TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/12 I415 1406838-3

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Veröffentlicht am 12.08.2020
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Entscheidungsdatum

12.08.2020

Norm

AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
IntG §11
IntG §9 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I415 1406838-3/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Mali, vertreten durch RA Mag. Philipp TSCHERNITZ, Glasergasse 2, 9020 Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.08.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides betreffend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels besonderer Schutz wird gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben. Eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX wird gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Malis, reiste spätestens am 20.11.2008 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2009, Zl. XXXX, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Mali (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Mali ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

2.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2018, Zl. W185 1406838-1/19E, wurde eine dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wurde aufgehoben und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) zurückverwiesen.

3.       Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom17.07.2018 informierte das BFA den Beschwerdeführer, dass zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sein Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu prüfen sei und forderte den Beschwerdeführer auf, binnen 14 Tagen schriftlich Stellung zu seiner Situation in Österreich zu nehmen.

4.       Am 30.08.2018 übermittelte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung eine schriftliche Stellungnahme. Darin führte er zusammengefasst aus, dass ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht bestehe, aber in Hinblick auf seinen mittlerweile zehnjährigen Aufenthalt in Österreich schützenswertes Privatleben gegeben sei.

5.       Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des BFA vom 13.08.2018, Zl. XXXX, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Mali zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gleichzeitig wurde eine 14-tägige Frist für eine freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

6.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 05.09.2018 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

7.       Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 10.10.2018 vorgelegt.

8.       Am 10.08.2020 fand in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde und einer Dolmetscherin für die Sprachen Französisch und Englisch eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Mali. Seine Identität steht nicht fest.

Er ist volljährig, ledig und kinderlos.

Er hält sich seit spätestens 20.11.2008 durchgehend im Bundesgebiet auf und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2018 in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden wurde. Gleichzeitig wurde das Verfahren gemäß der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen.

Seit seiner Ankunft in Österreich war der Beschwerdeführer beinahe lückenlos behördlich gemeldet, lediglich von 22.07.2010 bis 12.09.2010, sowie von 26.01.2011 bis 04.04.2011 verfügte er über keine Meldeadresse im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er hat in Mali weder eine Schulbildung erhalten, noch eine Berufsausbildung absolviert und in der Landwirtschaft seiner Eltern gearbeitet.

In Mali leben die jüngere Schwester und die Mutter des Beschwerdeführers, zu der nach wie vor regelmäßiger Kontakt besteht.

In Österreich verfügt er über keine familiären Anknüpfungspunkte, es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben Deutschkurse bis zum Niveau A2 absolviert, bislang jedoch keine Prüfung über seine Sprachkenntnisse abgelegt. In Relation zu seiner Aufenthaltsdauer spricht er nur wenig Deutsch, sodass bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf eine Dolmetscherin zurückgegriffen werden musste. Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen. Er ist Mitglied des XXXX. Der Beschwerdeführer verfügt über eine aktuelle Einstellungszusage bei einem XXXX.

Der Beschwerdeführer ist während seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet lediglich im Jahr 2009 einer erlaubten Erwerbstätigkeit als Erntehelfer nachgegangen. Bis Mai 2017 bezog er Leistungen aus der Grundversorgung, seither bestreitet er seinen Lebensunterhalt durch die Unterstützung von Freunden und Bekannten, für die er im Gegenzug gelegentlich Hilfsarbeiten verrichtet.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Außerdem konnte im vorliegenden Beschwerdefall auf die Ermittlungsergebnisse im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgegriffen werden.

2.1. Zum Sachverhalt und zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels Vorlage unbedenklicher identitätsbezeugender Dokumente nicht fest.

Die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volljährigkeit, und zu seinem Familienstand gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellung zur seinerzeitigen Einreise sowie zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers und einer am 05.08.2020 eingeholten zmr-Auskunft. Ebenso aus dem Verwaltungsakt ergibt sich die Feststellung zu seinem seit 20.11.2008 laufenden Asylverfahren.

