TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/16 W103 2162108-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
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Entscheidungsdatum

16.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W103 2162108-2/10E

W103 2162108-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2019, Zl. 1100309703-180356454, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 9 Abs. 2 Z 2 und Abs. 4, 10 Abs. 1 Z 5, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, § 52 Abs. 2 Z 4 und Abs. 9, 55, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.06.2020, Zl. 1100309703-152058334, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2017, Zl. 1100309703-152058334, wurde der vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen Somalias, am 26.12.2015 infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet gestellte Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 unter gleichzeitiger Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkte II. und III.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2019 verlängert. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.07.2019 wurde die Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet abgewiesen.

2. Infolge einer strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz und der abermaligen Verhängung der Untersuchungshaft leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein und führte am 16.08.2019 im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch. Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er lebe von staatlicher Unterstützung, habe keine sozialen Bindungen in Österreich und habe bislang keinen Deutschkurs abgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe sich wegen einer Tuberkulose-Erkrankung sechs Monate lang im Krankenhaus befunden, aktuell nehme er täglich Medikamente gegen diese Erkrankung ein und gehe zu Kontrolluntersuchungen. Der Beschwerdeführer habe seit seiner Ausreise keinen Kontakt mehr zu seinen in Somalia lebenden Verwandten gehabt. Seine Eltern und Geschwister hätten sich zuletzt in XXXX aufgehalten, deren aktueller Aufenthaltsort sei ihm nicht bekannt. Seine Probleme in Somalia würden nach wie vor bestehen, zudem wäre seine medizinische Behandlung im Herkunftsstaat nicht gesichert.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid vom 22.05.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 04.02.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AslyG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Verurteilungen nach dem Suchtmittelgesetz eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Da er innerhalb der letzten beiden Jahre wiederholt Suchtgifte verkauft hätte, könne von keiner positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden. Im Falle des Beschwerdeführers liege ein Abschiebehindernis vor, da derzeit eine Rückführung nach Somalia aufgrund der dortigen Nahrungsversorgungsunsicherheit eine unzumutbare Gefährdung darstelle. Der Beschwerdeführer befinde sich in einer laufenden Tuberkulosetherapie, deren Fortsetzung in Somalia aufgrund der schlechten medizinischen Versorgungslage nicht sichergestellt wäre. Eine Rückkehr in die Heimat sei ihm gegenwärtig nicht zumutbar, weshalb eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 nicht in Betracht gekommen wäre. Der Beschwerdeführer habe jedoch den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfüllt, zumal seine wiederholten Verurteilungen wegen des Verkaufs von Suchtgiften deutlich zeigen würden, dass dieser ein hohes kriminelles Potential aufweise und von ihm eine Gefahr für die Allgemeinheut ausginge. Durch sein wiederholtes, verwerfliches Verhalten gegen die Gesundheit anderer Personen, dem gezeigten mangelnden Respekt vor der österreichischen Rechtsordnung sowie der augenscheinlich hohen Rückfallgefahr, könne eine positive Prognose nicht gestellt werden, sodass sich eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als geboten erweise. Der Beschwerdeführer halte sich seit Dezember 2015 in Österreich auf und sei bereits zweimal rechtskräftig verurteilt worden. Dieser sei nicht berufstätig, spreche kaum Deutsch und habe keine Bereitschaft zu einer nachhaltigen Integration erkennen lassen. Da auch keine Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen würden, erweise sich eine Rückkehrentscheidung als zulässig. Dessen Abschiebung erweise sich gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 als unzulässig. Aufgrund der wiederholten Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz sowie wegen versuchter Körperverletzung sei von einer negativen Gefährdungsprognose und einer von ihm ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen, weshalb sich die Erlassung eines Einreiseverbotes in der ausgesprochenen Dauer als gerechtfertigt erweise.

4. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 05.11.2019 fristgerecht die (zu 1.) verfahrensgegenständliche Beschwerde im vollen Umfang ein. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei bereit, eine Therapie in Bezug auf seinen Umgang mit Suchtgiften zu machen und bitte um eine weitere Chance, um sich in Österreich künftig rechtstreu zu verhalten.

5. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie der bezughabende Verwaltungsakt langten am 14.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Mit Eingabe vom 20.05.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

7. Mit dem nunmehr (zu 2.) angefochtenen Bescheid vom 05.06.2020 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund des anhängigen Aberkennungsverfahrens die Voraussetzungen für eine Verlängerung nicht gegeben seien.

8. Gegen diesen Bescheid wurde durch die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 25.06.2020 Beschwerde erhoben, zu deren Begründung auf den Inhalt der Beschwerde vom 05.11.2019 verwiesen wurde.

9. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 01.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer, dessen Identität und Clanzugehörigkeit nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnten, ist volljähriger Staatsangehöriger Somalias, welcher sich zum moslemischen Glauben bekennt. Infolge illegaler Einreise suchte der Beschwerdeführer am 26.12.2015 um internationalen Schutz in Österreich an und hält sich seit diesem Zeitpunkt durchgehend im Bundesgebiet auf.

1.2. Mit Bescheid vom 22.05.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte diesem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2019 verlängert. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.07.2019 wurde die Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet abgewiesen.

1.3. Der aus der Region Middle Jubba stammende Beschwerdeführer hat keine Schule besucht, keine Berufsausbildung absolviert und hatte zuletzt keinen aufrechten Kontakt mehr zu seinen in Somalia lebenden Familienangehörigen.

Dieser befand sich im Bundesgebiet aufgrund der Diagnosen einer Reaktivierung einer pulmonalen Tuberkulose li OL und UL, MDR-Tuberkulose, Stp. nicht offener kavernöser Lungentuberkulose linker OL 2016, mediastinaler Lymphadenopathie bds., St.p. tuberkulostatischer 4-fach Therapie 2016 inkl. Bronchoskopie, Rechtsschenkelblock, Vitamin D-Mangel, latenter Hypothyreose, Pityriasis versicolor, St.p. Hepatitis B und Hämorrhoiden in Behandlung. Der Beschwerdeführer befand sich von 29.06.2018 bis 11.12.2018 aufgrund der Tuberkulose-Erkrankung in stationärer Pflege in einer österreichischen Krankenanstalt und nahm zuletzt Kontrolltermine in zweimonatigen Abständen sowie eine tägliche medikamentöse Behandlung in Anspruch. Bei Entlassung aus der stationären Behandlung wurde festgehalten, dass die Therapiedauer mit näher angeführten Medikamenten zumindest 18 Monate (bis Ende Jänner 2020) betragen werde.

Im Falle einer Abschiebung liefe der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt sowohl bei einer Rückkehr in seine Heimatregion, als auch im Falle der Niederlassung in einem anderen Teil Somalias, Gefahr, eine unwiederbringliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu erleiden respektive in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.4. Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der versuchten Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 15 StGB und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, Abs. 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Dauer von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB zu einer Zusatzstrafe von 12 Monaten verurteilt, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, zumal aufgrund seines bisherigen Verhaltens die Gefahr der neuerlichen Begehung von Straftaten insbesondere im Bereich der Suchtmittelkriminalität und der Körperverletzungsdelikte zu prognostizieren ist.

1.5. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgeblichen privaten Beziehungen. Der seit Ende 2015 in Österreich aufhältige Beschwerdeführer verfügt über keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse, ist bislang keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und hat auch darüber hinaus keine Bemühungen hinsichtlich einer Integration in die österreichische Gesellschaft erkennen lassen. Der Beschwerdeführer geht keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach und ist in keinem Verein Mitglied. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer tiefgreifenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

1.6. Zur Lage in Somalia wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt:

2. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

-        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

-        AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

2.1. Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels – durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).

Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).

Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet – die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).

Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).

Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).

Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).

Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA 8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).

In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).

Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).

AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von Schlüssel-Einrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer „Rekonfiguration“ könnte zur Aufgabe sogenannter Forward Operating Bases (FOBs) führen (UNSC 15.5.2019, Abs.72). Die Kräfte von AMISOM sind ohnehin überdehnt (ME 27.6.2019), und schon in den Jahren 2016 und 2017 fielen manche Städte aufgrund des Abzugs von AMISOM zurück an al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.1). Auch im Rahmen der Truppenreduzierung im Jahr 2019 hat AMISOM FOBs räumen müssen – etwa Faafax Dhuun (Gedo); andere wurden an die somalische Armee übergeben (ME 14.3.2019).

