Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* GmbH,*, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch Huber und Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 104.422,50 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. April 2020, GZ 6 R 25/20v-14, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 16. Jänner 2020, GZ 2 Cg 30/19p-10, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte beauftragte am 12. Juli 2018 eine deutsche GmbH als (im Folgenden so bezeichnete) Subunternehmerin mit der Durchführung von Montagearbeiten bei einem Bauvorhaben in Deutschland, wobei ein Werklohn von insgesamt 585.000 EUR netto (bzw 696.150 EUR inklusive 19 % an deutscher MWSt) vereinbart wurde. Die Beklagte verpflichtete sich zur Leistung einer Anzahlung in Höhe von 15 % des Werklohns gegen Vorlage einer für sie akzeptablen, abstrakten, unwiderruflichen und kostenlosen Bankgarantie mit einer Laufzeit „bis Montageende + 45 Tage“. Sie leistete in der Folge auch tatsächlich an die Subunternehmerin eine Anzahlung in Höhe von 87.750 EUR netto (= 15 % des Nettowerklohns) und erhielt im Gegenzug von einer Versicherung (im Folgenden: Garantin) mit 22. August 2018 eine als „Anzahlungsgarantie“ betitelte Garantie über 104.422,50 EUR (= 15 % des Bruttowerklohns) mit folgendem Inhalt:
„Wir haben davon Kenntnis, dass die [Subunternehmerin] in Ihrem Auftrag die Lieferung/Leistung von Montagearbeiten auf Ihrer Baustelle […], (Teil-)Rechnungs-Nr. […] vom 10. 8. 2018, Bestellung Nr. […] vom 12. 7. 2018 über 696.150 EUR durchzuführen hat.
Wie uns die genannte Firma mitteilt, kann sie von Ihnen gegen Beibringung eines Garantiebriefes eine Anzahlung im Betrage von 104.422,50 EUR erhalten.
Über Ersuchen der [Subunternehmerin] übernehmen wir zur Sicherstellung der Erfüllung der Verpflichtungen der genannten Firma oder deren Rechtsnachfolger im Zusammenhang mit der o.a. Bestellung Ihnen gegenüber die unwiderrufliche Garantie bis zur Höhe von 104.422,50 EUR […], indem wir uns verpflichten, den uns namhaft gemachten Betrag unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Bankwerktagen, nach Erhalt Ihrer ersten schriftlichen Aufforderung ohne Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses und ungeachtet jeglicher Einwendungen an Sie oder Ihren Rechtsnachfolger zu bezahlen.
Unsere Garantieverpflichtung bezieht sich auch auf Ansprüche, die nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen die [Subunternehmerin] oder deren Rechtsnachfolger geltend gemacht werden. […]
Diese Garantie erlischt durch die Rückstellung an uns, spätestens jedoch am 25. 3. 2019, es sei denn, dass Sie sie vor Ablauf dieses Tages, nach Maßgabe der vorstehenden Bedingungen, in Anspruch genommen haben. […]
Diese Garantie unterliegt österreichischem materiellem Recht.“
[2] Die Subunternehmerin begann in der Folge – ebenso wie ein von ihr beauftragtes weiteres Unternehmen – mit der Erbringung der beauftragten Arbeiten. Kurz darauf wurde jedoch in Deutschland das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Subunternehmerin eröffnet, und der Insolvenzverwalter teilte der Beklagten mit E-Mail vom 4. Dezember 2018 mit, nicht in den zwischen dieser und der Schuldnerin bestehenden Vertrag eintreten zu wollen. Die Beklagte beauftragte daher am 12. Dezember 2018 ein anderes Unternehmen mit der Fertigstellung der von der Schuldnerin begonnenen Montagearbeiten. Am 15. Februar 2019 waren die vereinbarten Montagearbeiten allesamt (durch die von der Beklagten anstelle der Schuldnerin beauftragten Unternehmen) sach- und fachgerecht abgeschlossen.
