TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/22 I413 2231609-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.07.2020
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Entscheidungsdatum

22.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I413 2231609-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. NIGERIA, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich BAL vom 10.03.2020, Zl. XXXX -190522615, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides lautet:

„Eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG wird Ifeanyi Ignatius UDEAJAH nicht erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer wurde am 11.11.2019 vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu 066 Hv 38/19v zu einer Zusatzstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Mit Schreiben vom 20.02.2020 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass sie beabsichtige gegen ihn eine Rückkehrentscheidung nach Nigeria und ein Einreiseverbot zu erlassen, übermittelte ihm die Länderfeststellungen seines Herkunftsstaates und räumte ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme dazu ein.

Mit Schreiben vom 27.02.2020 nahm der Beschwerdeführer wie folgt (wörtlich) Stellung: „Ich werde nicht vertreten und habe keine Einwände gegen ein Aufenthaltsverbot für Österreich. Ich werde nach der Haft wieder zu meiner Familie nach Spanien zurückkehren. Ich lebe seit 2004 in Spanien und habe dort auch eine Ehefrau. Mein Aufenthaltstitel ist bis 2021 gültig. Im Anhang finden Sie die Dokumente hierfür. Ich bitte Sie das Aufenthaltsverbot auf Österreich zu beschränkten, da ich in den Spanien lebe und dies mein Heimatland ist.“ Diesem Schreiben waren eine Kopie eines am 04.02.2015 ausgestellten nigerianischen Reisepasses, lautend auf den Beschwerdeführer, eine spanische Aufenthaltskarte mit dem Aufenthaltsgrund: „familiar ciudadano de la Union permanente“ angeschlossen.

Mit Bescheid vom 10.03.2020, XXXX -190522615, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 3 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen am 12.03.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 28.05.2020 mit den Anträgen I. den angefochtenen Bescheid aufzuheben und festzustellen, dass die Abschiebung nach Nigeria und das verhängte Einreiseverbot unzulässig sind, in eventu II. den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit insbesondere aufgrund des mangelhaft gebliebenen Ermittlungsverfahrens zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen; in eventu III. zur gebotenen Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Ermittlungsverfahrens gemäß § 24 VwGVG jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen. In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien bei seiner Ehefrau und dem gemeinsamen minderjährigen Kind habe. Bei richtiger Würdigung und Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers hätte die Behörde weder die Zulässigkeit einer Abschiebung nach Nigeria noch ein unbefristetes Einreiseverbot aussprechen dürfen, da damit dem Beschwerdeführer ein Zusammenleben mit seiner Familie verunmöglicht werde und sohin sein Recht nach Art 8 EMRK auf Achtung des Familienlebens verletzt werde.

Mit Schriftsatz vom 03.06.2020 (eingelangt am 05.06.2020) legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Am 23.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durch. Da der Beschwerdeführer angab, seit 2004 mit einer spanischen Staatsangehörigen verheiratet zu sein, wurde ihm aufgetragen, binnen einer Frist von 14 Tagen ab heute geeignete Unterlagen, insbesondere eine Heiratsurkunde sowie eine Identitätsurkunde vorzulegen, aus denen hervorgeht, dass die betreffende Person tatsächlich existiert und die Ehefrau des Beschwerdeführers ist und ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen hat.

Am 06.07.2020 und 07.07.2020 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers einige Unterlagen, darunter ein mit „inscripción de matrimonio“ betiteltes Schriftstück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer heißt XXXX , wurde am XXXX in Nnewi geboren und ist Staatsangehöriger von Nigeria. Er spricht Englisch, bekennt sich um christlichen Glauben. Seine Identität steht fest.

Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist seit 2004 mit einer spanischen Staatsangehörigen verheiratet und Vater einer Tochter. Für dieses Kind ist er sorgepflichtig, leistet aber keinen Unterhalt. Seine Ehefrau lebt und arbeitet in Spanien. Das Recht auf Freizügigkeit hat sie nicht wahrgenommen. Der Beschwerdeführer sah seine Ehefrau und seine Tochter zuletzt im Jahr 2018.

Der Beschwerdeführer besitzt einen spanischen Aufenthaltstitel aufgrund der familiären Beziehung zu einer Bürgerin/einem Bürger der Europäischen Union. Dieser Aufenthaltstitel ist bis zum 06.07.2021 befristet.

