TE Vwgh Beschluss 2020/9/24 Ra 2020/14/0259

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/14/0260
Ra 2020/14/0261
Ra 2020/14/0262

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in den Revisionssachen 1. der A B, 2. der C D, 3. des E F und 4. der G H, alle in X, alle vertreten durch Dr. Bertram Dietrich als bestellter Verfahrenshelfer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, dieser vertreten durch MMag. Gustav Walzel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2020, 1. W182 2216988-1/21E, 2. W182 2216989-1/19E, 3. W182 2216987-1/18E und 4. W182 2216990-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerber sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertrevisionswerber. Die Erst- bis Drittrevisionswerber reisten im Jänner 2016 in das Bundesgebiet ein, die Viertrevisionswerberin wurde hier im Jänner 2017 geboren. Am 9. Oktober 2017 stellten die Revisionswerber die gegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit Bescheiden vom 20. Juni 2017 vollumfänglich ab, erteilte den Revisionswerbern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Behörde legte die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe als unbegründet ab, als die Rückkehrentscheidungen bis zum 1. August 2020 vorübergehend unzulässig seien, behob die auf die Rückkehrentscheidungen aufbauenden Spruchpunkte und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2020/14/0227, mwN).

7        Die Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit vor, dass die erlassenen Rückkehrentscheidungen rechtswidrig seien. Die Erst- bis Drittrevisionswerber würden sich seit 2016 in Österreich aufhalten. Die Erstrevisionswerberin sei seit 2016 mit dem Vater der Viertrevisionswerberin, der sich rechtmäßig in Österreich aufhalte, nach muslimischem Ritus (nach den Feststellungen: „als Zweitfrau“) verheiratet. Die Revisionswerber würden sich „somit seit 4 Jahren und 8 Monaten“ in Österreich aufhalten. Die Republik Österreich habe diesen Aufenthalt ermöglicht, da sie „nichts Ernsthaftes unternommen“ habe, eine Ausreise durchzusetzen. In der Abwägung nach Art. 8 EMRK käme den subjektiven Interessen der Revisionswerber am Verbleib in Österreich somit ein höheres Interesse zu als den Einreisevorschriften. Die Zweit- bis Viertrevisionswerber hätten sich in Österreich eingelebt. Die Rückkehrentscheidungen würden auch das Familienleben des genannten Ehegatten beeinträchtigen.

8        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG. Die durch das Bundesverwaltungsgericht in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das Bundesverwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat.

9        Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. zum Ganzen VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0191, mwN).

10       Mit dem alleinigen Hinweis auf eine Aufenthaltsdauer im Inland von (zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses) knapp über vier Jahren gelingt es den Revisionswerbern nicht, eine Unvertretbarkeit der Interessenabwägung darzulegen. So entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN).

11       Im Übrigen entfernt sich das Vorbringen, es sei nichts Ernsthaftes unternommen worden, um eine Ausreise (nach der ersten negativen Entscheidung über die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz) durchzusetzen, unzulässigerweise von den tatsächlichen Annahmen des BVwG. So ergibt sich aus dem Erkenntnis, dass gegen die Erstrevisionswerberin am 2. August 2016 ein Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 Z 3 BFA-Verfahrensgesetz erlassen wurde, nachdem sie nach Anordnung der Außerlandesbringung mit ihren Kindern untergetaucht war.

12       In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140259.L00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten