dauer des Einreiseverbotes reduziert werden.

10. Am 02.07.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht ein Anlassbericht der Landespolizeidirektion Wien übermittelt, aus welcher eine Anzeige des Beschwerdeführers auf freiem Fuß (und andere Beteiligte) wegen des Verdachts nach § 143 StGB hervorgeht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, der im Jahr 2003 als Minderjähriger nach Österreich gelangte. Am 17.06.2003 stellte er einen Asylerstreckungsantrag in Bezug auf den am selben Tag gestellten Asylantrag seiner Mutter. Dem Beschwerdeführer wurde durch das damals zuständige Bundesasylamt am 28.12.2006 im Wege der Erstreckung Asyl gewährt. Seither ist der Beschwerdeführer in Österreich aufhältig, er absolvierte hier seine Pflichtschulausbildung.

Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet mehrfach straffällig:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 (zwölf) Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 21 Monaten verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2018, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von vier Monaten verurteilt. Zudem wurde die bedingte Strafnachsicht in der Dauer von 12 Monaten, die gegen den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016 zu Zl. XXXX verhängt wurde, widerrufen. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Beschwerdeführer die ursprünglich bedingt ausgesprochene Haftstrafe anzutreten hatte. Am 03.01.2020 wurde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete das gegenständliche Statusaberkennungsverfahren aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilungen in Zusammenschau mit der geänderten Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ein. Es ging dabei davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten infolge Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung geführt hatten, nicht mehr vorlägen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer am 28.01.2020 durch, in der es ihn zu seinem Gesundheitszustand, seinem Lebenslauf, seinen strafrechtlichen Verurteilungen, seinen familiären Angehörigen in der Russischen Föderation und in Österreich, seinen Befürchtungen im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sowie seinen Lebensumständen in Österreich näher befragte. Die der Mutter des Beschwerdeführers im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation allfällig drohende bzw. sie erwartende Situation wurde in der Einvernahme nicht erörtert.

Der angefochtene Bescheid stützt sich hinsichtlich der Statusaberkennung ausschließlich darauf, dass die Verfolgungsgründe des Familienangehörigen, der Mutter des Beschwerdeführers, von welchem der Asylstatus abgeleitet wurde, weggefallen seien. Zudem begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Aberkennung mit dem Umstand, dass sich die den Beschwerdeführer betreffende Lage in seinem Herkunftsstaat maßgeblich geändert habe und es keine Hinweise auf eine ihn treffende Gefährdungs- oder Bedrohungslage gebe. Er habe keine glaubhaften Gründe für eine aktuelle Verfolgung in der Russischen Föderation vorgebracht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Einreise nach Österreich und seinen bisherigen Verfahren ergeben sich unzweifelhaft aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsakts. Dem Bundesverwaltungsgericht liegen die den Beschwerdeführer selbst sowie seiner Mutter betreffenden Bescheide des damals zuständigen Bundesasylamts vom 28.12.2006, mit denen ihnen Asyl gewährt wurde, vor. Über die rudimentären Aussagen in dem der Mutter des Beschwerdeführers betreffenden Bescheid hinaus konnten keine Feststellungen zu den näheren Gründen für die Asylgewährung getroffen werden, weil das damals zuständige Bundesasylamt von einer näheren Begründung gemäß § 58 Abs. 2 AVG Abstand nahm und sich auch sonst in dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt betreffend die Mutter des Beschwerdeführers keine näheren Erwägungen des damals zuständigen Bundesasylamts zur Asylgewährung finden. Dass der Beschwerdeführer bis zum Entscheidungszeitpunkt in Österreich lebte, hier seine Pflichtschulausbildung absolvierte, ergibt sich aus seinen unbedenklichen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde und den vorgelegten Zeugnissen.

Die Straftaten des Beschwerdeführers und nachfolgenden strafgerichtlichen Verurteilungen sind aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister in Verbindung mit den vorliegenden gekürzten Urteilsausfertigungen ersichtlich. Der Beschwerdeführer bestritt auch zu keinem Zeitpunkt des vorliegenden Verfahrens das Bestehen der Verurteilungen.

