Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §33 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über den Antrag der J-GesmbH & Co KG, vertreten durch Dr. Martin Schober, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, Hauptplatz 11, um Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung in der Beschwerdesache der Antragstellerin gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. März 1997, Zl. RV/004-06/10/97, betreffend Umsatzsteuer 1993, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Der Antragstellerin wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung bewilligt.
Begründung
Mit Verfügung vom 15. Mai 1997, zugestellt an den Vertreter der antragstellenden KG am 28. Mai 1997, forderte der Verwaltungsgerichtshof die Antragstellerin unter Zurückstellung der von ihr erhobenen Beschwerde (protokolliert unter Zl. 97/15/0061) auf, zwei weitere Ausfertigungen der Beschwerdeschrift beizubringen und - soweit die Beschwerde die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffen solle - das Recht zu bezeichnen, in dem sie verletzt zu sein behaupte. Zur Behebung der Mängel wurde eine Frist von zwei Wochen eingeräumt.
Am 15. Juli 1997 reichte die Antragstellerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung ein. Zugleich brachte sie die Schriftsätze ein, mit welchen sie dem Mängelbehebungsauftrag entsprach.
Im Wiedereinsetzungsantrag wird ausgeführt, M. K., ein langjähriger, äußerst zuverlässiger Kanzleiangestellter des Vertreters der Antragstellerin, habe am 11. Juni 1997, sohin am letzten Tag der Mängelbehebungsfrist, die drei Ausfertigungen der Beschwerde sowie drei Ausfertigungen des Ergänzungsschriftsatzes und eine Ablichtung des angefochtenen Bescheides in ein Fensterkuvert gesteckt und eingeschrieben am Postamt aufgegeben. Im Postaufgabebuch der Rechtsanwaltskanzlei sei die Aufgabe durch das Postamt bestätigt worden. Am 4. Juli 1997 habe Mag. A, der Kanzleikollege des Vertreters der Antragstellerin, telefonisch in der Kanzlei des Verwaltungsgerichtshofes angefragt, ob in der gegenständlichen Beschwerdesache das Vorverfahren eingeleitet worden sei; er habe in Erfahrung gebracht, daß der Mängelbehebungsschriftsatz samt den Beilagen nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt sei. Mag. A habe sodann beim Postamt einen Nachforschungsauftrag erteilt. Am 6. Juli 1997 sei Mag. A mit dem Geschäftsführer der Antragstellerin zusammengetroffen; dieser habe mitgeteilt, daß er eine Gleichschrift des "Wiedervorlageschriftsatzes" samt Beilagen per Post erhalten habe. In der Folge sei Mag. A mit dem Geschäftsführer in die Betriebsstätte der Antragstellerin gefahren, um in die Postsendung Einsicht zu nehmen. Diese sei bereits im Handakt abgelegt gewesen. Bei der Einsichtnahme habe sich herausgestellt, daß es sich um die für den Verwaltungsgerichtshof bestimmten Schriftstücke handle. Auf dem Kuvert sei die Postaufgabenummer angebracht gewesen, die sich aus dem Postbuch für die für den Verwaltungsgerichtshof bestimmte Sendung ergebe. Der Geschäftsführer der Antragstellerin sei davon ausgegangen, daß es sich bei dem Poststück um eine der Partei vom Vertreter übersandte Gleichschrift der Eingabe an den Verwaltungsgerichtshof gehandelt habe, und habe es im Handakt abgelegt. Die Fehlleitung der Sendung sei offenbar dadurch begründet, daß die Wiedervorlage an den Verwaltungsgerichtshof mit einem Fensterkuvert erfolgt sei. Obwohl es sich um ein Kuvert in üblicher Größe handle (DIN A4), sei doch ein gewisser Spielraum für den Schriftsatz im Kuvert gegeben. Wenn der Schriftsatz im Kuvert nach oben rutsche, sei im Fenster unter der Adresse des Verwaltungsgerichtshof neben dem Wort "Beschwerdeführer" auch teilweise die Anschrift der Antragstellerin erkennbar. Es liege ein Versehen der Post vor, der Postbedienstete hätte das Poststück nur etwas bewegen müssen, um den richtigen Adressaten mit Adresse im Fenster des Kuverts erkennen zu können. Es liege weder ein Fehler der Antragstellerin noch ein Fehler ihres Vertreters vor. Selbst wenn ein Verschulden der Antragstellerin darin liegen sollte, daß sie das fehlerhafte Verhalten der Post früher hätte erkennen müssen, müßte es sich um einen minderen Grad des Versehens handeln. Sollte dem Vertreter der Antragstellerin ein Verschulden vorgeworfen werden, weil er ein ungeeignetes Kuvert verwendet habe, werde darauf verwiesen, daß die Kuvertierung innerhalb der Kanzlei einem zuverlässigen Kanzleiangestellten überlassen worden sei. Zur Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages wird ausgeführt, das Nichteinlangen der Eingabe beim Verwaltungsgerichtshof sei der Antragstellerin erst am 4. Juli 1997 bekannt geworden.