Nach 2015 hat AMISOM keine großen Offensiven gegen die al Shabaab mehr geführt (ISS 28.2.2019; vgl. SEMG 9.11.2018, S.22), der Konflikt befindet sich in einer Art „Warteschleife“ (ICG 27.6.2019, S.1). Im aktuellen Operationsplan von AMISOM sind ausschließlich kleinere offensive Operationen vorgesehen, welche insbesondere der Absicherung relevanter Versorgungsrouten dienen. Tatsächliche Vorstöße auf das Gebiet der al Shabaab sind so gut wie keine vorgesehen. Das heißt, dass AMISOM lediglich auf die Absicherung wesentlicher gesicherter Räume (v.a. Städte) und wichtiger Versorgungsrouten abzielt (ME 14.3.2019). In diesem Sinne ist auch die Operation Badbaado (Lower Shabelle) zu sehen, bei welcher v.a. somalische Truppen herangezogen wurden (ME 27.6.2019). Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM kann auf dieser Grundlage nicht erwartet werden (ME 14.3.2019).

Islamischer Staat (IS): Neben al Shabaab existieren in Süd-/Zentralsomalia auch kleinere Zellen des sog. IS (LWJ 16.11.2018). Deren Aktivitäten haben sich ausgedehnt, der IS verübt Mordanschläge in – v.a. – Mogadischu, Afgooye und Baidoa (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. LWJ 4.1.2019; NLMBZ 3.2019, S.15). Dort verfügt der IS über ein Netzwerk. Unklar bleibt, ob dieses mit der IS-Fraktion in Puntland in Kontakt steht (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.16). Insgesamt hat sich der IS im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2018 zu 50 Attentaten bekannt, tatsächlich konnten nur 13 verifiziert werden (SEMG 9.11.2018, S.4/28f). Die Fähigkeiten des IS in und um Mogadischu sind auf gezielte Attentate beschränkt (UNSC 21.12.2018, S.3).

Zivile Opfer: Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur durch al Shabaab führten 2018 zu hunderten zivilen Todesopfern und Verletzten (HRW 17.1.2019). Allerdings sind Zivilisten nicht das Primärziel (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LWJ 9.11.2018), wiewohl sie als Kollateralschaden in Kauf genommen werden (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LI 28.6.2019, S.8). So wurde z.B. als Grund für einen Angriff auf das Sahafi Hotel in Mogadischu am 9.11.2018 von al Shabaab angegeben, dass dort Offiziere und Regierungsvertreter wohnen würden (LWJ 9.11.2018). Der Umstand, dass bei al Shabaab willkürliche Angriffe gegen Zivilisten nicht vorgesehen sind, unterscheidet die Methoden der Gruppe von jenen anderer Terroristen (z.B. Boko Haram) (NLMBZ 3.2019, S.12).

Im Zeitraum Jänner-September 2018 sind in Somalia bei Sprengstoffanschlägen mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen, 220 wurden verletzt. 43% der Opfer waren Zivilisten; hauptsächlich betroffen waren die Regionen Lower Shabelle und Benadir/Mogadischu (USDOS 13.3.2019, S.13).

Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2018 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Sub-Clans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2018 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle betroffen (USDOS 13.3.2019, S.2/11f). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).

Insgesamt werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 12,3 Millionen Einwohnern (UNFPA 1.2014, S.31f) – wobei andere Quellen von mindestens 14,7 Millionen ausgehen (USDOS 21.6.2019, S.2) – lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:8163.

Luftangriffe: Es kommt vermehrt zu US-Luftangriffen. Die Zahl stieg von 15 im Jahr 2016 auf 35 im Jahr 2017 und weiter auf 47 im Jahr 2018 (LWJ 8.1.2019). Dabei wurden 2018 von der US-Luftwaffe 326 Personen getötet. Alleine im Jänner und Feber 2019 meldete AFRICOM weitere 24 Luftschläge mit 225 Getöteten – nach Angaben von AFRICOM ausschließlich Kämpfer der al Shabaab (TNYT 10.3.2019). Danach ging die Frequenz zurück. Bis Ende April waren es 28 Luftschläge (UNSC 30.4.2019). Angriffe finden in mehreren Regionen statt, in jüngerer Zeit, z.B. am 23.2.2019 auf Stützpunkte von al Shabaab in der Ortschaft Qunyow Barrow (Middle Juba), nahe Aw Dheegle (Lower Shabelle) und in Janaale (Lower Shabelle); am 24.2.2019 nahe Belet Weyne (Hiiraan) und am 25.2.2019 nahe Shebeeley (Hiiraan) (BAMF 4.3.2019, S.6). Auch die äthiopische und die kenianische Luftwaffe führen Angriffe durch (LIFOS 3.7.2019, S.28).

