Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art22Leitsatz
Zurückweisung von Anträgen auf Feststellung der Kompetenz der Volksanwaltschaft zur Prüfung von Gnadenverfahren sowie auf Zuerkennung der Parteistellung bzw des Beitritts als Nebenintervenient im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof; keine Durchsetzbarkeit der Hilfeleistungsverpflichtung der Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden gegenüber der Volksanwaltschaft in einem Verfahren gem Art148f B-VG; keine Geltendmachung des Vorliegens einer Meinungsverschiedenheit über die Zuständigkeit der VolksanwaltschaftSpruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1. Die Volksanwaltschaft stellte zu AZ KV 3/95 mit Berufung auf Art148 f B-VG iVm §36 g VerfGG 1953 den Antrag, "der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, daß die Prüfung von Gnadenverfahren nach dem XXX. Hauptstück der StPO 1975 idgF uneingeschränkt in die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft gemäß Art148 a Abs1 und 2 B-VG fällt".
1.2.1. Der - zur Äußerung zum Antrag der Volksanwaltschaft eingeladene - Bundesminister für Justiz gab eine schriftliche Stellungnahme ab, in der er für die Zurückweisung, hilfsweise aber für die Abweisung des Antrags eintrat.
1.2.2. Der Bundesminister für Justiz führte in seiner Stellungnahme ua. aus:
"... In meinem ... Schreiben vom 24. November 1994 habe ich ausdrücklich festgehalten, daß das Gnadenverfahren unzweifelhaft eine Verwaltungsangelegenheit darstelle, weshalb die Einhaltung des in den §§507 ff. StPO geregelten Verfahrens (uneingeschränkt) der Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft unterliege. Meine übrigen Ausführungen bezogen sich hingegen auf die in den Anlaßfällen begehrte Auskunft der Volksanwaltschaft, welche Gründe 'einer positiven Beurteilung' (bzw. 'für die Ablehnung', bzw. 'für die Abweisung') der Gnadengesuche 'entgegenstehen' (bzw. 'maßgeblich waren').
Der Sache nach begehrte die Volksanwaltschaft daher ersichtlich Auskunft über die für mich - als von der Bundesregierung entsprechend ermächtigtem Bundesminister - maßgebenden Gründe, dem Bundespräsidenten in den Anlaßfällen einen Gnadenvorschlag nicht zu erstatten (vgl. §507 StPO). Darüber besteht die Meinungsverschiedenheit zwischen der Volksanwaltschaft und mir, weil ich die Erteilung der begehrten Auskünfte abgelehnt habe.
Der Kern dieser Meinungsverschiedenheit liegt daher in der Auslegung des Art148 b Abs1 B-VG. Da sich der Antrag jedoch auf diese Bestimmung nicht stützt, haftet ihm ein unbehebbarer Mangel nach §15 Abs2 VfGG an. Dieser Mangel wirkt sich auch auf die erforderliche Bestimmtheit des Begehrens aus, weil die Feststellung der 'uneingeschränkten Prüfungskompetenz' in Gnadenverfahren keine Aussage darüber beinhaltet, ob der Bundesminister für Justiz im Einzelfall berechtigt und verpflichtet ist, der Volksanwaltschaft die Gründe für das Unterlassen eines Gnadenvorschlags mitzuteilen.
Dem Antrag der Volksanwaltschaft mangelt es daher sowohl an den allgemeinen als auch an den besonderen Prozeßvoraussetzungen."
2. Über den Antrag der Volksanwaltschaft wurde erwogen:
2.1.1. Art148 f B-VG iVm §36 g VerfGG 1953 idF BGBl. 510/1993 legt fest, daß der Verfassungsgerichtshof auf Antrag ua. der Volksanwaltschaft zu entscheiden hat, wenn "zwischen der Volksanwaltschaft und der Bundesregierung oder einem Bundesminister Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen (entstehen), die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regeln", so folglich auch über die Auslegung des Art148 a B-VG.
