TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/15 W226 2178220-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.07.2020
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Entscheidungsdatum

15.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W226 2178220-1/9E

W226 2178221-1/6E

Im Namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX und 2.) der minderjährigen XXXX (BF2), geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2017, Zlen. 1.) 1049139904-140330472 und 2.) 1049139109-140330472, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.06.2020 zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide jeweils zu lauten hat:

„Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Monate ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2). Das Vorbringen der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens beider BF abzuhandeln war.

Die BF sind Staatsangehörige der russischen Föderation, Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen und bekennen sich zum muslimischen Glauben.

Am 29.12.2014 stellte die BF1 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet für sich und ihre minderjährige Tochter (BF2).

2. Am selben Tag wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung der BF1 durchgeführt. Sie gab an, zwar verheiratet, aber seit 9 Jahren von ihrem Mann getrennt zu sein. Im Heimatland habe sie 10 Jahre lang die Grundschule besucht. Sie spreche gut Tschetschenisch und Russisch. Sie habe 3 Schwestern, wovon eine in Wien lebe.

Zu ihrer Reiseroute befragt, gab die BF1 an, sich am 25.12.2014 zur Ausreise aus dem Heimatland entschlossen zu haben. Sie sei noch am selben Tag mit der BF2 von XXXX (Tschetschenien) mit einem Taxi nach XXXX (Weißrussland) gefahren und dabei legal ausgereist. Sie habe dafür ihren russischen Inlandspass verwendet, welchen sie einem Schlepper übergeben habe. In XXXX hätten sie bei einer alten Dame übernachtet, welche einen Schlepper organisiert habe. Dieser habe die beiden dann mit einem PKW nach Österreich gebracht, wobei die BF1 die Fahrtroute nicht kenne. Dann seien sie mit einem Taxi bis zum Flüchtlingslager gefahren. Die Reise habe bis zum 29.12.2014 gedauert. Von Weißrussland bis Österreich habe die BF1 für sich und die BF2 insgesamt € 1.500,-- an einen Schlepper gezahlt.

Nach ihrem Fluchtgrund befragt, gab die BF1 an, einen Cousin namens " XXXX " zu haben. Sein Nachname sei ihr nicht bekannt. Dieser sei ca. XXXX Jahre alt und zum Kämpfen nach Syrien gereist. Im Jahr 2014 habe dieser sie 5-6 Mal telefonisch kontaktiert. Angeblich sei er tot, wobei sie nichts Näheres wisse. Sie habe im Heimatort zur Polizei müssen und sei dort 1-2 Stunden vernommen worden. Daher habe sie sich entschlossen zu ihrer Schwester nach Österreich zu reisen. Die BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe.

Im Falle einer möglichen Rückkehr gab die BF1 an, Angst zu haben, dass mit ihr etwas Schlimmes passiere. Konkrete Hinweise für eine Gefährdungslage bei Rückkehr gebe es keine.

Im Rahmen der Befragung wurden auch die russische Geburtsurkunde der BF1 und BF2, beide ausgestellt im Jahr XXXX (Nr. XXXX und XXXX ), sichergestellt und später wieder an die BF ausgefolgt. Die Landespolizeidirektion XXXX bestätigte die Authentizität der Urkunde (Zlen. XXXX und XXXX ).

3. Seit 29.01.2015 sind die BF an der Wohnadresse der in Österreich wohnhaften Schwester der BF1 gemeldet. Die Schwester der BF1 ist seit XXXX österreichische Staatsbürgerin.

4. Am 15.09.2015 wurde die BF1 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Die BF1 gab hierbei an, den Aufenthalt ihres Ehemannes nicht zu kennen und ihre Tochter (BF2) alleine großzuziehen. Sie habe mit ihm nicht einmal 1 Jahr zusammengelebt. Sie habe im Heimatland zwar die Grundschule abgeschlossen, aber keinen Beruf erlernt. Die Eltern der BF1, sowie 2 Schwestern, würden noch in der Heimatstadt leben. Ihre dritte Schwester sei bereits österreichische Staatsbürgerin. Seit der Ausreise habe sie keinen Kontakt mehr zu ihren Angehörigen im Heimatland. In Russland habe sie sich ihren Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeit und Unterstützung durch die Eltern finanziert. Vor der Ausreise habe sie ihr Leben lang in ihrer Heimatstadt im Haus ihrer Eltern gewohnt.

Danach befragt, ob sie jemals einen Reisepass beantragt habe, verneinte die BF1 dies und erklärte, nur einen Inlandspass gehabt zu haben. Diesen habe sie dem "Chauffeur" gegeben und nicht mehr zurückbekommen.

Die Schwester der BF1 lebe mit ihren sechs Kindern in Österreich. Die BF1 gab an kein Deutsch zu sprechen und nach einer möglichen Erwerbstätigkeit gefragt, gab sie an: "Ich könnte alles machen, auch als Reinigungskraft".

