TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/17 W189 2144257-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2020
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Entscheidungsdatum

17.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
IntG §9
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W189 2144257-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch ARGE Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein ukrainischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinem Ausreisegrund gab er im Wesentlichen an, dass XXXX mehrmals die russischen Separatisten zu ihnen nach Hause gekommen seien und den BF und seinen Cousin aufgefordert hätten, zu den Waffen zu greifen und gegen das ukrainische Volk zu kämpfen. Wenn sie dies nicht machen würden, würden sie sie umbringen. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, entweder gegen sein Volk kämpfen zu müssen oder umgebracht zu werden. Im Rahmen der Erstbefragung legte der BF seinen ukrainischen Inlandsreisepass vor.

2. Mit Untersuchungsbericht vom XXXX teilte die Landespolizeidirektion Niederösterreich mit, dass der Inlandsreisepass authentisch sei.

3. Mit Schreiben vom XXXX fragte die Volksanwaltschaft beim Bundesministerium für Inneres den Verfahrensstand an.

4. Am XXXX wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen, wobei er seinen Fluchtgrund im Wesentlichen wiederholte. Der BF legte einen ukrainischen Studentenausweis, eine ukrainische Bestätigung des Abschlusses des ersten Studienjahres, seine Geburtsurkunde, eine Deutschkursbestätigung auf dem Niveau B1/2 und eine Deutschkursanmeldung vor.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

6. Mit Schriftsatz vom XXXX erhob der BF durch seine Rechtsvertreterin binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und monierte nach Wiederholung des Fluchtgrundes im Wesentlichen eine mangelhafte Beweiswürdigung, mangelhafte Länderberichte, eine unrichtige rechtliche Beurteilung, insbesondere die Rechtswidrigkeit der Rückkehrentscheidung, und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der BF legte ein Deutschprüfungszeugnis auf dem Niveau B2/2 vor.

7. Mit deutschsprachiger E-Mail vom XXXX teilte der BF selbständig dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass er für eine mündliche Verhandlung keinen Dolmetscher benötige. Im Anhang legte der BF ein Deutschprüfungzeugnis auf dem Niveau C1 vor.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung ohne Beiziehung eines Dolmetschers in der deutschen Sprache durch, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Der BF wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu seinen Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der BF legte eine Kopie eines Fotos aus der Ukraine (Beilage ./1), ein Konvolut an Integrationsunterlagen sowie ukrainische Schulunterlagen (Beilage ./2) und einen Mitgliedsausweis (Beilage ./3) vor.

9. Mit Schriftsatz vom XXXX machte der BF rechtliche Ausführungen zu seinem Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und legte eine Bestätigung über den Nichtbezug von Grundversorgungsleistungen sowie über eine an ihn gerichtete Geldüberweisung vor.

10. Mit einem weiteren Schriftsatz vom XXXX legte der BF eine Bestätigung über die abgeschlossene Selbstversicherung in der Krankenversicherung ab XXXX vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht fest.

Der BF ist ukrainischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Georgier an und ist christlich-orthodoxen Glaubens. Der BF ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Russisch, Ukrainisch, Englisch und Georgisch. Er hat XXXX die Grundschule besucht und anschließend XXXX an der Universität XXXX studiert. Er hat noch nie gearbeitet.

Der BF ist in XXXX geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt.

Seine Eltern leben in XXXX . Der BF ist im ständigen Kontakt mit seinen Eltern. Sein Vater hat als XXXX gearbeitet und ist nun XXXX . Seine Mutter arbeitet als XXXX . Sie besitzen ein Eigentumshaus in XXXX , wo sie wohnhaft sind. Der BF hat einen Onkel und eine Tante mütterlicherseits, sowie eine Großmutter, eine Tante und einen Cousin väterlicherseits, die in der Ukraine leben. Der BF hat eine Angehörige in XXXX . Der BF ist gemeinsam mit XXXX ausgereist. Es kann nicht festgestellt werden, ob ein bzw. welches Verwandtschaftsverhältnis zu diesem vorliegt.

Der BF ist gesund, ledig und kinderlos.

Er ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

Der BF unterlag keiner Zwangsrekrutierung durch separatistische Kräfte in der Ostukraine. Dem BF droht in der Ukraine keine Gefahr aus Konventionsgründen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

1.3.1. Sicherheitslage in der Ostukraine

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es insbesondere 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 22.2.2019).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz, und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. In der LPR wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten, die meist nicht einmal für eine kurzfristige Inhaftierung geeignet wären. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Hitze, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Ein unabhängiges Monitoring der Haftbedingungen wird von den Machthabern nicht oder nur eingeschränkt erlaubt. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie Folter, Hunger, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB – Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine).

