TE Vfgh Erkenntnis 2020/9/21 E4673/2019

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Veröffentlicht am 21.09.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §9 Abs1, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; keine Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, wurde in Afghanistan geboren und übersiedelte im Alter von vier Jahren mit seinen Zieheltern in den Iran, wo er zehn Jahre bis zu seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2015 lebte. Er stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 11. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm gemäß §8 Abs1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß §8 Abs4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Begründend wurde zur Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer angesichts seines jungen Alters, der mangelnden Unterstützungsmöglichkeit durch seine Familie und der allgemein schlechten Sicherheitslage in seinem Herkunftsstaat im Fall seiner Rückkehr mit Schwierigkeiten im existenzgefährdenden Ausmaß zu rechnen gehabt hätte.

Mit Eingabe vom 29. November 2018 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung. Am 1. Jänner 2019 wurde der Beschwerdeführer volljährig.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7. Februar 2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und die mit Bescheid vom 11. Jänner 2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß §9 Abs4 AsylG 2005 entzogen. Darüber hinaus wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung zulässig ist und eine vierzehntägige Frist für die Ausreise festgesetzt.

4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 8. November 2019 als unbegründet ab.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht im Wesentlichen davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weggefallen seien, weil dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner in Österreich gesammelten Berufserfahrung und der dadurch gewonnenen Selbständigkeit nunmehr eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe. Zudem sei §8 Abs1 AsylG 2005 unionskonform einschränkend auszulegen und nur in jenen Fällen subsidiärer Schutz zu gewähren, wenn der ernsthafte Schaden durch das Verhalten eines Dritten (Akteure) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe. Diese Voraussetzungen seien bei der Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat nicht gegeben.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheits-lage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017; vgl im vorliegenden Zusammenhang zuletzt insbesondere VfGH 12.12.2019, E236/2019; 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3350/2019; 12.12.2019, E3369/2019).

3.3. Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellungen, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018.

3.4. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass eine aktuelle und spezifische Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers, der seit seinem vierten Lebensjahr im Iran gelebt hat und aufgewachsen ist, vorliegt. Die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 (ebenso nach dem Stand der aktuelleren Fassung aus Juni 2019) enthält eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben:

Aus dem Bericht des EASO geht hervor, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungs-netzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanis-tan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

3.5. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese – zum Entscheidungszeitpunkt bereits veröffentlichte – maßgebliche Information nicht berücksichtigt, hat es seine Entscheidung auf veraltete Länderberichte gestützt und damit die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen (vgl VfGH 12.12.2019, E236/2019; 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019 E3350/2019; ferner 12.12.2019, E3369/2019).

3.6. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage verkannt, wenn es davon ausgeht, dass bei der Prüfung der Aberkennung des subsidiären Schutzes nur die Bedrohung durch die Todesstrafe oder durch einen bewaffneten Konflikt und eine damit zusammenhängende Verletzung von Art2 und 3 EMRK zu berücksichtigen sei (vgl dazu VfGH 4.12.2019, E1199/2019; 12.12.2019, E2128/2019).

3.7. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich somit schon aus diesen Gründen im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK als verfassungswidrig. Sie ist im Hinblick auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten des Beschwerdeführers und den daran anknüpfenden übrigen Spruchinhalt mit Willkür behaftet und daher zu Gänze aufzuheben.

3.8. Mit Blick auf die dargestellte Berichtslage und die wiedergegebene Rechtsprechung bedarf es daher im fortgesetzten Verfahren einer Begründung, auf Grund welcher außergewöhnlichen Umstände es dem Beschwerdeführer, der seit seinem vierten Lebensjahr bis zur Einreise ins Bundesgebiet im Iran lebte, dennoch möglich sein könnte, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne dass er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 EMRK und Art3 EMRK verletzt wird (vgl auch VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4673.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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