Der Beschwerdeführer reiste erstmals am 22.05.2001 in einem PKW versteckt illegal in das Bundegebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Asylverfahren wurde am 13.10.2003 rechtskräftig in zweiter Instanz negativ beschieden.

Mit Bescheid vom 17.02.2004 der Bundespolizeidirektion Wien wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Beschwerdeführer reiste am 27.07.2008 trotz Aufenthaltsverbots ins Bundesgebiet ein und wurde am 29.07.2008 festgenommen. Am 01.08.2008 reiste der Beschwerdeführer freiwillig nach Spanien aus.

Vom Gericht Amsterdam wurde er mit Urteil vom 14.03.2019, Zl. 13-654181-18, rechtskräftig seit 29.04.2019, verurteilt und am 21.05.2019 nach Österreich ausgeliefert. Seit 21.05.2019 befindet er sich in der Justizanstalt Suben in Haft.

In Österreich war er zwischen 25.05.2001 bis 19.06.2001 in Wien-Favoriten, zwischen 19.07.2001 bis 22.10.2001 in Zell am See, zwischen 29.10.2001 bis 09.02.2004 in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus und vom 29.07.2008 bis 01.08.2008 in Wien-Alsergrund mit Hauptwohnsitzen gemeldet. Zwischen 11.06.2001 bis 17.07.2001 war er in Neunkirchen am Großvenediger und zwischen 19.01.2003 bis 20.02.2003 war er in der Justizanstalt Josefstadt mit Nebenwohnsitzen und vom 09.02.2004 bis 05.07.2004 obdachlos gemeldet.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich vorbestraft.

Er wurde mit Urteil vom 20.02.2003 des Jugendgerichthofs Wien wegen § 27 Abs 1 und 2 Z 2 1. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 7 Monaten, davon 6 Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen, verurteilt.

Mit weiterem Urteil vom 11.11.2019, 066 Hv 38/19v, verurteilte das Landesgericht für Strafsachen den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels als Beitragstäter nach §§ 12 dritter Fall, 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG zu einer Zusatzfreiheitstrafe in der Dauer von viereinhalb Jahren. Das Gericht befand ihn für schuldig als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu vorschriftswidrigen Ausfuhr von Suchtgift (Cocain, Heroin) in einer insgesamt das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgiftes über andere Länder nach Österreich beigetragen hatte, indem er gemeinsam mit Mittätern die Schmuggelfahrten organisierte und zumindest teilweise Suchtgift für die Schmuggellieferungen zur Verfügung stellte, vorschriftswidrig Suchtgift (Cocain, Heroin) in einer insgesamt das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen verschaffte, indem er mit anderen Mittätern die Suchtgiftschmuggelfahrten organisierte und zumindest teilweise Suchtgift für die Suchtgiftlieferungen zur Verfügung stellte. Bei der Strafbemessung wertete das Gericht insbesondere das Zusammentreffen von zwei Verbrechen, die Überschreitung der 25-fachen Grenzmenge um ein Vielfaches, die mehrfache Deliktsqualifikation sowie den langen Tatzeitraum als erschwerend, als strafmildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel, das umfassende und reumütige Geständnis, die teilweise (objektive) Sicherstellung des Suchtgiftes und dass er teilweise als Beitragstäter gehandelt hat.

Befragt zu seinen Gründen, warum er diese Verbrechen begangen hat, teilte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit, dass er diese Verbrechen nicht vorsätzlich begangen hätte. Er sei von jemandem gefragt worden, ob er jemanden kenne, der nach Österreich gehe. Eine Gruppe vom Leuten sei dann nach Österreich und habe dann dort etwas gemacht. Aufgrund seines Telefonats sei er in die ganze Sache verwickelt worden.

Der Beschwerdeführer befindet sich lediglich aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Österreich. Er führt im Bundesgebiet kein Privat- und Familienleben, spricht nicht Deutsch und weist keine Integrationsmerkmale auf.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Das politische System Nigerias orientiert sich stark am System der Vereinigten Staaten; in der Verfassungswirklichkeit dominieren der Präsident und die ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Die lange regierende People´s Democratic Party (PDP) musste nach den Wahlen 2015 erstmals seit 1999 in die Opposition; seither ist die All Progressives´ Congress (APC) unter dem am 23.02.2019 wiedergewählten Präsidenten Muhammadu Buhari an der Macht.

