TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/16 I421 2155050-1

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Entscheidungsdatum

16.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I421 2155050-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom 06.04.2017, ZI. 15-1068435500/150503072, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. erster Spruchteil des bekämpften Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. zweiter und dritter Spruchteile und Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung plus für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 13.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 14.05.2015 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, dass er den Irak wegen des Krieges verlassen habe.

In einer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) am 09.11.2016 gab der Beschwerdeführer an, dass die Situation im Irak allgemein schlecht sei. Er sei Sunnit und wäre im Irak von den schiitischen Volksverteidigungseinheiten rekrutiert worden. Hätte er dies nicht gemacht, wäre behauptet worden, dass er ein Gegner und auf der Seite des IS sei. Man habe einen Nachbaren mitgenommen, weswegen er Angst vor einer Zwangsrekrutierung der schiitischen Miliz bekommen habe und geflüchtet sei.

Die belangte Behörde wies am 06.04.2017 mit Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Dazu wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für seine freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.). Der Beschwerdeführer habe keine konkrete, gegen seine Person gerichtete Bedrohungssituation glaubhaft machen können.

Dagegen wurde fristgerecht am 26.04.2017 Beschwerde wegen mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhoben.

Mit Schriftsatz vom 28.04.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 02.05.2017, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

Mit Stellungnahme vom 13.11.2018 legte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen vor. Er spreche sehr gut Deutsch und absolviere eine Lehre als Restaurantfachmann.

Am 15.06.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung statt. In dieser wurde der Beschwerdeführer als Partei einvernommen und die Freundin des BF, die zur Verhandlung stellig gemacht wurde, als Zeugin. Ein Vertreter der belangten Behörde ist zur Verhandlung nicht erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und stammt aus Bagdad. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer hält sich nach seiner illegalen Einreise seit seiner Antragstellung am 13.05.2015 in Österreich auf.

Die Familie des Beschwerdeführers, seine Eltern, seine Schwester sowie seine zwei Brüder leben nach wie vor in Bagdad, im Stadtteil XXXX . Die finanzielle Lage seiner Familie ist gut, der Vater ist selbstständiger Taxifahrer, der Bruder studiert an der Universität Bagdad. Der Beschwerdeführer hat fast täglich Kontakt zu seinen Eltern.

Der Beschwerdeführer hat im Irak sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre die Mittelschule und ein Jahr das Gymnasium besucht und war nebenher für seinen Vater als Taxifahrer tätig. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung im Irak hat er eine Chance auch hinkünftig im irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

Der Beschwerdeführer hat gute Deutschkenntnisse (Deutschkurse, Deutschprüfung Niveau A1, Jahreszeugnis Fachberufsschule für Tourismus XXXX 2019/20, Schüler der zweiten Fachklasse für den Lehrberuf Restaurantfachmann) erworben und Integrationsschritte am Arbeitsmarkt (Lehre Restaurantfachmann) vollzogen. Der Beschwerdeführer steht in einem Lehrverhältnis, gemäß Lehrvertrag vom 10.9.2018, für eine Lehrzeit von drei Jahren bis 09.08.2021. Die Lehrlingsentschädigung in für Februar und März 2020 beträgt je brutto EUR 860, --, die 14-mal jährlich ausbezahlt wird. Der Beschwerdeführer ist Selbsterhaltungsfähig (vorgelegte Lohnabrechnungen) und bezieht keine staatliche Grundversorgung (GVS-Abfrage 10.06.2020).

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer, abgesehen von einem Cousin, über keine Verwandten. Er hat maßgeblichen private und berufliche Beziehungen im Bundesgebiet aufgebaut. Er hat eine Freundin, die er im Sommer 2019 bei der Arbeit kennenlernte und ist mit dieser seit Oktober 2019 ein Paar (ZV B. L. Verhandlungsprotokoll S 9f). Seine Freundin studiert in XXXX und pendelt zwischen Wohn- und Studienort, wenn sie in XXXX ist, wohnen der Beschwerdeführer und sie zusammen. Der Beschwerdeführer ist in das Familienleben seiner Freundin eingebunden und nimmt auch an Familienfesten teil. Seine Freundin und er beabsichtigen in der Wohnung des Beschwerdeführers, die er angemietet hat, zusammenzuziehen (ZV B. L. aaO).

