Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Roch und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Heinz Robathin, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R* s.r.o., *, vertreten durch Flitsch Leuthner Leiter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Vertragsaufhebung und Einwilligung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2020, GZ 4 R 80/19t-80, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. April 2019, GZ 20 Cg 64/15p-76, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.897,85 EUR bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und die mit 10.674,25 EUR bestimmten Kosten der Revision (darin enthalten 8.587 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war Eigentümer einer Liegenschaft, die insofern seine Existenzgrundlage bildete, als er das darauf befindliche Haus zumindest teilweise vermietete. Als er ein darauf im ersten Rang besichertes Darlehen einer Bank nicht mehr zurückzahlen konnte, stand deren Zwangsversteigerung unmittelbar bevor. Der Kläger gelangte letztlich – nachdem er bei anderen Banken und einem Pfandhaus mit seinem Wunsch nach einem Darlehen gescheitert war – an die Beklagte. Diese war bereit, die Liegenschaft zu kaufen, dem Kläger wunschgemäß ein Wiederkaufsrecht einzuräumen und den Kaufpreis auch zum Teil zu bevorschussen. Dies hatte der in einer finanziell grundsätzlich schlechten Lage befindliche Kläger drängend gefordert. Nachdem die Beklagte dem zunächst zögerlichen Kläger erklärt hatte, er habe nur die Wahl, entweder den vorbereiteten Kaufvertrag zu unterschreiben oder eben nicht, war der Kläger schließlich mit der in Rede stehenden Variante einverstanden, zumal er sich durch das vereinbarte Wiederkaufsrecht abgesichert sah. Außerdem beabsichtigte er, mit einer durch den (Rest-) Kaufpreis finanzierten Erfindung eines besonderen („unsichtbaren“) Duschgel-Halters zu Geld zu kommen und dann auf das Haus gar nicht mehr angewiesen zu sein, was er auch zum Ausdruck brachte. Jedenfalls sah er keine andere Möglichkeit, aus seiner momentanen prekären Lage wieder herauszukommen, als zu unterschreiben.
[2] Der von einem Rechtsanwalt nach den Vorstellungen des Klägers und der Beklagten errichtete und am 28. 8. und 3. 9. 2013 unterzeichnete Kaufvertrag (./D) lautet auszugsweise:
„Der Kaufpreis beträgt € 200.000.-. Der Betrag von € 50.000.- wurde bereits als Anzahlung geleistet. […] Die Parteien erklären, den Kaufpreis nach gründlicher Abwägung aller preisbestimmenden Faktoren einvernehmlich festgesetzt zu haben und anerkennen diesen wechselseitig als angemessen. […] Die Übergabe und Übernahme des Kaufgegenstandes in den Besitz […] des Käufers […] erfolgt spätestens am 01. 09. 2014. […] Bis zu diesem Stichtag hat der Verkäufer alle Kosten, die mit der Benützung des Kaufgegenstandes verbunden sind, zu tragen. Die Mietzinse aus der Vermietung des Kaufobjektes stehen dem [richtig:] Verkäufer bis zu diesem Tag zu. […] Die Käuferin bietet hiermit dem Verkäufer an, den Kaufgegenstand um den Betrag von € 252.400.- zurückzukaufen. Dieses Angebot kann […] bis spätestens 01. 09. 2014 angenommen werden […]“.
[3] Bei der Festsetzung der Höhe des Wiederkaufspreises waren folgende Umstände berücksichtigt worden: Kaufpreis von 200.000 EUR, im Zusammenhang mit dem Liegenschaftserwerb stehende Gebühren und Kosten sowie die noch rund einjährige Nutzungsmöglichkeit der Liegenschaft für den Kläger.
[4] Im Oktober 2013 schlossen die Vertragsteile einen Nachtrag zum Kaufvertrag mit folgendem Wortlaut:
„Die Käuferin hat um die Versteigerung abzuwenden noch vor Unterzeichnung des Kaufvertrags den Betrag von 56.000 EUR aufgewendet, um die Liegenschaft lastenfrei zu stellen. Ebenso wird sie noch vor Rechtswirksamkeit des Kaufvertrages eine Akontozahlung in Höhe von 10.000 EUR direkt an den Verkäufer leisten. Die Vertragteile kommen daher überein, dass der auf das Treuhandkonto einzuzahlende Erlag um den Betrag von 56.000 EUR sowie den Betrag von 10.000 EUR reduziert wird.“
[5] Der Verkehrswert der Liegenschaft betrug im September 2013 330.000 EUR.