[3] Mit Schreiben vom 11. März 2019 beanspruchte die Beklagte von der Garantin den Garantiebetrag mit der Begründung, die Schuldnerin habe ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Um die Auszahlung des Garantiebetrags zu verhindern, beantragte die Klägerin, die gegenüber der Garantin die Haftung für sämtliche ausbezahlten Garantiebeträge übernommen hatte, am 19. März 2019 beim Bezirksgericht Linz die Erlassung einer entsprechenden einstweiligen Verfügung. Dieser Provisiorialantrag wurde jedoch mit Beschluss vom 2. April 2019 abgewiesen. Mit Schreiben vom 21. März 2019 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, die Inanspruchnahme der Garantie zu widerrufen, weil diese aufgrund des Vorliegens einer bloßen Anzahlungsgarantie rechtsmissbräuchlich sei.
[4] Die Garantin zahlte die Garantiesumme an die Beklagte und forderte diesen Betrag von der Klägerin mit Schreiben vom 15. März 2019 zurück. Die Klägerin hat den Gesamtbetrag von 104.422,50 EUR an die Garantin rückerstattet. Mit Schreiben vom 15. Mai 2019 bestätigte die Garantin gegenüber der Klägerin den Zahlungseingang und hielt fest, dass nun sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte aus der Garantie auf die Klägerin übergegangen seien.
[5] Die Klägerin begehrt, gestützt auf rechtsmissbräuchliche bzw unrechtmäßige Inanspruchnahme der Garantie durch die Beklagte, die Zahlung von 104.422,50 EUR sA. Es habe sich um eine bloße Anzahlungsgarantie gehandelt, auf die die Beklagte aufgrund der bis zur Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen der Schuldnerin keinen Anspruch (mehr) gehabt habe.
[6] Die Beklagte wendete insbesondere ein, es habe sich entgegen der Überschrift nicht um eine Anzahlungs-, sondern – inhaltlich und gemäß dem Parteiwillen – vielmehr um eine Erfüllungsgarantie gehandelt, weil sie die Sicherstellung der Erfüllung der Vertragsverpflichtungen der Schuldnerin bezweckt habe. Da die Leistung der Vertragspartnerin und Garantieauftraggeberin ausgeblieben sei, sei die Beklagte zur Inanspruchnahme der Garantie berechtigt gewesen, und zwar zur Abdeckung der ihr durch die (insbesondere wegen einer hohen Pönaleverpflichtung gegenüber dem Endkunden für den Fall der nicht rechtzeitigen Beendigung der Arbeiten) erforderliche Ersatzbeauftragung anderer Unternehmern entstandenen Mehrkosten, zumal der gesicherte Betrag nicht einmal annähernd an ihren Schaden heranreiche. Dieser Schaden von insgesamt 316.778,97 EUR werde compensando gegen die Klageforderung eingewendet.
[7] Das Erstgericht stellte die Klageforderung als mit 104.422,50 EUR zu Recht bestehend fest, wies die Aufrechnungseinrede der Beklagten ab, und verpflichtete diese daher zur Zahlung von 104.422,50 EUR sA an die Klägerin. Es traf über den oben zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt hinaus (ua) noch folgende von der Beklagten in ihrer Berufung bekämpfte Feststellungen:
Zum Zeitpunkt der Ausstellung der Anzahlungsgarantie war für beide Parteien klar (natürlicher Konsens), dass diese Garantie lediglich den geleisteten Garantiebetrag (Anzahlung) absichern sollte und mit Abarbeitung dieses Betrags auch die Garantie selbst hinfällig werden würde. Zudem wurde es mit der Beklagten besprochen, dass die Anzahlungsgarantie dann ausgedient hat, wenn die Leistungen diesem Betrag entsprechen.
Am 7. Dezember 2018 wurde zwischen dem Insolvenzverwalter und der Beklagten Übereinkunft darüber erzielt, dass die Beklagte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Leistungen im Gegenwert von 92.250 EUR von der Schuldnerin erhalten hat. Folglich ergab sich ein von der Beklagten noch zu zahlender (weil über die geleistete Anzahlung hinausgehender) Restbetrag von 4.500 EUR.