Die Feststellungen zur Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren bzw. der Inhalt der Einvernahme vom 28.01.2020 ergeben sich aus dem Verwaltungsakt; aus der Niederschrift dieser Einvernahme ist ersichtlich, dass die der Mutter des Beschwerdeführers im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation allfällig drohende bzw. sie erwartende Situation kein Thema in der Befragung bildete. Die festgestellte wesentliche Begründung der belangten Behörde für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde stützte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten darauf, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten infolge Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung geführt haben, nicht mehr vorliegen. Dem Beschwerdeführer sei der Status des Asylberechtigten lediglich im Familienverfahren zuerkannt worden.

Zu einer Sachverhaltskonstellation wie im vorliegenden Fall sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, grundlegend aus, dass im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene "Wegfall der Umstände"-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden kann. Es ist nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukommt, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar. Unter Verweis auf sowohl den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK als auch den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, dass für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände es darauf ankommt, ob die Umstände, aufgrund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage ist ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.

Dem Beschwerdeführer wurde als minderjährigem Sohn seiner Mutter durch das damals zuständige Bundesasylamt am 28.12.2006 allein im Wege der Erstreckung Asyl gewährt; eigene Fluchtgründe hatte er nicht. Eine nähere Begründung der Asylgewährung ließ das damals zuständige Bundesasylamt unter Berufung auf § 58 Abs. 2 AVG entfallen.

Nach der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die entscheidungswesentliche Frage für die Anwendung der "Wegfall der Umstände"-Klausel auf den Beschwerdeführer darin, ob die Umstände, aufgrund deren seiner Mutter als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und er es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen (dabei kommt es auch nicht darauf an, ob der Mutter des Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten - sofern sie nicht überhaupt bereits einen anderen Aufenthaltstitel hat - gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 noch aberkannt werden kann oder nicht).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterließ zu dieser entscheidungswesentlichen Frage jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit: So führte es im Statusaberkennungsverfahren lediglich eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer durch, in der die Frage, ob die asylbegründenden Umstände für die Mutter des Beschwerdeführers weggefallen sind, nicht ansatzweise thematisiert wurde. Auch wurden keine sonstigen Ermittlungsschritte in diese Richtung gesetzt. Das verwaltungsbehördliche Aberkennungsverfahren war in keiner Weise auf die Frage des Wegfalls der asylbegründenden Umstände für die Mutter des Beschwerdeführers, sondern lediglich auf die Prüfung aktueller, den Beschwerdeführer selbst treffender Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsland gerichtet.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG damit auch lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte. Damit liegen auch keine brauchbaren Ermittlungsergebnisse vor, die im Zusammenhalt mit einer mündlichen Verhandlung bloß zu vervollständigen wären, weil noch überhaupt kein entscheidungserhebliches Verwaltungsverfahren durch die Behörde geführt wurde, das (nur) zu ergänzen wäre. Aus den im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers ergibt sich ebenso nicht zwingend der Schluss, dass für die Mutter des Beschwerdeführers jene Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt wurde, weggefallen wären, zumal auch im vorliegenden Fall diese Umstände mangels näherer Begründung des damals zuständigen Bundesasylamts im Bescheid vom 28.12.2006 für das Bundesverwaltungsgericht nicht vollständig ersichtlich sind.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird in der Folge die Mutter des Beschwerdeführers zumindest einmal persönlich einzuvernehmen und dabei zu ermitteln haben, ob die für sie asylbegründenden Umstände - welche an sich erst zu ermitteln sein werden - weggefallen sind; dem Beschwerdeführer selbst werden nachfolgend die Ergebnisse dieser Ermittlungen vorzuhalten sein.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung entfallen, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheids ergeht in Entsprechung der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Die Zurückverweisung ist im vorliegenden Fall auf jene Auslegung des Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK gestützt, die der Verwaltungsgerichtshof grundlegend in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, traf.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W232.1239114.4.00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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