TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/15 Ra 2020/18/0145

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Veröffentlicht am 15.09.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M Z, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 2020, W154 2138388-1/19E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Anfechtungsumfang (Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 30. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes aus, dass eine Rückkehr in die Heimatprovinz des Revisionswerbers aufgrund der schlechten Sicherheitslage nicht möglich sei, dem Revisionswerber aber die Inanspruchnahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe.

5        Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt im Wesentlichen vor, das BVwG sei von der höchstgerichtlichen Judikatur zur Aktualität der Länderberichte abgewichen, indem es die aktuelle - näher dargestellte - Entwicklung der Covid-19-Pandemie insbesondere in dem als inländische Fluchtalternative herangezogenen Landesteil Afghanistans außer Acht gelassen und auf zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr aktuelle Länderberichte verwiesen habe.

6        Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig und begründet.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen hat sowie im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und die persönlichen Umstände des Asylwerbers Bedacht zu nehmen hat, wobei es sich auch mit der zum Entscheidungszeitpunkt herrschenden Covid-19-Situation in Afghanistan auseinanderzusetzen hat (vgl. dazu VwGH vom heutigen Tag, Ra 2020/18/0152).

10       Dem vorliegenden Erkenntnis sind keinerlei Feststellungen zur Covid-19-Pandemie oder rechtliche Erwägungen zu deren Auswirkung auf die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Revisionswerber in Herat und Mazar-e Sharif zu entnehmen.

11       Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG daher die entsprechenden Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie unter Einräumung von Parteiengehör zu treffen haben.

12       Im Übrigen ist auch die Rechtsansicht des BVwG, wonach subsidiärer Schutz schon aus dem Grund nicht zuerkannt werden könne, da es der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) widerspreche, einem Fremden den Status eines subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen, unzutreffend. In seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, - worauf die revisionswerbende Partei zu Recht hinweist - hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würden, unter Beachtung des klaren Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie der Entstehungsgeschichte und der systematischen Stellung der Norm die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen würde. Infolge dessen ist an der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann, festzuhalten. Es wird insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG des Näheren auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen (vgl. dazu auch VwGH 30.7.2020, Ra 2019/20/0301, mwN).

13       Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14       Der Kostenzuspruch gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180145.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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