Die Luftangriffe auf Ausbildungs- und Sammelpunkte von al Shabaab zielen darauf ab, Einsatzfähigkeit und Bewegungsfreiheit der Gruppe einzuschränken. Allerdings führten sie auch dazu, dass mehr al Shabaab-Kämpfer in Städte – und hier v.a. Mogadischu – drängen, wo sie kaum Luftschläge zu fürchten brauchen (UNSC 15.5.2019, Abs.16).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1. April 2019

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (4.3.2019): Briefing Notes 4. März 2019

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

-        ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

-        ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

-        LI - Landinfo (Norwegen) (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-        LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-        LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

-        LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (8.1.2019): Counterterrorism strikes in Somalia continue, despite reports of a drawdown, URL, Zugriff 21.1.2019

-        LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (4.1.2019): Analysis: Islamic State expanded operations in Somalia in 2018, URL, Zugriff 21.1.2019

-        LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss / Thomas Joscelyn (16.11.2018): Islamic State warns Shabaab of impending battle in Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

-        LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (9.11.2018): Shabaab claims series of suicide bombings in Mogadishu, URL, Zugriff 21.1.2019

-        LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (15.10.2018): Shabaab attacks Somali force in southern Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

-        LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019

-        ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-        ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

-        SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-        SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-        TNYT - The New York Times (10.3.2019): Trump Administration Steps Up Air War in Somalia, URL, Zugriff 12.3.2019

-        UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

-        UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (11.2018): Monthly Briefs on Human Rights in Somalia – November 2018, URL, Zugriff 28.8.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom - Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

2.1.1. Bundesstaat Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)

Nominell gehören zum Machtbereich von Jubaland die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Die Regierung von Jubaland verfügt aber nicht über die entsprechenden Kapazitäten, um ganz Jubaland kontrollieren zu können (BFA 8.2017, S.57ff). Viele der ländlichen Teile von Jubaland werden von al Shabaab kontrolliert (NLMBZ 3.2019, S.22). Angriffe der al Shabaab richten sich vor allem gegen Regierungskräfte und deren Alliierte (LIFOS 3.7.2019, S.27).

Lower Juba: Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Kolbiyow werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Die Situation in Dif und Badhaade ist hingegen ungewiss (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). Jamaame steht unter Kontrolle von al Shabaab; dies gilt auch für den nördlichen Teil Lower Jubas (PGN 8.2019). Dhobley ist relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019) und wird als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27). Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Tabta können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).

Die Bevölkerung von Kismayo ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Viele der Zuzügler stammen aus dem Umland oder kamen aus Kenia oder der weltweiten Diaspora nach Kismayo zurück (FIS 5.10.2018, S.20f). Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften (BFA 8.2017, S.59). Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde (ME 27.6.2019). Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen (BFA 8.2017, S.59; vgl. BMLV 3.9.2019). Die Stadt gilt als ruhig und sicher (ME 27.6.2019), auch wenn die Unsicherheit wächst (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Der Stadt Kismayo – und damit der Regierung von Jubaland – wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren (BFA 8.2017, S.58f; vgl. BMLV 3.9.2019). Regierungskräfte kontrollieren die Stadt, diese ist aber von al Shabaab umgeben (LIFOS 3.7.2019, S.27f); allerdings hat Jubaland die Front bis in das Vorfeld von Jamaame verschieben können. So ist al Shabaab zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismayo Anschläge zu verüben (BMLV 3.9.2019).

Middle Juba: Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2; BS 2018, S.15). Die Region gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017, S.62).