Die separatistischen Kräfte erlauben keine humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung, sondern nur solche internationaler humanitärer Organisationen. Infolgedessen sind die Preise für Grundnahrungsmittel angeblich für viele Bewohner der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ostukraine zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 13.3.2019).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU – Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Ukraine).

1.3.2. Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Einige Richter behaupteten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDO 13.3.2019).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommenen Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen bleiben hinter den Erwartungen zurück, werden aber fortgesetzt (FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine).

1.3.3. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).

Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter des Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt (ÖB 2.2019).

Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 22.2.2019).

1.3.4. Wehrdienst und Rekrutierungen

Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für Männer im Alter zwischen 20 und 27 Jahren. Er dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, für Wehrpflichtige mit Hochschulqualifikation (Magister) 12 Monate. Am 01.05.2014 wurde die früher beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen, die hauptsächlich Reservisten, aber auch Grundwehrdienstleistende (letztere zu einer sechsmonatigen Ausbildung) erfassten. Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Heranziehung keine Rolle. Wehrpflichtige werden nur auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Ministerkabinetts und in festgelegten Zeiträumen und Anzahl einberufen. So gab es 2018 zwei Einberufungszeiträume, April/Mai und Oktober/Dezember, in denen insgesamt 18.000 Wehrpflichtige einberufen wurden. Davon haben ca. 9.000 Soldaten ihren Wehrdienst in den Streitkräften abgeleistet. Wehrpflichtige wurden nur bis Mitte November 2016 und ausschließlich auf freiwilliger Basis nach der sechsmonatigen Grundausbildung in der Ostukraine eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr. Wehrpflichtige müssen einen Wohnortwechsel binnen einer Woche anzuzeigen. Sollte künftig eine Vollmobilisierung erfolgen, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt. Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierungen finden staatlicherseits nicht statt (AA 22.2.2019).

Binnenvertriebene (IDPs) sind grundsätzlich wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine).

1.3.5. Wehrdienstverweigerung

Wenn eine Person ordnungsgemäß von der Einberufung informiert wurde, ihr aber nicht folgt, kann dies gemäß Art. 210 mit einem Bußgeld bestraft werden und es folgt eine zweiter Einberufungsbefehl. Wird diesem wieder nicht gefolgt, kann wieder gemäß Art. 210 ein Bußgeld verhängt werden. Folgt die Person dem Befehl immer noch nicht, wird der Fall wegen des Verdachts der Wehrdienstverweigerung der Polizei übergeben (Lifos – Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (schwedische Herkunftslandinformationseinheit) (15.7.2016): Temarapport: Ukraina. Militärtjänstgöring, mobilisering och desertering; vgl. BFA/OFPRA 5.2017).

Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 StGB mit bis zu fünf Jahren bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist eine Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 22.2.2019).

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der ukrainische Generalstab und das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB des BM.I für Ukraine (21.3.2017): Bericht des VB, per E-Mail). Die Verantwortung für das „Meiden der Einberufung“ bei der Mobilisierung kann jedoch nur entstehen, wenn die Person in entsprechender Weise darüber informiert wurde, bzw. die Ladung bewusst abgelehnt wurde (VB des BM.I für Ukraine (7.9.2018): Auskunft des VB, per E-Mail).

1.3.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019).

1.3.7. Ethnische Minderheiten

Die Misshandlung von Angehörigen von Minderheitengruppen und die Belästigung von Ausländern mit nicht-slawischem Aussehen sind weiterhin ein Problem. NGOs zufolge haben fremdenfeindliche Vorfälle 2018 erheblich zugenommen. Für eine Anklage als Hassverbrechen (Straftaten, die aus ethnischem, nationalem oder religiösem Hass resultieren) ist der Nachweis eines Vorsatzes erforderlich, was es schwierig macht, dies in der Praxis anzuwenden. 2018 wurden auch nur zwei entsprechende Strafverfahren eröffnet. Polizei und Staatsanwaltschaft klagen solche Straftaten weiterhin eher als Hooliganismus oder verwandte Straftaten an (USDOS 13.3.2019).

1.3.8. Bewegungsfreiheit

Die Bewegungsfreiheit ist in der Ukraine generell nicht eingeschränkt; im Osten des Landes jedoch ist diese aufgrund der Kampfhandlungen faktisch eingeschränkt (FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine).

1.3.9. IDPs und Flüchtlinge

Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons – IDPs) lag gemäß der neu errichteten IDP-Datenbank des ukrainischen Sozialministeriums am 22.4.2019 bei 1.370.000 Personen (UNHCR – Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (4.2019): Operational Update). Diese erhalten (nur) durch die Registrierung Zugang zu Sozialleistungen. (AA 22.2.2019).

