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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art121 Abs1Leitsatz
Feststellung der Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Überprüfung der Gebarung der Lenzing AG für die Zeit von 1990 bis 1995 aufgrund der Eigentums- und BeteiligungsverhältnisseSpruch
I. In Stattgebung des Antrags wird festgestellt, daß der Rechnungshof gemäß Art121 Abs1 B-VG iVm Art126 b Abs2 und den Art127 Abs3 und 127 a Abs3 B-VG sowie §12 Abs1 und §15 Abs1 iVm §16 (bzw. §18 Abs1) RHG zuständig ist, die Gebarung der Lenzing Aktiengesellschaft für die Zeit von 1990 bis 3. April 1995 zu überprüfen.
II. Die Lenzing Aktiengesellschaft ist schuldig, diese Gebarungsüberprüfung für die Zeit von 1990 bis 3. April 1995 bei sonstiger Exekution zu ermöglichen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Der Rechnungshof stellte am 3. April 1995 zur Zl. KR 1/95 gemäß Art126 a B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge
"1. feststellen, daß der Rechnungshof zuständig ist, die Gebarung der Lenzing AG in den Jahren 1990 bis 1994 und die laufende Gebarung bis zum Zeitpunkt des Einbringens des Antrages zu überprüfen, und
2. aussprechen, daß die Lenzing AG schuldig ist, die Gebarungsüberprüfung bei sonstiger Exekution zu ermöglichen".
1.1.2. Begründend führte der Rechnungshof ua. aus:
"Mit Schreiben vom 22. April 1994 ... teilte der Rechnungshof dem Vorstand der Lenzing AG mit, daß er gemäß Art126 b Abs2 B-VG deren Gebarung in den Jahren 1990 bis 1993, die damit zusammenhängende Gebarung vorangegangener Jahre und die laufende Gebarung an Ort und Stelle anhand der Rechnungsbücher und Belege sowie sonstiger Behelfe überprüfen werde... Hievon wurden der Aufsichtsrat der Lenzing AG, der Vorstand der Z-Länderbank Bank Austria AG, der Vorstand der Creditanstalt-Bankverein und das Bundesministerium für Finanzen abschriftlich in Kenntnis gesetzt.
...
Am 6. Juni 1994 begannen die örtlichen Erhebungen. Vorstandsdirektor W und Vorstandsdirektor Dr. S stimmten der Prüfung zu. Der Rechnungshof erhielt alle angeforderten Unterlagen. Gesprächsweise erfuhren die Beauftragten des Rechnungshofs aber auch, daß bisher nur eines der beiden Gutachten vorliege, die der Vorstand der Lenzing AG zur Frage in Auftrag gegeben habe, ob der Rechnungshof zur Prüfung der Lenzing AG zuständig ist. Dieses Gutachten bringe zwar Argumente gegen eine Rechnungshof-Prüfung vor, hätte jedoch kein eindeutiges Nein ergeben. Am 8. Juni 1994 wurde der Prüfungskommission bzw. am 9. Juni 1994 dem Prüfungsleiter von Vorstandsdirektor W und Vorstandsdirektor Dr. S mitgeteilt, daß auf Weisung des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 7. Juni 1994 die weitere Überprüfung der Lenzing AG durch den Rechnungshof vom Ergebnis der Sitzung des Aufsichtsrates der Bank Austria am 22. Juni 1994 abhängig gemacht werde. ...
Am 24. Juni 1994 rief der Vorstandsvorsitzende der Lenzing AG, Dr. H S, den Prüfungsleiter Ministerialrat Dr. Z an und teilte ihm - kurzgefaßt - folgendes mit: Der Aufsichtsratsvorsitzende Dkfm. R akzeptiere eine Rechnungshof-Prüfung bei der Lenzing AG, der Generaldirektor der Bank Austria, Dr. H, lehne aber eine Prüfung ab.
Dkfm. R lasse daher den Rechnungshof bitten, die Prüfung bei der Lenzing AG bis Herbst 1994 aufzuschieben. Am 8. September 1994 sei eine Aufsichtsratssitzung der Bank Austria vorgesehen, in welcher zur Frage Rechnungshof endgültig Stellung bezogen werden soll. Die Verschiebung der Prüfungshandlungen wurde vom Rechnungshof abgelehnt ...
Am 28. Juni 1994 machte Ministerialrat Dr. Z die Vorstandsmitglieder Dr. S und Dr. H S darauf aufmerksam, daß eine Verweigerung der Lenzing AG ausschließlich von deren Vorstand vor dem Verfassungsgerichtshof zu verantworten sein werde. Die genannten Vorstandsmitglieder akzeptierten daraufhin die Überprüfung durch den Rechnungshof.