In Nigeria herrscht keine Bürgerkriegssituation; es gibt keine Bürgerkriegsgebiete oder –parteien. Allerdings sind der Nordosten, der Middle Belt, das Nigerdelta und der Bundesstaat Zamfara von Unruhen und Spannungen geprägt. Im Südosten bestehen zudem Spannungen wegen Gruppen von Igbo, die für ein unabhängiges Biafra eintreten. Spannungen bestehen auch zwischen der Armee und dem Islanic Movement in Nigeria (IMN). Für einzelne Teile Nigerias (insbesondere für die nordöstlichen Bundesstaaten) besteht eine Reisewarnung, insbesondere aufgrund des hohen Entführungsrisikos.

Im Norden und Nordosten Nigerias hat sich die Sicherheitslage verbessert; in den ländlichen Teilen der Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa kommt es aber weiterhin zu Anschlägen der Boko Haram. Es gelang den Sicherheitskräften zwar, Boko Haram aus den meisten ihrer Stellungen zu vertreiben. Seitens des Präsidenten wurde bereits der „technische Sieg“ über Boko Haram proklamiert, wobei es tatsächlich gelungen ist, Boko Haram aus einigen Gebieten zu vertreiben. Nach Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sog. Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zu ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen oft auch durch Attentäterinnen zurückgekehrt. doch war es kaum möglich, die Gebiete vor weiteren Angriffen durch die Islamisten zu schützen. Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe, wobei JAS im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten ist, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert. Boko Haram kontrolliert einige Dörfer nahe des Tschad-Sees. Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen. Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno.

Der nigerianischen Armee und der zivilen Bürgerwehr Joint Task Force wird vorgeworfen, im Kampf gegen Boko Haram zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben; die von Präsident Buhari versprochene Untersuchung blieb bisher aber folgenlos.

Das Nigerdelta (Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River) ist seit Jahren von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Spannungen rund um die Verteilung der Einnahmen aus den Öl- und Gasreserven geprägt. Von 2000 bis 2010 agierten in der Region militante Gruppen, die durch ein im Jahr 2009 ins Leben gerufene Amnestieprogramm zunächst beruhigt wurden. Nach dem Auslaufen des Programmes Ende 2015 brachen wieder Unruhen aus, so dass eine weitere Verlängerung beschlossen wurde. Zwischen der Regierung und den Delta-Interessensgruppen laufen Dialogprozesse und wird ein fallweise gebrochener Waffenstillstand grundsätzlich gehalten. Die Lage hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, doch bleibt sie volatil. Insbesondere kam es zum Wiederaufleben von Angriffen auf die Ölinfrastrukturen, die die Stabilität der Erdölproduktion bedrohen. Gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta geht zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force unter Federführung des Militärs zT sehr effektiv vor, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen zur Durchsetzung finanzieller Partikularinteressen solcher Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften, die einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen darstellen. Entführungen zur Lösegelderpressung sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig.

In Zentralnigeria (Middle Belt bzw. Jos Plateau) kommt es immer wieder zu lokalen Konflikten zwischen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen. Der Middle Belt bildet eine Brücke zwischen dem vorwiegend muslimischen Nordnigeria und dem hauptsächlich christlichen Süden. Der Ursprung dieser Auseinandersetzungen, etwa zwischen (überwiegend muslimischen nomadischen) Hirten und (überwiegend christlichen) Bauern, liegt oft nicht in religiösen Konflikten, entwickelt sich aber häufig dazu.