[6] Ob der Geschäftsführer und der Vertreter des Pfandhauses kollusiv zusammenwirkten, um den Kläger um seine Liegenschaft zu bringen, kann nicht festgestellt werden.
[7] Der Kläger begehrt von der Beklagten die Aufhebung des Kaufvertrags und die Abgabe der Erklärung, dass sie zur Wiederherstellung des früheren bücherlichen Standes in die Löschung des ob der Liegenschaft zu ihren Gunsten einverleibten Eigentumsrechts für den Kläger einwillige. Nach dem anfänglichen Versprechen des Vermittelns eines Darlehens über 120.000 EUR durch den Vertreter des Pfandhauses sei dem Kläger beschieden worden, dass die Umschuldung anders strukturiert werden müsse, und zwar mit einem Kaufvertrag unter der Bedingung des Wiederkaufs zugunsten eines in der Sphäre des Vertreters des Pfandhauses stehenden Investors, nämlich der Beklagten. Letztendlich habe die Beklagte eine Erhöhung des „Darlehensbetrages“ auf 150.000 EUR vorgeschlagen (was der Kläger aufgrund seiner damaligen finanziellen Situation gerne angenommen habe), was in einem weiteren Vertragsentwurf (der allerdings einen Kaufpreis von 200.000 EUR und eine fiktive Anzahlung von 50.000 EUR genannt habe) berücksichtigt worden sei, den die Parteien dann auch entsprechend unterfertigt hätten. Die Beklagte habe durch ihr kollusives Zusammenwirken mit dem Vertreter des Pfandhauses den Kläger zum Abschluss des Kaufvertrags gebracht. Die Behauptung einer Anzahlung von 50.000 EUR vor Errichtung des Kaufvertrags sei unrichtig. Der Kläger habe 52.141 EUR an Kaufpreisteilzahlungen erhalten. Für die Lastenfreistellung der Liegenschaft seien etwas unter 100.000 EUR aufgewendet worden, weshalb die Beklagte für den Ankauf der Liegenschaft im Wert von 450.000 EUR nur ca 150.000 EUR zugunsten des Klägers bezahlt und dem Kläger ein Wiederkaufsrecht um 252.400 EUR eingeräumt habe. Der Kläger strebe die Aufhebung des Kaufvertrags (soweit in dritter Instanz noch relevant) nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB (Wucher durch Ausnutzung der prekären Lage des Klägers) und nach § 871 ABGB (arglistige Irreführung über den Vertragstext im kollusiven Zusammenwirken mit einem Geldverleiher) an. Er habe das Wiederkaufsrecht rechtzeitig ausgeübt.
[8] Die Beklagte bestritt und erwiderte, der Vertreter des Pfandhauses habe ihr die Liegenschaft im Auftrag des Klägers zum Kauf angeboten. Darauf habe sie einen Kaufpreis von 200.000 EUR und das vom Kläger gewünschte Wiederkaufsrecht vorgeschlagen. Einschließlich einer auf Wunsch des Klägers an ihn geleisteten Anzahlung von 50.000 EUR vor Vertragsunterfertigung und einer weiteren Direktzahlung danach von 10.000 EUR habe die Beklagte in Summe 202.559,15 EUR zugunsten des Klägers aufgewendet. Den Preisverhandlungen sei der Verkehrswert der Liegenschaft laut einem Gutachten von 327.000 EUR zugrunde gelegen; das geringste Gebot habe die Hälfte, also 163.500 EUR betragen. Es sei die freie Entscheidung des Klägers gewesen, um 200.000 EUR zu verkaufen, er sei von der Beklagten zu nichts genötigt worden. Auf seinen Wunsch hin sei ihm auch das Recht eingeräumt worden, die Liegenschaft noch ein Jahr zu nutzen und Mietzinse zu lukrieren, die er auch erzielt habe; das sei mit einem Nutzen des Klägers im Wert von 30.000 EUR zu veranschlagen, der der Berechnung des Wiederkaufspreises ebenso zugrunde gelegt worden sei, wie der Kaufpreis, der von der Beklagten für den Kaufvertrag und dessen Verbücherung getragene Aufwand (für Vertragserrichtung von 3.100 EUR sowie Grunderwerbssteuer und Eintragungsgebühr von zusammen 9.200 EUR) und ein Veräußerungsgewinn der Beklagten von 10.100 EUR. Der Kläger habe von seinem Wiederkaufsrecht nach Ablehnung seines Wunsches um dessen Verlängerung nicht fristgerecht Gebrauch gemacht. Dem Einwilligungsbegehren hielt die Beklagte eine Zug-um-Zug-Einrede entgegen.