[8] In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, mit vollständiger Erstattung des von der Garantin geleisteten Betrags seien deren Ansprüche gegen die Beklagte, insbesondere der hier geltend gemachte Rückforderungsanspruch wegen unberechtigter Inanspruchnahme der Garantie, gemäß § 1358 ABGB auf die Klägerin übergegangen, sodass deren Aktivlegitimation zu bejahen sei. Bei der Garantie habe es sich um eine Anzahlungsgarantie gehandelt, die bloß den Anspruch auf Rückgabe der geleisteten Anzahlung für den Fall absichere, dass die angezahlte Ware nicht geliefert werde. Die Inanspruchnahme einer Bankgarantie sei rechtsmissbräuchlich, wenn sie zu einem anderen Zweck als jenem, zu dem sie gegeben worden sei, in Anspruch genommen werde. Dies sei hier der Fall, weil die Beklagte vor Inanspruchnahme des Garantiebetrags bereits den Gegenwert der Anzahlung übersteigende Leistungen von der Schuldnerin erhalten habe. Bei missbräuchlicher Inanspruchnahme stehe dem Garanten ein Rückzahlungsanspruch direkt gegen den Begünstigten zu, der gemäß § 1358 ABGB auf die Klägerin übergegangen sei. Den von der Beklagten aufrechnungsweise eingewendeten Schadenersatzanspruch könnte sie nur ihrer Vertragspartnerin (der Schuldnerin), nicht aber der Klägerin entgegenhalten.
[9] Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Beklagten das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Klägerin berufe sich zu ihrer Anspruchsberechtigung einerseits auf § 1358 ABGB und andererseits auf eine Abtretung sämtlicher Ansprüche der Schuldnerin gegen die Beklagte durch den Insolvenzverwalter. Die Ansicht des Erstgerichts, die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich gemäß § 1358 ABGB schon allein aufgrund der Einlösung des von der Garantin bezahlten Betrags, greife zu kurz, weil die Klägerin durch die Forderungseinlösung nur jene Rechte erwerben habe können, die der Garantin persönlich gegen die Klägerin zugestanden seien. In diesem Zusammenhang komme es entscheidend auf die Differenzierung zwischen unrechtmäßiger und rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Garantie an: Nach ständiger Rechtsprechung könne grundsätzlich nur der Auftraggeber einer Bankgarantie Bereicherungsansprüche gegen den aus der Garantie Begünstigten geltend machen, wenn diesem in Wahrheit kein Anspruch zugestanden sei. Eine Ausnahme davon mache die jüngere Rechtsprechung nur im Fall des rechtsmissbräuchlichen Abrufs der Garantie durch den Begünstigten. Soweit die Klägerin sich also bloß auf einen unrechtmäßigen Abruf der Garantie durch die Beklagte stütze, könne sie ihre Aktivlegitimation nicht aus § 1358 ABGB ableiten. Für die Beurteilung der Frage, ob das Verhalten der Beklagten als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen sei, komme es maßgeblich auf die zwischen dieser und der späteren Schuldnerin getroffenen Vereinbarungen zum Inhalt der Garantie an. Die vom Erstgericht in Bezug auf das Vorhandensein eines natürlichen Konsenses getroffenen Feststellungen seien zur Beurteilung der getroffenen Vereinbarung nicht ausreichend, weil sie bloß das Ergebnis einer rechtlichen Beurteilung darstellten. Juristische Personen könnten selbst keinen natürlichen Konsens begründen, sondern nur durch Willensäußerungen und -betätigungen ihrer Vertreter; einen Rechtsfolgewillen könne nur eine natürliche Person äußern. Insofern erlaubten die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen mangels festgestellter Äußerungen von Vertretern der Vertragsparteien keine Prüfung des Inhalts der zwischen ihnen getroffenen Vereinbarung zum Wesen der Garantie und schon gar keine abschließende Beurteilung, ob die Beklagte tatsächlich rechtsmissbräuchlich gehandelt habe. Nach der Rechtsprechung sei Rechtsmissbrauch nur anzunehmen, wenn der Begünstigte