2.1.2. Eine solche Meinungsverschiedenheit zwischen der Antragstellerin und dem Bundesminister für Justiz über die Auslegung des Art148 a B-VG in Beziehung auf die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zur "Prüfung von Gnadenverfahren nach dem XXX. Hauptstück der StPO 1975 idgF", wie der Gegenstand des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof im Antrag der Volksanwaltschaft bezeichnet und umschrieben wurde (s. Pkt. 1.1.), liegt hier nicht vor:
Der Bundesminister für Justiz macht, wie die Aktenlage ergibt, nämlich mit Recht geltend, daß er in seinem an die Volksanwaltschaft gerichteten Schreiben vom 24. November 1994 - auf das der Antrag nach Art148 f B-VG gestützt wurde - festgehalten habe, das Gnadenverfahren sei eine Verwaltungsangelegenheit und die Einhaltung des in den §§507 ff. StPO (im Abschnitt "Vom Gnadenverfahren" im XXX. Hauptstück der StPO) geregelten Verfahrens unterliege unzweifelhaft der Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft.
2.1.3. Die Volksanwaltschaft geht in ihrem Antrag an den Verfassungsgerichtshof davon aus, daß sie den Bundesminister für Justiz im Jahre 1994 aus Anlaß von Beschwerden der Gnadenwerber Dr. F W K, C K und F H erfolglos um Eröffnung der Gründe ersucht hatte, die einer positiven Beurteilung der Gnadengesuche dieser Personen entgegenstanden.
Dem Bundesminister für Justiz ist beizupflichten, wenn er im verfassungsgerichtlichen Verfahren einwendet, daß nach den eben wiedergegebenen Behauptungen der Volksanwaltschaft im schriftlichen Antrag eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung (nicht des im Antrag allein bezogenen Art148 a B-VG, sondern) nur des Art148 b B-VG bestehe. Diese Verfassungsnorm bestimmt in ihrem Abs1, daß "alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden ... die Volksanwaltschaft bei der Besorgung ihrer Aufgaben zu unterstützen, ihr Akteneinsicht zu gewähren und auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (haben)". Damit wird aber, wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Beschluß vom 2. Oktober 1991, VfSlg. 12835/1991, aussprach, keine (wie immer beschaffene) Zuständigkeit der Volksanwaltschaft begründet; vielmehr werden - in Ergänzung der allgemeinen Hilfeleistungsverpflichtung nach Art22 B-VG - alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden zur Unterstützung der Volksanwaltschaft (bei Besorgung ihrer Aufgaben) verhalten: So haben nach Art148 b Abs1 B-VG alle Organe des Bundes der Volksanwaltschaft auf Verlangen die erforderlichen "Auskünfte" zu erteilen. Zu solchen von der Volksanwaltschaft abverlangten Auskünften, die offenbar ministerielle Überlegungen betrafen, die aus den Ministerialakten nicht hervorgingen, fand sich der Bundesminister für Justiz offenbar nicht bereit.
Die Erfüllung einer aus Art148 b Abs1 B-VG resultierenden Verpflichtung eines Organs des Bundes, wie sie die Volksanwaltschaft einmahnt, läßt sich indessen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 12835/1991) in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren nach Art148 f B-VG, dem die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten in der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen über die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft vorbehalten ist, nicht durchsetzen.
2.1.4. Demgemäß fehlt es an einer zwingenden formalen Antragsvoraussetzung, und zwar an der Geltendmachung und Behauptung einer Meinungsverschiedenheit über eine die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regelnde gesetzliche Bestimmung, sodaß der Antrag als unzulässig zurückgewiesen werden mußte.
2.2. In gleicher Weise war mit dem Antrag des Dr. F W K auf "Zuerkennung der Parteistellung" und "Beitritt als Nebenintervenient" zu verfahren, weil das VerfGG 1953 Einschreitern im Administrativverfahren, das der Volksanwaltschaft Anlaß zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art148 f B-VG bietet, vor dem Verfassungsgerichtshof keine Parteistellung zuerkennt und auch ein Beitritt als Nebenintervenient nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 2614/1953, 8042/1977), an der festgehalten wird, keinesfalls in Betracht kommen kann.
2.3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Amtshilfe, Volksanwaltschaft, VfGH / Kompetenzfeststellung, VfGH / Verfahren, VfGH / Parteien, Strafprozeßrecht, GnadenrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:KV3.1995Dokumentnummer
JFT_10048871_95KV0003_00