Gedo: Die Städte Baardheere, Belet Xaawo, Doolow, Luuq und Garbahaarey sowie die Orte Ceel Waaq und Buurdhuubo werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert (PGN 8.2019). Faafax Dhuun und Buusaar wurden im März 2019 von kenianischen Truppen geräumt (BMLV 3.9.2019) und von al Shabaab übernommen (PGN 8.2019). Die Städte Luuq, Garbahaarey, Doolow und Baardheere können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).

Die Grenzstadt Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019). Die beiden genannten Städte werden als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Bilateral eingesetzte kenianische Truppen finden sich im Bereich zur Grenze, in Gherille und Bura Hacha (BMLV 3.9.2019). Trotzdem befinden sich weite Teile von Gedo im Bereich von al Shabaab. Dabei gilt Gedo als sicherer als Lower und Middle Juba. Dies kann mitunter auf die homogenere Bevölkerung und auf die starke Präsenz von Äthiopien und Kenia zurückgeführt werden (NLMBZ 3.2019, S.22). Der Konflikt in Gedo besteht v.a. zwischen jenen Marehan, die für oder gegen al Shabaab eingestellt sind. Klare Trennlinien lassen sich hier nicht erkennen – auch nicht entlang der Clans. Dies sorgt insbesondere entlang der Grenze zu Kenia für Probleme, wo die Sicherheitslage zusätzlich durch Schmuggler verschlechtert wird (ME 27.6.2019).

In Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige Regierung Jubalands nur über schwachen Einfluss. Die dort stehenden Teile der somalischen Armee (teils ehemalige Kämpfer der Ahlu Sunna Wal Jama’a, teils von Marehan-Milizen rekrutiert) kooperieren aber zunehmend mit Jubaland. Luuq und Garbahaarey werden als stabil beschrieben, auch Doolow floriert. Neben Kismayo werden insbesondere Dhobley und Doolow als sicher bezeichnet (BFA 8.2017, S.63f; vgl. BMLV 3.9.2019). Die ASWJ ist in Gedo nicht mehr vorhanden (ME 27.6.2019). Im Dezember 2018 kam es im Grenzgebiet zu Kenia zu Kämpfen zwischen al Shabaab und IS (LWJ 14.1.2019).

Vorfälle: In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 41 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 24 dieser 41 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 28 derartige Vorfälle (davon 20 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):

Vorfälle (mit Todesopfern) - gesamt

Quellen:

-        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

-        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), URL, Zugriff 10.1.2018

-        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), URL, Zugriff 21.12.2017

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

-        LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

-        LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

-        LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (14.1.2019): Shabaab kills pro-Islamic State commander, URL, Zugriff 21.1.2019

-        ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-        ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019, URL, Zugriff 28.8.2019

-        UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

3. Sicherheitsbehörden

3.1. Ausländische Kräfte

Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit zwölf Jahren in Somalia stationiert. Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Allerdings hängt die Bundesregierung in großem Maße von den Kräften der AMISOM ab (BS 2018, S.7).

AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (BMLV 3.9.2019). Nach einer Angabe gab es im Dezember 2018 an 78 Orten ca. 21.600 uniformiertes und 70 ziviles AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, S.9). Bis Mai 2019 wurde die Truppenstärke auf 20.626 Mann reduziert. Ob es zu einer weiteren Verringerung kommt, ist unklar. Eine solche steht zumindest im Raum (UNSC 31.5.2019). Nach anderen Angaben wurde eine weitere Reduzierung bereits vorgenommen, und so betrug die Truppenstärke ab Feber 2019 nur noch 19.586 Mann. Laut UN-Resolution ist eine weitere Reduzierung um 1.000 Mann bis Ende Feber 2020 geplant – allerdings unter der Voraussetzung, dass die somalische Armee in der Lage ist, zwölf Stützpunkte der AMISOM zu übernehmen (BMLV 3.9.2019).

Trotzdem soll die Präsenz auf Galmudug ausgedehnt werden (AMISOM 7.8.2019, S.7). Eigentlich soll die somalische Armee im Jahr 2020 die Aufgaben von AMISOM übernehmen (TIND 15.1.2019). Der Exit-Plan von AMISOM sieht vor, dass die Truppe mit Dezember 2021 das Land verlässt (ISS 28.2.2019). Der kenianische Präsident hat angekündigt, dass er seine Truppen aus Somalia erst abziehen wird, wenn dort Frieden und Stabilität herrscht (AMISOM 15.10.2018a).