Nach Verfolgungsgründen befragt, gab die BF1 an, dass ein Onkel mütterlicherseits im Krieg auf Seiten der Tschetschenen gekämpft habe und die Familie dafür gehasst worden sei. Es habe Überprüfungen gegeben und das russische Militär sei zu ihnen gekommen.

Auf Problemen mit Behörden im Heimatland angesprochen, gab die BF1 an, dass es einen Vorfall gegeben habe und sie Angst gehabt habe, dass ihr oder ihrer Tochter etwas passieren könne. Dies habe letztendlich zu ihrer Ausreise geführt.

Zu ihrer Fluchtroute befragt, gab die BF1 erneut an, mit dem Taxi von XXXX nach XXXX gefahren zu sein und dort bei einer alten Frau übernachtet zu haben. Ihre Tochter (BF2) sei immer bei ihr gewesen. Sie erklärte, dass das Taxi durchgefahren sei, sie nur für Toilettenpausen angehalten hätten und es nur einen Fahrer geben habe. Die Reise habe 4.000,-- Rubel gekostet. Nach Vorhalt, dass es unglaubwürdig sei, dass ein Fahrer die 28 Stunden lange Fahrt von XXXX nach XXXX alleine durchgefahren sei, gab die BF1 an, dieser habe sich mit einem mitreisenden Studenten abgewechselt. Sie seien zu viert im Auto gewesen. Die alte Dame in XXXX habe sie am Bahnhof kennergelernt, als diese ihr ein Quartier angeboten habe. Der Taxifahrer habe sie zuvor am Bahnhof aussteigen lassen.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die BF1 an wegen ihres Verwandten weggefahren zu sein. Sie habe Angst gehabt, dass ihr etwas passieren würde und habe deswegen ihr Zuhause verlassen. Sie habe Angst gehabt, dass ihr oder der BF2 etwas passiere. Dies sei alles.

Näher nach ihrem Verwandten gefragt, gab die BF1 an, dass dieser der Sohn ihrer Tante mütterlicherseits sei. Er sei nach Syrien gefahren und habe dann die BF1 angerufen. Man sage, er sei mittlerweile umgebracht worden. Sein Name sei XXXX . Danach stellte die BF1 klar, dass die Mutter dieses Verwandten keine leibliche Schwester der Mutter der BF1 gewesen sei, sondern deren Cousine. Warum er ausgerechnet die BF1 angerufen habe wisse sie nicht. Sie habe Angst gehabt, dass er sie anrufe. Auf die Frage ob die BF1 ein gutes Verhältnis zu ihrem "Cousin" gehabt habe, antwortete sie, dass seine Mutter ihn auch allein aufgezogen habe. Auf Vorhalt, dass dies nicht die Frage gewesen sei, gab die BF1 an, es nicht zu wissen. Nach den Anrufen gefragt, gab die BF1 an, 5 oder 6 Mal angerufen worden zu sein, wobei sie nicht wissen in welchem Zeitraum oder Intervall und auch nicht sagen könne, wann der erste Anruf geschehen sei. Nach dem Inhalt der Telefonate gefragt, erklärte die BF1 nicht lange mit ihrem "Cousin" gesprochen zu haben und er nach seiner Mutter gefragt habe. Sie wisse nicht, warum dieser nicht gleich seine Mutter angerufen habe. Vielleicht habe diese kein Telefon. Danach befragt, gab die BF1 an ein normales, verwandtschaftliches Verhältnis zu ihrem "Cousin" und seiner Mutter gehabt zu haben. Man habe sich gegenseitig besucht, wobei dies nicht regelmäßig geschehen sei.

Nach weiteren Vorfällen befragt, die zum Verlassen des Heimatlandes geführt haben, gab die BF1 an, wegen ihres Onkels verfolgt worden zu sein. Da man nun in Erfahrung gebracht habe, dass XXXX sie angerufen habe, habe die BF1 Angst gehabt, im Heimatland zu bleiben. Auf Nachfrage gab die BF1 an, dass ihr Onkel sowohl im 1. als auch im 2. Tschetschenien-Krieg gekämpft habe. Er sei dann getötet worden. Wann könne sie nicht genau sagen, aber sie glaube im Jahr 2002. Die Familie sei während des Kriegs aufgrund dieses Onkels verfolgt worden. Man habe sie gehasst, weil man gewusst habe, dass sie Verwandte seien.