Die Regierung arbeitet mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Laut Gesetz stehen IDPs monatlich UAH 880 (USD 33) für Kinder und Menschen mit Behinderungen und UAH 440 (USD 16) pro Monat für arbeitsfähige Personen zu; für Familien jedoch maximal UAH 2.400 (USD 89) monatlich. Laut Gesetz sollte die Regierung den Vertriebenen auch eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird (IOM – International Organization for Migration (12.2018): National Monitoring System Report on the Situation of Internally Displaced Persons).

Im Oktober 2018 unterzeichnete der Präsident ein Gesetz, das die vorrangige Bereitstellung von Sozialwohnungen für Binnenvertriebene mit Behinderungen vorsieht. Wohnen, Beschäftigung und Empfang von Sozialleistungen und Renten sind weiterhin die größten Sorgen der Binnenvertriebenen. Für die Integration der IDPs fehlt eine Regierungsstrategie, was die Bereitstellung von Finanzmitteln behindert. Lokale Organisationen der Zivilgesellschaft und internationale humanitäre Organisationen leisten zeitweise den größten Teil der Hilfe für Binnenvertriebene, ihre Kapazitäten sind aber eingeschränkt. UN-Agenturen berichten, der Zustrom von Binnenvertriebenen habe im Rest des Landes zu Spannungen im Wettbewerb um die knappen Ressourcen (Wohnungen, Arbeitsplätze, Bildung) geführt. Insbesondere in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk haben IDPs oft ungenügenden Zugang zu sanitären Einrichtungen, Unterkünften und Trinkwasser. NGOs berichteten von Diskriminierung von IDPs bei der Arbeitssuche. IDPs haben nach wie vor Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Dokumenten (USDOS 13.3.2019).

Das ukrainische Ministerkabinett hat im November 2018 den Aktionsplan zur Umsetzung der nationalen IDP-Strategie beschlossen, der jegliche Diskriminierung beseitigen und die sozialen Rechte der IDPs schützen soll (UNOCHA – UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.12.2018): Situation Report: Ukraine – 31 Dec 2018).

Im Dezember 2018 hatten 44% der befragten IDPs einen Arbeitsplatz; zum Vergleich lag in der ukrainischen Gesamtbevölkerung die Beschäftigungsquote bei 58%. IDPs hatten im Dezember 2018 durchschnittlich pro Kopf UAH 2.429 Einkommen; zum Vergleich lag dieses in der ukrainischen Gesamtbevölkerung bei UAH 4.382. 60% der IDP-Haushalte sind von einem Einkommen aus Arbeit abhängig, 51% von staatlicher IDP-Beihilfe, 34% von einer Pension und 25% von Sozialhilfe. 49% der IDPs leben in gemieteten Wohnungen, 10% in gemieteten Häusern, 4% in gemieteten Zimmern, 4% in Dormitorien und 3% in IDP-Unterbringungszentren. 14% leben bei Verwandten oder Gastgeberfamilien, 12% leben in eigenen Immobilien. 69% der IDPs leben seit drei Jahren an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort, 28% wollen nach Ende des Konflikts zurückkehren, 34% schließen eine Rückkehr auch nach Ende des Konflikts aus. 50% waren seit der Binnenvertreibung in der Konfliktzone zu Besuch, meist um sich um Besitz zu kümmern oder Freunde/Verwandte zu besuchen. 5% wollen sich eine Arbeit im Ausland suchen. 50% sagen sie seien in der Gastgemeinde integriert, 34% meinen sie seien teilweise integriert. Am wichtigsten für die Integration erachten IDPs eine Unterkunft, regelmäßiges Einkommen und einen Arbeitsplatz. 12% der IDP-Haushalte waren seit Konfliktbeginn von einer Suspendierung von Sozialleistungen betroffen (meist wegen Abwesenheit während einer Überprüfung durch das Sozialamt oder wegen fehlender Erwerbstätigkeit). Meist betraf die Suspendierung die monatliche Wohnzulage oder eine Rente. 67% der Betroffenen waren sich über die Gründe der Suspendierung und 61% über das Prozedere für eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Klaren. Durchschnittlich dauerten die Suspendierungen 5,6 Monate; wenn die Wiederaufnahme eingeklagt werden musste, dauerte dies durchschnittlich 8 Monate. 80% der IDPs fühlen sich an ihrem Aufenthaltsort sicher, 16% fühlen sich des Abends und in entlegenen Gegenden unsicher, 3% fürchten Kriegshandlungen und 5% fürchten Kriminalität (IOM 12.2018).