Aus dem zentralen Melderegister ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer seiner behördlichen Meldeverpflichtung bis auf wenige kurze Unterbrechungen durchgehend nachgekommen ist.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand, zur Arbeitsfähigkeit, zur fehlenden Ausbildung und zur Arbeitserfahrung des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen glaubhaften Aussagen vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht.

Aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers ergeben sich die Feststellungen zu seinen in Mali lebenden Familienmitgliedern.

Dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte verfügt, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben, sowie dem Akt.

Die Feststellungen zu den Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Zusammenschau mit den vorgelegten Unterlagen, darunter: eine Einstellungszusage einer XXXX vom 28.07.2020, eine Mitgliedskarte des XXXX und eine Bestätigung über private Deutschstunden vom 07.08.2020.

Der Beschwerdeführer hat abgesehen von der Kursbestätigung über privaten Deutschunterricht zwischen 01.07.2020 und 07.08.2020 keine Deutschkurs- Bestätigungen vorgelegt und bisher auch keine Sprachprüfung positiv absolviert. Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Beschwerdeverhandlung war die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer lediglich über geringe Deutschkenntnisse verfügt.

Aus einem am 06.08.2020 eingeholten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes und den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers ergibt sich die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bereits seit über drei Jahren nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen ist.

Aus einem Strafregisterauszug vom 06.08.2020 ergibt sich die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1      Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides)

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet:

Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2     Zu Spruchpunkten II. bis IV.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz war rechtskräftig mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2018, Zl. W185 1406838-1/19E, abgewiesen und das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung im Sinne der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das BFA zurückverwiesen worden.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gem. § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VwGH 5.9.2016, Ra 2016/19/0074; VwGH 7.9.2016, Ra 2016/19/0168; VwGH 22.2.2017, Ra 2017/19/0043).

Im angefochtenen Bescheid wurde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer für zulässig erachtet, mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte verfüge, sein Aufenthalt auf einem unbegründeten Asylantrag fuße und er in Relation zu seiner Aufenthaltsdauer nur mangelhafte Sprachkenntnisse aufweise.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wurde jedoch der Aspekt der deutlich über zehnjährigen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers nicht den von der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Leitlinien entsprechend in die Interessensabwägung miteinbezogen.

Der Beschwerdeführer kann mittlerweile auf einen fast zwölfjährigen durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet zurückblicken. Er hat am 20.11.2008 einen Asylantrag gestellt, sein Asylverfahren dauert damit schon fast zwölf Jahre. Es wird dabei nicht verkannt, dass die bemerkenswert lange Verfahrensdauer auch den Asylbehörden Österreichs anzulasten ist.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war damit immer ein rechtmäßiger. Es ist somit unstrittig, dass sich der Beschwerdeführer knapp zwölf Jahre im Bundesgebiet aufhält. Dem kommt entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Nach der ständigen Judikatur ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH, 07.03.2019, Ra 2018/21/0253; VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 13; VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 9 und 10, sowie VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120, Punkte 6.2. und 7.2., jeweils mwN).

Folgende Umstände - zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten - stellen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben (vgl. E 18. März 2014, 2013/22/0129; E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365), eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben (vgl. E 10. Dezember 2013, 2012/22/0151), freiwillige Hilfstätigkeiten (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), ein Schulabschluss (vgl. E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062) bzw. eine gute schulische Integration in Österreich (vgl. E, 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082) oder der Erwerb des Führerscheins (vgl. E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365)." (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005)

Dass der Beschwerdeführer aber die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt habe, um sich sozial und beruflich zu integrieren, kann auch ungeachtet schwacher Deutschkenntnisse nicht gesagt werden. Er hat sich im Bundesgebiet einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und sein soziales Netzwerk ist so stabil, dass er bereits seit über drei Jahren nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Außerdem ist er Mitglied im XXXX und verfügt über eine aktuelle Einstellungszusage bei einem XXXX. Darüber hinausgehende Integrationsbemühungen werden von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem so langen Aufenthalt nicht gefordert (vgl. VwGH, 23.02.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 12).