eine Leistung in Anspruch nehme, obwohl schon eindeutig feststehe, dass er keinen derartigen Anspruch gegen den Dritten habe und das Erhaltene daher jedenfalls sofort wieder herauszugeben hätte. Hingegen könne dem Begünstigten, der sich aus vertretbaren Gründen für berechtigt halte, kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, wenn ihm nicht eindeutig nachgewiesen werde, dass er keinen Anspruch habe. Rechtsmissbrauch sei auch dann anzunehmen, wenn der Begünstigte noch innerhalb der Leistungsfrist sichere Kenntnis von der mangelnden Existenz der gesicherten Forderung bzw dem dafür vorhandenen liquiden Beweis erhalte und dennoch auf Auszahlung der Garantiesumme bestehe. Die Feststellungen zum Inhalt der Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Schuldnerin setzten sich mit dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien zur Frage des Rechtsmissbrauchs nicht ausreichend auseinander. Insbesondere sei offen geblieben, inwieweit der Inhalt der nach der Behauptung der Beklagten von ihr selbst verfassten Garantieerklärung bereits Inhalt der Vereinbarung zwischen dieser und ihrer Auftragnehmerin gewesen sei, zumal zwischen den Parteien des Werkvertrags und jenen des Garantievertrags zu unterscheiden sei. Die Bezeichnung der Garantie als „Anzahlungsgarantie“ sei allein nicht ausschlaggebend. Das Erstgericht werde daher, wenn es die Aktivlegitimation auf Basis der eingelösten Forderung der Garantin prüfen wolle, Feststellungen zu treffen habe, die eine abschließende Beurteilung des behaupteten Rechtsmissbrauchs erlaubten. Die Aktivlegitimation der Klägerin könnte sich jedoch auch aus der behaupteten Zession der Ansprüche der Schuldnerin wegen (bloß) unberechtigter Garantieinanspruchnahme ergeben. Für diese Konstruktion sei die Stellung der Garantin und ein rechtsmissbräuchliches Handeln der Vertreter der Beklagten belanglos. Zu diesem Vorbringen habe das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen. Werde auf diesem Weg die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht, werde sich das Erstgericht auch mit den Gegenforderungen der Beklagten auseinanderzusetzen haben. Wegen der im weiteren Verfahren überhaupt erst zu prüfenden Aktivlegitimation der Klägerin sei derzeit (ua) auf die Beweisrüge der Beklagten nicht einzugehen.
[10] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage der Aktivlegitimation des Garanten bei rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Garantie zwei Rechtsprechungslinien vorlägen, sodass es zwangsläufig von einer davon abweichen habe müssen.
[11] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen, hilfsweise dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
[12] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Rekurs ist zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.
[14] 1. Die Rekurswerberin zieht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach ihre Aktivlegitimation – soweit sie auf die Zession des Anspruchs der Garantin gestützt wird – einen rechtsmissbräuchlichen Abruf der Garantie voraussetzt (vgl 9 Ob 9/16p, 9 Ob 28/19m), zu Recht nicht in Zweifel.
[15] 2. Eine Erfüllungsgarantie soll den Begünstigten in der Regel wirtschaftlich so stellen, wie wenn vollständig vertragsgemäß erfüllt worden wäre. Sie deckt insbesondere auch Verspätungsschäden und Mehrkosten von Ersatzunternehmen ab und steht insbesondere auch bei (berechtigtem) Vertragsrücktritt des Werkbestellers zur Verfügung (1 Ob 8/19m mwN). Charakteristikum einer Anzahlungsgarantie ist demgegenüber, dass nicht der sich aus dem Vertrag ergebende Anspruch auf die Hauptleistung abgesichert wird, sondern (nur) der Anspruch auf Rückgabe der geleisteten Anzahlung, sollte die angezahlte Ware (oder wie hier Leistung) nicht geliefert werden (1 Ob 44/07p mwN).
[16] 3. Der Abruf einer Bankgarantie ist nach der Rechtsprechung dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie vom Begünstigten (wissentlich) für ein Ereignis in Anspruch genommen wird, für das sie nicht übernommen wurde, oder wenn dem Begünstigten sonst bewusst war, dass ihm keine Leistung gebührt (RIS-Justiz RS0018027 [T8]). Rechtsmissbrauch liegt daher vor, wenn die Bankgarantie in der Absicht abgerufen wird, etwas zu begehren, das sofort wieder zurückzuerstatten ist, und damit die Gefahr eines Schadenseintritts (etwa infolge mangelnder Zahlungsfähigkeit des Begünstigten) besteht (4 Ob 2330/96t = RS0018027 [T12]). Für die Frage, ob die Beklagte die Garantie rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen hat, kommt es daher insbesondere im Hinblick auf die oben wiedergegebene (allerdings bekämpfte) Feststellung zum die Höhe der Anzahlung übersteigenden Wert der von der Subunternehmerin erbrachten Leistungen entscheidend darauf an, ob es sich um eine Erfüllungs- oder eine bloße Anzahlungsgarantie handelte.
[17] 4.1. Im Rekurs wird erkennbar die Ansicht vertreten, es bedürfe keiner Ergänzung des Sachverhalts, um eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie bejahen zu können. Dazu ist klarstellend festzuhalten, dass die von der Rekurswerberin (auf S 7 ihres Rechtsmittels) geforderte ex-post-Beurteilung der Frage, ob es sich um Rechtsmissbrauch handelte, nicht in Betracht kommt. Rechtsmissbrauch setzt nämlich definitionsgemäß ein von der Rechtsordnung verpöntes Motiv voraus; es kann deshalb keine Rede davon sein, dass Rechtsmissbrauch auch dann vorliegen könnte, wenn die Beklagte erst nach Abruf und Erhalt des Garantiebetrags Kenntnis von ihrer mangelnden Berechtigung erlangt hätte. Allerdings wurde bereits judiziert, dass Rechtsmissbrauch auch dann in Betracht kommt, wenn der Begünstigte zwar erst nach Abruf, aber doch noch innerhalb der vereinbarten oder nach den Regeln des § 904 ABGB bestimmten Leistungsfrist Kenntnis von der mangelnden Existenz der gesicherten Forderung bzw den dafür vorhandenen liquiden Beweisen erhält und dennoch auf Auszahlung der Garantieleistung beharrt (5 Ob 540/93; RS0017042). Grundsätzlich kommt es auf den Wissensstand bzw die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie an, ob dem Begünstigten der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu machen ist oder nicht (RS0017042 [T2]; 9 Ob 28/19m mwN).
[18] 4.2. Soweit das Berufungsgericht in diesem Sinn ergänzende Feststellungen zur abschließenden Beurteilung des Vorliegens von Rechtsmissbrauch für erforderlich erachtete, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RS0042179).
[19] 5. Hingegen bedarf es zur Klärung der Frage, welche Art von Garantie hier vorlag, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keiner Ergänzung des Beweisverfahrens:
[20] 5.1. Wegen des abstrakten Charakters der Garantie und dem daraus folgenden Grundsatz der formellen Garantiestrenge ist im Regelfall nur der Text der Garantieerklärung für die Interpretation maßgeblich, weil der Erklärungsempfänger der Garantieerklärung von vornherein keine Bedeutung unterstellen darf, die sich für ihn aus dem Grundverhältnis ergibt. Ist der Wortlaut der Garantieerklärung nicht eindeutig, ist nach § 914 ABGB aber auch auf die Absicht der Parteien Bedacht zu nehmen und der Vertrag so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (8 Ob 96/11t; RS0017670 [T10]). Dem steht der Grundsatz der formellen Garantiestrenge nicht entgegen, weil dieser kein Selbstzweck ist, sondern nur soweit trägt, als dies dem Willen der Vertragsparteien entspricht (RS0033002).