Im Dezember 2018 gaben 5% der befragten IDPs in der Ukraine an, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein (6% weniger als noch drei Monate zuvor). Die wahrgenommene Diskriminierung betrifft in den meisten Fällen die Unterbringung (31%), medizinische Versorgung (31%), das Berufsleben (30%) und Interaktion mit der lokalen Bevölkerung (26%). Die effektivsten Wege um Diskriminierung bekannt zu machen, sind für 46% der befragten Betroffenen die Medien, für 44% die lokalen Behörden für 40% die zentralen Regierungsbehörden, für 32% internationale Organisationen und für 30% NGOs (IOM 12.2018).

1.3.10. Grundversorgung

Die makroökonomische Lage stabilisiert sich nach schweren Krisenjahren auf niedrigem Niveau. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen, die Wirtschaftsentwicklung weiter erheblich beeinträchtigenden, Umstände, wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von geschätzten 3,4% erzielt; die Inflation lag bei rund 10%. Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 22.2.2019).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern bleibt daher karg. Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig. In den von Separatisten besetzten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk müssen die Bewohner die Kontaktlinie überqueren, um ihre Ansprüche bei den ukrainischen Behörden geltend zu machen (AA 22.2.2019).

Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP im Jahr 2013 auf 18,5% im Jahr 2015 und danach weiter auf 17,8%. Die ist vor allem auf Reduktion von Sozialleistungen, besonders der Pensionen, zurückzuführen. Das Wirtschaftsministerium schätzte den Schattensektor der ukrainischen Wirtschaft 2017 auf 35%, andere Schätzungen gehen eher von 50% aus. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde für Jänner 2019 mit 1.853 UAH beziffert (ca. 58 EUR), ab 1. Juli 2019 mit 1.936 UAH (ca. 62 EUR) und ab 1. Dezember 2019 mit 2.027 (ca. 64,5 EUR) festgelegt. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70% (ÖB 2.2019).

1.3.11. Rückkehr

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 22.2.2019).

1.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr

Dem BF ist die Rückkehr nach XXXX nicht zumutbar. Eine Niederlassung in XXXX ist ihm jedoch möglich.

Im Falle einer Rückkehr würde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden.

Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5. Zur Situation des BF in Österreich

Der BF befindet sich seit XXXX in Österreich.

Er spricht ausgezeichnet Deutsch, benötigt zur Verständigung keinen Dolmetscher und hat zuletzt ein Prüfungszertifikat auf dem Niveau C1 vorgelegt.

Der BF ist im Bachelorstudium XXXX an der XXXX inskribiert und hat dort seit XXXX bereits XXXX Prüfungen im Wert von XXXX ECTS positiv bestanden. Der BF ging im Bundesgebiet bislang keinem Erwerb nach. Er bezieht seit XXXX keine Leistungen aus der Grundversorgung und hat sich selbständig zur Krankenversicherung angemeldet. Er bezieht monatliche Geldleistungen von seinen Eltern. Er ist Mitglied in einem Boxclub, dreht in seiner Freizeit mit Freunden Dokumentar- und Spielfilme und nimmt am österreichischen Kulturleben teil.

Der BF pflegt freundschaftliche und bekanntschaftliche Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern. Darüber hinaus konnten keine weiteren, familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet festgestellt werden.

Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht aufgrund des vorgelegten, polizeilich untersuchten (AS 33) ukrainischen Inlandspasses fest.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF gründen sich im Übrigen auf seine insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen (AS 1, 53) sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bzw. seinen Kenntnissen der russischen und ukrainischen Sprachen (AS 1, 53; Niederschrift der mündlichen Verhandlung (in der Folge: NSV) S. 2). Dass der BF darüber hinaus auch Englisch und Georgisch spricht, wurde ebenso glaubhaft von ihm vorgebracht (AS 1, 53; NSV S. 2). Die Feststellungen über seinen Schulbesuch, sein abgebrochenes XXXX und dass er noch nie gearbeitet hat, ergeben sich ebenso aus seinen glaubhaften Angaben (AS 1, 3, 53; NSV S. 4).

Die Feststellung zum Geburts- (AS 1, 52) und Wohnort (AS 5; NSV S. 4) des BF, seinen Familienangehörigen und deren Aufenthaltsort (AS 5, 54; NSV S. 5), dem Kontakt zu seinen Eltern (AS 54; NSV S. 4), deren Berufstätigkeit bzw. den XXXX des Vaters (AS 53, 54; NSV S. 5, 6) und zu seiner Verwandtschaft (AS 54) stützen sich gleichfalls auf seine glaubhaften Angaben.

Dass der BF eine Angehörige in XXXX hat, wurde zwar nie explizit von ihm vorgebracht, ergibt sich jedoch aus den vorgelegten Unterlagen. Zum einen sind die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Apostillen in XXXX ausgestellt (Beilage ./2). Vor allem aber hat der BF eine Banküberweisung seiner Familie über EUR 1.000,- vorgelegt. Als Auftraggeber scheint darin eine Frau „ XXXX “, wohnhaft in XXXX auf (OZ 14), wobei hier zusätzlich in Hinblick auf den Vornamen des Vaters des BF, XXXX , der patronymische Namenszusatz XXXX , d.h. von XXXX abstammend, auffällt.

Aufgrund der stark divergierenden Aussagen des BF und des gemeinsam mit ihm ausgereisten, vorgeblichen Angehörigen XXXX konnte nicht festgestellt werden, ob ein bzw. welches Verwandtschaftsverhältnis besteht. So bezeichnete der BF ihn einerseits als Cousin (AS 7, 55; NSV S. 5), als Neffen (AS 54) und als Cousin zweiten Grades (NSV S. 5). XXXX wiederum erklärte in seinem Verfahren, dass sein Vater und sein Onkel bei der Ausreise geholfen hätten (S. 3 in dessen Bescheid), wobei damit offenkundig der Vater des BF gemeint war (vgl. S. 6 in dessen Bescheid), andererseits aber auch, dass sein Onkel bereits in den 1990ern oder 2000er Jahren verstorben sei und er keine weiteren Angehörigen habe (S. 4f in dessen Bescheid), und schließlich, dass der BF sein Neffe sei (S. 5f in dessen Bescheid). Dass weder der BF noch XXXX übereinstimmend und gleichbleibend ihr Verwandtschaftsverhältnis angeben konnten, ist aber keineswegs nachvollziehbar.

Dass der BF gesund (AS 52; NSV S. 2), ledig (AS 1, 53; NSV S. 4) und kinderlos (AS 53) ist, hat er glaubhaft vorgebracht.

Die Feststellung, dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

Der BF gab zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er und sein Cousin von separatistischen Kräften zwangsrekrutiert hätten werden sollen. Dies ist jedoch aus den folgenden Gründen nicht glaubhaft.

2.2.1. Dies betrifft zunächst die Zeitangaben des BF.

In der Einvernahme erklärte der BF unpräzise, dass die Separatisten „einige Male“, nämlich „ca. 4 oder 5 Mal“ bei ihnen gewesen seien (AS 55). In der mündlichen Verhandlung wiederholte er, dass die Separatisten „4 oder 5 Mal“ bei ihnen gewesen wären, davon „3 oder 4 Mal“ im XXXX , bzw. sogleich anderslautend, dass sie „4 oder 5 Mal im XXXX “ und „einmal im XXXX “ gekommen seien (NSV S. 7). Zum Zeitpunkt dieser Besuche brachte der BF in der Erstbefragung vor, dass dies „ XXXX “ gewesen sei (AS 9). In der Einvernahme gab er wiederum an, dass die Separatisten „im XXXX “ gekommen seien. Das letzte Mal sei „ XXXX “ gewesen (AS 55). In der mündlichen Verhandlung dagegen erklärte der BF im Widerspruch, dass die Separatisten das erste Mal „ XXXX “ gekommen seien (NSV S. 7). Zu den Abständen zwischen den Besuchen erklärte der BF in der Einvernahme lediglich, dass zwischen dem ersten und dem zweiten Besuch „fünf oder sechs Tage“ gelegen seien (AS 55) und machte sonst keine Angaben. In der mündlichen Verhandlung wiederum erklärte der BF, dass „ca. 7-10 Tage“ zwischen dem ersten und dem zweiten Besuch vergangen seien (NSV S. 7).

Weshalb der – gebildete – BF dazu keine exakten, sondern nur höchst unpräzise und widersprüchliche Zeitangaben machen konnte, erscheint nicht nachvollziehbar, da es sich letztlich um derart einschneidende Ereignisse gehandelt habe, dass der BF aus seinem Herkunftsland habe flüchten müssen. Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass diese sich im Gedächtnis des BF eingeprägt hätten, zumal er auch selbst angab, dass diese Vorfälle „wirklich nicht normal“ gewesen seien (NSV S. 9).

Das Vorbringen des BF steht aber auch im erheblichen Widerspruch zu jenem des XXXX , der in seiner Einvernahme angab, dass die Separatisten seit XXXX insgesamt vier Mal gekommen seien. Das erste Mal sei „vermutlich“ am XXXX gewesen, das zweite Mal am XXXX und das dritte Mal am XXXX . Zum vierten Besuch machte auch jener keine Zeitangaben (s. S. 6 in dessen Bescheid). In der mündlichen Verhandlung mit diesen widersprüchlichen Angaben konfrontiert, verweigerte der BF jegliche weitere Mitwirkung und stellte der erkennenden Richterin Gegenfragen, statt auf die ihm gestellten Fragen zu antworten:

„R: Warum meint Ihr Cousin, dass zwischen dem ersten und dem zweiten Mal ca. 3 Wochen lagen? Sie selbst geben heute an, dass es 7-10 Tage waren. Was stimmt?