Umgekehrt hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. etwa die Erkenntnisse des VwGH vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0165, und vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, sowie die Beschlüsse des VwGH vom 03.09.2015, Ra 2015/21/0121, und vom 25.04.2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (wie etwa das Ausländerbeschäftigungsgesetz; siehe VwGH, 16.10.2012, 2012/18/0062, sowie VwGH, 25.04.2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. VwGH, 20.07.2016, Ra 2016/22/0039, sowie das zitierte Erkenntnis Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. die zitierten Erkenntnisse Ra 2015/21/0249 bis 0253 sowie Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. VwGH, 31.01.2013, 2012/23/0006).

Derartige erschwerende Umstände sind verfahrensgegenständlich nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er war fast durchgehend im Bundesgebiet gemeldet und daher für die Behörden stets greifbar. Auch stellte er nur einen Asylantrag und sein Aufenthalt war durchgehend rechtmäßig. Die fast zwölfjährige Verfahrensdauer ist den österreichischen Asylbehörden zuzurechnen und nicht dem Verhalten des Beschwerdeführers, sodass die lange Dauer des Asylverfahrens entscheidend zugunsten des Beschwerdeführers zu gewichten ist, auch wenn sich der Asylantrag des Beschwerdeführers letztlich als unbegründet erwies.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist sohin davon auszugehen, dass persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes überwiegt.

Dabei verkennt das erkennende Gericht nicht, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK - vgl. VwGH 9.3.2003, 2002/18/0293) ein hoher Stellenwert zukommt. Unter Beachtung aller maßgeblichen Momente ist vor dem Hintergrund des langen Aufenthaltszeitraumes des Beschwerdeführers in Österreich, des im Bundesgebiet gelegenen Lebensmittelpunktes, der sozialen Kontakte, der strafgerichtlichen Unbescholtenheit, sowie der gezeigten Integrationsschritte (Einstellungszusage und Alpenvereinsmitgliedschaft) ein Überwiegen der auf Seiten des Beschwerdeführers gelegenen Momente im Hinblick auf Art 8 EMRK zu erkennen.

In einer Zusammenschau aller Umstände kommt das Bundesverwaltungsgericht somit zum Schluss, dass im Falle des Beschwerdeführers eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in seine nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eingreifen würde.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Im Rahmen der erläuternden Bemerkungen zum FRÄG 2015 wurde klargestellt, dass auch das Bundesverwaltungsgericht – in jeder Verfahrenskonstellation – über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine Einräumung einer amtswegigen Entscheidungszuständigkeit für das Bundesverwaltungsgericht, welche entsprechend dem Prüfungsbeschluss des VfGH vom 26. Juni 2014 (E 4/2014) als unzulässig zu betrachten wäre, da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels diesfalls vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist und daher in einem zu entscheiden ist.

In diesem Sinne betonte auch der Verwaltungsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0103, sowie vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0203, dass das Bundesverwaltungsgericht den Aufenthaltstitel im Rahmen seiner Sachentscheidungspflicht im verfahrensabschließenden Erkenntnis selbst in konstitutiver Weise zu erteilen habe. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher im Falle, es erkennt im Beschwerdeverfahren erstmalig die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung, die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 anzuordnen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 58 AsylG K4).

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung (plus)“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Dem Beschwerdeführer ist daher gemäß § 55 AsylG ein Aufenthaltstitel zu verleihen.

Zu überprüfen ist noch, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" nach Abs. 1 vorliegen oder ob nach Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen ist. Nach § 9 Abs. 4 des Integrationsgesetzes ist das (in § 55 Abs. 1 AsylG 2005 angesprochene) Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt, einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt, über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht, einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt.

Keine dieser Voraussetzungen ist gegeben, der Beschwerdeführer hat bisher keine Integrationsprüfung und auch keine Deutschprüfung absolviert. Es ist ihm daher eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung berücksichtigungswürdige Gründe ersatzlose Teilbehebung Integration Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I415.1406838.3.01

Im RIS seit

22.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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