Zum in der Erstbefragung angegebenen Polizeiverhör befragt, gab die BF1 an eine schriftliche Ladung erhalten zu haben und zwei Stunden verhört worden zu sein. Man habe sie nach den Telefonaten mit XXXX gefragt. Sie habe dort angegeben, dass sie nicht wisse, warum dieser sie angerufen habe und auch nicht gewusst habe, dass er nach Syrien gefahren sei. Nachgefragt gab die BF1 an die Ladung vermutlich Ende November oder Anfang Dezember erhalten zu haben. Auf die Frage ob die BF1 während dem Verhör korrekt behandelt worden sei, gab diese an, dass man ihr Fragen gestellt habe. Sie habe auch gesagt, dass auch die Mutter des "Cousin" aufgeregt sei, dass er ihr einziger Sohn sei.

Nach der BF2 befragt, gab die BF1 an die gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Tochter zu sein. Der BF2 gehe es gesundheitlich gut, doch habe sie Probleme mit dem Bewegungsapparat des rechten Beins. Als die BF2 noch klein war, habe sie nicht richtig auftreten können. Im Heimatland sei keine diesbezügliche Therapie erfolgt, da zwar eine Versicherung bestanden habe, aber keine gute Behandlung vorhanden gewesen sei. Danach gefragt, ob die BF2 nun in Österreich in ärztlicher Behandlung sei, gab die BF1 an, dass dies derzeit nicht möglich sei, da ihnen die Versicherung "weggenommen" worden sei. Die BF2 sei in Österreich noch gar nicht behandelt worden. Sie hätten nun eine private Krankenversicherung seit April, wobei erst am Oktober Leistungen möglich seien.

Nach den Fluchtgründen der BF2 befragt, gab die BF1 an, dass ihr Kind keine eigenen Gründe habe. Die BF2 sei wegen und mit der BF1 geflüchtet. Die BF1 habe ihre Tochter nicht allein lassen können. Weiter Kinder habe die BF1 nicht.

Mit dem namentlich genannten Vater der BF2 gebe es seit Jahren keinen Kontakt mehr. In Österreich wohne die BF1 mit der BF2 gemeinsam im Haushalt der Schwester der BF1 in Wien. Dort seien sie auch gemeldet.

Nach ihrem Lebensunterhalt in Österreich befragt, gab die BF1 an ihre Schwester zu unterstützen. Beihilfen bekomme sie nicht und würde mit der Karte (Anm.: Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG) würde sie keine Arbeit bekommen.

Im Falle einer Rückkehr ins Heimatland habe die BF1 Angst um sich und die BF2. Nach einer konkreten Befürchtung gefragt, gab die BF1 an, dass man ihr etwas antun könne, sie wisse es nicht.

Im Anschluss an die Befragung wurden der BF1 das aktuelle Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation der Staatendokumentation des BFA ausgefolgt und eine 14-tägige Frist für die Erbringung einer schriftlichen Stellungnahme gewährt. Eine solche Stellungnahme erfolgte nicht.

5. Mit Schreiben vom 09.09.2016, zugestellt am 20.09.2016, gewährte die belangte Behörde den BF Parteiengehör gemäß § 45 Abs. 3 AVG und informierte sie über eine erfolgte Beweisaufnahme. Die BF wurden aufgefordert einige Fragen zu ihren persönlichen Lebensumständen in Österreich schriftlich zu beantworten und etwaige Belege vorzulegen. Auch wurde das aktuelle Länderinformationsblatt zu Russland übermittelt. Zur Beantwortung der Fragen und für eine etwaige Stellungnahme zur Situation im Herkunftsland wurde eine zweiwöchige Frist gewährt.

6. Am 27.09.2016 erstatteten die BF, im Wege ihrer Rechtsvertretung, fristgerecht Stellungnahme. Dabei gab die BF1 im Wesentlichen folgendes an:

Die BF1 sei derzeit wegen Blutproblem in Behandlung. Die BF2 sei gesund.

In Tschetschenien habe die BF1 wegen des Krieges lediglich die Hauptschule besuchen können und keine Ausbildung gemacht. Sie habe als Malerin/Anstreicherin gearbeitet. Die Eltern und zwei Schwestern der BF1 würden weiterhin in der Heimatstadt leben. Die BF1 sei auch strafrechtlich unbescholten. Die BF1 telefoniere ca. 1 Mal pro Monat mit ihrer Mutter.

In Österreich bestreite die BF1 ihren Lebensunterhalt aus den Mitteln der Grundversorgung und durch Unterstützung ihrer Schwester. Die BF1 sei arbeitswillig und fähig, jeder Arbeit nachzugehen, sobald sie eine Arbeitsbewilligung erhalte. Die BF würden gemeinsam mit der Schwester der BF1, deren Ehemann und ihren sechs Kinder in einem gemeinsamen Haushalt leben. Weiters würde noch ein namentlich genannter Cousin der BF1 in Graz leben. Die BF1 führe keine familienähnliche Lebensgemeinschaft. Die BF würden ein finanzielles und emotionales Abhängigkeitsverhältnis zur Schwester der BF1 und deren Familie haben. Sie würden sich gegenseitig im Haushalt, bei der Kinderbetreuung und im Alltag helfen.