Rund 1.000 AMISOM-Soldaten erhielten eine Ausbildung durch Kräfte aus Großbritannien, dies hat u.a. zur Einsatzfähigkeit beigetragen (UNSC 9.5.2017). Eine derartige Ausbildung erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU (BMLV 3.9.2019). In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BFA 8.2017, S.16). AMISOM erhält von der UN-Agentur UNSOS an 77 Stützpunkten logistische Unterstützung (UNSC 15.8.2019, Abs.68). Die Schlagkraft von AMISOM wird u.a. dadurch gehemmt, dass eine Luftkomponente nicht bzw. kaum gegeben ist (ME 27.6.2019).

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Dabei ist die im AMISOM-Auftrag vorgesehene Aufstockung auf 1.040 Mann noch nicht erreicht worden; insgesamt wären fünf sogenannte Formed Police Units vorgesehen (FPU; je 160 Mann) (BMLV 3.9.2019), allerdings sind nur drei vorhanden. Diese stammen aus Nigeria, Sierra Leone und Uganda (BMLV 3.9.2019; vgl. UNSC 21.12.2018, S.10). AMISOM unterstützt die somalische Polizei bei ihrer Arbeit in Mogadischu. Mehr als 300 AMISOM-Polizisten bilden die somalischen Polizisten in den Bereichen Polizeiarbeit; Menschenrechte; Verbrechensprävention; Gemeindepolizei und Fahndungsmethoden weiter (USDOS 13.3.2019, S.7). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).

Neben AMISOM operieren auch noch bilateral eingesetzte Truppen unterschiedlicher Staaten auf somalischem Territorium (BFA 8.2017, S.17). Äthiopien hat sein bilateral eingesetztes Kontingent reduziert. Derartige Truppen finden sich in Bakool, Gedo und Galgaduud (BMLV 7.6.2019). Die Stärke dieser Kräfte wird mit ca. 2.000 Mann beziffert. Zusätzlich kommt die Ethiopian Air Force vermehrt in Somalia zum Einsatz (BMLV 3.9.2019). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, S.17f). Die bilateral von Kenia eingesetzten Truppen wurden im März 2019 mehrheitlich in die Nähe der gemeinsamen Grenze zurückgezogen. Die Stärke dieser Kräfte beläuft sich derzeit vermutlich auf ca. 250-300 Mann (BMLV 3.9.2019). Die USA verfügen in Somalia über rund 500 Mann (TIND 15.1.2019).

Die Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State operierte – zumindest in der Vergangenheit – auch innerhalb Somalias, dort v.a. im grenznahen Gebiet (BFA 8.2017, S.18f; vgl. LWJ 3.9.2018). Nach August 2018 wurde der Einsatz der Liyu Police in Somalia weitgehend eingestellt. Anfang 2019 gab es keine ständige Stationierung mehr in Somalia. Trotzdem wird die Liyu Police auch weiterhin für Einsätze zur Unterstützung der äthiopischen Armee herangezogen. Diese werden allerdings von Standorten in Äthiopien aus mit einem Zeitrahmen von wenigen Tagen durchgeführt (BMLV 7.6.2019). Die Einsätze der Liyu werden aber offenbar wesentlich zurückhaltender als in den vergangenen Jahren geführt (BMLV 3.9.2019).

Quellen:

-        AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

-        AMISOM (15.10.2018a): 15 October 2018 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-        BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (7.6.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

-        LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019

-        ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-        TIND - The Independent / Joe Sommerlad (15.1.2019): Al-Shabaab: Who are the East African jihadi group and what are their goals?, URL, Zugriff 30.1.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

-        UNSC - UN Security Council (31.5.2019): June 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

-        UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

3.2. Somalische Kräfte

Zwar hat es auf Bundes- und Bundesstaatsebene etwas Fortschritt gegeben, um die Rollen und Verantwortlichkeiten im Sicherheits- und Justizsektor zu klären; allerdings haben politische Grabenkämpfe dringend nötige große Reformen verhindert (HRW 17.1.2019). Auch hinsichtlich der Nationalen Sicherheitsarchitektur gibt es weiterhin offene Fragen – etwa zur Integration oder Entwaffnung und Demobilisierung regionaler Kräfte und Clanmilizen. Der Status regionaler (Streit-)Kräfte (Darawish) bleibt damit weiterhin unklar (SEMG 9.11.2018, S.33).

Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen (BFA 8.2017, S.6/11). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2018, S.7), die Regierung ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2018, S.39). Zudem hat al Shabaab Polizei und Armee infiltriert und korrumpiert (LIFOS 3.7.2019, S.42).

Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019, S.1/6). Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte entziehen sich oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 4.3.2019, S.8/18). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 4.3.2019, S.7). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.6).

Polizei: Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung (USDOS 13.3.2019. S.6; vgl. BFA 8.2017, S.12f). Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit. Die von regionalen Behörden geführten Polizeikräfte unterstehen den jeweiligen regionalen Innen- oder Sicherheitsministerien. Die Bundespolizei ist in allen 17 Bezirken Mogadischus präsent (USDOS 13.3.2019. S.6f). Generell ist die Polizei außerhalb von Mogadischu nur eingeschränkt präsent (NLMBZ 3.2019, S.34).

Aktuelle Mannstärke der Polizei:

-        Benadir/Mogadischu: Stand August 2017 - 6.146 Mann (BFA 8.2017, S.12). Durch Neuausbildungen wurde die Stärke massiv erhöht, alleine im Feber 2019 wurden 1.400 neue Polizeirekruten in den Dienst übernommen. Außerdem wurden Angehörige der NISA der Polizei unterstellt. Nun verfügt die Polizei in Benadir über 8.000-9.000 Mann (BMLV 3.9.2019).

-        Galmudug: Stand August 2017 - 500 Mann (BFA 8.2017, S.12). Seither hat sich die Stärke nur minimal durch die Übernahme von ASWJ-Angehörigen erhöht; vermutlich auf 500-550 Mann (BMLV 3.9.2019).

-        HirShabelle: Stand August 2017 - 550 (BFA 8.2017, S.13). Im Feber 2019 wurden ca. 200 neue Polizeirekruten in Dienst gestellt, Ende August 2019 weitere rd. 200. Weitere 400 Neurekrutierungen sind geplant. Die Gesamtstärke der HirShabelle Police dürfte sich aktuell auf rd. 800 Mann belaufen (BMLV 3.9.2019).

-        Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BFA 8.2017, S.12; vgl. BMLV 3.9.2019).

-        South West State: Zum Stand vom August 2017 - 600-700 - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BFA 8.2017, S.12; vgl. BMLV 3.9.2019).

Die Kapazitäten werden mit Ausbildungsmaßnahmen verbessert. In einem international unterstützten Programm werden 700 Polizisten für Galmudug, 400 für den SWS, 600 für Jubaland und 800 für HirShabelle rekrutiert und ausgebildet (UNSC 15.5.2019, Abs.47; vgl. UNSC 21.12.2018, S.11). Z.B. wurden bereits von UNSOM gemeinsam mit somalischer Polizei und AMISOM mit EU-Finanzierung in Jowhar 200 Polizisten für HirShabelle ausgebildet (UNSOM 12.2018, S.2; vgl. UNSOM 3.2019, S.2). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, S.4). Weitere internationale Unterstützung für die Polizei: Bau von Polizeistationen und Bezahlung von Gehältern (Jubaland); Schenkung von Fahrzeugen und Bezahlung von Gehältern (SWS); Bezahlung von Gehältern (Galmudug); Einrichtung elektronisch erfasster Gehaltslisten (Puntland); Bau des Hauptquartiers der Kriminalpolizei, Renovierung von Polizeistationen, Schenkung von Fahrzeugen und Kommunikationsausrüstung (Mogadischu) (UNSC 21.12.2018, S.11).

Die Polizei ist generell nicht effektiv, es mangelt an Ausrüstung und Ausbildung. Es gibt auch Berichte über Korruption (USDOS 13.3.2019, S.6; vgl. NLMBZ 3.2019, S.34) und Infiltration durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019. S.42). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten (AA 17.9.2019). Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, die Korruption ist hoch. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BFA 8.2017, S.13; vgl. BMLV 3.9.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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