Dem Antrag waren als Beweismittel "eidesstättige Erklärungen" des Geschäftsführers der Antragstellerin, des Rechtsanwaltes Mag. A und des Kanzleiangestellten M. K. sowie das Original des Fensterkuverts, mit welchem die in Rede stehende Sendung am 11. Juni 1997 aufgegeben worden ist, und eine Kopie der entsprechenden Seite des Postaufgabebuches des Vertreters der Antragstellerin beigeschlossen. Im Hinblick darauf und auf die detaillierten Angaben im Wiedereinsetzungsantrag konnten die Behauptungen der Antragstellerin als bescheinigt angesehen werden.
Ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt ist der Antrag aus folgenden Erwägungen berechtigt:
Zunächst sei darauf hingewiesen, daß auf der mit dem Fensterkuvert zur Post gegebene Sendung mehrere Adressen, nämlich jene des Verwaltungsgerichtshofes und jene der Antragstellerin sichtbar waren. Aufgrund dieser Unklarheit und Mehrdeutigkeit in der Adressierung handelt es sich nicht um eine richtig an den Verwaltungsgerichtshof adressierte Sendung, bei welcher die Tage des Postlaufes gemäß § 62 Abs. 1 VwGG iVm § 33 Abs. 3 AVG nicht in die Frist einberechnet würden. Die Mängelbehebungsfrist ist sohin versäumt worden.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Auf ein allfälliges Verschulden der Antragstellerin wegen des Nichterkennens, daß die ihr zugegangene Postsendung dem Verwaltungsgerichtshof hätte zukommen sollen, kommt es im gegenständlichen Fall nicht an, weil die Frist im Zeitpunkt des Einlangens der Sendung bei der Antragstellerin bereits versäumt war.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit nur in Betracht, wenn auch dem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat. Unterläuft einer zuverlässigen Kanzleikraft erst nach Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben samt den zugehörigen Beilagen durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung ein Fehler, so stellt dies grundsätzlich ein unvorhersehbares Ereignis dar. Eine regelmäßige Kontrolle der Kuvertierung durch eine verläßliche Kanzleikraft ist einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man dessen Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. den hg. Beschluß vom 22. Oktober 1991, 91/14/0201). Jedenfalls beim erstmaligen Auftreten einer unrichtigen bzw mehrdeutigen Adressierung durch das Verwenden eines Fensterkuverts kann auch in der Zulassung der Verwendung derartiger Kuverts oder im Unterlassen der Überprüfung der exakten räumlichen Anordnung der einzelnen Namen und Adressen auf dem Deckblatt der Eingaben ein über den minderen Grad des Versehen hinausgehendes Verschulden des Rechtsanwaltes nicht erblickt werden.
Vom Nichteinlagen der Schriftstücke beim Verwaltungsgerichtshof hat die Antragstellerin erst am 4. Juli 1997 erfahren. Der gegenständliche Antrag ist daher innerhalb der Frist des § 46 Abs. 3 VwGG eingebracht worden.
Im gegenständlichen Fall sind sohin die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nach § 46 VwGG erfüllt. Dem Antrag war daher stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997150125.X00Im RIS seit
20.11.2000