[21] 5.2. Bestand keine über den Wortsinn der Garantieurkunde hinausgehende übereinstimmende Parteiabsicht, kommt es nur auf den objektiven Erklärungswert der Urkunde, nicht aber darauf an, wie eine Partei diese subjektiv verstanden hat (RS0017783 [T4]). Da kein Anhaltspunkt für eine vor oder anlässlich der Ausstellung der Garantie getroffene Vereinbarung über deren Inhalt zwischen der Beklagten (= Begünstigten) und der Garantin besteht, ist also zunächst nur der Wortlaut der Garantie entscheidend.
[22] 5.3. Dieser ist nicht eindeutig: Für das Vorliegen einer bloßen Anzahlungsgarantie spricht neben der entsprechenden Überschrift auch der bereits vom Erstgericht hervorgehobene Umstand, dass die Garantiesumme exakt der nach dem Grundverhältnis (dem Auftrag vom 12. Juli 2018, Beilage ./2) zu leistenden Anzahlung (inklusive der deutschen MWSt) entsprach. Dagegen könnte jedoch sprechen, dass in der Garantie nicht, wie es für die Anzahlungsgarantie charakteristisch ist, die Bedingung aufgenommen wurde, dass sich die Haftungssumme fortlaufend in jenem Maß reduziert, in dem der Garantieauftraggeber gegenüber dem Begünstigten seine vertragliche Verpflichtung erfüllt hat, weil in dem Umfang, in dem die Anzahlung zweckentsprechend verwendet und die Gegenleistung erbracht wurde, auch kein weiterer Sicherungsbedarf mehr besteht (8 Ob 96/11t), sondern vielmehr festgehalten wurde, dass die Garantie zur Sicherstellung „der Erfüllung der Verpflichtungen […] im Zusammenhang mit der o.a. Bestellung“ übernommen werde.
[23] 5.4. Die nach § 914 ABGB mangels feststellbarer Absicht der Parteien relevante Übung des Verkehrs führt hier zu keinem Ergebnis, weil wegen der Abstraktheit der Garantie nicht auf das zugrundeliegenden Vertragsverhältnis zurückgegriffen werden kann und grundsätzlich sowohl eine Anzahlungs- als auch eine Erfüllungsgarantie möglich sind.
[24] 5.5. Es ist daher auf § 915 ABGB zurückzugreifen, wonach bei einem zweiseitig verbindlichen Vertrag, wie er im Fall einer Garantie regelmäßig vorliegt (Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 915 ABGB Rz 2 mwN), eine undeutliche Äußerung jenem zum Nachteil gereicht, der sich ihrer bedient hat. Da die Garantin, dem Wunsch der Beklagten entsprechend, bei der Formulierung der Garantie das von dieser übergebene Muster (Beilage ./26) verwendete, geht die unklare Formulierung der Garantie also zu Lasten der Beklagten, sodass vom Vorliegen einer bloßen Anzahlungsgarantie auszugehen ist.
[25] 5.6. Die Richtigkeit dieses Auslegungsergebnisses wird im Übrigen dadurch unterstrichen, dass die Beklagte selbst in ihrem Schreiben vom 11. März 2019 (Beilage ./G) ausdrücklich anführte, sie habe Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung, weshalb sie die Garantie ziehe.
[26] 6. Da es aber wegen der vom Berufungsgericht aufgetragenen Ergänzung der Tatsachengrundlage zur Frage des Rechtsmissbrauchs jedenfalls bei der Aufhebung zu bleiben hat, muss der Rekurs erfolglos bleiben.
[27] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO, hat doch das Rechtsmittel der Klägerin zur Klarstellung der Rechtslage beigetragen (RS0035976, RS0036035).
Textnummer
E129409European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E129409Im RIS seit
21.10.2020Zuletzt aktualisiert am
04.02.2022