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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des T A H in H, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus Sittikus Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2019, Zl. W220 2129752-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 22. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dazu führte er zusammengefasst aus, er werde durch die Taliban verfolgt, weil er für die „Amerikaner“, die internationalen Streitkräfte und für die NATO als Dolmetscher, Fahrer sowie als „Security-Ausbildner“ gearbeitet habe.
2 Mit Bescheid vom 18. Mai 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (abgesehen von einer hier nicht weiter wesentlichen Teilaufhebung) als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 9. Juni 2020, E 4713/2019-7, die Behandlung derselben ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit ins Treffen, das Bundesverwaltungsgericht habe nur formelhaft begründet, weshalb es die Revision für nicht zulässig erklärt habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruches nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe. An der gesonderten Darlegung dieser Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird, war der Revisionswerber nicht gehindert (vgl. etwa VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0190, mwN).
10 Weiters wendet sich die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision gegen die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Beweiswürdigung. Sie rügt in diesem Zusammenhang, das Bundesverwaltungsgericht, das die Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen nicht als glaubhaft erachtet habe, habe sich mit dem diesbezüglichen Vorbringen nicht näher auseinandergesetzt und dieses einseitig zum Nachteil des Revisionswerbers gewürdigt.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 30.7.2020, Ra 2019/20/0383, mwN).
12 Dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts mit einem derart gravierenden Mangel behaftet wäre, zeigt die Revision nicht auf. Der Vorwurf, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht schlüssig mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit der Revisionswerber von seinem „ursprünglichen“ Glauben abgefallen sei, verfängt schon deshalb nicht, weil der Berücksichtigung des betreffend einen Glaubensabfall erstmals in der Revision erstatteten Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegensteht (vgl. dazu VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236).
13 Soweit die Revision meint, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht darauf Bedacht genommen, dass der Revisionswerber als Dolmetscher für internationale Streitkräfte gearbeitet habe und daher ein in den UNHCR-Richtlinien beschriebenes Risikoprofil aufweise, entfernt sie sich von dem im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Sachverhalt. Das Bundesverwaltungsgericht schenkte dem Fluchtvorbringen (und zwar auch bezüglich der vom Revisionswerber behaupteten beruflichen Tätigkeiten) - wie bereits dargelegt, in einer nicht als unvertretbar zu beurteilenden Beweiswürdigung - keinen Glauben. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich auch mit der Behauptung, der Revisionswerber befürworte einen „prowestlichen“ Lebensstil, auseinander und gelangte mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, dass ihn seine in Österreich erbrachten Integrationsleistungen und die von ihm angenommene Lebensweise in Afghanistan nicht derart exponierten, dass ihm in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohe.
14 Wenn sich die Revision gegen die Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet, ist festzuhalten, dass die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, es bestehe für den gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber mit Berufserfahrung, der eine der Landessprachen beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif oder Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative, am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken begegnet (vgl. dazu etwa VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347; 6.8.2020, Ra 2020/20/0251, jeweils mwN).
15 Ferner ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347, mwN).
16 Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt. Liegt - wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. nochmals VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347, mwN).
17 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte die sprachlichen, sozialen, schulischen und beruflichen Integrationsleistungen des Revisionswerbers (insbesondere auch das aufrechte Lehrverhältnis), wies aber auch zutreffend darauf hin, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VerfahrensG maßgeblich relativierend sei, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt würden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen (vgl. VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0248, mwN). Ausgehend davon zeigt die Revision nicht auf, dass die zu Ungunsten des Revisionswerbers ausfallende Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre (im Hinblick auf einen vergleichbaren Integrationserfolg, der nicht die Annahme einer außergewöhnlichen Integration zulässt, siehe VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0189).
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 22. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200336.L00Im RIS seit
06.11.2020Zuletzt aktualisiert am
06.11.2020