In einem Deutschkurs habe die BF1 bisher noch keinen Platz erhalten, sie lerne aber mit der BF2 aus eigenem zuhause die Sprache. Sie verstehe bereits genug um im Alltag ausreichend kommunizieren zu können, ein Zertifikat könne sie aber noch nicht vorlegen.

Die BF hätten große Anstrengungen unternommen sich an die österreichische Gesellschaft anzupassen. Die BF2 besuche die Schule und spreche sowie verhalte "sich in einer Weise, die von einem österreichischen Mädchen ihres Alters nicht zu unterscheiden" sei.

Die BF1 fürchte weiterhin die Verfolgung in der Heimat. Zudem sei sie als alleinstehende Frau mit Kind im Falle einer Abschiebung einer realen Gefahr ausgesetzt, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Zur Lage im Heimatland wurde erklärt, dass die Menschenrechtslage weiterhin kritisch sei und eine Verbesserung der Situation in Tschetschenien nicht zu erkennen sei. Im Gegenteil seien wesentliche Verschlechterungen zu erblicken. Insbesondere würden auch die Rechte von Frauen immer mehr eingeschränkt werden. Da sich die BF1 von ihrem Ehemann scheiden habe lassen und nun alleinstehend sei, sei sie "von der zunehmend islamistischen Grundstimmung in Tschetschenien bedroht" und befürchte, dass ihre grundlegenden Menschenrechte eingeschränkt würden. Die Abschiebung sei daher nicht zumutbar.

Dem Schreiben lagen medizinische Befunde der BF1 vom 31.08. bzw. 01.09.2016 sowie zwei Schulbesuchsbestätigungen und eine Schulnachricht der BF2 bei.

7. Mit Schreiben vom 04.03.2017 legte der Rechtsvertreter des BF eine Bestätigung des Aus- und Weiterbildungszentrum XXXX vor, in der bestätigt wird, dass die BF1 auf eine Kursmaßnahme warte (datiert mit 01.03.2017).

8. Mit Schreiben des BFA vom 08.09.2017, zugestellt am 13.09.2017, wurde den BF erneut Parteiengehör gewährt und sie abermals zu einer Stellungnahme und Beantwortung von Fragen zu ihrer Situation in Österreich binnen 2 Wochen aufgefordert.

9. Am 27.09.2017 langte fristgerecht eine Stellungnahme der BF beim BFA ein. Dabei führte die BF1 im Wesentlichen aus:

Der BF2 gehe es gut. Ihr seien die Polypen und Mandeln entfernt worden und würde sie in Zukunft eine Behandlung für ihr Bein benötigen. Auch trage sie eine Zahnspange.

Die Eltern, zwei Schwestern sowie eine Tante und eine Cousine der BF1 würden nach wie vor in der Heimatstadt leben. Die Eltern würden von der Pension des Vaters leben. Wie die Schwestern ihren Lebensunterhalt bestreiten wisse sie nicht. Die BF1 sie auch weiterhin strafrechtlich unbescholten. Über das Internet (WhatsApp, etc.) spreche die BF1 ca. 2 Mal pro Woche mit ihren Eltern.

Die BF1 würde von der Grundversorgung leben und Unterstützung von der Caritas erhalten. Sie sei aber arbeitsfähig und – willig und sei sehr motiviert ihren Lebensunterhalt selbst durch Arbeit zu bestreiten.

Die BF würden weiterhin mit der Familie der Schwester der BF1 zusammenleben. Die Caritas würde die Wohnverhältnisse auch immer kontrollieren. Die Schwester der BF1 würde die BF auch finanziell unterstützen.

Die BF1 verstehe Deutsch gut und spreche okay. Die Tochter helfe ihr dabei. In ihrer Freizeit lerne die BF1 Deutsch und helfe der Tochter mit Mathematik. Sie würden sich auch Filme auf Deutsch anschauen. Die BF1 sei auch mit ihren österreichischen Nachbarn befreundet.

Zur Situation in Russland führte die BF1 erneut dasselbe aus wie in ihrer ersten Stellungnahme.

Der Stellungnahme lagen eine Schulbesuchsbestätigung der NMS Jochbergengasse für die BF2 sowie 3 Teilnahmebestätigungen der BF1 für Deutschkurse bei.

10. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.10.2017, Zl. 1049139904-140330472, wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF1 vom 29.12.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigen gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Weiters wurde ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen Gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF1 gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde stellte im Wesentlichen fest, dass die Identität der BF1 nicht feststehe. Sie habe im Heimatland die Grundschule abgeschlossen und Gelegenheitsarbeit verrichtet. Ihren Lebensunterhalt habe sie sich mit Unterstützung ihrer Eltern finanziert. Sie habe ihr ganze Leben vor der Ausreise im Elternhaus gelebt. Die BF1 habe auch noch immer Familie im Heimatland und sei die Mutter der BF2. Sie leide auch unter keiner lebensbedrohenden Krankheit und sei strafrechtlich unbescholten. Die von der BF1 angegebenen Fluchtgründe seien nicht glaubhaft und würde ihr im Heimatland keine asylrelevante Verfolgung oder Gefährdung drohen. Auch im Falle einer Rückkehr könne keine besondere Gefährdung der Person der BF1 festgestellt werden. Sie habe einen Großteil ihres Lebens im Heimatland verbracht und gebe es in Russland ein grundlegendes Sozialsystem. Auch verfüge die BF1 weiterhin über soziale Anknüpfungspunkte im Heimatland.

Zum Leben der BF1 in Österreich stellte die belangte Behörde fest, dass sie erst seit kurzer Zeit (Dezember 2014) und nach illegaler Einreise im Bundesgebiet aufhältig sei. Die BF1 sei geschieden und für ihre minderjährige Tochter (BF2) sorgepflichtig. Beide würden im Haushalt der Schwester der BF1, einer österreichischen Staatsbürgerin, in Wien leben. Außer der Schwester und deren Familie habe die BF1 keine weiteren Verwandten in Österreich und auch kein weiteres sonstiges soziales Netzwerk. Die BF1 lebe von der Grundversorgung. Die BF1 verfüge über keine Sprachkenntnisse in Deutsch und habe auch sonst keine erkennbaren Integrationsschritte gesetzt. Eine Integrationsverfestigung in Österreich habe nicht festgestellt werden können.

Beweiswürdigend stützte sich die belangte Behörde auf den Inhalt des Verwaltungsakts bzgl. der BF1 und auf ihre Angaben bei diversen Einvernahmen. Die geschilderten Fluchtgründe, wegen der Anrufe des Verwandten aus Syrien, seien "im höchsten Maße zweifelhaft". Die BF1 habe ihr Vorbringen allgemein gehalten und auch nach Aufforderung keine Details angegeben sowie sich in Widersprüche verwickelt. Die BF1 sei konkreten Nachfragen ausgewichen oder habe nur höchst allgemein geantwortet. Sie habe nicht einmal den Zeitraum des angeblichen Geschehens grob eingegrenzt. Sie habe auch den Namen und Verwandtschaftsgrad des Anrufers erst auf Nachfrage durch die Behörde erwähnt und seien ihre Angaben diesbezüglich auch nicht eindeutig und daher unglaubwürdig. Auch die Schilderungen zum Polizeiverhör würden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe aufkommen lassen. Das Vorbringen der BF1 lasse jegliche tatsächliche Bedrohungssituation vermissen. Die BF1 habe sich einer offensichtlich konstruierten Geschichte bedient. Die Schilderungen ihres Lebens in Österreich seien jedoch schlüssig und glaubhaft.

Rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass von der BF1 keine asylrelevante Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG glaubhaft gemacht wurden. Auch eine reale Gefahr der Verletzung der Rechte gemäß Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und 13 der EMRK sei nicht hervorgekommen. Es bestünden keine Hinweise auf außergewöhnliche Umstände in der Person der BF1, die einer Abschiebung entgegenstehen würden. Eine die Allgemeinheit betreffende extreme Gefahrenlage im Heimatland habe auch nicht festgestellt werden können. Daher sei der BF1 auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG nicht gewährt worden. Die Voraussetzung für einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG würden nicht vorliegen und habe daher eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werden müssen. Ein berücksichtigungswürdiges Familienleben in Österreich würde nicht bestehen, da die Schwester der BF1 keine Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG sei und auch der Asylantrag der minderjährigen Tochter (BF2) abzuweisen sei. Ein Eingriff in das Familienleben der BF1 durch die Rückkehrentscheidung sei daher nicht gegeben. Auch ein beachtenswertes umfangreiches Privatleben sowie eine wesentliche integrative Bindung an Österreich sei nicht gegeben. Die Rückkehrentscheidung sei daher gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig gewesen. Gründe für die Unzulässigkeit einer Abschiebung gemäß § 50 FPG seien nicht hervorgekommen und sei auch eine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht vorhanden. Die Frist für die freiwillige Ausreise sei mangels Hervorkommens besonderer Umstände mit 14 Tagen festzusetzen gewesen.

11. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.10.2017, Zl. 1049139109-140330472, wurde auch der Antrag auf internationalen Schutz der BF2 vom 29.12.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigen gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Weiters wurde ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen Gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF1 gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG (Spruchpunkt IV.).

Begründend folgte die belangte Behörde dem Bescheid für die BF1 und stellte fest, dass für die BF2 keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien.

