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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Außerlandesbringung nach Griechenland von syrischen Staatsangehörigen denen dort internationaler Schutz zuerkannt wurde; keine ausreichende Auseinandersetzung mit der Existenzsicherung der FamilieSpruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.440,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer – eine Mutter (Erstbeschwerdeführerin) und ihr minderjähriger Sohn (Zweitbeschwerdeführer) – sind syrische Staatsangehörige, die zunächst in Griechenland einen Asylantrag gestellt haben. Der Zweitbeschwerdeführer wurde am 25. Juli 2018 in Griechenland geboren. Den Beschwerdeführern wurde in Griechenland der Status der Asylberechtigten zuerkannt und ein bis zum 15. Mai 2024 gültiger Konventionspass ausgestellt. Am 14. November 2019 stellten die Beschwerdeführer in Österreich Anträge auf internationalen Schutz. Der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers lebt seit 21. Dezember 2012 als anerkannter Konventionsflüchtling in Österreich.
2. Mit Bescheiden jeweils vom 10. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz als unzulässig zurück und sprach aus, dass die Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzukehren hätten. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden nicht erteilt, die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Griechenland zulässig sei.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit angefochtener Entscheidung vom 12. Februar 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes war die Erstbeschwerdeführerin schwanger; der voraussichtliche Geburtstermin war der 25. Juni 2020. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung unter anderem das Folgende aus:
3.1. Das BFA habe zu Recht eine Zurückweisung nach §4a AsylG 2005 vorgenommen, da beiden Beschwerdeführern in Griechenland der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden sei.
3.2. Griechenland gewährleiste grundsätzlich ausreichend Schutz für Flüchtlinge. Den Beschwerdeführern drohe bei einer Ausweisung nach Griechenland keine Verletzung ihrer gemäß Art3 EMRK gewährleisteten Rechte. Die Beschwerdeführer seien schon in der Vergangenheit ausreichend vom griechischen Staat versorgt worden (Unterkunft, monatliche finanzielle Unterstützung, medizinische Versorgung etc.). Zudem sei die Erstbeschwerdeführerin Bezieherin der EU-finanzierten Geldleistungen im Rahmen des Cash-Card-Programmes des UNHCR. Angesichts ihrer Vulnerabilität (bevorstehende Geburt oder Neugeborene, alleinerziehende Mutter) bestehe für die Beschwerdeführer insbesondere auch die Möglichkeit, ins ESTIA-Programm aufgenommen zu werden. Da bei der Erstbeschwerdeführerin keine Risikoschwangerschaft vorliege und in Griechenland von einer ausreichenden medizinischen Versorgung auszugehen sei, spreche nichts dagegen, dass die Erstbeschwerdeführerin jedenfalls bis acht Wochen vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nach Griechenland überstellt werden könne.
3.3. Die Überstellung des eineinhalbjährigen Zweitbeschwerdeführers nach Griechenland stehe dem Kindeswohl nicht entgegen, zumal er dort geboren worden sei und sein erstes Lebensjahr dort verbracht habe. Ferner erfolge die Überstellung gemeinsam mit seiner Mutter, der Erstbeschwerdeführerin.
3.4. Die Überstellung der Beschwerdeführer nach Griechenland stelle ferner auch keine Verletzung ihrer gemäß Art8 EMRK gewährleisteten Rechte dar, insbesondere zumal kein gemeinsamer Haushalt zwischen den Beschwerdeführern und dem Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin bzw dem Vater des Zweitbeschwerdeführers bestehe und die Beschwerdeführer untergetaucht seien, weshalb davon auszugehen sei, dass kein Interesse an der Weiterführung eines Verfahrens in Österreich bestehe.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Verfassungsgerichtshof die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Im Hinblick auf die allgemeine Situation von Menschen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland stellt das Bundesverwaltungsgericht fest:
"NGOs bezeichnen die Lebensbedingungen für Menschen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland als alarmierend. Schutzberechtigte sehen sich nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert, sondern auch oft mit unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards, einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation und kämpfen oft um ihr bloßes Überleben. Es bestehen weiterhin flächendeckende Defizite bezogen auf die Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzberechtigten. In der Praxis besteht für Flüchtlinge immer noch kein gesicherter Zugang zu Unterbringung, Lebensmittelversorgung, medizinischer und psychologischer Behandlung oder zum Arbeitsmarkt. […]
Besondere staatliche Hilfsangebote für anerkannte Schutzberechtigte neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem bestehen nicht."