[9] Während das Erstgericht die Frage, ob der von den Streitteilen geschlossene Kaufvertrag samt vereinbartem Wiederkaufsrecht wegen Wuchers aufzuheben ist, neben allen anderen weiters geltend gemachten Rechtsgründen verneinte, gab das Berufungsgericht der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung teilweise Folge, indem es ein Teilurteil mit dem Ausspruch erließ, dass der strittige Kaufvertrag aufgehoben werde; es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zu. Im Übrigen, also zum Einwilligungsbegehren, hob es das angefochtene Urteil (ohne Zulässigkeitsausspruch) auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
[10] Es verwarf die Beweisrüge und folgerte rechtlich ua, für die Beklagte habe kein Zweifel bestanden, dass sich der Kläger in einer Zwangslage befand, benötigte er doch dringend einen bestimmten Geldbetrag, um eine Zwangsversteigerung abzuwenden. Dass er dabei auch bei einem Kaufpreis von 200.000 EUR die Liegenschaft jedenfalls zu einem ganz erheblich unter dem Verkehrswert liegenden Kaufpreis angeboten habe, beruhe auf dem weiteren Tatbestandsmerkmal des Leichtsinns, sei er doch offenbar davon ausgegangen, er werde rechtzeitig zu ausreichenden Geldmitteln kommen. Die Beklagte habe diese Situation insoweit ausgenutzt, als sie dem Kauf zum vorgeschlagenen geringen Preis zugestimmt und in der Folge einen Rückverkauf mit dem Argument verweigert habe, die vereinbarte Frist sei bereits abgelaufen. Der Kaufvertrag sei daher nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nichtig. Auch ein Vergleich mit § 1371 ABGB bestätige die Nichtigkeitsfolge.
[11] Da die Beklagte eine Zug-um-Zug-Einrede erhoben habe, erweise sich die Aufhebung der Entscheidung über das Leistungsbegehren als erforderlich, weil Feststellungen zu den geleisteten Zahlungen fehlten.
[12] Gegen das Teilurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klageabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Sie macht ua geltend, es liege kein auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, weshalb der Tatbestand des Wuchers nicht erfüllt sei.
[13] Der Kläger erstattete (ohne Freistellung) eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung der Revision begehrt und ihr im Übrigen inhaltlich entgegentritt.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil die Bejahung des Wuchertatbestands durch das Berufungsgericht nicht aufrecht zu erhalten ist:
[15] 1. Das Gesetz missbilligt mit der Bestimmung des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB die Ausbeutung eines Vertragspartners durch auffallende objektive Äquivalenzstörung der beiderseitigen Hauptleistungen in Fällen der gestörten Freiheit der Willensbildung (7 Ob 170/02d = RIS-Justiz RS0016864 [T4]; 9 Ob 37/18h). Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit eines Vertrags wegen Wuchers iSd § 879 Abs 2 Z 4 ABGB setzt dabei a.) das auffallende Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, b.) die mangelnde Wahrungsmöglichkeit der Äquivalenz durch den Bewucherten wegen Leichtsinns, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung sowie c.) die Ausnützung der Lage des Bewucherten durch den Wucherer voraus (RS0016861; RS0016864). Ob die Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0016861 [T1]; RS0016864 [T6]).
[16] 2. Wucher erfordert als objektives Merkmal zunächst eine grobe, leicht erkennbare Äquivalenzstörung, wobei die gesamten beiderseitigen Leistungswerte in ein Verhältnis zu setzen sind (RS0016947; RS0016912). Auffallend ist das Missverhältnis, wenn die Gegenleistung den Wert der Leistung bedeutend übersteigt, ohne dass die Übermäßigkeit durch besondere Umstände des Falls, etwa die Gewagtheit des Geschäfts, sachlich gerechtfertigt wäre (vgl RS0104128). Bloßes Fehlen der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit reicht nicht aus (RS0104128 [T1]).