Die Eltern des Beschwerdeführers leben mit den drei Geschwistern des Beschwerdeführers in Bagdad. Sein kleiner Bruder wohnt bei den Eltern im Eigenheim, ein 22jähriger Bruder ist Student und wohnt im Studentenwohnheim, seine Schwester ist verheiratet, lebt mit ihrem Mann zusammen, der so wie sie, LehrerIn ist. Der Beschwerdeführer telefoniert regelmäßig mit ihnen und hält so Kontakt (BF aaO S 6f).

In den Jahren 2006 bis 2009 hat der Beschwerdeführer für ca. zwei Jahre Bagdad verlassen und lebte ohne seine Familie in Kirkuk, weil dies seine Familie aus Sicherheitsgründen wollte. Er ist aber 2008 oder 2009 wieder nach Bagdad zurückgekehrt (BF aaO S 5).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Irak verlassen musste, da er Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die schiitische Miliz gehabt habe.

Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde oder werden würde.

Zusammenfassend wird in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass er im Fall einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Irak entgegenstünden.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Wie aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom März 2020 und den dort angeführten Quellen zu entnehmen ist, hat sich die Sicherheitslage im Irak zuletzt stabilisiert, insbesondere in Bagdad und sonstigen größere städtische Agglomerationen im Zentralirak. Vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze in Bagdad mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern richten sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Dank der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessert sich zunehmend auch die wirtschaftliche Lage. Zerstörte Infrastruktur wird mit nationaler und internationaler Hilfe wiederaufgebaut. Die bewaffneten Auseinandersetzungen der letzten Jahre, wie die Kriege gegen den Iran, die Golfstaaten, die Amerikaner, der Sturz von Saddam Hussein, der Krieg gegen den IS, Streitigkeiten unter Milizen bzw. wegen der Religionszugehörigkeit haben das Land zwar ausgeblutet und besteht immer noch ein tiefes Misstrauen unter den einzelnen Volksgruppen und Religionen. Sicherheitsrelevante Vorfälle sind aber auf ein Ausmaß zurückgegangen, dass nicht mehr von einer unmittelbaren Gefahr einer Verletzung nach Art. 2 und 3 EMRK auszugehen ist.

Eine in den Irak zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen und die über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, wird trotz der wirtschaftlichen noch immer angespannten Lage durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

Eine reale Gefahr einer Verletzung einer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Irak ist nicht gegeben.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS) und dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-WEB) wurden ergänzend zu den vorliegenden Akten eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der bei der Einvernahme vor der belangten Behörde vorgelegten Personaldokumente (ID-Karte, Staatsbürgerschaftsnachweis) zweifelsfrei fest.

Die Feststellungen zur Einreise des Beschwerdeführers und zum Beginn seines Aufenthalts in Österreich beruhen auf seinen Aussagen im Zuge der Erstbefragung am 07.10.2015 (AS 5), vor der belangten Behörde am 10.08.2017 (AS 49) und vor dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15.06.2020.

Die Feststellungen zur im Irak lebenden Familie des Beschwerdeführers basieren auf seinen Angaben im Zuge des gegenständlichen Verfahrens. Dass er in Österreich über keine näheren Verwandten aber über maßgeblichen private Beziehungen verfügt, geht aus seinen diesbezüglichen Aussagen im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15.06.2020 hervor, die im Einklang mit den Angaben der Zeugin in dieser Verhandlung stehen.