Die Justiz Nigerias hat ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht, doch bleibt sie politischem Einfluss, Korruption und einem Mangel an Ressourcen ausgesetzt. Eine systematisch willkürliche bzw nach Rasse, Nationalität oä diskriminierende Strafverfolgung und Strafzumessungspraxis ist nicht erkennbar, doch werden aufgrund der herrschenden Korruption tendenziell Ungebildete und Arme, die sich nicht von Beschuldigungen freikaufen oder eine Freilassung auf Kaution oder sich einen Rechtsbeistand leisten können, benachteiligt. Elementare prozessuale Rechte (Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über Anklagepunkte, Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, Recht auf einen Anwalt und auf ausreichende Vorbereitung der Verteidigung, Verbot der Selbstbezichtigung, Fragerecht usw) sind gesetzlich vorgesehen, werden aber mitunter nicht gewährleistet. Das Institut der Pflichtverteidigung gibt es erst in einigen Bundesstaaten. Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt. In insgesamt zwölf mehrheitlich muslimisch besiedelten, nördlichen Bundesstaaten wird die Scharia angewendet. Es gilt nur für Muslime. Christen steht es aber frei, sich einem staatlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Nicht-Muslime haben aber jedenfalls das Recht auf ein Verfahren vor einem säkularen Gericht. Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, sodass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Dabei erregten Ermittlungen und Anklagen wegen sogenannter Hudud-Straftatbestände (z.B. außerehelicher Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss) in den letzten Jahren weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch in den ersten Jahren nach der Wiedereinführung des islamischen Strafrechts. Die Scharia-Berufungsgerichte wandeln konsistent Steinigungs- und Amputationsurteile in andere Strafen um. Im Jahr 2019 gab es keine Berichte über ausgeführte Prügelstrafen.

Der (Bundes-)Polizei (National Police Force – NPF) obliegen die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben. Sie umfasst rund 360.000 Personen, die durch geringe Besoldung und schlechte Ausrüstung eingeschränkt ist, wird oftmals die Armee zur Seite gestellt. Insgesamt ist trotz der zweifelsohne vorhandenen Probleme im Allgemeinen davon auszugehen, dass die nigerianischen Behörden gewillt und fähig sind, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Problematisch ist aber insbesondere, dass Gefangene häufig Folterung und Misshandlung ausgesetzt sind. Disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Folgen hat dies kaum. Die Bedingungen in den Haftanstalten sind hart und lebensbedrohlich. Nigeria hält an der Todesstrafe fest, diese ist seit 2006 de facto ausgesetzt, wobei es in den Jahren 2013 und 2016 in Edo State aber zu einzelnen Hinrichtungen gekommen war 2019 gab es keine Berichte über Hinrichtungen, auch 2018 ist es zu keinen Exektutionen gekommen, allerdings wurden mindestens 46 Todesurteile verhängt. Die Regierung Buharis hat der Korruption den Kampf erklärt, doch mangelt es ihr an effektiven Mechanismen.

In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z.B. der Odua People’s Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes „Sicherheit“ erkaufen. Die Polizei geht teilweise gegen diese Gruppen vor, teilweise arbeitet sie aber auch mit ihnen zusammen. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine interethnische Vigilantengruppe – die Civilian Joint Task Force (CJTF) – herausgebildet, die eng mit dem Militär kooperiert und auch von der Regierung unterstützt wird. Vigilantengruppen verletzen durch Verhaftungen von Personen regelmäßig persönliche Freiheiten der Bürger. Aufgrund eines im September 2017 vereinbarten Aktionsplanes zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern und zur Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten.

Zur Einhaltung von religiösen Vorschriften besteht in einigen Bundesstaaten die Hisbah-Polizei, welche in den Bundesstaaten Zamfara, Niger, Kaduna und Kano mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich zur Rechtsdurchsetzung va bei Verkehrsdelikten und der Marktaufsicht ermächtigt sind. Hisbah verhaftet auch Straßenbettler und Prostituierte sowie beschlagnahmt und vernichtet Alkohol. Das Oberste Gericht hat Hisbah, die in Kano direkt vom Bundesstaat betrieben wurde, als verfassungswidrig bezeichnet und wurde daher umorganisiert.

Folter und unmenschliche Behandlung sind verboten und stehen auch seit 2017 unter Strafe. Dennoch bestehen Vorwürfe gegen nigerianische Streitkräfte, schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie Folter, willkürliche Verhaftungen und Tötungen zu begehen. Im Rahmen des Kampfes gegen Boko Haram und ISIS-WA im Nordosten des Landes kommt es bei Anti-Terror-Operationen durch Sicherheitskräfte zu Menschenrechtsverletzungen. Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) geht brutal gegen Verdächtige vor und es kommt zu Folter, gezwungenen Geständnissen und Tötungen. Gesicherte Erkenntnisse über systematisches Verschwindenlassen unliebsamer Personen durch staatliche Organe liegen nicht vor, es bestehen aber diesbezügliche Vorwürfe, insbesondere gegenüber dem Inlandsgeheimdienst und gegen die im Norden des Landes agierenden Sicherheitskräfte der Joint Task Force. Willkürliche Verhaftungen sind gesetzlich verboten. Dennoch werden solche Praktiken, insbesondere im Kampf gegen Boko Haram praktiziert. Betroffene sind insbesondere auch Frauen, Kinder und Jugendliche, die festgehalten werden, weil sie im Verdacht stehen, mit Mitgliedern von Boko Haram verwandt zu sein. Boko Haram entführte andererseits viele Mädchen und Frauen, wobei bisweilen diese wieder freigelassen werden. Boko Haram setzt sie als Lastenträger sowie für Selbstmordattentate ein. Außerdem werden sie häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder von Boko Haram zwangsverheiratet.