12. Mit Schreiben vom 09.10.2017 reichte die Rechtsvertretung der BF drei Schulbesuchsbestätigungen für die 3. bis. 5. Schulstufe für die BF2 nach.

13. Gegen die beiden am 15.11.2017 ordnungsgemäß zugestellten Entscheidungen wurde am 27.11.2017 im Wege des Rechtsvertreters fristgerecht (gemeinsame) Beschwerde erhoben und unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung beanstandet. Die BF1 sei aus politischen Gründen bzw. wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt worden. Die BF1 habe detaillierte, genau und konkrete Angaben gemacht. Das Bundesamt habe lediglich seine vorgefasste Meinung ausgeführt. Die lange Abwesenheit aus der Heimat habe auch zu einer Entwurzelung der BF1 geführt und habe sie in Österreich ein schützenswertes Privat- und Familienleben.

14. Mit Schreiben vom 18.02.2018 legten die BF noch ein Zertifikat über eine bestandene A1 Deutschprüfung der BF1, datiert mit XXXX , eine Schulbesuchsbestätigung der BF2 für die 7. Schulstufe sowie eine Teilnahmebestätigung der BF1 an einem Deutschkurs A1 vor.

15. Mit Schreiben vom 08.05.2019 legten die BF weitere Unterlagen zum Beweis ihrer Integration in Österreich vor: Jahreszeugnis für die 6. Schulstufe, Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs auf B1 Niveau und ein Zertifikat über die bestandene Deutschprüfung auf A2 Niveau für die BF1.

16. Am 18.06.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt und die BF1 erneut befragt.

Sie gab an nie einen Führerschein oder Auslandspass besessen zu haben. Einen Inlandspass habe sie gehabt, aber nicht nach Österreich mitgenommen. Die BF2 sei noch so jung gewesen, dass für diese auch kein Inlandspass ausgestellt worden sei. Statt einem Reisepass habe die BF1 die Geburtsurkunden mitgenommen, da sie diese zuhause gehabt habe. Auf Frage, warum die Geburtsurkunde der BF1 ein Ausstellungsdatum von XXXX aufweist, gab die BF1 an, dass sie ihre Urkunde verloren und neu ausstellen habe lassen. Sie wisse nicht warum genau zu diesem Datum, sie habe die Urkunde einfach gebraucht.

Nach den Kosten für ihrer Ausreise befragt, gab die BF1 an € 1.400,-- für die Reise von Tschetschenien nach Österreich bezahlt zu haben. Nach der Reise befragt, gab sie an von Leuten mitgenommen worden zu sein. Sie sei mit dem Auto nach Österreich gebracht worden. Sie sei erst in Österreich aus dem Auto gestiegen. Die Reise habe über Polen und die Ukraine geführt. Danach gefragt, ob es Zwischenstopps gab oder irgendwo Schlepper gewechselt wurde, verneinte die BF1. Grenzkontrollen habe sich auch nicht wahrgenommen. Wo sie in die EU einreiste könne sie nicht sagen.

Die Eltern und zwei Schwestern der BF1 würden weiterhin in der Heimatstadt leben. Die Schwestern seien verheiratet und deren Ehemänner würden keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Eltern der BF1 seien schon in Pension.

Zum Verwandten in Syrien befragt, gab die BF1 an, dass dieser der Sohn der Cousine der Mutter der BF1 sei. Dies hätten auch in der Heimatstadt gelebt. Nach dem Namen des Verwandten gefragt, antwortete die BF1 XXXX und korrigierte dann auf XXXX . Nach dem Nachnamen gefragt, überlegte die BF1 und erklärte dann: " XXXX , so glaube ich. Oder XXXX , seine Mutter heißt so". Nach Vorhalt, dass sie doch zumindest den Namen der Person kennen müsse, wegen der sie verhört worden sei, wiederholte die BF1, dass die Mutter XXXX heiße und ihr Sohn XXXX oder XXXX . Die Mutter habe ihn allein aufgezogen. Nach Vorhalt, dass die BF1 bei der Behörde den Namen XXXX genannt habe, sagte sie: "Dann soll es stimmen". Die BF1 gab an, diesen Verwandten in der Heimatstadt gekannt und auch bei Familienfeiern getroffen zu haben. Als sie noch in der Heimat gelebt habe, habe sie auch mit der Mutter des Mannes Kontakt gehabt.

Nach den Anrufen befragt, gab die BF1 an er habe sie angerufen um zu sagen, dass er in Syrien sei. Die BF1 habe seiner Mutter sagen sollen, dass die Mutter sich keine Sorgen machen solle und allen in Ordnung gehen werde. XXXX sei ihm Jahr 2014 in Syrien getötet worden, genaueres könne sie dazu aber nicht sagen. Er habe sie 2-3 Mal angerufen, alles im Jahr 2014. Nach den Anrufen sei die BF1 dann zur Mutter des Mannes gegangen und habe ihr mitgeteilt, dass er angerufen habe.