In der Folge wurde das am 6. Juni 1994 abgefaßte Rundschreiben der Lenzing AG über den am 6. Juni erfolgten Prüfungsbericht an alle Geschäfts- und Zentralbereichsleiter verschickt. Dieses Schreiben, das dem Rechnungshof am 29. Juni 1994 übergeben wurde, regelt die Weitergabe von Unterlagen, die durch den Rechnungshof angefordert werden ...
Sämtliche Anforderungen des Rechnungshofs wurden erfüllt ... Die örtliche Überprüfung wurde urlaubsbedingt am 18. Juli unterbrochen und sollte im September 1994 fortgesetzt werden. Am
18. und 20. Juli 1994 erhielt der Rechnungshof die letzten Unterlagen nach Wien geschickt ...
Am 3. August 1994 teilte der Vorstandsdirektor Dr. S von der Lenzing AG Dr. Z telefonisch mit, daß die Lenzing AG nun eine Überprüfung durch den Rechnungshof ablehne bzw. um eine Sistierung bis zur Klärung der Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs bei der Bank Austria durch den Verfassungsgerichtshof ersuchen würde.
Das an den Präsidenten des Rechnungshofs gerichtete Schreiben des Vorstands der Lenzing AG vom 9. August 1994 ..., mit welchem um Aussetzung der Prüfung bis zur Klärung der Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs bei der Bank Austria durch den Verfassungsgerichtshof ersucht wird, traf am 11. August 1994 im Rechnungshof ein.
Mit Schreiben vom 26. August 1994 teilte der Präsident des Rechnungshofs dem Vorstand der Lenzing AG mit, daß dem Ersuchen um Sistierung der laufenden Gebarungsüberprüfung aufgrund der Rechtsauffassung des Rechnungshofs nicht nachgekommen werden könne. Es werde vielmehr die durch Gesetz und VfGH-Erkenntnisse gedeckte laufende Gebarungsüberprüfung am 12. September 1994 an Ort und Stelle fortgesetzt werden.
Mit Schreiben vom 5. September 1994 ersuchte der Vorstand der Lenzing AG neuerlich um eine Aussetzung der Gebarungsüberprüfung bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs bei der Bank Austria AG... Auf dieses Schreiben antwortete der Rechnungshof am 8. September 1994 und bestätigte die Fortsetzung der laufenden Gebarungsüberprüfung am 12. September 1994 ...
Am 12. September 1994 wurde von der Lenzing AG erklärt, Prüfungshandlungen des Rechnungshofs nicht zuzulassen. Darüber wurde ein Aktenvermerk aufgenommen ...
Die Antragsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft. Ihre Hauptaktionäre, nämlich die Bank Austria Industrieholding Gesellschaft mbH (33,4 %) und die Creditanstalt-Bankverein (16,7 %) sind durch einen Syndikatsvertrag gemäß §92 Börsengesetz verbunden.
Die Bank Austria Industrieholding Gesellschaft mbH ihrerseits ist eine 100 %ige Tochterunternehmung der Bank Austria AG.
Aufgrund der dargelegten Beteiligungsverhältnisse hängt die Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs gegenüber der Lenzing AG letztlich davon ab, ob die Bank Austria AG einerseits und die Creditanstalt-Bankverein andererseits der Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs unterliegen. ...
Hinsichtlich der Creditanstalt-Bankverein ist davon auszugehen, daß die Republik Österreich zum Ende des Geschäftsjahres 1993 zwar nur noch 48,71 % am Aktienkapital, wohl aber 69,59 % des stimmberechtigten Grundkapitals dieser Unternehmung hielt. Dieser organisatorische Beherrschungstatbestand, dem eine Mehrheit der Republik Österreich auch am Aktienkapital vorangegangen war, bestand jedenfalls in dem Zeitraum, für den nunmehr eine Feststellung der Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs beantragt wird.
Da Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gemäß §116 Abs1 Aktiengesetz kein Stimmrecht in der Hauptversammlung gewähren, entsteht durch den Besitz der einfachen Mehrheit an den stimmberechtigten Aktien ein Einfluß der Republik Österreich auf die Creditanstalt-Bankverein wie er einer mindestens 50 %igen Beteiligung am Grundkapital annähernd entspricht. Damit ist der Beherrschungstatbestand des Art126 b Abs2, zweiter Satz B-VG erfüllt, und ist der Rechnungshof zuständig, die Gebarung der CA-BV zu überprüfen ...
Da der Rechnungshof ... sowohl für die Creditanstalt-Bankverein AG als auch für die Bank Austria AG und deren 100 %ige Tochterunternehmung Bank Austria Industrieholding Gesellschaft mbH prüfungszuständig ist, unterliegt auch die Lenzing AG gemäß Art126 b Abs2, 2. Satz B-VG der Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs ..."
