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41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des M A R, vertreten durch Dr. Thomas Huber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 11/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2018, G305 2188258-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger des Irak, stammt aus der Provinz Diyala und bekennt sich zum muslimisch sunnitischen Glauben. Er stellte am 12. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er und seine Familie hätten in einem schiitischen Gebiet gewohnt und seien aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von der schiitischen Miliz Asa’ib Al al Haqq, welche dem Staat zuzurechnen sei, bedroht worden. Die Geschäfte des Revisionswerbers und eines seiner Brüder seien in die Luft gesprengt und seine beiden Brüder entführt worden.
2 Mit Bescheid vom 2. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Ab. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG soweit hier maßgeblich aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei unglaubwürdig. Eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak bestehe nicht. Dem Revisionswerber stünde aber auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Region Sulaimaniyya, in den mehrheitlich sunnitisch besiedelten Stadtteilen Bagdads und solchen Gebieten rund um Basra offen. Dazu traf das BVwG auch Feststellungen zu innerstaatlichen Fluchtalternativen für arabische Sunniten im Irak. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BVwG damit, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weder Folter, noch sonst einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt wäre, er in seiner Herkunftsregion eine gesicherte Unterkunft habe, gesund und arbeitsfähig und vor seiner Ausreise als Händler tätig gewesen sei. Er werde daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenz- oder lebensbedrohliche Situation, aus der sich eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK ergeben könnte, geraten.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision wendet sich zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG in Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen. Die Beweiswürdigung sei auch aktenwidrig. Überdies hätte das BVwG dem Revisionswerber Vorhalte zu den von ihm angenommenen Widersprüchen machen müssen.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712 bis 0715, mwN).
10 Das BVwG gelangte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es den Revisionswerber zu seinem Fluchtvorbringen befragte, im Rahmen der Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubwürdig. Es stützte sich dafür auf Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers in Zusammenhang mit den behaupteten Anschlägen auf sein Geschäft, mit der behaupteten Verfolgung und der Entführung seines Bruders durch die Miliz und mit den zeitlichen Angaben des Revisionswerbers zu seiner Flucht. Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung zeigt die Revision fallbezogen nicht auf.
11 Insoweit die Revision in diesem Zusammenhang die Aktenwidrigkeit der Feststellungen behauptet, ist ihr zu entgegnen, dass eine solche nur vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen werden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2020/19/0002, mwN). Eine solche Aktenwidrigkeit legt die Revision, die sich der Sache nach vielmehr gegen die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich des Fluchtvorbringens wendet, nicht dar.
12 Wenn die Revision in Bezug auf die Beweiswürdigung auch vorbringt, das BVwG habe sich hinsichtlich des Schicksals des Vaters des Revisionswerbers auf Widersprüche zwischen den Angaben des Revisionswerbers in der Erstbefragung, die überdies falsch protokolliert worden seien, und dessen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gestützt, wird damit schon deshalb keine Rechtfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt, weil das BVwG seine Beweiswürdigung hinsichtlich des Fluchtvorbringens nicht (tragend) auf diesen Grund gestützt hat.
13 Die Revision macht auch geltend, das BVwG hätte dem Revisionswerber die in seiner Beweiswürdigung angenommenen Widersprüche vorhalten müssen. Dazu ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die belangte Behörde (und auch das Verwaltungsgericht) im Asylverfahren nicht verhalten ist, den Asylwerber zu Widersprüchen in Ansehung seines Asylantrages zu befragen, weil keine Verpflichtung besteht, ihm im Wege eines behördlichen Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grund eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0606, mwN).