Bezüglich des Zuganges zu Sozialleistungen in Griechenland und insbesondere der Teilnahme am Cash-Card-Programm des UNHCR stellt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes fest:
"Gemäß Gesetz haben Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger, aber bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise können den Genuss dieser Rechte schmälern (AIDA 3.2019; vgl Pro Asyl/RSA 30.8.2018; UNHCR 4.2019). Das neue System der sozialen Grundsicherung vom Februar 2017 befindet sich noch im Aufbau und wird schrittweise eingeführt. Es sieht Geldleistungen (erste Säule) sowie Sachleistungen (zweite Säule) und Arbeitsvermittlung (dritte Säule) vor. Eine etablierte Verwaltungspraxis besteht bislang nicht. Allerdings wurde der Zugang im Rahmen einer Gesetzesänderung im Juni 2018 für jene Personen eingeschränkt, die in EU-finanzierten Aufnahmelagern und Apartments wohnen. Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht bisher keine soziale Grundsicherung (AA 6.12.2018). […] Einige NGOs bieten punktuell Programme zur Unterstützung bei der Beantragung von Sozialleistungen an. Erster Anlaufpunkt ist die HELP-Webseite des UNHCR. Es beraten z. B. der Arbeiter-Samariter-Bund, die Diakonie und der Greek Refugee Council (AA 6.12.2018; vgl UNHCR 4.2019). Im Juli 2019 gab es 72.290 Bezieher der EU-finanzierten Geldleistungen im Rahmen sogenannter Cash-Card Programm des UNHCR, darunter 13.800 anerkannte Schutzberechtigte (UNHCR 7.2019). Es besteht kein Anspruch auf Teilnahme an dem Cash-Card-Programm, es handelt sich nicht um einen Sozialhilfeanspruch, sondern um humanitäre Hilfe. Der Bezugszeitraum endet grundsätzlich nach Anerkennung bzw nach einer Übergangsfrist von 6 bis 12 Monaten. In der Praxis wurden bisher keine Asylwerber nach ihrem Statuswechsel von dem Bezug ausgeschlossen. Für bereits anerkannte Schutzberechtigte ist ein Neueintritt in das Cash-Card-Programm allerdings nicht möglich (AA 6.12.2018)."
Zu den Wohnmöglichkeiten in Griechenland stellt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem das Folgende fest:
"Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung besteht derzeit auch für die griechische Bevölkerung noch nicht (AA 26.9.2018a; vgl AIDA 3.2019). In der Praxis wird Schutzberechtigten, die als Asylwerber in einem Flüchtlingslager oder in einer Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms (ESTIA) untergebracht waren, gestattet, nach ihrer Anerkennung für weitere 6 Monate in der gleichen Unterkunft zu bleiben (Pro Asyl/RSA 8.2018). Wohnraum wäre grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen (AA 6.12.2018). Das private Anmieten von Wohnraum für bzw durch anerkannte Schutzberechtigte wird durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (AA 26.9.2018a). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (AIDA 3.2019; Pro Asyl/RSA 8.2018). Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht. Es gibt auch keine eigene Unterstützung für ihre Lebenshaltungskosten. In Athen etwa gibt es vier Asyle für Obdachlose (zugänglich für griechische Staatsbürger und legal aufhältige Drittstaatsangehörige). Aber es ist äußerst schwierig, dort zugelassen zu werden, da sie chronisch überfüllt sind und Wartelisten führen (AIDA 3.2019; vgl Pro Asyl/RSA).
Die Aufnahme ins ESTIA-Programm ist nur für diejenigen anerkannten Schutzberechtigten möglich, welche die Kriterien der Vulnerabilität erfüllen und bereits als Asylwerber an dem Programm teilgenommen haben. Im Rahmen des Programms werden hauptsächlich Familien untergebracht (AIDA 3.2019). Prioritäre Kriterien sind das Vorliegen einer medizinischen Indikation, bevorstehende Geburt oder Neugeborene, alleinerziehende Mütter sowie Unterbringung der vulnerablen Personen von den Erstaufnahmeeinrichtungen auf den ostägäischen Inseln (AA 6.12.2018). […] Anerkannte Schutzberechtigte sind dazu aufgerufen, die Wohnungen innerhalb einer Übergangsphase von 6 bzw 12 Monaten nach ihrer Anerkennung zu verlassen. In der Praxis ist es bisher aber nicht zu erzwungenen Räumungen gekommen (AA 6.12.2018). Personen, die nach Zuerkennung ihres Schutzstatus in Griechenland ESTIA verlassen und einen Zweitantrag in einem anderen EU-Staat stellen, verzichten in eigener Verantwortung auf diesen sozialen Vorteil (AA 6.12.2018)."
3.2. Wenn das Bundesverwaltungsgericht ausführt, dass die Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Griechenland (nunmehr als Asylberechtigte) nicht in eine existenzielle Notlage geraten würden – insbesondere weil der Erhalt von Geldleistungen aus dem Cash-Card-Programm des UNHCR bzw die Teilnahme am ESTIA-Programm möglich seien –, finden diese Feststellungen in den Länderberichten keine Deckung. Diese Ausführungen sind nicht nachvollziehbar, wird doch in den Länderberichten festgehalten, dass der Bezugszeitraum des Cash-Card-Programmes mit Anerkennung des Asylstatus endet bzw dass die Aufnahme ins ESTIA-Programm nur für anerkannte Schutzberechtigte möglich ist, die bereits als Asylwerber am Programm teilgenommen haben. Insofern ist die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet (vgl VfSlg 19.205/2010, 19.500/2011; VfGH 10.12.2015, E709/2015 ua; 28.11.2029, E1208/2019 ua).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, KinderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E930.2020Zuletzt aktualisiert am
16.10.2020