[17] 2.1. Primär ist im vorliegenden Fall zur Beurteilung der Äquivalenz der beiderseitigen Leistungen der Wert der Liegenschaft dem Kaufpreis gegenüber zu stellen, der mit 200.000 EUR vereinbart wurde. Da der Kläger aber schon in erster Instanz damit argumentierte, die im Kaufvertrag ausgewiesene Anzahlung von 50.000 EUR sei tatsächlich nicht bezahlt worden, und er in der Berufung damit im Zusammenhang stehende ergänzende Feststellungen forderte, ist dazu vorweg Stellung zu nehmen.
[18] 2.2. Das Erstgericht stellte zum Zustandekommen des Kaufvertrags – vom Kläger unbekämpft – ua fest, dass er vor die Wahl gestellt, entweder den vorbereiteten Vertrag zu unterschreiben oder eben nicht, mit der Variante Kaufvertrag mit Wiederkaufsrecht einverstanden war und er den auch nach seinen Vorstellungen errichteten Kaufvertrag unterzeichnete. Zum behaupteten kollusiven Zusammenwirken des Geschäftsführers der Beklagten mit dem Vertreter des Pfandhauses traf es eine Negativfeststellung.
[19] Damit bleibt aber für ergänzende Feststellungen dahin, der Kläger sei mit dem Inhalt des von ihm unterschriebenen Kaufvertrags nicht einverstanden gewesen und er habe wegen des kollusiven Zusammenwirkens der Genannten tatsachenwidrig den Erhalt der Anzahlung von 50.000 EUR bestätigt, kein Raum. Der Vorwurf des rechtlichen Feststellungsmangels kann aber dann nicht erfolgreich erhoben werden, wenn zu einem bestimmten Thema ohnehin Feststellungen (und seien es auch Negativfeststellungen) getroffen wurden, diese aber den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers zuwiderlaufen (RS0043480 [T15]; 4 Ob 91/19i; 7 Ob 37/17t).
[20] Den weiteren Überlegungen ist daher der vereinbarte Kaufpreis von 200.000 EUR zugrunde zu legen, wovon auch das Berufungsgericht ausging. Aus diesem Grund liegt auch der in der Revision gerügte Feststellungsmangel zu den Zahlungen der Beklagten nicht vor.
[21] 2.3. Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, die gesamten beiderseitigen Leistungswerte in ein Verhältnis zu setzen, macht die Revision aber zu Recht geltend, dass auch der weitere Inhalt des Kaufvertrags zu beachten ist.
[22] Die Beklagte verwies schon in erster Instanz darauf, dass der Kläger die Liegenschaft bis 1. September 2014, also für fast ein Jahr nutzen sowie tatsächlich erzielte Mietzinse lukrieren konnte und dieser Nutzen mit 30.000 EUR zu bewerten sei. Dieser Behauptung trat der Kläger nicht substantiiert entgegen, obwohl er als Anfechtender das Vorliegen der Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB, insbesondere ein auffallendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu behaupten und zu beweisen hat (RS0016915; RS0016912 [T2]). Wenn der Kläger dennoch kein konkretes Gegenvorbringen dazu erstattete, obwohl er dem Vorbringen der Beklagten im Übrigen umfangreich entgegentrat und es ihm auch leicht widerlegbar war, ist ein Zugeständnis durch bloß unsubstantiiertes Bestreiten anzunehmen (RS0039927), weshalb es keiner Feststellungen dazu bedarf. Das gilt auch für die Behauptung der Beklagten, im Zwangsversteigerungsverfahren sei das geringste Gebot mit 163.500 EUR festgesetzt worden, und zum von ihr für den Kaufvertrag und dessen Verbücherung getragenen Aufwand.