Auch wenn Korruption verboten ist, ist dieses Problem weit verbreitet. Eine effektive Umsetzung der Gesetze gegen die Korruption erfolgt nicht. Korruption betrifft alle Ebenen in den Behörden, der Justiz und bei den Sicherheitskräften. Die Korruptionsbekämpfung ist seit 1999 wenig erfolgreich. Die Independent Corrupt Practices and Other Related Offenses Commission (ICPC) hält ein breites Mandat bezüglich der Verfolgung fast aller Formen von Korruption, während die Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) auf Finanzdelikte beschränkt ist. Obwohl die Bemühungen der EFCC und der ICPC sich auf Regierungsbeamte mit niedrigem und mittlerem Rang konzentrieren, haben beide Organisationen mit Ermittlungen und Anklagen gegen verschiedene hochrangige Regierungsbeamte begonnen.

Die Menschenrechtssituation in Nigeria hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert, schwierig bleiben aber die allgemeinen Lebensbedingungen. Die Versammlungsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert, wird aber gelegentlich durch das Eingreifen von Sicherheitsorganen bei politisch unliebsamen Versammlungen eingeschränkt. Die politische Opposition kann sich aber grundsätzlich frei betätigen; es gibt auch keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung. Gelegentlich gibt es aber, vor allem bei Gruppen mit sezessionistischen Zielen, Eingriffe seitens der Staatsgewalt. Dabei ist insbesondere die Bewegung im Süden und Südosten Nigerias zu nennen, die einen unabhängigen Staat Biafra fordert. Dafür treten sowohl das Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) und die Indigenous People of Biafra (IPOB) ein. Seit der Verhaftung des Leiters des inzwischen verbotenen Radiosenders „Radio Biafra“ im Oktober 2015 kommt es vermehrt zu Demonstrationen von Biafra-Anhänger, gegen die laut verschiedenen Berichten, unter anderem von Amnesty International, von den nigerianischen Sicherheitskräften mit Gewalt vorgegangen worden sein soll. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt und – wie auch die schiitische Islamische Bewegung Nigerias (IMN), die im Juli 2019 zur illegalen Organisation erklärt wurde – verboten. Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor. Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet. In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden. Auch wenn der IPOB Führer Nnamdi Kanu vom Ausland aus für die Biafra Bewegung agiert, ist in Nigeria selbst IPOB derzeit nicht mehr aktiv.

Im Vielvölkerstaat Nigeria ist Religionsfreiheit einer der Grundpfeiler des Staatswesens. Etwa 50% der Bevölkerung sind Muslime, 40 % bis 45 % Christen und der Rest Anhänger von Naturreligionen. Im Norden dominieren Muslime, im Süden Christen. Religiöse Diskriminierung ist verboten. In der Praxis bevorzugen die Bundesstaaten aber in der Regel die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion. Insbesondere in den Scharia-Staaten ist die Situation für Christen sehr schwierig. Die Toleranz zwischen den Glaubensgemeinschaften ist nur unzureichend ausgeprägt, mit Ausnahme der Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen auch Ehen zwischen Christen und Muslimen verbreitet sind. Speziell in Zentralnigeria kommt es zu lokalen religiösen Auseinandersetzungen, die auch zahlreiche Todesopfer gefordert haben. In Nigeria gibt es auch noch Anhänger von Naturreligionen („Juju“); eine Verweigerung der Übernahme einer Rolle als Priester kann schwierig sein, doch wird dies nicht als Affront gegen den Schrein empfunden und sind auch keine Fälle bekannt, in denen dies zu einer Bedrohung geführt hätte. Im Süden Nigerias sind auch Kulte und Geheimgesellschaften vorhanden; insbesondere im Bundesstaat Rivers überschneiden sich Kulte häufig mit Straßenbanden, kriminellen Syndikaten etc. Mafiöse Kulte prägen trotz ihres Verbotes das Leben auf den Universitäten; es wird auch über Menschenopfer berichtet. Das Secret Cult and Similar Activities Prohibition Gesetz aus dem Jahr 2004 verbietet ca. 100 „Kulte“, darunter kriminelle Banden sowie: spirituell und politisch motivierte Gruppen auf der Suche nach Macht und Kontrolle.