BF: Hat er das erste Datum gesagt? Ich möchte nämlich wissen, was das erste Datum war?

R: Warum möchten Sie das wissen? Sie müssten das Datum doch wissen?

BF: Ich möchte wissen, was er gesagt hat. Das ist für mich wichtig, welches Datum mein Cousin zu Beginn gesagt hat. Ich verstehe die Frage nicht, deswegen wollte ich wissen, was er gesagt hat. Ich persönlich erinnere mich an 7-10 Tage.

R: Laut Ihrem Cousin sind die Separatisten XXXX gekommen.

BF: Wann genau?

R: Am XXXX .

BF: War er sicher?“ (NSV S. 7f)

2.2.2. Ebenso ergaben sich Widersprüche zur Anwesenheit des BF beim ersten Besuch der Separatisten, denn dieser gab in seiner Einvernahme an, bei allen Besuchen der Separatisten dabei gewesen zu sein (AS 55). Sein vorgeblicher Cousin hingegen gab in seiner Einvernahme im Widerspruch dazu an, dass der BF („mein Neffe“) erst bei den letzten drei Besuchen der Separatisten dabei gewesen sei (S. 6 in dessen Bescheid).

2.2.3. Weiters wurden die Besuche der Separatisten vom BF und seinem vorgeblichen Cousin widersprüchlich dargestellt.

So gab der BF in der Einvernahme an, dass die Separatisten beim ersten Besuch von ihnen beiden Ausweise verlangt hätten, gefragt hätten, was sie tun würden und gesagt hätten, dass es „wünschenswert“ wäre, wenn sie sich ihnen anschließen würden (AS 55). Die Separatisten seien jedes Mal mit Geld bestochen worden und hätten immer mehr Geld verlangt (AS 55f). Der BF sei nicht konkret bedroht worden, aber es sei von den Separatisten angedeutet worden, dass es passieren könne, dass sie sie töten würden (AS 56).

Sein vorgeblicher Cousin wiederum brachte in seiner Einvernahme vor, dass beim ersten Besuch, bei dem der BF noch nicht dabei gewesen sei, die Separatisten erklärt hätten, dass Einberufungen zum Militärdienst laufen würden und es bei Verweigerung zu einer Gerichtsverhandlung komme. Beim zweiten Besuch, bei dem der BF das erste Mal dabei gewesen sei, sei ihnen von den Separatisten vorgeworfen worden, dass sie sich bereits zum Militärdienst melden hätten sollen, und ihnen sei gedroht worden, sie einzusperren. Die Separatisten seien beim ersten und beim dritten Besuch mit Geld bestochen worden, beim zweiten Besuch hätten sie jedoch kein Geld genommen (S. 6 in dessen Bescheid).

Damit ergaben sich aber sowohl zum Gesprächsinhalt als auch zur Bestechung der Separatisten offenkundige Widersprüche. Auf Vorhalt des Widerspruchs über die Bestechungen gab der BF in der mündlichen Verhandlung an, dass er in der Einvernahme nur von seinen eigenen Eltern gesprochen habe (NSV S. 7). Es erscheint aber lebensfremd und unplausibel, dass die Separatisten sich bei ein und demselben Besuch von den Eltern des BF bestechen lassen würden, von den Eltern des vorgeblichen Cousins des BF jedoch nicht, womit der BF den Widerspruch nicht entkräften konnte.

2.2.4. Es erscheint darüber hinaus nicht nachvollziehbar, dass die Separatisten den BF und dessen vorgeblichen Cousin über mehrere Wochen hinweg immer wieder aufsuchen würden, um sie zum Beitritt zur Miliz zu zwingen, ihnen auch mit Konsequenzen im Falle der Verweigerung drohen würden, aber nach jedem Besuch wieder unverrichteter Dinge abziehen würden, ohne sie mitzunehmen oder eine der Drohungen zu realisieren, zumal diese Drohungen vom BF und dessen vorgeblichen Cousin auch widersprüchlich dargestellt wurden. Ebenso brachte weder der BF noch sein vorgeblicher Cousin vor, dass durch ihre Flucht ihre Eltern Konsequenzen zu tragen gehabt hätten.

2.2.5. Auch waren die Ausführungen des BF zu den Gesprächsinhalten bei jenen Besuchen über das gesamte Verfahren hinweg lediglich vage und oberflächlich. Der BF konnte nicht den Eindruck vermitteln, von tatsächlich Erlebtem zu schildern, sondern beschränkte sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe eines Handlungsrahmens, den er kaum bis gar nicht mit Details, tatsächlichen Dialogen, Emotionen, Gedanken oder ähnliches unterfütterte.

