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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des S in Wien, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. Februar 1996, Zl. SD 1098/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. Februar 1996 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Nachdem sie einleitend die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides als auch für ihre Entscheidung maßgebend erklärte, traf die belangte Behörde folgende Feststellungen: Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1979 im Alter von 15 Jahren mit seinen Eltern nach Österreich gekommen. Damals sei gegen ihn wegen einer Vergewaltigung ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden; dieses sei im Jahr 1987 aufgehoben worden. In der Folge sei der Beschwerdeführer aufgrund befristeter Sichtvermerke bis zum 6. Juli 1994 zum Aufenthalt berechtigt gewesen; er lebe hier mit seiner Gattin und seinen vier Kindern. Im Jahr 1994 sei er wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ein von ihm gestellter Antrag nach dem Aufenthaltsgesetz sei im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres abgewiesen worden (Bescheid vom 25. Jänner 1996); dies mit der Begründung, daß er seit dem Jahr 1991 nicht mehr über eine Beschäftigungsbewilligung verfüge und die Mittel für seinen Unterhalt nicht nachgewiesen habe.
Mit der Ausweisung sei ohne jeden Zweifel ein beträchtlicher Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Der Eingriff sei jedoch zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten. Einem geordneten Fremdenwesen komme ein hoher Stellenwert zu. Der Beschwerdeführer sei seit eineinhalb Jahren nicht mehr zum Aufenthalt berechtigt. Er sei auch nicht berechtigt, im Inland einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu stellen. Die Ausweisung verfolge lediglich den Zweck, den Beschwerdeführer zu verhalten, den rechtswidrigen Zustand durch Ausreise zu beenden. Ein Absehen von der Ausweisung würde dem Beschwerdeführer den tatsächlichen, jedoch rechtswidrigen Aufenthalt auf Dauer verschaffen, was einem geordneten Femdenwesen grob zuwiderliefe.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Es kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführer - wie von der Beschwerde vertreten - im Hinblick auf das Assoziationsrecht EWG - Türkei (Abkommen zwischen der EWG und der Türkei vom 12. September 1963; Beschluß des Assoziationsrates Nr. 1/80) in Österreich aufenthaltsberechtigt ist oder aber sich - wie von der belangten Behörde vertreten - seit etwa eineinhalb Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Denn selbst wenn letzteres zuträfe, wäre die auf diesen Sachverhalt gestützte Ausweisung des Beschwerdeführers nicht zulässig (siehe unten II.2.3.).
2.1. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, keine ordnungsgemäße Interessenabwägung i.S. des § 19 FrG vorgenommen zu haben und verweist dazu insbesondere auf den seit 1974 währenden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sowie darauf, daß auch dessen Familie (Ehegattin und vier Kinder) hier lebe.
2.2. Die belangte Behörde erblickt in der angegebenen Dauer des Aufenthaltes eine erstmals in der Beschwerde aufgestellte Behauptung und daher eine unzulässige Neuerung. Sie weist dazu in ihrer Gegenschrift darauf hin, daß sie aufgrund der eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren einen etwa 16jährigen Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt habe. Es trifft zu, daß der Beschwerdeführer in seiner Berufung vom 7. August 1995 (u.a.) ausgeführt hat, sich seit 16 Jahren in Österreich aufzuhalten. Allerdings ergibt sich aus dem von der belangten Behörde beigeschafften und im vorgelegten Akt einliegenden Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Jänner 1996 betreffend die Abweisung des Aufenthaltsbewilligungsantrages des Beschwerdeführers, daß dieser laut seinen Angaben seit 20 Jahren in Österreich lebt. Schließlich hat die Erstbehörde in ihrem Bescheid vom 12. Juli 1995 festgestellt, daß sich der Beschwerdeführer laut Aktenlage "zumindest seit 1979" im Bundesgebiet aufhalte. Angesichts dieses insoweit unklaren Sachverhaltes wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich zu ermitteln und die darauf gegründete Feststellung in die nach § 19 FrG gebotene Abwägung einzubeziehen. Da das diesbezügliche Versäumnis im Lichte der nachstehenden Erwägungen keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, ist die Frage, ob das Beschwerdevorbringen, daß sich der Beschwerdeführer schon seit etwa 22 Jahren in Österreich aufhalte, als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige und unbeachtliche Neuerung (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) zu qualifizieren ist, mit der belangten Behörde zu bejahen.
2.3. Unbeschadet des vorstehend festgehaltenen Verfahrensmangels hätte die belangte Behörde auch unter Zugrundelegung der von ihr angenommenen Aufenthaltsdauer von 16 Jahren die von ihr im Grunde des § 19 FrG vorgenommene Abwägung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Denn auch ein "bloß" 16jähriger inländischer Aufenthalt des Beschwerdeführers, der jedenfalls weitaus überwiegend rechtmäßig bzw. aufgrund der nach Ausweis der Akten dem Beschwerdeführer erteilten Vollstreckungsaufschübe (eine entsprechende Feststellung im bekämpften Bescheid fehlt) vorübergehend erlaubt war, die von der belangten Behörde festgestellte familiäre Situation, wonach die Ehegattin und die vier Kinder des Beschwerdeführers mit ihm gemeinsam in Österreich leben, sowie eine nach der Aktenlage langjährige Beschäftigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sind Umstände, die in ihrem Zusammenhalt von solchem Gewicht sind, daß der darin gründende Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch eine Ausweisung - auch bei voller Anerkennung des für den Fall der Annahme eines seit 6. Juli 1994 unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers (siehe oben II.1.) großen, für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses - im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 MRK nicht dringend geboten und daher gemäß § 19 FrG unzulässig erschiene (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1997, Zl. 96/18/0014, und die dort zitierte Vorjudikatur). Daß der Beschwerdeführer am 31. Jänner 1994 wegen § 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig (zu einer geringen Geldstrafe) verurteilt worden ist, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern.
3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG iVm der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996180352.X00Im RIS seit
20.11.2000