Insgesamt gibt es (je nach Zählweise) mehr als 250 oder 500 Ethnien in Nigeria. Die wichtigsten sind die Hausa/Fulani im Norden, die Yoruba im Südwesten und die Igbo im Südosten. Generell herrscht in Nigeria Bewegungsfreiheit und ist Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie verboten. Allerdings diskriminieren Gesetze jene ethnischen Gruppen, die am jeweiligen Wohnort nicht eigentlich indigen sind. So werden etwa Angehörige der Volksgruppe Hausa/Fulani im Bundesstaat Plateau diskriminiert.

Generell besteht aufgrund des fehlenden Meldewesens in vielen Fällen die Möglichkeit, Verfolgung durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen. Dies kann aber mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn man sich an einen Ort begibt, in dem keinerlei Verwandtschaft oder Bindung zur Dorfgemeinschaft besteht.

Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, der Großteil der Bevölkerung ist aber in der Landwirtschaft beschäftigt. Abgesehen vom Norden gibt es keine Lebensmittelknappheit. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Offizielle Arbeitslosenstatistiken gibt es nicht, allerdings gehen verschiedene Studien von einer Arbeitslosigkeit von 80% aus. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige.

Die medizinische Versorgung ist mit jener in Europa nicht vergleichbar, sie ist vor allem im ländlichen Bereich problematisch. Leistungen der Krankenversicherung kommen nur etwa 10 % der Bevölkerung zugute. In den Großstädten ist eine medizinische Grundversorgung zu finden, doch sind die Behandlungskosten selbst zu tragen. Medikamente sind verfügbar, können aber teuer sein.

Besondere Probleme für abgeschobene Asylwerber nach ihrer Rückkehr nach Nigeria sind nicht bekannt. Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019). Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben. Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf. Allerdings ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist – u.a. unter Vorlage gefälschter Dokumente.

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr nach Nigeria:

Der Beschwerdeführer ist in Nigeria keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen und unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existenziellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn eine reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 20.05.2020 sowie Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020. Zudem holte das Bundesverwaltungsgericht den Strafakt 066 Hv 38/19v des Landesgerichts für Strafsachen Wien ein.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Frau, Schwester und Tochter, seiner Glaubenszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 23.06.2020). Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden einen Reisepass (AS 215, 221, 425) vorlegen konnte, steht seine Identität fest.

Dass er mit einer spanischen Staatsangehörigen verheiratet ist, geht aus der vorgelegten „inscripcion de matrimonio“ hervor. Die Feststellung, dass er einen bis zum 06.07.2021 befristeten spanischen Aufenthaltstitel verfügt, ergibt sich aus der im Akt befindlichen spanischen Aufenthaltskarte mit dem Aufenthaltsgrund „familiar ciudadano de la Union permanente“. Nachdem Beschwerdeführer dem in der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 erteilten Auftrag, geeignete Unterlagen vorzulegen, welche bescheinigen, dass seine Ehefrau das Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen hat, nicht nachgekommen ist, im Akt keinerlei Indizien oder Hinweise auf die Wahrnehmung dieses Rechts vorliegen und die Aussage, dass seine Frau im Sommer zum Arbeiten ins Ausland gereist sei (Protokoll vom 23.06.2020, S 6), vage und unbestimmt ist – musste mangels anderer Anhaltspunkte festgestellt werden, dass seine Frau vom Recht auf Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht hat.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer am 22.05.2001 in einem PKW versteckt illegal in das Bundegebiet einreiste, einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und das Asylverfahren am 13.10.2003 rechtskräftig in zweiter Instanz negativ beschieden wurde, beruhen auf den Feststellungen des Bescheides vom 17.02.2004 der Bundespolizeidirektion Wien (AS 46f).