Ebenso beruhen die Feststellungen zu seiner Schulbildung und Berufstätigkeit auf den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahmen vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht, wie auch auf die bei den jeweiligen Feststellungen genannten Urkunden. Danach steht zweifelsfrei fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Berufserfahrung im Irak Erfahrungen am Arbeitsmarkt sammeln konnte und damit auch eine Chance hat, im irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht vorbestraft ist, beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht erhobenen Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer neben seiner Lehre als Restaurantfachmann und seinen sehr guten Deutschkenntnissen auch überdurchschnittliche Integrationsmerkmale aufweist und über maßgebliche privaten oder soziale Kontakte verfügt, ergibt sich aus seinen Angaben und dem vom Bundesverwaltungsgericht gewonnenen persönlichen Eindruck im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15.06.2020 sowie den vorgelegten Unterlagen und den Angaben der Zeugin in der mündlichen Verhandlung.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Irak weder aufgrund seiner politischen oder religiösen Einstellung, noch aufgrund seiner sozialen Herkunft, seiner Rasse, seiner Nationalität oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wird und insbesondere auch nicht von einer Zwangsrekrutierung durch die schiitische Miliz bedroht ist, ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung der Aussagen des Beschwerdeführers im Administrativverfahren und in der mündlichen Verhandlung am 15.06.2020.

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers erweist sich als unglaubhaft. Für die Glaubhaftigkeit eines Vorbringens spricht, wenn das Vorbringen genügend substantiiert ist. Das Erfordernis der Substantiierung ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Zudem muss das Vorbringen, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen. Ferner muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet.

Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. So gab er lediglich allgemein an, dass die Situation im Irak generell schlecht sei, er sein Heimatland wegen des Krieges verlassen habe, er gegen Gewalt sei und es dauernd Autoexplosionen in Bagdad gebe.

Der Beschwerdeführer konnte jedoch keine wie auch immer geartete persönliche Gefährdung durch schiitische Milizen glaubhaft machen. Er erklärte zwar, dass er aufgefordert worden wäre den Volksverteidigungseinheiten beizutreten und hätte er das als Sunnit nicht gemacht, allerdings führte er nicht an, warum gerade er und auf welche Art und Weise er verfolgt worden wäre. Auch den geschilderten Lebensumständen seiner Familie in Bagdad, wie diese der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung schilderte, ist abzuleiten, dass im Fall der Rückkehr, der Beschwerdeführer nicht mit konkreter Verfolgung rechnen muss.

Auch das geschilderte fluchtauslösende Ereignis bezieht sich nicht auf den Beschwerdeführer selbst, sondern erklärte er lediglich, dass sein Nachbar zwangsrekrutiert worden sei und er aus Angst selbst zwangsrekrutiert zu werden, geflüchtet sei.

Außerdem erscheint es nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer im Irak Verfolgung zu befürchten hätte und gleichzeitig legal das Land verlassen habe können.

Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist es dem Beschwerdeführer letztendlich insgesamt nicht gelungen, eine individuelle Verfolgungsgefahr durch eine widerspruchsfreie, klare und nachvollziehbare Schilderung glaubhaft zu beschreiben.

Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht, dass der Beschwerdeführer aufgrund der aktuellen Lage im Irak nicht der Gefahr einer individuellen Verfolgung aus asylrelevanten Gründen, sei es ausgehend von staatlichen Organen oder von Dritten, ausgesetzt wäre. Auch der Beschwerdeführer selbst hat diesbezüglich – wie oben angeführt - über den gesamten Verfahrensverlauf hinweg nichts Substantiiertes vorgebracht, das dem entgegenstehen würde.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen ihre Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, der auch Asylrelevanz zukommt. Somit war nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Irak einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt war bzw. ist.

Die belangte Behörde hatte auch den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, unter Hinweis darauf, dass für den Beschwerdeführer keine besondere Gefährdungssituation bestehe und nicht davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer in eine ausweglose Situation geraten würde. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den tragenden Erwägungen der belangten Behörde zu den Voraussetzungen für den Status des subsidiär Schutzberechtigten an und verweist darauf, dass der gesunde Beschwerdeführer in erwerbsfähigem Alter und mit Schulbildung sowie Berufserfahrung durchaus in der Lage ist, sich im Irak eine Lebensgrundlage zu schaffen. Zudem verfügt er im Irak auch noch über familiäre Anknüpfungspunkte, welche ihm bei der Wiedereingliederung eine Hilfestellung bieten könnten. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat stützen sich auf den aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der dort angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Feststellungen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die sich auf dieser Basis ergebende deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak sowie der damit verbundenen Besserung der humanitären und wirtschaftlichen Lage sowie ein Rückgang sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der mündlichen Verhandlung sowohl mit dem Beschwerdeführer als auch mit seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung erörtert und wurde dem nicht substantiiert entgegengetreten. Die Aussage, im Irak sei es allgemein sehr schlimm (BF aaO S 6), vermag diese Feststellungen nicht zu erschüttern.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch. A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt konnte der Beschwerdeführer keinen individuellen asylrelevanten Fluchtgrund glaubhaft machen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 idgF ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr in den Irak mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. Trotz der aktuell schwierigen Situation in Bagdad ist eine Rückkehr dorthin nicht automatisch mit einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte verbunden, zumal dort auch kein Bürgerkrieg herrscht.

Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 200/01/0443 und zuletzt VwGH, 25.05.2016, Ra 2016/19-0036-5). Derartige Umstände wurden vom Beschwerdeführer nicht dargelegt, zumal er gesund und erwerbsfähig ist. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Schulausbildung und Berufserfahrung. Überdies lebt nach wie vor seine Familie im Irak, sodass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch mit deren Unterstützung rechnen kann.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III., erster Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgter Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde war auch hinsichtlich des Spruchpunktes III., erster Spruchteil des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Das vorliegende Asylverfahren erreichte, gerechnet von der Antragstellung am 13.05.2015 zwar eine gewisse, auch auf - dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnende - Verzögerungen zurückgehende Dauer. Der ca. fünf Jahre andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.

Ein schützenswertes Familienleben führt der Beschwerdeführer in Österreich nicht. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Die Bereitschaft des Beschwerdeführers, in Österreich Fuß zu fassen und sich zu integrieren ist in überdurchschnittlichem Maß gegeben. Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig, macht eine Lehre als Restaurantfachmann und hat gute Deutschkenntnisse erworben. Er hat die zweite Klasse der Berufsschule mit guten Leistungen abgeschlossen (siehe Zeugnis) und ist im Betrieb seines Arbeitgebers engagiert und fleißig (Bestätigungsschreiben W & H Gastro GmbH 12.06.2020). Der Beschwerdeführer hat sich durch Anmietung einer privaten Wohnung auch selbst Wohnversorgt (Einvernahme BF und ZV in der mündlichen Verhandlung).

Neben seiner beruflichen Tätigkeit und den damit verbundenen Kontakten, bestehen auch intensive private Beziehungen zu seiner Freundin und zu deren Familie und ihrem privaten Umfeld. Der Beschwerdeführer und seine Freundin beabsichtigen, nach der Rückkehr seiner Freundin aus dem Studienort Graz, zusammen zu wohnen, was bereits jetzt so gehandhabt wird, wenn seine Freundin in Kärnten aufhältig ist. Zwar ging der Beschwerdeführer die Beziehung zu seiner Freundin in einem Zeitpunkt ein als der den Antrag auf internationalen Schutz abweisende Bescheid schon vorlag, sohin während unsicheren Aufenthalts im Sinne des § 9 Abs 2 Z 8 FPG. Zu berücksichtigen ist dabei aber auch, dass das Beschwerdeverfahren zu dieser Zeit noch anhängig war und für den Beschwerdeführer noch keine rechtskräftige Rückkehrverpflichtung bestand, die Unsicherheit des Aufenthalts für den Beschwerdeführer daher nicht qualifiziert vorlag. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch in Entscheidungen dargelegt, dass ein gradueller Unterschied zu machen sei, ob die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basiere oder während eines einzigen, ohne schuldhafte Verzögerung des Fremden lange dauernden Asylverfahrens erfolgt sei (siehe VwGH 27.4.2020, Ra 2020/21/0121 Rz 9).

Somit besteht in Summe eine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären war. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Beschwerde gegen Spruchpunkt III., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG Folge zu geben und die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

Da die Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig sind und der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 und Z 2 AsylG 2005 erfüllen, war eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen und sohin spruchgemäß zu entscheiden.

In Folge dessen war Spruchpunkt IV des bekämpften Bescheides (Frist für die freiwillige Ausreise) ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen, sodass sich das erkennende Gericht daran orientieren konnte. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Integration Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I421.2155050.1.00

Im RIS seit

22.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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