TE Vfgh Erkenntnis 2020/9/22 E670/2020 ua

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Veröffentlicht am 22.09.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §4a, §57
FremdenpolizeiG 2005 §61
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz und Anordnung der Außerlandesbringung einer Mutter und ihrer zwei minderjährigen Kinder nach Griechenland mangels ausreichender Auseinandersetzung mit der dortigen Versorgungssituation

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind staatenlos und stellten am 29. Juli 2019 Anträge auf internationalen Schutz. Mit Schreiben vom 6. September 2019 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin und ihre beiden minderjährigen Söhne seit 22. September 2017 in Griechenland international schutzberechtigt sind.

2. Bei ihrer Befragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die Erstbeschwerdeführerin zu einer Rückkehr nach Griechenland unter anderem folgendes vor:

"Die Struktur für eine alleinerziehende Frau und zwei minderjährige[…] Kinder[…] ist sehr miserabel. Mein Sohn wurde durch medizinische Vernachlässigung krank. Ich musste dort für den Alltag stark kämpfen. Ich konnte nicht mal die Grundbedürfnisse meiner Kinder befriedigen, wenn ich dann gleichzeitig arbeiten und auf die Kinder aufpassen müsste. Nicht mal Schulen gab es dort. Ich war neun Monate mit meinen Kindern in einem Plastikzelt. Dort haben wir gelebt. In Lesbos haben wir gelebt. Aus Verzweiflung bin ich weiter nach Athen gegangen und dort war nicht mal eine Grundversorgung möglich. Schulen werden als Unterkünfte verwendet. In diesen besetzten Schulen leben viele Flüchtlinge. Anschließend wurden wir außerhalb von Athen in einem Wohnwagen untergebracht. Dort wurde ich um 2 Uhr in der Früh von einem betrunkenen Mann überfallen, mit der Absicht mich zu vergewaltigen. Ich habe mich gerade noch wehren können. Im letzten Moment haben Nachbarn eingegriffen und diese haben mich dann gerettet. In diesem Camp wurde ich daraufhin psychotherapeutisch und von einem Psychiater parallel behandelt. Danach wurde ich mit den Kindern in ein Kloster versetzt. Das Zimmer war nicht größer als 2 x 2 Meter mit einer gemeinsamen Küche und einem Bad. D[a]s Leben dort ist kompliziert."

Mit Bescheiden jeweils vom 9. Jänner 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz als unzulässig zurück und sprach aus, dass sie nach Griechenland zurückzukehren hätten. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Griechenland zulässig sei. Begründend wird auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, Griechenland gewährleiste ausreichend Schutz für Flüchtlinge, es bestehe ein Anspruch auf die gleichen sozialstaatlichen Möglichkeiten wie bei Staatsangehörigen. Zwar sei der gleichberechtigte Zugang in der Praxis durch verschiedene Faktoren erschwert und entspreche der Standard griechischer Unterbringungseinrichtungen möglicherweise nicht dem österreichischen Standard, doch ergebe sich aus den Länderberichten auch, dass Schutzberechtigte im Hinblick auf ihre Unterbringung und Versorgung auf Hilfsangebote von Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen könnten und die grundlegenden Versorgungsgarantien gewährleistet wären. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass die beschwerdeführenden Parteien keinerlei Existenzgrundlage vorfänden. Angesichts dessen, dass es ihnen bereits möglich gewesen sei, drei Jahre in Griechenland zu leben, sei eine konkret drohende Verletzung in den gemäß Art3 EMRK gewährleisteten Rechten nicht zu erwarten.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11. Februar 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Die Verwaltungs- und Gerichtsakten wurden vom Verwaltungsgerichtshof übermittelt. Das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

4. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um besonders schutzbedürftige Personen (alleinerziehende Frau mit zwei Kindern im Alter von acht und fünf Jahren) handelt, hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung über die Rückkehr im vorliegenden Fall mit der Gewährleistung der grundlegenden Existenzsicherung in Griechenland, insbesondere der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer geeigneten Unterkunft, unzureichend auseinandergesetzt. Der pauschale Verweis darauf, dass die beschwerdeführenden Parteien in Griechenland drei Jahre lang gelebt hätten, wird der Situation der beschwerdeführenden Parteien – vor allem angesichts des diesbezüglichen Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl – nicht gerecht. Die Annahme, die beschwerdeführenden Parteien könnten diesbezüglich auch auf Hilfsangebote von Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen, ist zudem mit den zitierten Länderberichten so nicht in Einklang zu bringen (vgl VfGH 28.11.2019, E1208/2019 ua).

III. Ergebnis

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E670.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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