14 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU (StatusRL) begründe ein eigenes Beweismaß betreffend das Fluchtvorbringen, zu dem es einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr bedürfe.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 12. März 2020, Ra 2019/01/0472, unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. insb. das auch auf Art. 4 Abs. 5 StatusRL Bezug nehmende Urteil vom 4. Oktober 2018, C 56/17, Fahti, Rn. 85 bis 87) ausführlich mit der Bedeutung des Vorbringens des Asylwerbers und der im Rahmen der Beweiswürdigung zu beurteilenden Glaubwürdigkeit seines Vorbringens sowie der erst danach erfolgenden Prognoseentscheidung, ob mit dem als glaubwürdig erachteten Vorbringen eine wohl begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht wird, auseinandergesetzt. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen.
16 Die Revision legt nicht dar, dass die Beweiswürdigung des BVwG von diesen Vorgaben abgewichen wäre und von welcher „Präzisierung“ der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Entscheidung über die vorliegende Revision abhängen würde.
17 Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vor, angesichts der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen zum fehlenden Gewaltmonopol des Herkunftsstaates hätte das BVwG sich mit der Frage befassen müssen, „ob in seinem konkreten Herkunftsgebiet (Diyala) nicht von einer Gruppenverfolgung (durch die schiitischen Milizen) auszugehen ist“.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung rechtliche Leitlinien aufgestellt, nach denen die Asylrelevanz einer sogenannten „Gruppenverfolgung“ zu prüfen ist. Danach kann die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende Gruppenverfolgung, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 7.2.2020, Ra 2019/18/0400, mwN).
19 Das BVwG stellte fest, dass es staatlichen Stellen derzeit nicht möglich sei, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Vor allem schiitische Milizen handelten eigenmächtig, wodurch irakische Sicherheitskräfte nicht in der Lage seien, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Insbesondere über den Nordwesten des Irak könne die Regierung nicht die Kontrolle behalten und müsse sich auf die (vorwiegend) schiitischen Milizen, darunter die Asa‘ib Ahl al Haqq, verlassen. Es gebe aber keine Berichte, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolge oder misshandle. Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft würden „mitunter“ zu Zielen von Angriffen von schiitischen Milizen. Die Sicherheitslage im Irak habe sich gegen Ende des Jahres 2017 und Anfang des Jahres 2018 stabilisiert, jedoch gebe es diesbezüglich große Unterschiede zwischen den Regionen. Die Provinz Diyala befinde sich in sicherheitsrelevanter Hinsicht in der Mitte dieser Skala bzw. sei sie weiterhin eine der instabilsten Provinzen des Irak. Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft bestehe nicht. Es gebe nach wie vor Regionen, die mehrheitlich sunnitisch geprägt seien. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, nach den Länderfeststellungen sei nicht gänzlich auszuschließen, dass Sunniten im Irak Opfer von Verfolgung und allgemeiner Benachteiligung werden könnten; eine allgemeine systematische Gruppenverfolgung der sunnitischen Bevölkerungsgruppe im Irak bestehe nach den Länderfeststellungen nicht.
20 Die Revision tritt der Annahme des BVwG, eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak bestehe nicht, nicht konkret entgegen. Sie bringt lediglich vor, das BVwG hätte dazu nähere Feststellungen bezogen auf die Herkunftsregion des Revisionswerbers treffen müssen. Mit diesem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen kann sie auch im Hinblick auf die vom BVwG angenommene innerstaatliche Fluchtalternative, gegen die sich die Revision nicht substantiiert wendet allerdings die Relevanz des damit geltend gemachten Verfahrensmangels nicht darlegen (vgl. VwGH 27.8.2019, Ra 2018/14/0001, mwN).
21 Insoweit sich die Revision schließlich gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein revisibler Verfahrensmangel vorliegt und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0010 bis 0012, mwN).
22 Das BVwG hat im Rahmen seiner Interessenabwägung auch die Integrationsbemühungen des Revisionswerbers berücksichtigt und entgegen der Darstellung in der Revision nicht ausschließlich auf die Aufenthaltsdauer abgestellt. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Interessenabwägung des BVwG fallbezogen unvertretbar wäre.
23 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 25. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190407.L00Im RIS seit
18.01.2021Zuletzt aktualisiert am
18.01.2021