Zu den Vorwürfen von den russischen Behörden befragt, gab die BF1 an, man habe ihr vorgehalten, dass der Verwandte sie angerufen habe. Sie habe dann Angst bekommen und sie geflüchtet. Nach etwaigen Hausdurchsuchungen oder Festnahmen im Familienkreis befragt, verneinte die BF1 solche. Sie hätten keine Waffen gehabt. Sie wisse nur, dass dieser Verwandte aus Russland weggefahren sei und sie dann angerufen habe, dass er nun in Syrien sei. Sie sei von der Polizei in ihrer Heimatstadt einvernommen worden. Nach dem Ablauf der polizeilichen Einvernahme befragt, gab die BF1 an eingeladen worden zu sein. Sie sei dann hingegangen und befragt worden, wer sie angerufen habe. Ob die Ladung telefonisch oder schriftlich erfolgt sei, bzw. ob sie abgeholt wurde, wisse sie nicht mehr. Die Einvernahme habe ca. einen Monat vor ihrer Ausreise stattgefunden und habe ein bis zwei Stunden gedauert.

Erneut nach ihrer Reiseroute befragt, gab die BF1 an von der Ukraine nach Österreich von einem anderen Fahrer gebracht worden zu sein. Mit dem ersten Fahrer sei sie von XXXX in die Ukraine gefahren.

Zur Beziehung zu ihrem Exmann befragt, gab die BF1 an keinen Kontakt mehr mit ihm zu haben. Sie hätten sich schon vor der Geburt ihrer Tochter getrennt und sie ziehe diese nun alleine groß. Sie seien nur traditionell verheiratet und geschieden worden. Die BF1 gab an, dass es finanziell schwierig gewesen sei, dass sie arbeiten musste und dies mit einem Kleinkind nicht immer leicht gewesen sei. Sie habe als Malerin gearbeitet. Vom Staat oder Kindsvater habe sie nie finanzielle Unterstützung erhalten.

Danach gefragt, warum sie sich ihren Inlandspass nie habe nachschicken lassen, erklärte die BF1, diesen nie gebraucht zu haben.

Zu ihrem Onkel befragt, der im Tschetschenienkrieg gekämpft habe, erklärte die BF1, dass dieser ein Bruder ihrer Mutter gewesen und etwa 2002 verstorben sei. Die Mutter habe sehr viele Geschwister gehabt.

Nach ihrem Gesundheitszustand befragt, gab die BF1 vor zwei Tagen eine Operation geplant gehabt zu haben, welche aber aufgrund dieser Beschwerdeverhandlung verschoben worden sei. Sie habe eine Zyste, die von einem Gynäkologen entfernt werden müsse. Die Operation sei nun für Ende Juli geplant.

Zum Gesundheitszustand der BF2 gefragt, gab die BF1 an, dass ihre Tochter in Österreich zwei Operationen gehabt habe (Nase und Hals). Außerdem sei sie an einem Bein behandelt worden. Die BF2 habe schon in Tschetschenien oft Angina gehabt, deswegen sei sie nun vor ca. zwei Jahren operiert worden.

Zu ihrem Leben in Österreich befragt, gab die BF1 an Deutschzertifikate auf den Niveaus A1 und A2 bestanden zu haben. B1 habe sie leider nicht geschafft. Ohne Arbeitserlaubnis könne sie auch nicht arbeiten. Sie habe sich bemüht eine Stelle zu finden, doch ihr sei mitgeteilt worden, dass dies im Moment nicht möglich sei. Ihr sei es egal in welchem Bereich sie arbeiten würde, sie würde überall arbeiten. Sie habe sich auch für einen B1 Sprachkurs angemeldet. Derzeit lebe sie von Unterstützungsleistungen der Caritas in Höhe von € 215,-- bzw. € 100,-- für ihre Tochter. In ihrer Freizeit kümmere sie sich um ihre sechs Neffen, mit denen sie im selben Haushalt lebe. Die Schwester der BF1 arbeite Teilzeit als Reinigungskraft und ihr Ehemann arbeite als Taxifahrer. Ab und zu bekomme sie von ihrer Schwester Geld für Essen, etc.. Derzeit sie die Schwester der BF1 wegen einer Krankheit zuhause. Nach anderen sozialen Kontakten gefragt, erklärte die BF1 sich auch mit ihren tschetschenischen Nachbarn zu unterhalten.

Danach gefragt, was sie von Angehörigen im Heimatland höre, erklärte die BF1: "Nichts Besonderes, wir fragen uns, wie es uns gesundheitlich geht usw. sonst habe sie nichts zu sagen".

Im Anschluss an die BF1 wurde auch die BF2 einvernommen.

