TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/9 Ra 2020/22/0121

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Veröffentlicht am 09.09.2020
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §293
NAG 2005 §11
NAG 2005 §11 Abs2 Z2
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §11 Abs6
NAG 2005 §11 Abs6 idF 2018/I/056
NAG 2005 §2 Abs1 Z15
NAG 2005 §2 Abs1 Z15 idF 2018/I/056
NAG 2005 §43a Abs1 Z1
NAG 2005 §43a Abs1 Z2
NAG 2005 §43a Abs1 Z2 idF 2018/I/056
NAG 2005 §43a Abs2
NAG 2005 §43a Abs2 idF 2018/I/056

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. April 2020, VGW-151/083/15626/2019-16, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        W-D C verfügte zunächst über Aufenthaltsbewilligungen als Schüler bzw. Student und danach über eine „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ gemäß § 43a Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für selbständige Erwerbstätigkeit mit Gültigkeit bis 27. September 2018.

2        Verfahrensgegenständlich ist sein Verlängerungsantrag vom 13. August 2018. Dieser wurde vom Landeshauptmann von Wien (Revisionswerber) wegen fehlender Nachweise über den ausreichenden Lebensunterhalt abgewiesen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde des W-D C ab und erklärte eine ordentliche Revision als unzulässig.

Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, bei § 43a Abs. 1 Z 2 NAG, wonach im Fall der Selbständigkeit der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt werden müsse, das der Drittstaatsangehörige aus seiner künstlerischen Tätigkeit beziehe, handle es sich um eine besondere Erteilungsvoraussetzung, die nicht durch eine Haftungserklärung substituiert werden könne (Hinweis auf VwGH 17.9.2019, Ra 2018/22/0264). Die im Akt aufliegende Haftungserklärung sei daher unbeachtlich. Da der Mitbeteiligte seinen Unterhalt nicht durch das Einkommen, das er aus seiner künstlerischen Tätigkeit beziehe, decken könne, sei die Beschwerde wegen des Fehlens der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG abzuweisen gewesen.

4        Dagegen richtet sich die außerordentliche Amtsrevision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5        In der Zulässigkeitsbegründung wird zusammengefasst vorgebracht, es fehle eine gesicherte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wie sich § 43a Abs. 1 Z 2 letzter Halbsatz NAG zu § 43a Abs. 2 erster Satz leg. cit. verhalte (Hinweis auf VwGH 17.9.2019, Ra 2018/22/0264, und VfGH 11.6.2018, E 4360/2017).

6        Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig; sie ist aber nicht begründet.

7        § 2 Abs. 1 Z 15, § 11 Abs. 6 und § 43a NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, lauten:

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1.   ...

15.  Haftungserklärung: die von einem österreichischen Notar oder einem inländischen Gericht beglaubigte Erklärung Dritter mit mindestens fünfjähriger Gültigkeitsdauer, dass sie für die Erfordernisse einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel aufkommen und für den Ersatz jener Kosten haften, die einer Gebietskörperschaft bei der Durchsetzung einer Rückkehrentscheidung, eines Aufenthaltsverbotes, einer Ausweisung, einer Zurückschiebung, der Vollziehung der Schubhaft oder als Aufwendung für den Einsatz gelinderer Mittel, sowie aus dem Titel der Sozialhilfe oder eines Bundes- oder Landesgesetzes, das die Grundversorgungsvereinbarung nach Art. 15a B-VG, BGBl. I Nr. 80/2004, umsetzt, entstehen, und die Leistungsfähigkeit des Dritten zum Tragen der Kosten zum Zeitpunkt der Erklärung nachgewiesen wird;

16.  ...

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn ...

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs. 2 Z 2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) ...

Niederlassungsbewilligung - Künstler

§ 43a. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine ‚Niederlassungsbewilligung - Künstler‘ ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1.   im Fall der Unselbständigkeit eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1 Z 6 AuslBG vorliegt oder

2.   im Fall der Selbständigkeit deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen.

(2) Eine Haftungserklärung ist zulässig. § 47 Abs. 5 gilt sinngemäß.“

8        Im hg. Erkenntnis Ra 2018/22/0264 wird ausgeführt, „dass das Verhältnis der Zulassung einer Haftungserklärung in § 43a Abs. 2 erster Satz NAG zur Vorgabe des § 43a Abs. 1 Z 2 letzter Halbsatz NAG für selbständige Künstler nicht völlig klar erscheint. Zu beachten ist allerdings, dass eine Haftungserklärung jedenfalls im Anwendungsbereich der Z 1 des § 43a Abs. 1 NAG (bei unselbständigen Künstlern) möglich ist und dass die Haftungserklärung nach § 2 Abs. 1 Z 15 NAG auch dem Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft (im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG) dienen kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Vorgabe des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG um eine besondere Erteilungsvoraussetzung handelt, während die Haftungserklärung, wie sich § 11 Abs. 6 NAG entnehmen lässt, dem Nachweis einzelner allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen (konkret der Z 2 und 4 des § 11 Abs. 2 NAG) dient. Da für die Erfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG nur die Einkünfte des Antragstellers aus seiner künstlerischen Tätigkeit heranzuziehen sind und dies nicht durch eine Haftungserklärung substituiert werden kann, kann es insoweit auch nicht zu der von der Revisionswerberin als fragwürdig erachteten Ungleichbehandlung von eigenen und fremden Vermögenswerten kommen.“ Diesem Verfahren lag zugrunde, dass zwar keine Haftungserklärung vorlag, die Revisionswerberin jedoch über Einkünfte aus der Vermietung einer Wohnung verfügte und daher eine vermeintliche Ungleichbehandlung zwischen der Sicherung des Lebensunterhaltes im Weg einer Haftungserklärung und dem Rückgriff auf eigene Vermögenswerte bei Beurteilung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG rügte.