[23] 2.4. Somit ist davon auszugehen, dass der Kläger aus dem Kaufvertrag an Leistungen (Kaufpreis und bezogene Mietzinse) und Aufwandersparnis (ersparte Wohnkosten) insgesamt 230.000 EUR lukriert hat, welcher Betrag etwa 70 % des Verkehrswerts der Liegenschaft entspricht. Der Kläger musste aber angesichts der unmittelbar bevorstehenden Zwangsversteigerung der Liegenschaft bei seiner Entscheidung über den Kaufvertrag auch in Betracht ziehen, dass er sein Grundeigentum verlieren, aber nur den halben Verkehrswert (163.500 EUR) erzielen werde. Im Vergleich zu diesem, nach der Aktenlage keineswegs auszuschließenden „worst case“ stellt der mit dem Kaufvertrag erzielte Gegenwert ein Plus von ca 40 % und damit zweifellos eine beträchtlich bessere Verwertung dar. Schließlich muss das dem Kläger eingeräumte Wiederkaufsrecht bedacht werden. Er konnte es nämlich zu einem Preis (252.400 EUR) ausüben, der den Verkehrswert (330.000 EUR) ebenfalls nicht unerheblich unterschritt, weil sich der Wiederkaufspreis (sachlich durchaus gerechtfertigt) am vom Kläger aus dem Kaufvertrag von der Beklagten gezogenen Nutzen und an dem von der Beklagten getragenen Aufwand für den (ersten) Kaufvertrag und dessen Verbücherung orientierte und den so berechneten Gesamtaufwand der Beklagten von 242.300 EUR um nur 10.100 EUR (das sind nicht einmal 5 % der vom Kläger erhaltenen Gegenleistung) überstieg. Angesichts der (auch der Beklagten offengelegten) Erwartung des Klägers, über eine Erfindung „zu Geld zu kommen“, bestand damit die für ihn offensichtlich nicht völlig unrealistische Chance, innerhalb des keineswegs kurz bemessenen Zeitraums von einem Jahr wieder das Eigentum an „seiner“ Liegenschaft zu einem Preis zu erlangen, der deren Verkehrswert wesentlich (um etwa 24 %) unterschritt und den selbst erlangten Nutzen nur geringfügig (um nicht einmal 10 %) überschritt.
[24] 2.5. Die gebotene Gesamtbetrachtung führt somit zum Ergebnis, dass kein auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, weshalb die Anfechtung nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB schon deshalb erfolglos bleiben muss. Einer Prüfung der weiteren Tatbestandsmerkmale bedarf es daher nicht.
[25] 3. Eine in der Berufung ebenso geltend gemachte arglistige Irreführung des Klägers (gemeint offenbar) über den Inhalt des Vertrags ist auszuschließen, weil feststeht, dass der Kaufvertrag auch nach den Vorstellungen des Klägers verfasst wurde und er damit einverstanden war. Daher ist seine Kenntnis vom gewählten Vertragstext zu unterstellen.
[26] 4. Die Überlegungen des Berufungsgerichts zu dem noch in erster Instanz vom Kläger angesprochenen weiteren Rechtsgrund für die Unwirksamkeit des Kaufvertrags, und zwar wegen Verstoßes gegen § 1371 ABGB sind nicht relevant. Der Kläger kam darauf nämlich in der Berufung nicht mehr zurück und hat damit diesen selbständigen Rechtsgrund fallengelassen, sodass dieser in zweiter Instanz nicht mehr zu überprüfen war (RS0043338 [T32]).
[27] 5. Somit ist das abweisende Ersturteil zum ersten Klagebegehren auf Rechtsgestaltung wiederherzustellen.
[28] Dem Aufhebungsbeschluss fehlt zwar ein Zulässigkeitsausspruch, jedoch steht das erfolglose Rechtsgestaltungsbegehren mit dem weiteren, von der Aufhebung betroffenen Klagebegehren auf Einwilligung in die Wiederherstellung des früheren bücherlichen Stands insofern in untrennbarem Sachzusammenhang, als das Scheitern des ersten auch zwingend das Scheitern des daran anknüpfenden zweiten Begehrens zur Folge hat. Daher kann vom Obersten Gerichtshof auch über das zweite Klagebegehren entschieden werden (vgl RS0040804 [T4]).
[29] Der Revision ist somit Folge zu geben und das Ersturteil zur Gänze einschließlich der unbekämpft gebliebenen Kostenentscheidung wiederherzustellen.
[30] 6. Die Entscheidung betreffend die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens beruht auf § 41 Abs 1 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO.
[31] Die in der Berufungsbeantwortung und der Revision verzeichnete Umsatzsteuer ist nicht zuzusprechen. Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer – wie hier die Beklagte – unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Mit einer kommentarlosen Verzeichnung von 20 % Umsatzsteuer wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (RS0114955). Da der Normalsteuersatz für die Tschechische Republik nicht allgemein bekannt ist, könnte ausländische Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird, was hier nicht der Fall war (RS0114955 [T4]).
[32] ERV-Gebühr steht für die Revision nur im Ausmaß von 2,10 EUR (§ 23a RATG) zu.
Textnummer
E129407European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E129407Im RIS seit
21.10.2020Zuletzt aktualisiert am
04.02.2022