2.2.6. Wiewohl aufgrund des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos nicht abzustreiten ist, dass der BF und dessen Familie zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich einmal von zwei bewaffneten, uniformierten Personen aufgesucht wurde, kann alleine aus diesem Foto angesichts dieses vagen, widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Vorbringens nicht darauf geschlossen werden, dass der BF tatsächlich zwangsrekrutiert hätte werden sollen, zumal der Besuch jeglichen erdenklichen Grund haben konnte.

Während der BF zwar behauptete, dass auch in der Nachbarschaft derartige Zwangsrekrutierungen systematisch durchgeführt worden seien und viele verschwunden seien (AS 56, 57), ist weder den Länderberichten zu entnehmen, noch wurde vom BF durch entsprechende Berichte belegt, dass es in der Ostukraine tatsächlich zu einer massenhaften oder systematischen Zwangsrekrutierung durch Separatisten gekommen wäre. Vielmehr kämpfen auf Seite der Separatisten notorisch im Wesentlichen Freiwilligen- bzw. Söldnerverbände mit internationaler, speziell russischer Beteiligung.

2.2.7. Aber selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens konnte der BF nicht nachvollziehbar erklären, weshalb es ihm nicht möglich gewesen wäre, in der Westukraine, etwa in XXXX , Sicherheit zu finden. So brachte er lediglich vor, dass er Angst vor einer Rekrutierung durch die ukrainische Armee gehabt habe. Aus einer solchen Rekrutierung ist aber keine konventionsrelevante Bedrohung des BF abzuleiten, zumal aus den Länderberichten ersichtlich ist, dass Wehrpflichtige nur bis Mitte November 2016 und ausschließlich auf freiwilliger Basis nach der sechsmonatigen Grundausbildung in der Ostukraine eingesetzt wurden, sowie von der Rekrutierung von Binnenflüchtlingen aufgrund von Sicherheitsbedenken tendenziell Abstand genommen wird (s. Punkt 1.3.4.), womit der BF von vornherein nie Gefahr lief, gegen Separatisten kämpfen zu müssen. Im Übrigen wurde vom BF auch zu keinem Zeitpunkt vorgebracht, dass die Separatisten gerade an ihm ein besonderes Interesse gehabt hätten.

2.2.8. Andere Fluchtgründe wurden vom BF weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht und sind auch vor dem Hintergrund der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte nicht hervorgekommen.

Gesamt betrachtet ist es dem BF damit weder gelungen, den Eindruck zu vermitteln, tatsächlich Erlebtes zu schildern, noch eine Bedrohungslage darzutun.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine vom 29.05.2019 wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt 1.3. zitiert.

2.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr

2.4.1. Der BF hat bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern in einem Haus in XXXX gelebt. Seine Eltern sind weiterhin dort wohnhaft. Vor dem Hintergrund der unter Punkt 1.3. zitierten allgemeinen Situation in XXXX bzw. der selbsternannten XXXX ist dem BF eine Rückkehr in dieses Gebiet jedoch nicht zumutbar.

Der BF kann sich als junger, gesunder, gebildeter, arbeitsfähiger Mann jedoch in XXXX ansiedeln. Er hat den Großteil seines Lebens in der Ukraine verbracht, ist daher mit der ukrainischen Kultur vertraut und spricht mit Ukrainisch und Russisch die beiden Verkehrs- und Landessprachen. Er hat zumindest eine Angehörige in XXXX , bei der er zumindest vorübergehend Unterkunft finden könnte. Darüber hinaus und auch unabhängig davon erhält der BF seit seiner Einreise regelmäßige und für ukrainische Verhältnisse nicht unbeträchtliche Geldüberweisungen von seinen Eltern, nämlich bislang rund XXXX monatlich, die ihm in XXXX vor dem Hintergrund eines festgelegten Existenzminimums von EUR 64,50 und einem Mindestlohn von EUR 130,- ohne Weiteres den Unterhalt sichern könnten, bis er eine Arbeit gefunden hat.

Aus den unter Punkt 1.3. zitierten Länderberichten ergibt sich zudem, dass auch Binnenvertriebene nach Registrierung in einer Datenbank Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Die Zivilgesellschaft und humanitäre Organisationen leisten ebenfalls Hilfe für Binnenvertriebene. Probleme bestehen vor allem in den direkt an die Konfliktgebiete angrenzenden Regionen von Donezk und Luhansk. Die Regierung soll Vertriebenen eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird. Mehr als zwei Drittel der Binnenvertriebenen sind mit dem Zugang zu medizinischer Versorgung zufrieden. Sozialleistungen und Renten werden regelmäßig gezahlt.

2.4.2. Dass im Falle einer Rückkehr nach XXXX der BF sonst in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre, ist – zumal aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens – anhand der Länderberichte nicht objektivierbar.

2.4.3. Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, hat der BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorgekommen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Berichte betreffend die Ausbreitung des COVID-19-Erregers, zumal der BF weder aufgrund seines Alters noch seines Gesundheitszustandes in die Risikogruppe fällt. Nach dem aktuellen Wissensstand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf (Quelle: WHO).

2.5. Zur Situation des BF in Österreich

Die Feststellung über die Einreise und den Aufenthalt des BF im Bundesgebiet stützt sich auf den unstrittigen Akteninhalt.

Der BF hat zuletzt ein Deutschprüfungszertifikat auf dem Niveau C1 vorgelegt und bekanntgegeben, dass er für die mündliche Verhandlung keinen Dolmetscher benötige (OZ 8). Die mündliche Verhandlung vom XXXX konnte ohne Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführt werden und das Gericht konnte sich dementsprechend von den ausgezeichneten Deutschkenntnissen des BF selbst überzeugen (s. Verhandlungsprotokoll).

Die Feststellungen über das Studium des BF ergeben sich aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Studienblättern (Beilage ./2). Dass der BF im Bundesgebiet bislang keinem Erwerb nachging, brachte er in der mündlichen Verhandlung vor (NSV S. 12f). Dass der BF seit XXXX keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und er in der Krankenversicherung selbstversichert ist, folgt aus den Vorlagen (OZ 14, 15) und einem eingeholten Grundversorgungsauszug. Ebenso hat der BF im Laufe des Verfahrens kontinuierlich angegeben, monatliche Geldleistungen von seinen Eltern zu beziehen (AS 58; NSV S. 12). Dass der BF Mitglied in einem Boxclub ist, hat er vorgebracht (NSV S. 13) und einen Mitgliedsausweis vorgelegt (Beilage ./3). Ebenso hat der BF in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargetan, dass er in seiner Freizeit mit Freunden Filme dreht und am österreichischen Kulturleben teilnimmt (NSV S. 13), zumal dies aufgrund seines gewählten Studienfaches plausibel ist.

Entsprechend ist glaubhaft, dass der BF österreichische Freunde und Bekannte hat (NSV S. 13). Sonstige familiäre, familienähnliche oder verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte wurden vom BF zum einen nicht dargetan und konnten in Bezug auf den mit dem BF ausgereisten XXXX nicht festgestellt werden (s. Punkt 1.1. und 2.1.).

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Abs. 2 leg.cit kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Heimatstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Gemäß Abs. 3 leg.cit ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

3.1.2. Flüchtling iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“

Der zentrale Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.3. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen (vgl. VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389).

3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.5. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

3.1.6. Umgelegt auf den konkreten Fall folgt daraus, dass der vom BF vorgebrachte Fluchtgrund – wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde – nicht glaubhaft war.

Da die Glaubhaftmachung ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Asyl ist, ist es dem BF nicht gelungen, einen aus dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Grund einer aktuell drohenden Verfolgung maßgeblicher Intensität schlüssig darzulegen. Die Angaben im Zuge des gesamten Verfahrens sind nicht hinreichend konsistent, sondern vielmehr überwiegend vage und widersprüchlich. Es ist nicht nachvollziehbar, warum er einer ernstlichen Bedrohung ausgesetzt sei bzw. Gefahr liefe, Übergriffe zu erleiden.

Der BF konnte weiters auch nicht substantiiert angeben, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung gegeben ist bzw. diese mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Die durch den BF konkret ins Treffen geführten Gründe beziehen sich im Wesentlichen pauschal darauf, dass er aufgrund seiner Flucht vor etwa XXXX jetzt verfolgt werden würde. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, ist dieses Fluchtvorbringen zur Gänze nicht glaubhaft. Der BF konnte auch nicht hinreichend darlegen, worauf sich die Furcht – so viele Jahre nach der Ausreise aus der Ukraine – konkret begründen könnte, zumal weder er noch seine in XXXX verbliebenen Eltern seit seiner Flucht bedroht wurden.

Der BF hätte zudem selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens schon zum Zeitpunkt der Ausreise – ebenso wie zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt – in der Westukraine, etwa in XXXX , Sicherheit vor einer Zwangsrekrutierung durch Separatisten finden können, zumal der BF auch nie ein individuelles Interesse der Separatisten gerade an ihm geltend machte.

Es sind auch keine Hinweise vor dem Hintergrund der Länderberichte hervorgekommen, dass der BF in der Ukraine bzw. jedenfalls in XXXX nach objektiver Wahrscheinlichkeit sonstigen ernstlichen Bedrohungen ausgesetzt wäre, die als asylrelevant zu qualifizieren sind.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden g

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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