Die BF2 gab an, dass in der Familie Tschetschenisch und Deutsch gesprochen werde. Da sie mehrere Jahre in Österreich die Schule besucht habe spreche sie auch ganz gut Deutsch. Russisch habe sie früher ein bisschen beherrscht, doch nun inzwischen wieder verlernt. Sie habe gerade die 8. Schulstufe in einer Neuen Mittelschule beendet. Nach der Schule wolle sie eine Lehre als Kosmetikerin beginnen. Durch ihre Schulzeit in Tschetschenien habe sie die Schulpflicht schon erfüllt und könne bereits heuer ihre Lehre beginnen. Sie sei aber erst auf der Suche nach einer konkreten Lehrstelle.

Zu ihren Großeltern in Tschetschenien habe sie via WhatsApp Kontakt. Mit ihrem Vater habe sie nie Kontakt gehabt. Warum sie nie Kontakt zu ihrem Vater gehabt habe könne sie nicht sagen. Sie wisse nicht einmal ob ihr Vater noch am Leben sei.

Bezüglich ihrer Flucht könne sie sich nur daran erinnern mit einen Auto gefahren zu sein.

Zu ihrem Privatleben in Österreich befragt, erklärte die BF2, auf Deutsch, sich mit Freundinnen zu treffen und mit diesen spazieren oder essen zu gehen. Auf Nachfrage gab die BF2 an, keine weiteren besonderen sozialen Kontakte zu haben.

In Tschetschenien habe die BF2 in Haus der Großeltern gelebt. Weder die Großeltern noch ihre Mutter habe arbeitet. Alle seien zuhause gewesen. Im Heimatland habe sie auch keine spezifischen gesundheitlichen Probleme gehabt. Erst in Österreich seien ihr die Mandeln und Polypen entfernt worden. Ihre Mutter habe nie mit ihr darüber geredet, warum sie eigentlich auch Tschetschenien geflohen seien.

Danach befragt, ob sie eine Verwandte ihrer Mutter namens XXXX aus der Heimatstadt kenne, erklärte die BF2 sich nicht erinnern zu können. Nach einem Verwandten namens XXXX gefragt, sagte die BF2 sich nicht an ihre Verwandten erinnern zu können, weil sie noch klein gewesen sei.

In das Verfahren wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zur Russischen Föderation mit Stand 27.03.2020 als auch die Kurzinformation der Staatendokumentation zu Covid-19 in der Russischen Föderation, dem Kaukasus und Iran vom 09.06.2020 eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die BF sind Staatsbürgerinnen der Russischen Föderation und Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen und bekennen sich zum muslimischen Glauben. Ihre Identitäten stehen nicht fest. Die BF2 ist die minderjährige Tochter der BF1.

Die BF stellten am 29.12.2014 nach gemeinsamer illegaler schlepperunterstützter Einreise Anträge auf internationalen Schutz.

Der bisherige Verfahrensgang wurde schon unter Punkt I. ausführlich dargestellt und gilt als festgestellt.

Die BF leben in Österreich im gemeinsamen Haushalt der Schwester der BF1 und deren Familie. Die Schwester ist seit 2012 österreichische Staatsbürgerin.

Die BF1 spricht Deutsch und hat eine diesbezügliche Prüfung auf A2 Niveau bestanden. Sie hat auch mehrere Deutschkurse besucht. Sie ist nicht erwerbstätig und hat in Österreich nie gearbeitet. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie mit Hilfe der Grundversorgung und durch finanzielle Unterstützung ihrer Schwester. Die BF1 hilft ihrer Schwester bei der Kinderbetreuung.

Die BF2 hat in Österreich die Schule besucht und Deutsch erlernt. Sie ist nicht mehr schulpflichtig. Sie will nun eine Lehre als Kosmetikerin beginnen.

Weder die BF1 noch die BF2 haben besondere soziale Kontakte im Bundesgebiet. Die BF haben nur miteinander ein berücksichtigungswürdiges Familienleben.

Die Eltern und zwei Schwestern der BF1 leben weiterhin im Heimatland. Die BF haben vor ihrer Ausreise im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern der BF1 gelebt. Die BF stehen mit den Eltern (bzw. Großeltern) im regelmäßigem Kontakt. Die BF1 spricht Russisch und Tschetschenisch. Die BF2 spricht Tschetschenisch und konnte früher Russisch sprechen.

Die BF habe keinen Kontakt zum Vater der BF2 und werden von ihm auch nicht finanziell unterstützt.

Die BF1 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF leiden an keinen dermaßen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Russischen Föderation (Tschetschenien) besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung. Die BF1 unterzieht sich im Juli 2020 einer notwendigen gynäkologischen Operation.

Zur Lage im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

"1. Politische Lage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

-        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

-        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

1.1.    Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

[…]

2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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