9        Der Verfassungsgerichtshof betonte in seinem Erkenntnis E 4360/2017, dass eine Haftungserklärung gemäß § 43a Abs. 2 NAG sowohl bei unselbständigen Künstlern als auch bei selbständigen Künstlern zulässig sei, wobei der Aufenthaltstitel Künstler nur jenen selbständigen Künstlern gewährt werden solle, deren künstlerische Tätigkeit eine gewisse Intensität erreiche; dies nehme der Gesetzgeber an, wenn der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt sei. Werde eine Haftungserklärung für einen selbständigen Künstler abgegeben, bleibe hinsichtlich der Intensität der Tätigkeit lediglich zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sei.

10       Gemäß § 43a Abs. 2 NAG ist die Abgabe einer Haftungserklärung sowohl für unselbständige als auch für selbständige Künstler zulässig. Dass durch eine Haftungserklärung für selbständige Künstler die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 und 4 NAG substituiert werden können, wurde im hg. Erkenntnis Ra 2018/22/0264 bereits klargestellt. Hinsichtlich der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG betonte der Verfassungsgerichtshof, der Aufenthaltstitel Künstler solle nur jenen selbständigen Künstlern gewährt werden, deren künstlerische Tätigkeit eine gewisse Intensität erreiche, wovon auszugehen sei, wenn der Unterhalt durch dieses Einkommen gedeckt sei.

In § 43a Abs. 1 Z 2 NAG wird nicht auf § 11 Abs. 2 Z 4 bzw. Abs. 5 NAG betreffend ausreichende Unterhaltsmittel, deren Vorliegen sich an den Richtsätzen des § 293 ASVG orientiert, verwiesen. Diese gemäß § 11 Abs. 5 NAG erforderlichen Unterhaltsmittel können einerseits - sofern dies beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt ist (§ 11 Abs. 6 NAG) - durch eine Haftungserklärung substituiert werden, andererseits können für deren Nachweis beispielsweise Sparguthaben (vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2019/22/0151, Rn. 14), Fondsvermögen (VwGH 3.6.2020, Ra 2019/22/0165, 0166, Rn. 28), Einkünfte aus der Vermietung einer Immobilie (vgl. VwGH 27.7.2017, Ra 2017/22/0082), udgl. berücksichtigt werden. Solche Vermögenswerte sind hingegen nicht geeignet, eine überwiegende künstlerische Tätigkeit nachzuweisen. Daraus wird deutlich, dass § 11 Abs. 5 und § 43a Abs. 1 Z 2 NAG unterschiedliche Ziele verfolgen und das Erfordernis der Unterhaltungsdeckung im Sinne des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG unabhängig von § 11 Abs. 5 NAG zu beurteilen ist.

Dies ist insofern konsistent, als Drittstaatsangehörige, die eine Niederlassungsbewilligung als selbständiger Künstler beantragen, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 11 NAG ohnedies erfüllen müssen. Die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG hätte - würde man den Unterhaltsbegriff gleich auslegen wie in § 11 NAG - somit keinen Mehrwert und wäre insbesondere nicht geeignet, den vom Verfassungsgerichtshof betonten Zweck, dass nämlich der Aufenthaltstitel Künstler nur jenen selbständigen Künstlern gewährt werden solle, deren künstlerische Tätigkeit eine gewisse Intensität erreiche, zu erfüllen. Im Rahmen des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG ist somit zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist. Dieses aus künstlerischer Tätigkeit erwirtschaftete Einkommen muss grundsätzlich geeignet sein, den Unterhalt des Drittstaatsangehörigen zu decken, es ist jedoch nicht an den Richtwerten des § 293 ASVG zu messen und eröffnet einen Spielraum, um allenfalls eine ungleiche Intensität der künstlerischen Tätigkeit aus besonderen Gründen - etwa krankheitsbedingt oder infolge unverschuldeter externer Bedingungen wie beispielsweise der Situation infolge von COVID-19 - berücksichtigen zu können.

11       Das VwG beurteilte somit zutreffend die Haftungserklärung als ungeeignet zum Nachweis der besondere Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG. Die Revision war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 9. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220121.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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