Entscheidungsdatum
12.08.2020Norm
BFA-VG §9Spruch
I408 2233763-1/3E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb XXXX , StA. Slowakei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.07.2020, Zl. 570278008/200111212, beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin, eine slowakische Staatsangehörige und hält sich seit 24.05.2011 durchgehend in Österreich auf.
Am 30.01.2020 erhielt die belangte Behörde die Mitteilung, dass die Beschwerdeführerin wegen des Verdachtes der Begehung eines Verbrechens nach § 28a Abs. 1 SMG in Untersuchungshaft genommen wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war die Beschwerdeführerin im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels (Familienangehöriger) und lebte mit ihrem Lebensgefährten und den beiden gemeinsamen Kindern im Alter von drei und zehn Jahren in einem Haus, welches im Eigentum der Beschwerdeführerin steht.
Am 20.02.2020 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und über die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung informiert.
Mit Urteil des Landesgericht XXXX vom 23.04.2020, XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a ff SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 06.07.2020 erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und aberkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt III.).
Am 30.07.2020 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid.
Am 06.08.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Die belangte Behörde setzte sich in ihrer Entscheidung in keiner Weise mit dem bestehenden Familienleben sowie dem Kindeswohl auseinander, insbesondere mit den Auswirkungen auf die Kinder im Alter von 3 und 10 Jahren. Es fehlen dazu jegliche Erhebungsschritte und die Feststellung, dass kein Abhängigkeitsverhältnis besteht und damit kein Eingriff in das Familienleben gegeben ist, steht im Widerspruch zu den Angaben der Beschwerdeführerin, dass sie ihre dreijährige Tochter in den Kindergarten gebracht hat.
2. Beweiswürdigung:
Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten bzw. eingescannten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und den durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und AJ-WEB. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen insoweit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.
Im gegenständlichen Fall kommt hinzu, dass die belangte Behörde vom Gericht eine Entscheidung innerhalb einer Woche einfordert, ohne alle Aspekte des Falles vollständig, zweifelsfrei und umfassend erhoben zu haben. Das gilt insbesondere in Bezug auf das Privat- und Familienleben der seit 2011 in Österreich aufhältigen, offenbar mit einer Aufenthaltsbewilligung ausgestatteten Beschwerdeführerin. Die vor rund einem halben Jahr, am 20.02.2020, durchführte Einvernahme ist zum einen nicht zeitnah und umfasst zum anderen nicht alle notwendigen Aspekte, um im gegenständlichen Fall die gegebene Abwägung zwischen dem Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet und dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung durchzuführen.
Die belangte Behörde wird sich mit dem Familien- und Privatleben, der Integration und der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet auseinanderzusetzen, entsprechende Feststellungen zu treffen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen haben. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.
Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine eindeutigen Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden, ist eine meritorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weder im Sinne einer Kostenersparnis noch einer Verfahrensbeschleunigung gegeben.
Im Ergebnis war angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Schlagworte
Aufenthaltstitel Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Verbrechen ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2233763.1.00Im RIS seit
22.10.2020Zuletzt aktualisiert am
22.10.2020