Aus dem Bescheid vom 17.02.2004 der Bundespolizeidirektion Wien (AS 46f) und aus der Benachrichtigung des Jugendgerichtshofs Wien über die Beendigung des Strafverfahrens (AS 17) geht hervor, dass der Beschwerdeführer mit Urteil vom 20.02.2003 des Jugendgerichthofs Wien wegen § 27 Abs 1 und 2 1. Fall zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 7 Monaten, davon 6 Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen, verurteilt worden ist. Aus diesem Grund war die diesbezügliche Feststellung zu treffen.

Dass mit Bescheid vom 17.02.2004 gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, ergibt sich aus dem Bescheid vom 17.02.2004, Zl. III-1117469, der Bundespolizeidirektion Wien (AS 46). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 27.07.2008 trotz Aufenthaltsverbot ins Bundesgebiet einreiste und am 29.07.2008 festgenommen wurde, geht aus dem Haftbericht der Kriminaldirektion Wien vom 29.07.2008 (AS 141) und aus den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme am 29.07.2008 hervor (AS 183).

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer am 01.08.2008 freiwillig nach Spanien ausreiste, vom Gericht Amsterdam mit Urteil vom 14.03.2019 zu 13-654181-18, rechtskräftig seit 29.04.2019, verurteilt wurde und am 21.05.2019 nach Österreich ausgeliefert worden ist, beruht auf den richtig getroffenen Feststellungen der belangten Behörde im Bescheid vom 10.03.2020 (AS 442). Dass der Beschwerdeführer sich seit 21.05.2019 in der Justizanstalt Suben in Haft befindet, geht aus der Vollzugsinformation vom 20.02.2020 hervor (AS 379f).

Die Feststellungen zu seinen gemeldeten Wohnsitzen ergeben sich aus dem eingeholten Auszug aus dem ZMR. Hieraus sind unzweifelhaft die Zeiten seines Aufenthalts in Österreich abzuleiten.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus dem Strafregisterauszug vom 08.06.2020 und dem im Akt befindlichen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11.11.2019 zu 066 Hv 38/919 (AS 307 ff) sowie aus dem 8 Bände umfassenden Strafakt zu dieser Zahl. Die Feststellung zu seinen Motiven für die Tat, ergibt sich zweifelsfrei aus der Aussage des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 (Protokoll S. 8).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich lediglich aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Österreich befindet, ergibt sich daraus, dass er nach Österreich ausgeliefert und zu einer Zusatzstrafe verurteilt wurde und er sich in Haft befindet.

Die Feststellung, dass er kein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet führt, keine Integrationsmerkmale aufweist und nicht Deutsch spricht, beruht auf dem gewonnenen subjektiven Eindruck des erkennenden Richters im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 sowie auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und auf dem Umstand, dass er sich in Österreich nur in Haft befindet, um die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe zu verbüßen.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 20.05.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Nigeria ergeben sich insbesondere aus den folgenden Meldungen und Berichten:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.1.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790, Zugriff 16.4.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria: Kultur und Bildung, Medien, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/kultur/205846, Zugriff 14.4.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.1.2020

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (25.4.2019): Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke) [a-10976-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2007894.html, Zugriff 15.4.2020

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-        AFP - Agence France Presse (17.2.2019): Pro-Biafran group calls off Nigeria election boycott, https://www.news24.com/Africa/News/pro-biafran-group-calls-off-nigeria-election-boycott-20190216, Zugriff 14.4.2020

-        AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 9.4.2020

-        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty Report, Nigeria, 2019, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669032, Zugriff 16.4.2020

-        AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

-        AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera.com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html, Zugriff 16.4.2020

-        AU-EU - African Union-EU Partnership (o.D.): Multinational Joint Task Force (MNJTF) against Boko Haram, https://www.africa-eu-partnership.org/en/projects/multinational-joint-task-force-mnjtf-against-boko-haram, Zugriff 17.4.2020

-        AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http://www.awegng.org/contactus.htm, Zugriff 21.4.2020

-        AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.awegng.org/aboutus.htm, Zugriff 21.4.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.4.2019): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006127/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.04.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 14.4.2020

-        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

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-        EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria

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-        EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

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-        LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

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-        LNGO A - Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        LNGO B - Repräsentantinnen der lokalen NGO B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        LNGO C - Repräsentantin der lokalen NGO C (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        LNGO D - Repräsentant der lokalen NGO D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        NAPTIP - National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        NHRC – National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        NJA - Nigerianischer Journalist und Aktivist (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nig

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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