1.2.1. Die Lenzing AG als Antragsgegnerin nahm wie folgt Stellung:
"Vorausgeschickt sei, daß die Lenzing AG den Rechnungshof seinerzeit ersucht hat, die bei der Lenzing AG eingeleitete Prüfung bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, ob die Prüfungszuständigkeit des Rechnungshofs für die Bank Austria AG gegeben ist, auszusetzen. Die Lenzing AG hat stets erklärt, sich dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs betreffend die Prüfungszuständigkeit der (gemeint: für die) Bank Austria AG zu unterwerfen. Da der Verfassungsgerichtshof zwischenzeitig die Prüfungspflicht ... bestätigt hat, gibt es auch seitens der Lenzing AG gegen die Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme der vom Rechnungshof eingeleiteten Gebarungsprüfung keinen Einwand mehr. Die Lenzing AG hat den Rechnungshof mit dem beiliegenden Schreiben davon informiert und ihn eingeladen, die Prüfung fortzusetzen. Die Lenzing AG geht sohin davon aus, daß der Rechnungshof klaglos gestellt ist und stellt den Antrag, die Beschwerde des Rechnungshofs als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen. ..."
1.2.2. Dazu erklärte der Rechnungshof mit Schriftsatz vom 29. Juni 1995, daß er seinen Antrag vom 3. April 1995 nicht zurücknehme.
1.2.3. Die Bundesregierung und die Wiener Landesregierung gaben keine Äußerung ab.
2. Über den Antrag des Rechnungshofs wurde erwogen:
2.1. Der Antrag ist zulässig und begründet.
2.1.1. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Rechnungshof und einem Rechtsträger (Art121 Abs1 B-VG) "über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofs regeln," im Sinn des Art126 a B-VG liegt vor, wenn der Rechtsträger "die Zuständigkeit des Rechnungshofs zur Gebarungsüberprüfung ausdrücklich bestreitet oder die Gebarungsüberprüfung tatsächlich nicht zuläßt" (§36 a Abs1 zweiter Satz VerfGG 1953 idF BGBl. 510/1993).
Dies traf hier nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der beiden Parteien im Zeitpunkt der (fristgerechten) Antragstellung zu.
Zwar erklärte die Lenzing AG nachträglich, sie werde die Prüfung nunmehr zulassen und erachte daher den Rechnungshof für klaglos gestellt, doch weist der Rechnungshof darauf hin, daß das VerfGG 1953 die Einstellung eines Verfahrens über eine Meinungsverschiedenheit iSd Art126 a B-VG wegen Klaglosstellung nicht vorsieht (§19 Abs3 Z3 VerfGG 1953): Die Bestimmung des §86 VerfGG 1953 regelt nur die Einstellung eines Beschwerdeverfahrens aus dem dort umschriebenen Grund; sie ist auf die hier vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar.
2.1.2. Der Verfassungsgerichtshof stellte mit Erkenntnis vom 16. März 1995, GZ KR 2/94-13, in Stattgebung eines Antrags des Rechnungshofs fest, "daß der Rechnungshof gemäß Art121 Abs1 B-VG iVm Art126 b Abs2 und den Art127 Abs3 und 127 a Abs3 B-VG sowie §12 Abs1 und §15 Abs1 iVm §16 (bzw. §18 Abs1) RHG zuständig ist, die Gebarung der Bank Austria AG sowie der vormaligen Z-Länderbank Bank Austria AG bzw. Zentralsparkasse und Kommerzialbank Wien AG (für die Zeit von 1988 bis 29. Juli 1994) zu überprüfen." Zugleich wurde die Bank Austria AG schuldig erkannt, diese Gebarungsüberprüfung bei sonstiger Exekution zu ermöglichen.
Der Verfassungsgerichtshof hält an der diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Rechtsansicht unverändert fest. Dementsprechend ergibt sich auf dem Boden des vom Rechnungshof dargestellten, unwidersprochen gebliebenen Sachverhalts (insb. zu den Eigentums- und Beteiligungsverhältnissen), daß auch die Antragsgegnerin, wie der Rechnungshof im Hinblick auf das schon erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs - von der Antragsgegnerin unbestritten - ausführt, der Überprüfung iSd Art121 Abs1 B-VG unterliegt.
2.1.3. Dem Antrag des Rechnungshofs war daher stattzugeben.
2.1.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Schlagworte
VfGH / Rechnungshofzuständigkeit, VfGH / Klaglosstellung, RechnungshofEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:KR1.1995Dokumentnummer
JFT_10048871_95KR0001_00